"Wir machen Politik gegen unsere Enkelkinder", sagt er. Oder "die Weitsicht und der Blick über den Tellerrand halten sich bei uns in Grenzen" und "die einen verstecken sich in einer Biedermeierlaube, die anderen glauben, wir können aus Europa eine Festung machen und innerhalb dieser Festung eine Festung Österreich", und "die Dritten holen Versatzstücke aus der ideologischen Mottenkiste heraus und wollen mit 100 in die 32-Stunden-Woche-Falle hineinfahren, EU-ablehnend und Putin-verstehend". Man mag zu Hannes Androsch stehen, wie man will, aber man hört in diesem Land nur mehr ganz ganz selten von einem Mann dieses Zuschnitts in dieser Klarheit, der auch eine gewisse Wucht inne ist, was er kürzlich in einem großen Interview mit den "Oberösterreichischen Nachrichten" sagte.
Androsch, einst unter Kreisky Anfang der 1970er-Jahre jüngster Finanzminister der Republik und mittlerweile auch schon 85, ist einer von mittlerweile ganz wenigen in diesem Land, die aufgrund ihrer Lebenserfahrung, ihrer Lebensleistung, ihres Gewichts in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft etwas zu sagen haben und das auch sagen. Die Autoritäten sind und Leitfiguren, ausgestattet mit dem nötigen Charisma, deren Beiträge von Gewicht sind und die über den Tag hinauswirken. Leute, die den nötigen Weitblick haben und auch die nötige Courage, sich die Öffentlichkeit anzutun.In diesem Land, das sich in den vergangenen Jahrzehnten lieber der Lugnerisierung hingab und auslieferte, gibt es solche Leute kaum mehr. Leute, die nicht, wie es im täglichen Polit-Geschäft üblich geworden ist, Antworten auf nicht gestellte Fragen bieten, sondern die versuchen auf die wichtigen Fragen tatsächlich Antworten zu geben, mit allen Licht-und Schattenseiten, die sie mit sich bringen und mit allem Für und Wider. Die sich nicht vom Zeitgeist treiben lassen und vom Schlagzeilen-Gezeter, sondern auf deren Expertise man zählen kann und die Linie und Richtung nicht aus den Augen verlieren. Leuchttürme, die Orientierung bieten.
Diese Leute fehlen heute in Politik und Gesellschaft, die sich durch die Tage treiben lässt und durch die Tage getrieben wird. In Österreich waren solche Leute immer schon dünn gesät. Stephan Koren ist in Erinnerung, oder später Heinrich Neisser und Erhard Busek. Dann waren da auch Andreas Kohl oder Franz Fischler, die das Zeug dazu gehabt hätten, aber der Vereinnahmung durch das politische Tagesgeschäft zu oft nicht widerstehen konnten. Oder Christoph Leitl, der sich an seinem Verständnis für Putins Politik verbrannte. Christian Konrad ist heute noch so einer, Othmar Karas hätte das Zeug dazu. Bei den Sozialdemokraten könnte man Vranitzky anführen, der sich aber allzu nobel zurückhält. Und bei den Grünen fällt einem nur der Bundespräsident höchstselbst ein.
Solche Leute gibt es praktisch nicht mehr. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft, auch nicht und das vor allem, in der Wissenschaft und nicht sonst wo in der Gesellschaft und auch nicht in den Kirchen. Sie können auch gar nicht mehr zur Wirkung kommen, weil man sie nicht mehr zur Wirkung kommen lässt. Treten solche Leute an die Öffentlichkeit, werden sie hierzulande mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorsorglich einmal zerkratzt und beschädigt, zuhören will man nicht und wohlwollend zuhören schon gar nicht. Da nimmt nicht wunder, dass viele lieber den Mund halten, als sich das anzutun.
Stattdessen hat das Land Scharen von Krawallmachern. Leute, denen nur am Zuspitzen und Neid schüren liegt, nicht an dem, was die Menschen in diesem Land wollen, in dem es eine große Sehnsucht nach Orientierung gibt. In dem stattdessen aber nur kleinlicher Hickhack abseits der großen Notwendigkeiten, vorangetrieben von Kleingeistern, geboten wird, die auf das nächste Wahlergebnis schielen.
Dabei hätte das Land solche Leitfiguren nötiger denn je. Gerade jetzt, wo es so viele Probleme und so wenig Lösungen gibt. Wo es gälte, über den Tellerrand zu schauen und wie es dieser Tage im Leitartikel einer Tageszeitung hieß, "die Fensterläden aufzureißen, nach vorne zu blicken und Neues zu wagen". Und wo es gälte schleunigst aus der negativen Meinungsspirale herauszukommen, die viele Leute immer weiter nach unten zieht und zum Spielball fragwürdiger politischer Kräfte macht.
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