Donnerstag, 24. Oktober 2024

Das Ringen mit dem Wahlergebnis

 

Es war einer der entlarvendsten Tweets, die nach den Nationalratswahlen geschrieben wurden. "Stadt/Land -Gummistiefel vs. Herz und Hirn." Hier die Leute mit Verstand, Verantwortung, Umsicht und Weitblick, dort die Einfachen, Grobschlächtigen, Verblendeten, Engstirnigen, die zu schlicht gestrickt sind, um auch nur irgendetwas zu begreifen, war damit wohl gemeint. Hier die weltläufige Stadt und ihre Bewohner, da die Leute vom Land, die hinten geblieben sind. Gegenüber was auch immer. Mehr an Verachtung geht kaum und weniger Respekt auch nicht. Eindrücklicher könnte nicht beschrieben werden, warum das Land in der Lage ist, in der es ist.

Der Tweet zeigt aber auch, wie schwer sich viele tun mit einem in demokratischen Wahlen zustande gekommenen Ergebnis umzugehen. Links der Mitte will man nicht zur Kenntnis nehmen, dass einer wie Kickl als klarer Wahlsieger hervorgegangen ist, der ihrer Ansicht nach gar nicht hätte gewinnen dürfen und den sie auch nach den Wahlen immer noch mit aller Macht zu verhindern versuchen. Man protestiert nach Kräften, geht auf die Straßen und versucht mit Petitionen und Resolutionen, das Wahlergebnis am besten ungeschehen zu machen. Ganz so, als hätte es die Wahlen nicht gegeben.

Auf der anderen Seite, das soll nicht unerwähnt bleiben, tun sich freilich auch die, die Kickl zum großen Sieger gemacht haben, und auch Kickl selbst schwer damit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sie eben nur 30 Prozent der Stimmen erreicht haben und dass das weit entfernt ist von einer absoluten Mehrheit, die es ermöglichen würde, wirklich anzuschaffen in diesem Land.

Auch wenn man davon kaum reden mag -es gehen Gräben durch das Land. "Die Stadt-Land-Kluft im Wahlverhalten, die es immer schon gab, wächst", schrieb eine Tageszeitung in einer Wahlanalyse. Das Verständnis der Gesellschaftsgruppen untereinander schwindet, Versuche, Brücken zu bauen, gelten nicht mehr viel, auch nicht miteinander zu reden oder gar aufeinander zuzugehen. Stattdessen Abgrenzung allerorten, Unverständnis, Kopfschütteln, Häme auch und oft sogar Wut. Auf allen Seiten der Gräben, die sich durch das Land ziehen.

Genau auch deswegen ist es zu dem Wahlergebnis gekommen, mit dem so viele im Land nicht zurechtkommen können. Man nimmt in den urbanen Räumen nicht zur Kenntnis, dass die Anforderungen draußen am Land oft ganz andere sind. Dass man sich dort zunehmend abgehängt fühlt, alleine gelassen, wenn der Greissler zusperrt, das Dorfwirtshaus, die Post, der Doktor und die Bank, oder wenn Betreuungsplätze für Kinder oft nur schwer zu finden sind. Man kann zuweilen wenig anfangen mit der immer lauter werdenden Kritik am Auto, wenn man kilometerweit bis zu nächsten Bus-oder Bahnhaltestelle fahren muss. Oft bleibt nichts als Staunen darüber, was da in der Stadt und in der Politik geredet und diskutiert wird, weil es mit der eigenen Lebenswelt so wenig zu tun hat.

Herbert Kickl hat es geschafft, diese Unzufriedenheit in Stimmen umzuwandeln. Die anderen, vornehmlich die links der Mitte, haben es nie geschafft, die Leute in dem Maß für sich und ihre Anliegen zu gewinnen. Ihre Ideen und Warnungen sind nicht angekommen. Im Gegenteil. Sie stärkten die andere Seite. Seit Jahrzehnten.

Aber es ist nicht alleine das. Betrachtet man die ländlichen Regionen, so ist es dort vor allem im konservativ-rechten Spektrum zu Wählerverschiebungen gekommen. Also zwischen der FPÖ und der ÖVP, die bis auf wenige Ausnahmen über Jahrzehnte gemeinsam die Mehrheit im Land halten. Und das sowohl auf der Ebene des Bundes und auch in vielen Ländern und Gemeinden. Es ist vor allem die ÖVP, die jene Stimmen verloren hat, die Kickl so stark gemacht haben. Jene ÖVP, die sich nicht stolz genug brüsten kann mit ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im ganzen Land und mit ihren Landeshauptleuten, und die sich so gerne selbst auf die Schultern klopft. Obwohl man überall die Schalthebel in der Hand hat, hat man es nicht geschafft, die Probleme, die die Leute drücken und mit denen sie sich herumschlagen müssen, aufzufangen.

Nun muss man sich vorhalten lassen, dass man, bei Licht betrachtet, eigentlich verantwortlich ist dafür, dass viele Leute am Land ihre Lage so empfinden, wie sie sie empfinden, und dass sie just deswegen diesmal bei der FPÖ ihr Kreuzerl gemacht haben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Oktober 2024

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