Die spitzen Edelfedern des Landes sind in diesen Tagen spitz wie schon lange nicht mehr. "Will Österreich ernsthaft seine Neutralitätspolitik fortführen, sollte es endlich ernsthafte Neutralitätspolitik betreiben", ätzt Andreas Koller in den "Salzburger Nachrichten". In der "Presse" meint Josef Urschitz nicht weniger spitz: "Wir brauchen jetzt Krisenmanager und nicht hilflose Wohlfühlpolitiker". Und im jüngsten "profil" fragt Eva Linsinger: "Wo ist denn die große Vision, wie Österreich mit der Ukraine-Zeitenwende umzugehen gedenkt?" oder "Hat unser politisches Spitzenpersonal womöglich ein ernsthaftes Qualitätsproblem?" Der ehemalige Journalist und nunmehrige Chef der Agenda Austria, Franz Schellhorn, steht dem in nichts nach. "Österreich reagiert auf die vielen Herausforderungen unserer Zeit mit einem bekannten Muster: Ausblenden und verharmlosen." Das werde nicht gut gehen, ist er überzeugt.
Auch in der Wirtschaft wird der Unmut immer größer. Dort vermisst man vor allen einen Plan der Politik und fühlt sich bei der Versorgung mit Energie allein gelassen. Offenbar habe die Regierung keinen Plan, und wenn sie einen habe, rede sie mit den Betroffenen nicht darüber, schimpft Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Und der interimistische Chef des IHS, Klaus Neusser, sagt unverhohlen, er hoffe, dass es jetzt mit Martin Kocher, seinem Vorgänger im IHS, "als Wirtschaftsminister mehr Wirtschaftskompetenz in der Regierung gibt".Die nach wie vor fehlende Energiestrategie und die Diskussion darüber, wie man es mit der Neutralität Österreichs halten soll, legen zunehmend die Nerven blank und die Defizite in diesem Land offen. Große Themen und große Entscheidungen legt man -man weiß es seit Jahren und Jahrzehnten -am liebsten zur Seite und rührt sie nicht an. Weil man sich nicht traut, weil man zu bequem ist, oder weil man schlicht einem holzschnittartigen Populismus anhängt, der nur ein Ja oder ein Nein und nichts dazwischen zulässt. Schon gar keine Diskussionen. Weil man sie gar nicht kann.
Wie der Kanzler die Diskussion um die Neutralität ausgedämpft hat, ist typisch für vieles. Leisten können wir uns das nicht mehr. Zumal in einer Zeit, die Entscheidungen und Weichenstellungen verlangt, die das Land durch eine schwierige Zeit bringen können.
Der Vorwurf trifft nicht nur die Politik. Er trifft die gesamte Gesellschaft in diesem Land, die es sich bequem gemacht hat und bequem geworden ist im wirtschaftlichen Erfolg der vergangenen Jahrzehnte und längst die große Richtung aus den Augen verloren zu haben scheint. Die sich in kleinen Scharmützeln ergeht, die sich tagelang echauffieren kann darüber, ob die Frau des neuen Wiener ÖVP-Obmanns Kuchen bäckt oder nicht, die sich lieber immer noch am ehemaligen Kanzler Kurz abarbeitet oder den neuen Landwirtschaftsminister, kaum im Amt, am liebsten gleich durch den Spaltenboden im Schweinestall treten möchte. Und da ist noch gar nicht die Rede davon, dass man immer noch gerne Strache aus der Versenkung holt und ihm, wohl wegen der Quote, nicht nur wieder einmal eine Reise ermöglicht, sondern auch beste Sendezeit gibt.
Es ist nachgerade so, als ob Twitter, Brutstätte und Hort all solcher Hacheleien, Querschüsse, Gehässigkeiten und Banalitäten, längst überall wäre.
Man tut ganz einfach so, als ob nichts wäre. Man will sich nicht stören lassen. Große Probleme werden auf kleinliche politische Attacken heruntergebrochen. Die Politik feiert sich, wie die Umweltministerin für neue Regeln für die Radfahrer, und bleibt seit Wochen eine klare Linie und Auskünfte in Sachen Gasversorgung schuldig. Das Problem dabei -das eine ist in der Öffentlichkeit ein viel zu großes Thema, das andere ein viel zu kleines, und kaum jemand hat Interesse daran, das umgehend zu ändern.
Es fehlt an Sachlichkeit und an klaren Schwerpunkten. Es geht viel zu viel Energie in Themen, die fraglos wichtig sind, die aber in der Bedeutung all den Fragen, die die Ukrainekrise auch für uns in Österreich aufwirft, klar nachstehen.
Es ist hoch an der Zeit, diese Krise, die Folgen dieses Krieges, den Russland angezettelt hat, ernst zu nehmen und endlich Prioritäten zu setzen. Es kann ohnehin noch schlimm genug werden.
Ohne Konzept und Maßnahmen kann es aber noch viel schlimmer werden.
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