Donnerstag, 31. Oktober 2024

Österreich zwischen den Zeiten

"Die erste Annäherung fand bei Tafelspitz statt", schrieb die größte Tageszeitung im Land zu Beginn dieser Woche. "In zwei Wochen will man entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen möglich sind." Nach Tempo schaut das nicht aus. Es wird sich wohl ziehen, bis wir eine neue Regierung haben und wir müssen uns wohl darauf einstellen, länger zwischen den Zeiten zu leben. Zwischen der alten Regierung, die eine "Lame Duck" ist, wie das im Englischen wenig despektierlich, aber sehr treffend genannt wird, und vor der neuen Regierung, die kaum mehr heuer angelobt wird. Eine "lahme Ente", die keine Entscheidungen trifft und auch nicht mehr treffen kann, aber weiter im Amt sitzt, ganz gleich, wie dringlich der politische Handlungsbedarf ist im Land.

Aber es geht wohl nicht anders. Die Lage ist alles andere als einfach. Verzwickt ist noch ein Hilfsausdruck. Mit Kickl mag niemand respektive getraut sich niemand in eine Regierung zu gehen. Aber auch die Koalition zwischen ÖVP und SPÖ, für die die immer noch zu hörende Bezeichnung "große Koalition" angesichts des Stimmenschwunds längst reichlich übertrieben ist, mag man nirgendwo wirklich. Mag sein, dass schwarz-rot am besten wäre, wenn man nicht wüsste, wie weit sich diese Welten voneinander entfernt haben, wie tief auf beiden Seiten die Abneigung zuweilen geht und worunter man in der Vergangenheit zu leiden hatte.

Früher hätte man der Koalition zwischen VP und SP ohne viele Einschränkungen das Wort geredet, zumal, wenn große Aufgaben anstehen und große Probleme zu lösen sind, in denen politischer Kleinkrieg nur hinderlich wäre. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Und da wie dort ist viel Porzellan zerschlagen worden. Ob die Neos da viel retten oder gar verändern können, wenn man sie in eine "Zuckerlkoalition" holt, wie dieser Parteien-Dreier schnell punziert wurde, steht in den Sternen.

Da nützen alle Beschwörungen des Kanzlers wenig, dass es ein "weiter wie bisher nicht geben darf" und dass es "Veränderungen und Reformen" brauche, "um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können". Genauso wenig, wie wenn der SP-Vorsitzende nahezu wortgleich das Nämliche formuliert oder der Bundespräsident "neue Lösungen" und Reformen fordert, und Altes loszulassen und Neues zu wagen.

"Ja eh", ist man geneigt zu stöhnen. Man kennt das ja sattsam und zur Genüge und man mag nicht recht daran glauben, dass die wirklich umsetzen können, was sie da versprechen und fordern. Das war schon bei den vergangenen Wahlen so. Warum sollte es diesmal anders sein?

Schwarz-rot ist nicht spannend. Man erhofft sich wenig und man erwartet nicht viel. Weit und breit keine charismatischen Figuren, weit und breit keine spannenden Ideen. Nicht zuletzt deshalb ist in diesem Land wohl keine Stimmung für diese Koalition zu spüren. Nichts von dem, was man gemeinhin unter "Zug" versteht, und schon gar nichts von einer Aufbruchsstimmung, die das Land so dringend brauchen würde. Da ist nichts von Visionen für die Zukunft zu erkennen und nichts von Zielen, die das Land weiterbringen können. Und die Neos sind in dieser Konstellation wohl zu klein und allenfalls für den einen oder anderen Farbtupfer gut, wenn sie tatsächlich in die Regierung gebeten würden.

Die Zustimmung zu einer Koalition zwischen Schwarz und Rot und auch zu einer Zuckerl-Koalition entspringt wohl eher einer Mischung aus Verzweiflung und Ratlosigkeit. Zu viel hat man als Wählerin respektive Wähler schon mit diesen beiden Parteien erlebt. Da ist die Sorge größer, dass man wieder das erlebt, was man ohnehin schon kennt und von dem man oft schon so enttäuscht war, "aber irgendwer muss ja regieren", hört man oft.

Rundherum ist man nicht glücklich. Freilich ohne Alternativen zu haben. Mit den Freiheitlichen besteht zu recht Angst und Sorge, dass der Staat in den Graben fährt. Das ist aber, in einer anderen Weise, wohl auch von der Koalition zu befürchten, an die man sich "beim Tafelspitz" annäherte. Manche Kommentatoren machen sich schon jetzt Sorgen. "Sollten ÖVP und SPÖ der Versuchung erliegen, ihre diversen Wahlkampfschlager zu verwirklichen, wird das Staatsbudget endgültig aus den Fugen geraten", schreibt etwa Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten.

Vielleicht wird ohnehin noch alles ganz anders. Nicht wenige im Land meinen das. Viele hoffen unverdrossen darauf, dass FP und VP doch noch zusammenfinden. Und viele freilich fürchten sich genau davor.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 31. Oktober 2024

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