Montag, 22. Januar 2024

„Man muss nach vorne schauen“

Dem Krieg zum Trotz: Die Ukraine bietet Unternehmern immer noch Möglichkeiten. Ein Österreicher zeigt es mit seiner Landwirtschaft.

Hans Gmeiner

Salzburg. „Es geht darum, durchzukommen“, sagt Thomas Brunner. Der Agrarunternehmer aus St. Florian in Oberösterreich, der seit 20 Jahren in der Ukraine lebt und dort eine Schweinezucht und -mast betreibt, denkt auch zwei Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine nicht daran, sich von dort zurückzuziehen. „Die Untergangsstimmung, wie sie sich im Westen breitmacht, haben wir noch nicht.“ Auch wenn es vielleicht schwer zu verstehen sei, man gewöhne sich daran. „Wenn einmal eine Rakete vorbeifliegt oder Sirenen gehen, dann ist das halt so“, fügt er lapidar hinzu. „Das ist jetzt das Leben.“

Brunners Betrieb liegt 250 Kilometer südöstlich von Kiew, nicht im Kriegsgebiet. Bisher haben er und seine Mitarbeiter – 15 wurden zum Heer eingezogen – Glück gehabt. „Es gab noch keinen Todesfall, allerdings einen Verletzten.“ Freilich seien viele Ukrainer müde und es gebe Probleme, aber ihr Wille sei noch nicht gebrochen. Auch seiner nicht, ganz im Gegenteil. „Was ich gelernt habe: Auch in so einem Krieg geht es darum, nach vorn zu schauen und neue Projekte anzugehen.“

Für Brunner, der auch Hilfslieferungen organisiert und sich in der klassischen Musikszene der Ukraine engagiert, ist das so etwas wie der Leitsatz seines unternehmerischen Lebens in einem Land, in dem sich das viele nicht vorstellen können. „Die Unternehmer in der Ukraine sind alle am Machen“, sagt er. Er auch. Seinen Betrieb hat er im vergangenen Jahr weiterentwickelt und vergrößert. „Wir haben zu den bestehenden 800 Mastplätze dazugebaut“, sagt Brunner. 3000 Schweine kann er jetzt mästen. „Wir wollen so das Futter, das wir erzeugen, besser verwerten.“ Denn während die Preise für Mais und Getreide unter Druck gerieten und die Transportkosten dafür kaum zu bestreiten seien, entwickelten sich die Schweinepreise gut. „Ich bin jetzt 13 Jahre im Geschäft, wir haben noch nie so gute Preise gehabt wie im Vorjahr.“ Über ein Hilfsprogramm der USA finanzierte er zudem einen 5000-Tonnen-Getreidesilo mit Trocknungsanlage, die auch von Kleinbauern aus der Umgebung genutzt werden können. „In Anlage ist damit auch ein Infrastrukturprojekt für die Region“, sagt Brunner. „Für mich als Unternehmer ist das eine super Sache und ein zusätzliches Standbein.“

Es ist nicht das einzige. Neu ist auch eine Futterverarbeitungsanlage zum Erzeugen antibiotikafreien Futters. „Mein Auftrag ist es, 20 Landwirte zu gewinnen, die einsteigen und ohne Einsatz von Antibiotika Schweinefleisch erzeugen.“ Neuerdings gibt es von Brunner in der Ukraine auch feinen Prosciutto. „Wir haben vor fünf Jahren damit begonnen, seit zwei Monaten verkaufen wir in Kiewer Feinkostgeschäften und an Gourmetketten, und das läuft“, sagt er stolz. Mit im Boot hat Brunner in der Ukraine bei seinen Projekten immer auch den Österreichischen Schweinezuchtverband. „Wir haben gerade wieder Zuchtsauen und Eber aus Österreich geliefert bekommen.“

Die Angst in der EU, insbesondere der Bauern, kann er nicht ganz nachvollziehen. „Man ist sich nicht bewusst, wie stark die Ukraine schon vor dem Krieg in der EU integriert war. Auch wenn die Bauern das anders sehen, Exporte aus der Ukraine sind für Europas Landwirtschaft nicht existenzbedrohend.“

Brunner, der seit fast zwei Jahren monatlich zwischen der Ukraine und Oberösterreich pendelt, denkt nicht daran, sich aus der Ukraine zurückzuziehen. „Ich habe sehr viele positive Erfahrungen gemacht, grundsätzlich sind wir gut aufgestellt.“ Er hält es lieber so, wie er es in der Ukraine auch rund um sich erlebt. „Man schaut nicht zurück, sondern man schaut, wie geht’s voran.“ Er beobachtet, dass sich die ukrainische Gesellschaft immer enger zusammenschließt. Das reicht von Vereinsgründungen über die Neuentdeckung ukrainischer Musik und Literatur bis hin zu einer neuen Unternehmenskultur. „Zahlen wurden in den vergangenen zwei Jahren relativ, der Gewinn steht nicht mehr ganz oben, unternehmerische Aggressivität wurde herausgenommen, man redet sich leichter, tauscht sich mit anderen Unternehmen aus und versucht auch, mehr Lösungen zu finden.“

Auch wenn es derzeit nicht so aussehen mag, glaubt Brunner fest daran, dass die Ukraine für Überraschungen gut ist. „Die Menschen kämpfen für ihre Freiheit, die Russen allenfalls für Putin. Wir wissen, dass es nicht so schnell zu einem Frieden kommen wird, und uns ist klar, dass es ohne westliche Hilfe nicht geht.“ Der Ukraine nicht zu helfen käme Europa und auch die USA aber langfristig viel teurer. Dass die EU zu Beitrittsgesprächen bereit ist, wertet er als wichtiges Signal. Denn seine größte Sorge ist, dass sich Europa wieder so verhält wie vor zehn Jahren, als Putin die Krim und Gebiete in der Ostukraine einfach einnahm und alle zuschauten. Anzeichen dafür gebe es, sagt Brunner. „Die westlichen Politiker versuchen zu verdrängen, dass man diesen Krieg einfach gewinnen muss.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 22. Jänner 2024

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