Das Bundesheer schoss diesmal, wenn auch nur mit Worten, scharf. Die Welt sei aus den Fugen, heißt es im kürzlich veröffentlichten Risikobericht. Der Krieg sei als "Dimension der Politik" zurück. Wir erlebten derzeit eine "Umstrukturierung der Weltordnung". Und zum Drüberstreuen noch Warnungen vor einer hybriden Kriegsführung mit Cyberangriffen und Falschmeldungen. Kurzum -das Risiko einer Konfrontation zwischen Russland und der EU sei "sehr hoch" und Europa müsse das "Trägheitsmoment" in der Gesellschaft überwinden, die gewohnt sei, dass alles friedlich ablaufe.
Die Reaktionen im Land waren überschaubar. Die Aufregung hielt sich in Grenzen. Und davon, dass gar ein Ruck durch Gesellschaft und Politik ging, kann gar keine Rede sein. Der Bundeskanzler hat unverbindlich von einer "wehrhaften Demokratie" geredet, die es jetzt brauche, und davon, dass "wir als Land" selbst "Verteidigungsbereitschaft und Wehrfähigkeit" herstellen müssen. Die Antwort darauf, wie er das erreichen will, blieb er schuldig. Jedenfalls nicht mit einer Wehrdienstverlängerung und auch nicht mit einer Wiederbelebung des Milizsystems. Und auch die Neutralität stehe nicht zur Diskussion. Es stehen ja Wahlen an, möchte man hinzufügen.Auch die Verteidigungsministerin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und verwies auf das ohnehin bereits erhöhte Verteidigungsbudget und den Beitritt zum Sky-Shield. Mehr war nicht. Schon gar nichts Richtungsweisendes, schon gar keine konkreten Vorschläge und Ziele, die es gelte, jetzt zu erreichen.
Und man muss gar nicht darauf hinweisen, dass Österreich längst als unsicherer Kantonist gilt, auf den man nicht wirklich zählen kann. Der sich lieber versteckt, wenn Hilfe gefordert ist, der untertaucht, wenn Haltung gefragt ist. Österreich fällt in Sachen Ukraine allenfalls damit auf, dass die Expertise der Strategieexperten des Bundesheeres rundherum gefragt ist. Das ist beachtlich, aber eben ziemlich wenig.
Der Befund fällt ernüchternd aus und man kennt ihn aus anderen politischen Bereichen, von der Gesundheits-über die Bildungs-, die Sozialbis hin zur Umwelt-und Wirtschaftspolitik - Österreich steht weiterhin mit beiden Beinen fest in den Wolken und verweigert die Realität. Das gilt für die Menschen, die hier wohnen, und das gilt für die Politik. Neues ist nicht ins Sicht. Schon gar nicht in Zeiten von Wahlkämpfen, die heuer die Politik bestimmen und wohl noch mehr Begehrlichkeiten erzeugen werden. "Trägheitsmoment" eben. In der Gesellschaft. Und in der Politik. Dort vor allem.
Das ist schlimm. Noch schlimmer freilich ist, dass es in Europa nicht viel anders ist. Dort gilt der nämliche Befund. Man nimmt und nimmt und nimmt, und man ist kaum bereit, auch etwas zu geben dafür. Man schafft nur mit allergrößten Anstrengungen und nur am letzten Abdruck das Allernötigste. Man verrennt sich in Randthemen und Petitessen und bringt bei den großen Themen kaum etwas weiter.
Man verschließt am liebsten die Augen vor der Realität. Die Ukraine, die Gefahren, die vom Überfall Russlands ausgehen, und der Umgang damit sind in diesen Tagen ein typisches Beispiel dafür. In Österreich und in ganz Europa.
Stolz ist man jetzt auf das 50-Milliarden-Paket, das jetzt verabschiedet wurde. Wohl auch, weil es wieder eine Zeit lang von den Fehlern der vergangenen Monate ablenken wird. Davon, dass man die Wünsche und Forderungen der Ukraine nie wirklich ernst genommen hat. All diese vielen unnötigen und lähmenden Diskussionen um die Lieferung von Waffen, Panzern und Flugzeugen. Und gar nicht zu reden davon, dass man kaum etwas dagegen unternahm, um neben den Vereinigten Staaten ein ernstzunehmender Partner zu werden. Selbst jetzt nicht, wo dort wieder Trump als wahrscheinlicher Präsident vor den Toren des Weißen Hauses steht.
Es verwundert nicht, dass sich in der Ukraine Frust breit macht. Mit Sorge beobachtet man, wie in Europa die Zweifler an der Unterstützung Oberhand gewinnen und wie die Ukraine und ihr Schicksal zum politischen Spielball wird. "Die Politik des Westens versucht, das Problem zu verdrängen", sagen Ukraine-Kenner und warnen vor unabsehbaren Folgen.
Das freilich gilt auch für viele andere Bereiche. Europa muss endlich aufwachen. Und Österreich auch. Nicht nur in Sachen Ukraine. Denn Ukraine ist überall. Und das unsägliche "Trägheitsmoment" auch.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. Februar 2024
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