Donnerstag, 31. Mai 2012

Demokratie für Rosinenpicker





"Mehr direkte Demokratie“ lautet der Schlachtruf dieser Wochen. Mehr wagen, mehr ermöglichen, die Menschen stärker in politische Entscheidungen einbinden. Mitreden, mitbestimmen, mitentscheiden. In allen politischen Lagern werden Konzepte entwickelt, von allen kommen Stellungnahmen und alle wollen profitieren. Man will sich ja nichts vorwerfen lassen.

Es ist gut, dass es diese Diskussion gibt. Bedächtige Töne sind in diesem fordernden Kanon freilich selten zu vernehmen. Notwendig aber sind sie allemal. Es ist ja nicht so, dass wir nicht in einer Demokratie leben und dass die Verhältnisse in Österreich nicht demokratisch sind. Sie könnten da und dort besser sein. Das ist keine Frage. Aber es ist sehr wohl zu fragen, ob das wirklich so viel mit dem System zu tun hat, wie die öffentliche Diskussion suggeriert, oder ob es nicht auch, oder viel eher sogar, mit den in diesem System handelnden Personen zu tun hat. Und zwar nicht nur mit den Politikern, sondern auch mit denen, die sie wählen, respektive jenen, die das Recht haben zu wählen.

Dass die Politiker besser sein könnten und sollten, beherrscht die öffentliche Diskussion fast schon aus Tradition. Dass gerade die Generation, die derzeit die Geschicke in Staat, Ländern und Gemeinden lenkt, so oft enttäuscht und an ihrer grundsätzlichen Aufgabe scheitert, den Auftrag der Wähler umzusetzen, sorgt für ein besonders großes Maß an Frustration. Das nährt naturgemäß die Ungeduld und die Forderung nach mehr direkter Mitbestimmung.

Das freilich führt direkt zur Frage, warum sich der Wähler, der nun mehr Mitsprache einfordert, sich nicht an der politischen Willensbildung beteiligt und selbst im politischen Geschehen mitmischt, also Politiker wird. Im Gemeinderat einer kleinen Gemeinde in den Bergen, in einem Wiener Gemeindebezirk, in einem Landtag oder gar im Nationalrat. Die Wege dafür stehen viel offener, als man gemeinhin zur Kenntnis nehmen will. Politisch engagierte Leute werden von allen Parteien gesucht und mit offenen Armen aufgenommen. Bloß, diese finden sich allzuoft nur unter großen Mühen. Politisches Engagement gilt in diesem Land nicht viel. Dafür will sich kaum jemand hergeben. Schon gar nicht die guten Köpfe. In den vergangenen Jahrzehnten ist im ganzen Land und in allen Parteien eine Negativspirale in Gang gekommen. Niemand will sich mehr dem mühsamen politischen Geschäft aussetzen.

Man zieht es vor, auf der Tribüne zu sitzen und sich über die Akteure zu alterieren. Mitreden - und das ist wohl der Kern der Bemühungen um das, was man jetzt mehr direkte Demokratie nennt -, will man nur ab und an. Vorzugsweise bei Themen, die einen persönlich treffen und ärgern. Der Rest interessiert nicht, jedenfalls nicht so, dass man sich dafür engagieren würde, und sei es nur in der Form, zumindest alle vier, fünf Jahre das Wahlrecht zu nutzen. Rosinen picken ist das, statt Verantwortung übernehmen.

In Österreich hat, ganz anders als in der Schweiz, die direkte Demokratie in welcher Form auch immer, kaum Wurzeln. All die Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volkbefragungen, die bisher über die Bühne gingen, waren kaum je vom Willen der Wähler getragen, sondern von den politischen Parteien selbst, denen innerhalb des dafür vorgesehen Rahmens das politische Latein ausgegangen ist. Oder es standen Medien dahinter, oder, wie zuletzt beim Bildungsvolksbegehren, Altpolitiker, die von ihrer Partei nicht mehr gehört werden. Die Motive für all diese Aktionen waren nicht immer so lauter, wie sie vorgaben zu sein.

Da ist freilich zu fragen, warum das in Zukunft anders sein soll. Bei der Qualität, die Politiker, manche Medien, Interessenvertretungen, NGOs, aber auch Wählerinnen und Wähler derzeit an den Tag legen, sind eher untergriffige Kampagnen, ein permanenter Wahlkampf und viele andere Ungustiösitäten zu erwarten als Entscheidungen zum Wohl des Landes. Da steht eher zu befürchten, dass viele das Mehr an Demokratie, das sie jetzt fordern, dazu nutzen, ihre Interessen durchzusetzen und das System des Parlamentarismus zu beschädigen.

Alleine deswegen sollte man die Erwartungen nicht allzu hoch stecken. Und alleine deswegen sollten sich die Politiker ihrer ureigenen Aufgaben besinnen - und die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger der Möglichkeiten, die sie schon jetzt haben.

Meine Meinung- Raiffeisenzeitung, 31. Mai 2012

Donnerstag, 24. Mai 2012

Kuschelpolitik schlägt Realpolitik





In Deutschland überholt gerade die sympathisch wirkende Hannelore Kraft, glanzvolle Siegerin der Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen Beliebtheit. Sogar als Kanzlerin traut man ihr mehr zu als der Amtsinhaberin. In Frankreich fegte der rote Francois Hollande Nicolas Sarkozy aus dem Amt. Und in Griechenland hat ein linksradikaler Politiker mit seinen Forderungen und Versprechungen, die jede Realität verweigern, das Ohr des Volkes.

Der Staat soll investieren, sagen sie, der Staat darf die Sozialleistungen nicht antasten, der Staat soll Geld und Geduld der Bevölkerung nicht mehr länger für Rettungsschirme missbrauchen. Der Staat, der Staat, der Staat. Dass die öffentlichen Kassen leer sind, scheint keine Rolle zu spielen, und dass offen ist, wer die Zeche bezahlen soll, auch nicht. Und die Ursachen dafür sind erst recht kein Thema. Ganz so, als ob man alles weglächeln könnte, setzen sie auf den politischen Kuschelfaktor und bauen Wolkenkuckucksheime, in denen falsche Erwartungen kommod hausen können - die eigene Welt ganz kuschelig, während draußen dunkle Mächte an den Fenstern rütteln. Fürchtet euch nicht, der Staat wird‘s richten, ist ihre Botschaft.

Diese Kuschelpolitiker treffen damit den Nerv und die Stimmungslage vieler Menschen. Das tut einfach gut. Das Zuversicht und Vertrauen ausstrahlende offene Lachen der Hannelore Kraft, statt der sauertöpfisch wirkenden Angela Merkel, der die Krise ins Gesicht gebrannt scheint. Die Menschen brauchen das. Keine Angst haben müssen um das Ersparte, die Pension und den Arbeitsplatz - wenn man jahrelang nur von Sparappellen, von Mahnungen und von Warnungen bombardiert wird, hört man das gerne und neigt dazu, es zu glauben.

Kuscheln ist ein Faktor in der Politik geworden. Augen zu und ein wenig träumen. Kuschelpolitiker verstehen auf diesem Klavier zu spielen und fahren einen Wahlsieg nach dem anderen ein.

Realpolitik hingegen hat es schwer in diesen Zeiten. Sie hat, so sehen es derzeit offenbar die Wähler, ihre Chance gehabt. Viel zu lange schon kommt sie nach deren Geschmack mit der Währungskrise nicht zu Rande. Immer wieder zeigt sich, dass die Einschätzungen nicht hielten. Immer öfter macht sich die Überzeugung breit, dass die Ideen nicht die richtigen sind. Kein Wunder, gleicht doch die europäische Wirtschafts- und Währungspolitik allzuoft einer Bastelbude, in der ohne Konzept herumprobiert wird.

Das machte es den Wahlsiegern der letzten Wochen in ganz Europa leicht. Das permanente Scheitern und die für den einzelnen Wähler und seine Bedürfnisse und Gewohnheiten immer bedrohlicher werdenden Einsparungsszenarien spielten ihnen in die Hände. Je tiefgreifender die Maßnahmen werden, mit der man der Krise zu Leibe rücken will und je drastischer die Einsparungen, desto nachvollziehbarer ist, dass die Menschen jene wählen, die ihnen den leichteren Weg versprechen. Ihre Devise: Auch wenn es die möglicherweise genausowenig können wie die anderen, so klingt es wenigstens besser.

In Österreich läuft es um keinen Deut anders. Es sei nur an das wochenlange Tauziehen um etwas, das ein Sparpaket werden sollte, erinnert. Die, die sich dafür einsetzten, die Ideen lieferten, sich nicht falschen Versprechungen hingeben, sondern die Herausforderung annehmen und die Weichen stellen wollten, wurden zu Verlierern. Die Volkspartei und ihre Protagonisten von Spindelegger bis zu Fekter gingen als die Miesepeter aus dem Spiel hervor. Der ewig lächelnde Bundeskanzler und die Seinen hingegen verstanden es genauso wie der nach dem Sessel im Kanzleramt gierende Führer der großen Oppositionspartei blendend, sich nicht mit Sparvorschlägen, schon gar nicht bei der eigenen Klientel, anzupatzen. Sicherheitshalber ging man für Wochen auf Tauchstation und lanciert lieber längst vergessene und widerlegte Ideen aus der wirtschaftspolitischen Mottenkiste, mit denen man der Krise Herr werden zu können glaubt. Die Arbeitszeitverkürzung gehört genauso dazu wie das Schrauben an Steuersätzen und anderes mehr.

Das alles mag manch verunsicherter und verängstigter Seele gut tun. Dass der Kuschelfaktor, der in der Politik plötzlich so wichtig geworden zu sein scheint, erfolgversprechender und richtiger ist, heißt das freilich nicht. Ganz und gar nicht. Denn der Aufschlag der Kuschelpolitik in der Realpolitik könnte ein harter sein.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Mai 2010

Freitag, 18. Mai 2012

Gemüse liegt im Trend





Während der Fleischkonsum stagniert, steigt der Verbrauch von Gemüse in Österreich seit Jahren deutlich an.

HANS GMEINER Eferding (SN). Gabi Wild-Obermayr strahlt übers ganze Gesicht. „Der erste Freilandsalat im Frühling weckt die Sinne“, sagt die Obfrau der oö. Obst- und Gemüseproduzenten. „Das ist jedes Jahr wieder etwas ganz Besonderes.“ Immer mehr Österreicherinnen und Österreichern geht es wie ihr. „Der Pro-Kopf-Verbrauch bei Salat liegt bei 9,3 Kilogramm pro Jahr, Tendenz steigend“, sagt Günter Griesmayr, Chef der Agrarmarkt Austria (AMA). Die größten Salatesser des Landes sind die Salzburger, die beliebtesten Arten sind Eis- und Häuptelsalat und Chinakohl. Wie bei anderen Lebensmitteln schätzen die Konsumenten auch bei Salaten die küchenfertige Aufbereitung immer mehr. Der Absatz geschnittener Blattsalate hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt und macht bereits fünf Prozent der heimischen Jahresproduktion von 47.000 Tonnen aus. Während der Fleischkonsum seit Jahrzehnten bei rund 65 Kilogramm pro Kopf stagniert, wuchsen nicht nur der Salat-, sondern der Gemüseverbrauch insgesamt stetig. Verzehrten die Österreicher Mitte der 1990er-Jahre pro Kopf und Jahr noch 85 Kilogramm Gemüse, sind es derzeit schon 110 Kilogramm. Favorit sind mit großem Abstand Paradeiser, es folgen Paprika, Zwiebeln und Gurken.

Vom arbeitsaufwendigen und wegen der oft leichten Verderblichkeit der Ware wirtschaftlich riskanten Gemüsebau leben in Österreich rund 1900 Bauern und 1400 Gartenbaubetriebe. Sie bewirtschaften etwa 16.000 Hektar (fast 15 Prozent davon bio). Die Jahresproduktion liegt in der Regel knapp unter 600.000 Tonnen. Wenn das Wetter passt, können es allerdings wie im Vorjahr auch mehr als 700.000 Tonnen sein.

Wichtigste Sparte ist mit großem Abstand die Zwiebelproduktion (200.000 Tonnen). Sie wuchs ebenso wie die Karottenproduktion (109.000 Tonnen) kräftig. Dahinter kommen Kraut (65.000 Tonnen), Paradeiser (50.000 Tonnen) und Salat. Dabei gibt es freilich stets Veränderungen. „Derzeit kehrt Knoblauch auf die österreichischen Gemüsefelder zurück“, sagt Stefan Hamedinger von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich. „Bierrettich hingegen wird deutlich weniger.“

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft 18. Mai 2012

Mittwoch, 16. Mai 2012

"Sie kennen mich doch“





Dieser Tage sorgte eine renommierte Wissenschaftlerin der Akademie der Wissenschaften für einiges Aufsehen. Sie legte ihre Mitgliedschaft in der ehrwürdigen Institution, auf die Österreich so stolz ist, zurück. Begründung: Es würden zumeist Leute genommen, die nicht die besten sind, weil bei der Aufnahme nicht die fachliche Qualifikation, sondern andere Faktoren, die damit nichts zu tun hätten, zählten.

Es war ein bemerkenswerter Schritt.

Er lenkte das Augenmerk auf etwas, das in Österreich noch viel zu oft anzutreffen ist. Wenn es um die Auswahl von Personal, die Besetzung von Posten und Positionen geht, dann ist es hierzulande in vielen Fällen immer noch wichtiger, wen man kennt, als was man kann. Qualifikation spielt bei der Personalsuche allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz oft noch eine untergeordnete Rolle. Immer noch. Und das, obwohl sich politische Parteien und Manager immer wieder wortreich davon distanzieren, obwohl in Ämtern, Behörden und Unternehmen Objektivierungsverfahren und Assessment Center zu fixen Bestandteilen von Bestellungsverfahren gemacht wurden, und obwohl alle mit dem Brustton der Überzeugung vorgeben, nur die Besten zu nehmen - ohne Rücksicht auf Herkunft, politische Einstellung und darauf, dass der Großvater seinerzeit dem ehemaligen Chef einen Gefallen getan hat.

Die Bemühungen greifen mancherorts, aber sie greifen viel zu selten. Was die Wissenschaftlerin meinte, ist dennoch in diesem Land weit verbreitet. Protektion feiert fröhliche Urständ‘ und grassiert immer noch allerorten. Und das nicht nur, wenn es um Posten ganz oben geht. Sehr viel häufiger spielt vor allem bei der Besetzung in öffentlichen und halböffentlichen Unternehmungen, in Institutionen, aber auch in der Privatwirtschaft selbst bei kleinen Posten eine große Rolle, wen man kennt oder was man wählt und nicht selten überhaupt beides.

Bei Politikern gehört die Intervention für Jobs nach wie vor als fixer Bestandteil zum Berufsbild - bei den mehr oder weniger bedeutenden Politikern ganz oben bis hinunter zu den Gemeinderäten. Da spielen aber auch alle Chefs mit, gleich ob der Top-Manager in der obersten Etage, der kleine Abteilungsleiter oder der Gewerbetreibende am Dorfplatz, die sich bequemlichkeitshalber gar nicht lange auf die Suche nach geeignetem Personal machen, sondern lieber den Zuträgern ihr Ohr leihen, die die Tochter von der Bekannten oder den Freund vom Bruder unterbringen wollen. Beachtlich sind oft Energie und Aufwand, die dafür eingesetzt werden und werden müssen. Da werden Netzwerke geknüpft, auf dass ein Job für die Tochter herausschaut, da werden Veranstaltungen besucht um sich zu zeigen und Bekanntschaften zu machen, da ein bisschen mitreden und sich dort andienen. "Sie kennen mich doch, erinnern sie sich nicht?“

Vom Top-Manager bis hin zum kleinen Maurer spielen alle das gleiche Spiel. Längst ist es zur Spirale geraten. Wer nicht mitmacht, bleibt über. Man will Beziehungen nutzen und fordert Gegenleistung für einen Dienst. Während sich der eine diskret erkundigt, ob der Bewerber "ein 105er“ sei und sich mit dieser immer noch gerne verwendeten unauffälligen Übersetzung nach einer CV-Mitgliedschaft erkundigt, macht sich der andere für seine Tochter beim Bürgermeister mit dem Hinweis stark, dass er dessen Partei gewählt habe und er nun eine Gegenleistung für angebracht halte.

Ginge es dabei tatsächlich um die Qualifikation, um die Fähigkeiten, um das Leistungspotenzial und um möglichst gute Mitarbeiter, wären all die Verrenkungen rund um die Vergabe von Jobs ja noch einigermaßen einzusehen. Das freilich ist allzu selten der Fall. Viel eher geht es um einen kommoden Posten und um eine sichere Versorgung. Und um das Durchdrücken von Ansprüchen, die allzu viele aus welchen Motiven auch immer zu haben meinen.

Aber so funktioniert Österreich eben. Und es kann offenbar nicht anders. Eine Hand wäscht die andere. Ganz oben und ganz unten genauso.

Dass das für das Land längst zur Bürde geworden ist, will man darob nicht erkennen. Denn diese Unkultur der Protektion verhindert viel eher, als dass sie dem Ganzen hilfreich ist. Sie konserviert bestehende Strukturen und zementiert in vielen Institutionen und Unternehmen Zustände und Niveaus ein. Energien, die neue Perspektiven öffnen könnten, macht sie keine frei.

Genau das aber bräuchte das Land.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Mai 2012

Dienstag, 15. Mai 2012

Der Kampf um die Sojabohne




HANS GMEINER Salzburg (SN). Nach der Umstellung auf Futter ohne gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der Milch-, Eier- und Geflügelproduktion kommt auch in die Futtertröge der Schweine immer häufiger GVO-freies Soja. Nach dem oberösterreichischen Schlachtbetrieb Oberndorfer, der seit einigen Wochen Billa beliefert, stellt nun auch Spar mit der Steirerfleisch als Partner um. Demnächst kommt dem Vernehmen nach mit Handlbauer eine weitere Größe der Schlachtbranche als Anbieter von Schweinefleisch aus GVO-freier Fütterung dazu. Damit schnellt der Marktanteil von GVO-frei gefütterten Schweinen binnen weniger Wochen auf deutlich mehr als zehn Prozent.
Das GVO-freie Soja für die Projekte liefert zum Großteil das in Oberösterreich ansässige Handelshaus Pilstl. Es ist seit Jahren der bedeutendste Importeur von GVO-frei erzeugtem Soja aus Südamerika. „Wenn die Konsumenten das wollen, muss man das machen“, sagt Karl Pilstl, der auch in Deutschland bei Projekten zur Umstellung – wie etwa bei Danone – dabei ist. Inzwischen sind auch andere Großhändler aus aus Österreich in Brasilien unterwegs, um an dem Geschäft mitzunaschen.
Die heimischen Schweinebauern indes sind mit dem Tempo der Entwicklung alles andere als glücklich. Sie befürchten, so wie ihre Kollegen in anderen Produktionssparten, den höheren Preis für GVO-freies Soja nicht in den Fleischpreisen unterbringen zu können. Sie haben Sorge, dass nur für edlere Fleischstücke mehr bezahlt wird, sich für die weniger wertvollen Teile aber kaum höhere Preise erzielen lassen. In der Bauernschaft und deren Vertretung gibt es daher zum Teil heftige Widerstände.
Kopfzerbrechen macht ihnen auch die extreme Abhängigkeit von Brasilien, dem weltweit einzigen Land, in dem derzeit in größerem Stil GVO-freies Soja erzeugt wird.
Für die Fütterung der Schweine braucht man in Österreich rund 300.000 Tonnen Sojaschrot. Aus Österreich kann davon bestenfalls nur ein kleiner Teil kommen. Für die erforderliche Menge gibt es zu wenig Fläche. Zudem geht ein Großteil der rund 100.000 Tonnen an GVO-frei erzeugtem Soja in den Lebensmittelbereich.
Die heimische Landwirtschaft setzt daher auf den Aufbau einer europäischen Produktion. Unter dem Namen Donau-Soja will man mit Partnern in den Donau-Anrainer-Regionen von Bayern bis nach Rumänien in den nächsten Jahren die Sojaproduktion ausbauen. „Es geht dabei auch darum, Europa unabhängiger von Überseeimporten zu machen“, sagen der oö. Agrarlandesrat Max Hiegelsberger und Mathias Krön vom Sojaverarbeiter Mona. Schon jetzt ist aber klar, dass Donau-Soja maximal 15 Prozent des europäischen Bedarfs von mehr als 30 Mill. Tonnen decken kann.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 15. Mai 2012

Montag, 14. Mai 2012

Gmundner Milch stellt Weichen auf Wachstum

 




Gmunden (SN-gm). „2011 war ein sehr gutes Jahr für uns“, sagt Michael Waidacher, Geschäftsführer der Gmundner Molkerei, der Nummer drei unter den heimischen Milchverarbeitern. „Das Ergebnis liegt deutlich über dem Branchenschnitt.“ Der Umsatz legte um gut sechs Prozent auf 180 Mill. Euro zu. Die Exportquote liegt bei 45 Prozent. Auf der Kundenliste stehen nicht nur Abnehmer aus Österreichs Nachbarländern, sondern auch Staaten wie Rumänien, Libyen und der Irak. „Erst vor Kurzem ging eine Probelieferung mit H-Milch nach China“, sagt Waidacher. Das macht Appetit auf mehr. Insbesondere bei Käse und H-Milch, die es neuerdings auch laktosefrei gibt, sieht Waidacher Chancen. 25 Mill. Euro investiert die Molkerei derzeit am Standort Gmunden in den Ausbau der Produktion in diesen Sparten. „Damit schaffen wir auch die Voraussetzungen für eine Zusammenlegung der derzeit drei Standorte“, sagt Waidacher.
Insgesamt verarbeitete die Gmundner Molkerei im Vorjahr 305 Mill. Kilogramm Milch. 267 Mill. Kilogramm kamen von den eigenen Lieferanten. Heuer werden es mehr sein. Von den rund 100 Milchbauern aus dem Ennstal, die im Vorjahr zu „Freie Milch Austria“ wechselten, sind im April wieder 60 zurückgekommen. „Sie bekommen den gleichen Milchpreis und haben sich verpflichtet, drei Jahre an uns zu liefern“, erläutert Waidacher. Grund für die Rückkehr sind die niedrigen Preise der „Freien Milch“, die aus der IG-Milch entstand und ihre Ware am freien Markt verkauft, der derzeit von Überschüssen geprägt ist. Dazu kommen Gerüchte über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens. „Da ist nichts dran“, sagt Ernst Halbmayr, Eigentümer der „Freien Milch“. „Wir werden eine vernünftige Bilanz legen.“ Auch in Salzburg ist für 40 „Freie Milch“-Lieferanten der Wechsel ein Thema.

Salzburger Nachrichten Wirtschaft, 11. Mai 2012

Donnerstag, 10. Mai 2012

Hinter den Fassaden der politischen Lüftlmalerei





Die Lüftlmalerei, diese Kunst, mit der man im Tirolerischen und im Bayerischen gerne Hausfassaden aufpeppt, ist eine volkstümliche Variante der Scheinmalerei aus dem Barock und imitiert Architekturelemente. So heißt es bei Wikipedia. Die oft riesigen Malereien sollen Eindruck machen und die Häuser mächtiger erscheinen lassen, als sie sind.

Das ist eine Kunst, auf die man sich auch in der Politik versteht. Nicht nur im Tirolerischen, wo das naheliegend wäre, sondern in allen Bundesländern des schönen Österreich. In Vorarlberg genauso wie im Burgenland, in Salzburg und in der Steiermark, in Wien, in Oberösterreich und von Kärnten und von Niederösterreich gar nicht zu reden. Und überall weit besser, fantasievoller und auch effektiver als in den Wiener Zentralen, wo oft just Landespolitiker politische Lüftlmalerien verschmieren.

Lauter Weltmeister und Vorbilder möchte man meinen, wenn man die lokalen Zeitungen durchblättert, in die lokalen Fernseh- und Radiosender hineinhört und die vielen Jubelpostillen, die der Briefträger tagaus tagein ins Haus trägt, nicht gleich ungesehen wegwirft.

Da gibt es kein Entkommen. Nirgendwo wird ein derart großer Aufwand betrieben, um sich in Szene zu setzen und sich selbst darzustellen. Sie lachen von Plakaten und aus Inseraten, sie entern Themen und Veranstaltungen. Man lässt sich allerorten loben und tut das zu allem Überfluss auch noch selbst. Dafür sorgt das millionenteure Bombardement des Wahlvolkes mit zahllosen Zeitschriften und Aussendungen, dafür sorgen die Pressedienste und diverse Medien und dafür sorgen die ständige Präsenz der Landespolitiker bei allen möglichen und unmöglichen Veranstaltungen und ihre Meinungsäußerungen zu allen möglichen und unmöglichen Themen.

Man hat das Handwerk zur Perfektion getrieben. Um sich Gewicht zu verleihen, werden Statistiken oft so schamlos genutzt wie atemberaubend verdreht. Da stellt man Umfragen in die Auslage, um gegenüber dem Bund oder anderen Bundesländern aufzutrumpfen, und rühmt sich gerne großartiger Leistungen, die meist eines gemeinsam haben - sie fallen in die Kategorie "weltberühmt in Österreich“. Das freilich spielt keine Rolle. Hauptsache man ist toll und super und kann sich als bedeutend darstellen.

Da lassen sich seit Monaten zwei Landespolitiker dafür feiern, dass sie nach Jahren des Streits wieder miteinander reden und gemeinsam ein paar Weichen stellen. Dass der geneigte - in diesem Fall steirische - Bürger das längst erwartet hatte, davon ist genauso wenig die Rede, wie davon, dass all die Gemeinde- und Bezirkszusammenlegungen und anderen Verwaltungsmaßnahmen in anderen Bundesländern längst umgesetzt ist.

Besonders beliebt ist es, die Bundesregierung als unfähig hinzustellen, um sich selbst besser und als Macher darstellen zu können. Keine Rede davon, dass man die ohnehin am Gängelband hat.

Das dröhnende Selbstbewusstsein in den Landhäusern von Eisenstadt bis Bregenz bringt mancherorts monarchistische Zustände hervor. Nicht ohne Grund ist von Landeskaisern und Landesfürsten die Rede. Die Verehrungskultur, die in den Ländern von der Politik gepflegt und gepflogen wird, lässt sich durch nichts erschüttern. Sie funktioniert von den ORF-Landesstudios, die von manchem Landesfürsten nachgerade als Privatsender betrachtet werden, bis hinunter zu den Musikvereinen und Feuerwehren. In einem Umfeld, in dem Transparenz, Korruptionsbekämpfung, und die Bändigung von Freunderlwirtschaft große Themen sind, nimmt sich da vieles befremdlich aus.

Aber, so scheint es, die Politik in den Ländern tickt anders als im Bund. In den Ländern fehlt das Korrektiv, das die Länder ihrerseits für den Bund sind. Aber auch die Bürger ticken anders, wenn es um die Landespolitik geht, als wenn von der Bundespolitik die Rede ist. Da fragt man weniger. Da ist man schneller zufrieden. Da ist man milder. Und, obwohl vieles von dem, was in der Bundespolitik für unerträglich erklärt wird, um keinen Deut anders auch in den Ländern zu finden ist, neigt man allzuoft dazu, die aufwändigen Lüftlmalereien der Landespolitiker für echt zu halten.

Man sollte dabei vorsichtiger sein. Allein, wegen dem, was man in Kärnten gesehen hat, wo sich die in Auftritten, Äußerungen und Aussendungen oft so beeindruckend beschriebene Politik als nichts anderes als politische Lüftlmalerei erwiesen hat.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Mai 2012

Samstag, 5. Mai 2012

Die Bauern haben ein Recht auf gute Argumente





Den Bauern fliegen in diesen Wochen und Monaten die Vorwürfe und Vorhaltungen aus allen Winkeln der Gesellschaft um die Ohren. Sie werden als Nehmer hingestellt, die aus den öffentlichen Kassen Geld abstauben und keine Steuern zahlen. Sie werden für den Hunger in der Welt verantwortlich gemacht, weil sie Biosprit erzeugen. Sie müssen sich fast schämen, Grund zu besitzen, sie müssen sich vorhalten lassen, die Umwelt zu versauen und Tiere zu quälen, und sie werden als Bienenkiller durch die Medien gejagt.
Die obersten Agrarier kriegen diese für die Bauern immer prekärer und ärgerlicher werdende Lage nicht in den Griff. Wenn es nicht am Wollen scheitert, was anzunehmen ist, dann muss es wohl am Können liegen.
Ansichten und Einschätzungen in oft zugegebenermaßen sehr kniffeligen Themen offen und für jedermann verständlich darzulegen ist Sache der Agrarier nicht. Die Argumente sind oft schwach, saubere, gute und durchgängige Argumentation ist selten. Man ist allzuoft nicht bereit, auf die Vorhaltungen einzugehen, und glaubt mit Allgemeinplätzen à la "Bauern sind die besten Naturschützer" durchzukommen. Da eine kleine Antwort und dort eine und immer nur das, was gerade am allernötigsten erscheint. Immer ein bisserl luftig und immer mit einer gehörigen Portion Unschärfe, um sich, wie man wohl in zuweilen maßloser Selbstüberschätzung glaubt, nichts zu vergeben.
Dieser laue, wenig zielgerichtete Diskussionsstil ist in der Landwirtschaft, namentlich in der Agrarpolitik, in den vergangenen Jahren zur Unsitte geworden. Man ist sich selbst genug und ist dabei, ob der ewigen Nabelbeschau den Kontakt zu anderen Gesellschaftsschichten zu verlieren.
Kein Wunder, dass man die Diskussion seit Jahren nicht in den Griff kriegt. Den Bauern und auch der Agrarpolitik fällt das auf den Kopf. Sie sind auf der ganzen Linie angreifbar geworden. Immer Opfer, immer die Getriebenen, immer ungerecht behandelt - das zieht nicht mehr, sondern nervt nicht nur Gesellschaft und Politik, sondern auch immer mehr Bauern. Und vor allem: Es wird immer schwieriger, politische Forderungen, Wünsche und Projekte durchzusetzen.
Dass die Arbeiterkammer schon seit geraumer Zeit die Bauern nach Belieben vor sich hertreiben und verunglimpfen kann, hat genau damit zu tun. Den Argumenten von Arbeiterkammer-Boss Werner Muhm gegenüber haben die obersten Agrarier nicht nur auf der heurigen Wintertagung peinlich hilflos gewirkt. Wenn es um die Agrarreform geht, wird es, steht zu befürchten, nicht anders sein. Und beim Biosprit auch nicht.
Die Landwirtschaft braucht neue Argumente und vor allem wesentlich bessere Argumente. Sie braucht Mut und Durchsetzungskraft in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion und nicht vage und windelweiche Stellungnahmen und Erklärungen. Und sie braucht vor allem auf politischer Ebene wieder Glaubwürdigkeit. Es ist eine Überlebensfrage, dass es ihr gelingt, das Heft wieder in die Hand zu bekommen und nicht mehr von beliebigen Gruppen durchs Land getrieben zu werden.
Die Bauern haben ein Recht drauf -für wie hartnäckig, unfair und ahnungslos man die Gegenseite auch halten mag. Sie lechzen nach einer starken und schlüssigen Verteidigung und nach klaren Argumenten - allein schon um sich gegen die Anwürfe zur Wehr setzen zu können, die sie an den Stammtischen, im Kirchenchor oder Schulgemeinschaftsausschuss von Leuten hinnehmen müssen, die nicht zwischen Melkkammer, Ferkelstall und Traktorgarage aufgewachsen sind.

Gmeiner meint -. Blick ins Land,  Mai 2012

Freitag, 4. Mai 2012

Biosprit stottert in die Zukunft





E10-Einführung im Herbst unwahrscheinlich – Agrana baut Stärkeanlage für Weizen

HANS GMEINER Pischelsdorf (SN). Der Streit rund um die Einführung von E10 – Benzin mit einem Anteil von zehn Prozent Biosprit aus Getreide – in Österreich wird immer heftiger. Verkehrsministerin Doris Bures beharrt auf einem Nein. Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich hingegen spricht von „vielen, die Volksverdummung betreiben“, wenn sie eine Nahrungsmittelknappheit herbeibeschwören.

Der geplante Einführungstermin von E10 im Herbst 2012 rückt vor diesem Hintergrund in immer weitere Ferne. Das sieht auch Johann Marihart, Chef des Biospriterzeugers Agrana, so. Er hofft, dass sich die vier damit befassten Minister – neben Bures und Berlakovich sind das Minister Reinhold Mitterlehner und Alois Stöger – zumindest auf eine stufenweise Einführung ab Herbst 2012 einigen. „Wir stehen in den Startlöchern“, sagt Marihart.

Derzeit wird in der Agrana-Anlage in Pischelsdorf aus Weizen und Mais bereits die Menge, die Österreich für E10 bräuchte, produziert. Verkauft werden die gut 210.000 Kubikmeter aber zur Hälfte im Ausland.

Marihart ist vom Biospritkonzept überzeugt. Man konkurriere den Nahrungsmittelmarkt in Österreich in keiner Weise und sei mit dem Preis gleich wie Benzin. Über das als Nebenprodukt anfallende Eiweißfuttermittel würden insbesondere in Südamerika, von wo derzeit importiert werde, sogar Flächen frei für die Lebensmittelerzeugung. „Und wir könnten sofort 190.000 Tonnen CO2 einsparen“, sagt Marihart. „Aber die Logik des Konzeptes ist schwer transportierbar.“

Vielleicht hilft dabei der nächste Schritt, den die Agrana in Pischelsdorf macht. Nach der Verwertung des anfallenden CO2 in einer eigenen Verflüssigungsanlage wird die Anlage nun um eine Weizenstärkeproduktion erweitert. „Das ist ein wichtiger Schritt zu einer 100-prozentigen Verwertung der agrarischen Rohstoffe“, sagt Marihart. 250.000 Tonnen Weizen sollen ab kommenden Herbst zu Gluten, Weizenstärke und Kleie verarbeitet werden. Nebenprodukte der Anlage werden 50.000 Tonnen Rohstoff in der Biospriterzeugung ersetzen. Dort werden derzeit jährlich 500.000 Mais und Weizen verarbeitet.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 4. Mai 2012

Donnerstag, 3. Mai 2012

Wie man in den Wald hineinruft ...






Als die Schweizer kürzlich gegen eine Verlängerung des Jahresurlaubs stimmten, sorgte das in Österreich regelrecht für Aufregung und vor allem für jede Menge Kopfschütteln. "Wie kann man nur gegen mehr Urlaub sein?“, fragten sich die Leute vom Neusiedler-bis zum Bodensee und machten ihre Witzchen über die westlichen Nachbarn. Die durchaus ernsthaften Kommentare und Anmerkungen vorwiegend aus der Wirtschaft, die das Schweizer Abstimmungsverhalten und vor allem die Einstellung, die dahinter steckt, zum Vorbild für Österreich zu erklären versuchten, verhallten ziemlich ungehört und vor allem wirkungslos. In einem Land, in dem im Radio schon am Montag vom darauffolgenden Freitag die Rede ist und in dem die Leute allzuoft nur dann zukunftsorientiert sind, wenn es ums nächste Wochenende geht, ist das nicht verwunderlich.

Dazu passt das Ergebnis einer Umfrage, die nur kurze Zeit nach dem für Österreich so überraschenden Volksentscheid veröffentlicht wurde. "Die Österreicherinnen und Österreicher fragen sich lieber: Was mache ich nach der Arbeit? als Was mache ich in der Arbeit?“, fasst das Meinungsforschungsinstitut Spectra die Ergebnisse der Befragung prägnant zusammen. Freizeit ist hierzulande längst wichtiger als Beruf und Arbeit.

Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die gerne über einen mangelnden Leistungswillen lamentieren und fehlende Einstellung zur Arbeit beklagen. Freilich sind ihre Argumente oft nachvollziehbar - wenn man etwa an der Supermarktkassa steht und von den Kassierinnen nicht einmal wahrgenommen wird, weil sie in einen Tratsch vertieft sind, wenn man in einem Baumarkt verzweifelt nach einem Berater sucht, wenn man sich über die harsche und unwillige Auskunft auf dem Amt wundert, auf die man hat so lange warten müssen, oder wenn man in einem Wiener Kaffehaus von einem Ober beamtshandelt wird.

Freilich kann man darüber lamentieren und sich ärgern und neidvoll auf die Schweiz schauen. Man sollte sich aber dennoch fragen, warum das in Österreich so ist, woher das kommt und was dahinter steckt. Und dann fällt einem vielleicht auch ein, wie in der Werkstatt der Chef den Lehrling zusammenputzte, wie im Kleiderhaus die Verkäuferin die Näherin anschnauzte, wie man sich fremdschämte, weil ein Handwerker wegen eines nichtigen Hinweises zusammengestaucht wurde, und wie man wegen des rüden Umgangstons auf der Baustelle raschest das Weite suchte.

Das alles ist, das sollte einem bewusst sein, nicht ohne Folgen. Auf die Einstellung der Menschen, auf ihren Arbeitseifer, auf ihre Leistungsbereitschaft. Und offenbar auch auf ihre Gesundheit. Wegen der stark zunehmenden Zahl psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz schlugen erst kürzlich Psychologen und Wifo Alarm. Sie bringen sie mit einer zunehmenden Überforderung der Arbeitnehmer und massiven Veränderungen in der Arbeitswelt in Zusammenhang.

In Österreich ist da ganz offensichtlich etwas aus dem Lot geraten. Auch dafür liefert die bereits zitierte Spectra-Umfrage einen Hintergrund, der zum Nachdenken anregen sollte. Denn die Ergebnisse bezüglich der Bedeutung von Arbeit und Beruf und Freizeit liegen gar nicht so weit auseinander. Demnach ist Freizeit für 91 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher wichtig, respektive sehr wichtig. Dann kommen aber mit einer Quote von 85 Prozent bereits Arbeit und Beruf. Das heißt nichts anderes, als dass der Wille und die grundsätzliche Bereitschaft durchaus vorhanden zu sein scheinen, dass aber Druck und Frust offenbar oft sehr groß sind. Zu groß.

Daran haben nicht nur die Unternehmer, die Abteilungsleiter und die vielen anderen großen und kleinen Chefs Schuld. Das ist eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft. Für den um Lustigkeit bemühten Radiomoderator genauso wie für uns als Kunden, aber auch für jeden Arbeitnehmer und für all jene, die die Beteiligten auf politischer Ebene vertreten. Es gilt wohl: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.

Es muss zu einer neuen Kultur gefunden werden und es gilt ein neues Gleichgewicht zu erarbeiten. Eines, mit dem alle zurechtkommen und das ein Klima erzeugt, in dem man dann vielleicht über solche Entscheidungen wie in der Schweiz nicht mehr den Kopf schüttelt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Mai 2012
 
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