Donnerstag, 29. September 2016

Bankrotterklärung ohne Konsequenzen?



Manchmal passiert, dass Politiker und Standesvertreter, wohl unbedacht, nichts beschönigen und nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch im eigenen Verantwortungsbereich dramatisieren. Die Äußerungen und Meldungen der heimischen Agrarspitzen zum jüngst vorgelegten Grünen Bericht 2016 sind dieser Kategorie zuzuzählen.

"Katastrophale Preissituation drückt Bauerneinkommen dramatisch", hieß es da in den offiziellen Stellungnahmen der Agrarspitzen. Und: "Es geht nur noch ums Existieren, ans Investieren oder Umsatteln ist vielerorts gar nicht zu denken." Die "Dramatik" sei "groß", "denn jetzt können Landwirte weder konsumieren noch investieren, und es fehlt ihnen auch an Liquidität". Mit minus 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr habe es "wieder eine kräftige Delle" gegeben.  Seit 2011 hätten die österreichischen Bauern "mehr als ein Drittel an Einkommen verloren". Nehme man "die Frostschäden des späten Frühjahrs dazu, fehlen im heurigen Jahr zwischen 700 und 800 Millionen Euro". Und ein Ende sei auch heuer nicht in Sicht. "Die Abwärtsspirale droht sich auch 2016 weiter fortzusetzen."

Bei einer derartigen, wohlgemerkt von den Spitzenagrarieren höchstselbst und nicht von böswilligen Kritikern formulierten, Sätzen drängt sich normalerweise automatisch die Frage nach Konsequenzen auf. Nach politischen sowieso, wohl aber auch nach personellen, zumal dann, wenn die Agrarpolitik, die man seit Jahrzehnten verantwortet,  die Bauern in eine Situation gebracht hat, in der es eingestandermaßen - siehe oben - "nur noch ums Existieren" geht.

In der heimischen Landwirtschaft ist das anders. Da werden solche Fragen gar nicht gestellt. Nicht von den eigenen Leuten und Parteigängern und nicht einmal von denen, die sich als agrarpolitische Opposition sehen. Es gibt keinerlei Diskussionen, weder über Personen noch über Inhalte.  Mit einem guten Schuss Selbstzufriedenheit hat man für alles und jedes Erklärungen und findet die Schuld immer bei anderen. Da ist nur logisch, das man sich auch nichts denkt, wenn man, wie heuer zum Grünen Bericht, Erklärungen abgibt, die bei Licht betrachtet, nichts anders sind, als Bankrotterklärungen.

Nun sei den Verantwortlichen in der Agrarpolitik und in der Standesvertretung zugestanden, dass die Landwirtschaft, zumal, wenn sie so aufgestellt ist, wie die österreichische, ein äußerst schwieriges Feld ist, auf dem kaum Erfolge zu holen sind. Dann soll man aber den Bauern bitte auch all die hohlen Phrasen, leeren Ankündigungen und überzogenen Versprechen ersparen, mit denen man glaubt, sie bei der Stange halten zu können.

"Jetzt gilt es zusammenzurücken und auf unsere Stärken zu bauen", war einer dieser Stehsätze, die rund um den "Grünen Bericht" zu lesen waren. Landwirtschaftliche Produkte aus Österreich seien "besonders hochwertig, innovativ und vielfältig" und "mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen werden wir die Herausforderungen gemeinsam meistern", was freilich die Frage aufdrängt, was man denn bisher getan hat.

Den Bauern wird das wohl kaum reichen als Antwort auf eine Krise in der es "nur noch ums Existieren" geht . Und wenig vertrauenserweckend ist auch die Ankündigung, dass das Landwirtschaftsministerium "mittel- und langfristig" auf "nachhaltige Maßnahmen zur Weiterentwicklung der bäuerlichen Familienbetriebe" setzen will. Das klingt zu bekannt, als dass man darein noch große Hoffnungen setzt. Zu oft schon hat man das gehört. Und schon zu oft wurde man enttäuscht.

Gmeiner meint - Blick ins Land 10/16, 29. September 2016

Heimeliger Selbstbetrug



An vieles, das in der heimischen Politik seit Jahr und Tag auf der Agenda ist, hat man sich ja so gewöhnt, dass man dazu neigt, es als gottgegeben hinzunehmen. Die Bürokratiewahn gehört dazu, die Steuerlast auch und vieles andere mehr. Und dazu gehören natürlich die Lohnnebenkosten, deren Senkung seit Menschengedenken Thema jeder Regierung ist. Was hat es nicht schon alles gegeben an Versprechungen, an Verhandlungen, an Vorstößen. "Mehr netto vom brutto" heißt es dann und wann immer wieder einmal. Ohne viel Ergebnisse freilich.

Die Verärgerung über die Lohnnebenkosten ist groß, das Wissen darum gering. Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, als drückten alle Beteiligten fest die Augen zu, um nicht ständig sehen zu müssen, was ihnen sonst nachhaltig die Laune verderben könnte und sie ohnehin in nichts denn hilflose Rage bringen würde.

Man kann dieses Verhalten nachvollziehen, wenn man der Darstellung folgt, die kürzlich der Geschäftsführer eines österreichischen Unternehmens seinen Mitarbeitern präsentierte, weil er genug hat vom Selbstbetrug, in dem man es sich in diesem Land so gerne heimelig macht. Im Zentrum steht dabei ein Bruttogehalt für einen männlichen Mitarbeiter von 2.400 Euro. Der entspricht dem österreichischen Durchschnitt und ist durchaus passabel. Man wird nicht reich davon, schon gar nicht wenn man Familie hat, aber wenn man spart, kann man schon durchkommen.

Doch schon diesem Betrag wohnt der Selbstbetrug inne. Denn der wahre Bruttobetrag und mithin auch das Bruttogehalt eines Dienstnehmers liegt bedeutend höher. Um etwas mehr als 700 Euro nämlich. Denn bei Licht betrachtet sind den 2.400 Euro auch all die Abgaben zuzuzählen, die ein Dienstgeber, also die Unternehmen, bereits im Vorfeld als so genannte Dienstgeber-Beiträge abzuführen haben. Statt 2.400 Euro müsste dann eigentlich im Sinn der ganzen Wahrheit in der Zeile Bruttogehalt 3.128 Euro auf dem Gehaltszettel stehen. Das tut es freilich nicht. Denn dann würde es dem guten Mann, der ohnehin unter der Steuer-und Abgabenlast ächzt und mit seinem Schicksal hadert, wohl endgültig das Wasser in die Augen treiben. Denn dann hätte er schwarz auf weiß, dass sein Bruttogehalt bei Licht betrachtet eigentlich alles in allem ganz passabel klingende und Träume erweckende 3.128 Euro pro Monat beträgt, dass aber gerade einmal die Hälfte davon, 54 Prozent um genau zu sein, monatlich auf seinem Konto ankommt.

Sieht man, wer da aller mitnascht, nimmt nicht wunder, dass nicht mehr bleibt. Und dabei geht es nicht nur um die großen Posten Pensionsversicherung, Krankenversicherung und Lohnsteuer. Es ist vor allem das Kleinvieh, das in Österreich so viel Mist macht. Drei Prozent Kommunalabgaben gehören dazu, 4,5 Prozent Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds, 1,53 Prozent für die Abfertigung neu, 6 Prozent für die Arbeitslosenversicherung, ein paar Zehntelprozent für den Insolvenzentgeltssicherungsfonds, ein halbes Prozent Arbeiterkammerumlage, Wohnbauförderungsbeiträge und manches andere mehr. Hierzulande ist man, man weiß es, sehr fantasievoll im Nehmen. Ob man freilich von all diesen Abgabenposten auch persönlich etwas hat, zumal etwas Gutes, steht freilich auf einem anderen Blatt und eignet sich trefflich zur Diskussion.

Das Resultat ist bitter. Sehr bitter. Nicht nur für den Dienstnehmer, der so viel mehr machen könnte, wenn er nur mehr von seinem eigentlichen Gehalt bekäme. Bitter ist es auch für die Unternehmen und damit für die Wirtschaft des ganzen Landes.

Für die Wirtschaft sind diese immens hohen Kosten ein Wettbewerbsproblem, das für massive Benachteiligung gegenüber der internationalen Konkurrenz sorgt. Österreich hat damit ein massives Problem. Denn diese internationale Konkurrenz hat meist deutlich weniger Kosten zu tragen. Während bei uns der Anteil der Steuern und Abgaben an den Arbeitskosten bei knapp 50 Prozent liegt, beträgt der Durchschnitt der OECD-Länder gerade einmal knapp 36 Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass bei uns die Belastung der Arbeit mit Steuern und Abgaben um rund ein Drittel höher liegt als im OECD-Schnitt. Nur in Belgien nimmt der Staat noch mehr als bei uns. Nun hält man sich zugute, dass die jüngste Steuerreform Besserung bringt. Das dürfte aber allenfalls vorübergehend der Fall sein, sind sich die Experten einig.

Aber das blendet man ohnehin lieber aus. Wieder einmal. Ganz im Sinn des heimeligen Selbstbetrugs.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. September 2016

Donnerstag, 22. September 2016

Überraschung, Überraschung



"Die FAZ hat mich eingeladen ausführlich zur Zukunft Europas zu schreiben", ließ Bundeskanzler Christian Kern zu Beginn der vorigen Woche über die sozialen Medien alle wissen. Man staunte. Ein Bundeskanzler des kleinen Österreich legte in der seriösen und international beachteten Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Ideen und Positionen dar. Noch mehr staunte man, als tags darauf dann auch noch Finanzminister Schelling interviewt wurde und dem Kanzler in die Parade fuhr, ihn zwar einen "linkslinken Ideologieträger" nannte, es aber nicht dabei beließ, sondern ihm sachlich auch seine Position und Sicht der Dinge gegenüberstellte.

Dass österreichische Politiker von internationalen Medien Raum bekommen und gefragt werden, gab es in den vergangenen Jahren kaum. Und es gab auch kaum etwas von der Art, was man in der FAZ zu lesen bekam. Und das noch dazu auf einem Niveau, das man kaum kannte und auch angesichts des täglichen Kleinkriegs, den man vorgeführt bekommt, auch gar nicht vermutete, denn es war auch nicht zum Fremdschämen.

Dort klare Vorschläge mit Ecken und Kanten, die freilegten, wie der sozialdemokratische Kanzler tickt, was er denkt und was er plant. Da der konservative Finanzminister, der ihm konterte und dem Kanzler seine Argumente entgegenstellte. Und man nahm dankbar zur Kenntnis, dass man sich offenbar doch über den Tag hinaus Gedanken zu großen und wichtigen Themen macht und dass man durchaus etwas zu sagen hat.

Es scheint ja doch heimische Politiker zu geben, die mehr drauf haben, als man hierzulande gemeinhin annimmt und die argumentieren können, wenn sie nur wollen. Man sah mit einem Mal Konturen, man lernte, woran man ist und es war klar wie selten zu erkennen, wer was will.

All das war eigentlich das, was der Wähler seit Jahren sucht und was er sich so oft wünscht.

Dass sich Kern dabei als astreiner Sozialdemokrat positionierte, ist ihm nicht übel zu nehmen. Und dass Schelling als Finanzminister, der aus der Österreichischen Volkspartei kommt, konservative Positionen vertritt, auch nicht. Alles andere wäre nur irritierend und überraschend gewesen.

Es gab eine Ahnung davon, wie heimische Politik sein könnte. Wie sie auch sein könnte, wenn nicht alleine das Schielen nach Schlagzeilen und Quoten oder gar Bösartigkeit und Hass das tägliche Tun bestimmen.

Auf Letzteres musste man freilich nicht wirklich lange warten. Schon tags drauf brach der Sturm los und gab sich der Koalitionspartner ÖVP beleidigt und viele Kommentatoren geißelten als "Plattheiten" und "Griff in die ideologische Mottenkiste", was die beiden heimischen Spitzenpolitiker von sich gaben.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf, scheint der Leitsatz zu sein, an dem sich alle am politischen Geschehen Beteiligten nachgerade zwanghaft orientieren.

Mag sein, dass alles auch der Vorbereitung von Neuwahlen diente und zur Stärkung der eigenen Position, Verwerfliches ist daran nicht zu finden. Dass der eine Positionen vertritt, die als links gelten und der andere welche, die als rechts gelten, sollte kein Grund zur Häme oder gar für eine Koalitionskrise sein. Entscheidend sollte ja sein, wie sie im politischen Alltag damit umgehen, wie es gelingt, diese Vorstellungen in der Koalition, in der man sich befindet, und die ideologischen Unterschiede ohne Scheuklappen auf einen Nenner zu bringen, statt sie umzubringen. Es geht nicht darum, dass der eine den anderen, respektive die eine die andere Partei niederringt, sondern es sollte darum gehen, einen Ausgleich zu finden und beide Seiten leben zu lassen, mit Hausverstand die Dinge voranzutreiben und zu wirksamen und tragfähigen Lösungen zu kommen.

Genau da aber gibt es wenig Anlass zu Hoffnung. Denn viel zu schnell ist man aus dem in internationalen Höhen angestoßenen Diskurs wieder in den Tiefen der heimischen Politik-Kultur gelandet. Und die ist, man weiß es und leidet daran, übel. Da geht es nicht darum, den anderen einzubinden und auch leben zu lassen, sondern da geht es viel zu oft ums Niederringen, ums Schlechtmachen und ums Anpatzen.

Da ist man weit weg von dem, was man da in der Vorwoche unter so viel Beachtung international durchblitzen ließ. Die Vorgänge rund um die Gestaltung der Presseauftritte und um den Ministerrat sind genauso Beleg dafür, wie der Streit um über die künftige Gestaltung der Gewerbeordnung.

Alles andere wäre freilich ohnehin überraschend gewesen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. September 2016

Freitag, 16. September 2016

Die Bauern brauchen und verdienen Verständnis



Landwirtschaft ist mehr als das sprechende Schweinderl aus der Werbung. Das ist in Vergessenheit geraten.

Hans Gmeiner

Positive Meldungen aus der Landwirtschaft sind rar. Schon seit Jahren. Daran ändert auch nichts, dass man bei Milch und Schweinefleisch von einer Wende auf den Märkten spricht.

Wie drückend und bedrückend die Lage auf den heimischen Bauernhöfen ist, bestätigte erst der jüngst veröffentlichte „Grüne Bericht“. Zum vierten Mal in Folge gingen die bäuerlichen Einkommen zurück. Jahr für Jahr geben Tausende Bauern auf. Weil sie wirtschaftlich nicht mehr können oder weil die Jungen keine Perspektive sehen.

Das Verständnis der breiten Bevölkerung hält sich dennoch in Grenzen. Dort weiß man es meist ohnehin besser. Spezialprodukte erzeugen, ab Hof verkaufen, was in den Ställen, Gärten und Feldern heranwächst, und das möglichst bio und ohne Chemie und am besten möglichst ohne Technik, so lauten die Ratschläge in der Regel. Dann gehe das schon, da gebe es ja enorme Marktchancen.

Da keimt im Bauern schon einmal die Frage auf, warum all die Produkte, die im öffentlichen Diskurs hochgelobt werden und die mit perfekter Marketingmaschinerie und Millionen an Werbegeldern auf den Märkten gepusht werden, bis auf wenige Ausnahmen immer noch keinen größeren Anteil an der Gesamtproduktion haben als zehn Prozent.

Und er fragt sich, was ein Milchbetrieb ganz hinten im Tal oder irgendwo im Alpenvorland, wo nichts als Gras wächst, weitab von der Stadt, denn tun soll, wenn die Preise auf einmal nicht mehr recht zum Leben reichen. Wenn er das Geld nicht hat, um den Stall auf die Anforderungen umzubauen, die man sich in der Stadt ausgedacht hat. Oder es zu teuer wäre, die entsprechenden Maschinen anzuschaffen und die Leute zu zahlen, die er dann bräuchte.

Aber daran denkt man wohl nicht dort, wo man die Bauern, zumal jene, die konventionell produzieren, nicht versteht und nicht verstehen mag. Wo man sie eher als Folklore zu sehen scheint, von denen man die Erfüllung eigener Jugendträume erwartet, als jene, die für die Ernährung sorgen im Land. Tag für Tag und zu einem günstigen Preis und unter Einhaltung aller Gesetze und Auflagen.

Allein aus diesem Grund sollte man der Landwirtschaft wieder jene Position zugestehen, die ihr zusteht, und sie ernst nehmen. Und zwar die Landwirtschaft in allen Ausformungen. Die Anforderung ist freilich groß. Aber man muss sich ihr stellen. So, wie sich die Bauern den Anforderungen stellen, die sich an sie richten.

Salzburger Nachrichten, 16. September 2016, Seite 1

Bringt Milch bald wieder Geld?



Die ruinöse Talfahrt der Milchpreise brachte Bauern nicht nur in Österreich an den Rand der Existenzkrise.Jetzt gibt es erste Hoffnung: Da die Produktion zurückgefahren wurde, steigen die Preise leicht.

Hans Gmeiner

Mondsee. Seit einigen Wochen haben sich die Milchpreise auf den internationalen Märkten stabilisiert. Auf den Spotmärkten gingen die Preise manchmal sogar, wie es ein Marktkenner formuliert, „durch die Decke“. Ob die ruinöse Talfahrt der Milchpreise, die viele Bauern nicht nur in Österreich um ihre Existenz bangen ließ, nun wirklich gestoppt ist, getraut sich noch niemand zu sagen. „Vielleicht ist es nur ein Zwischenhoch, vielleicht ist es mehr, wir wissen es nicht“, sagte am Donnerstag Gerhard Woerle, Chef von Österreichs größter Privatmolkerei mit Sitz in Henndorf am Wallersee, bei einem Pressegespräch in Mondsee, wo sich bis heute, Freitag, die heimische Milchbranche zu ihrer traditionellen Milchwirtschaftlichen Tagung traf.

Derzeit scheinen die Zeichen für eine Erholung der Preise jedenfalls gut zu stehen. Seit Wochen zeigen alle internationalen Indizes nach oben. Im August zog der FAO-Preisindex für Milch- und Milchprodukte um 8,6 Prozent an. Auch der Global Dairy Trade Index legt bereits mehrere Monate hintereinander zu. Weil die Bauern die Produktion wegen der schlechten Preise zurückschraubten und die Fütterung umstellten, um Kosten zu sparen, gibt es plötzlich sogar einen Fettmangel. „Die Preise bei Produkten wie Butter und Käse, bei denen der Fettgehalt eine wesentliche Rolle spielt, steigen“, sagte Helmut Petschar, Sprecher der heimischen Molkereien und Chef der Kärntner Milch. Das Niveau von 2014 sei zwar noch nicht erreicht, aber in nächster Zeit sollte es auch für die Milchbauern Preiserhöhungen geben.

Schon im August hob die niederösterreichische NÖM die Preise geringfügig um einen Cent pro Kilogramm auf 30,17 Cent brutto an. Anfang September folgte auch die SalzburgMilch und legte ebenfalls einen Cent drauf. Anfang Oktober wird ein weiterer Cent folgen.

Stolz ist die heimische Milchwirtschaft, die sich immer wieder Vermarktungsschwäche und das Festhalten an überholten Strukturen vorwerfen lassen muss, darauf, dass sie im Vorjahr im Schnitt rund fünf Cent pro Kilogramm Milch mehr auszahlte als die deutschen Molkereien. Am deutlichsten sei der Unterschied bei Biomilch, aber auch bei konventioneller Milch habe man um fast drei Cent mehr gezahlt, sagt Petschar. „Für die heimischen Milchbauern sind das 100 Millionen Euro, die sie mehr haben als ihre deutschen Kollegen.“

Für die Landwirte ist das freilich nicht viel mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Allein im vergangenen Jahr betrug der Rückgang der Erzeugermilchpreise im Schnitt mehr als zehn Prozent. Über zwei Jahre gesehen liegt das Minus sogar bei 25 Prozent. Damals lag der Milchpreis an der magischen 40-Cent-Marke. Lediglich Biomilch, Heumilch und andere spezielle Arten von Milch kamen ungeschoren durch die Preiskrise.

Einmal mehr fordert Petschar Unterstützung vom Handel, um die Milchwirtschaft und die Bauern bei der Trendwende zu unterstützen. „Es kann nicht sein, dass wir Preissenkungen auf dem Milchmarkt sofort weitergeben müssen, bei Preiserhöhungen aber auf entsprechende Anpassungen warten müssen.“

Ausschlaggebend dafür, dass der Preisrückgang zum Stillstand kam, war die Verringerung der Milcherzeugung auf den Bauernhöfen. Noch im ersten Quartal dieses Jahres lag die Produktion der heimischen Bauern um bis zu zehn Prozent über dem Vorjahresniveau. Im Juli hingegen gab es nur mehr ein Plus von 0,4 Prozent. Europaweit gab es eine ähnliche Entwicklung.

Das führt nun dazu, dass man mit der geplanten Lieferverzichtsprämie, die Milchbauern europaweit und auch in Österreich zur Beschränkung ihrer Produktion bringen soll, in der Milchwirtschaft nicht wirklich glücklich ist. „Wir Verarbeiter hätten dieses EU-Milchpaket früher gebraucht“, sagen Petschar und Woerle. Die Umsetzung dauere zu lang.

Hinter vorgehaltener Hand befürchtet man in der Branche sogar kontraproduktive Effekte und falsche Signale für den Markt. In Österreich haben sich bisher rund 700 Bauern zur Teilnahme am Lieferverzichtsprogramm angemeldet. Die Frist läuft noch bis 21. September. Man rechnet damit, dass insgesamt rund ein Drittel der 30.000 heimischen Milchbauern teilnehmen wird. Sie hoffen – wenn das Geld reicht –, 14 Cent für jedes Kilogramm Milch zu bekommen, das sie nicht liefern.

Grundsätzlich hält man in der Milchwirtschaft das Modell freilich nicht für schlecht. Man wünscht es sich sogar als fixen Bestandteil der Agrarpolitik. „So etwas sollte man per Knopfdruck in Krisensituationen abrufen können“, schlug Petschar vor. „Wir brauchen solche Steuerungsmaßnahmen.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 16. September 2016

Donnerstag, 15. September 2016

Irrlichtern im Land



Es hat fraglos tragisch-komische Züge, was derzeit in Österreich über die politische Bühne geht. Und man versteht jeden, der das Land am Abgrund taumeln und die Republik am Ende sieht, der sich lustig macht drüber und der sich mit Grauen abwendet. Zahllos und oft sehr amüsant sind die Bezeichnungen der Vorgänge rund um die Wahlkarten und des Zustandes, in dem man nun das Land geraten sieht. Und damit ist nicht der Ausdruck "Bananenrepublik" gemeint, der in der vergangenen Woche inflationär oft fiel. Irgendwo war zu lesen, dass die Probleme mit dem Klebstoff durchaus als metaphorisch dafür zu sehen seien, dass sich in Österreich alles auflöse. Das trifft es wohl eher. Das freilich gilt nicht nur für Österreich. Denn woanders ist es auch nicht anders. Die Metapher vom Klebstoff hat rund um den Globus ihre Berechtigung. Im Großen, wenn man sich nur die Migrationsströme, die Verschiebung der Gewichte im Welthandel und die der Weltpolitik vor Augen führt. Und sie hat auch in vielen Staaten, auch sehr gewichtigen Staaten, ihre Berechtigung, in denen die Probleme der Politik und des politischen Alltags durchaus mit den hiesigen vergleichbar sind. In ihrer Unerträglichkeit genauso wie in ihrer Lächerlichkeit. Selbst Wahlschlamassel, wie jenes, in das nun Österreich geschlittert ist, und mit dem sich die Alpenrepublik auf der internationalen Bühne zur Lachnummer macht, sind nicht neu. Man erinnere sich nur an das Desaster rund um die Zählmaschinen bei den US-Präsidentenwahlen im Jahr 2000, die zwar damals für den Demokraten Al Gore eine Mehrheit ergaben, aus dem aber dann nach langem Hin und Her letztendlich George Bush als Sieger hervorging. Ein, wie man inzwischen weiß, Desaster von historischem Ausmaß, das den Lauf der Geschichte nachhaltig veränderte.

Auch eine zerfahrene und mitunter ziellos irrlichternde Politik, Streitereien innerhalb von Parteien und Regierungskoalitionen, geifernden, mitunter menschenverachtenden und rechthaberischen Populismus gibt es nicht nur in Österreich. Was die Vereinigten Staaten im Präsidentenwahlkampf ertragen müssen, fügt sich durchaus in die gleiche Linie. In Deutschland macht innerhalb der Koalition der bayerische Ministerpräsident Seehofer mit großer Lust der Kanzlerin in Berlin das Leben schwer, während die Erfolge der AfD, der rechtpopulistischen Aktion für Deutschland, im bürgerlichen Lager und bei den Linken Angst und Schrecken verbreiten, weil man keine Handhabe findet, damit zurechtzukommen und sie in die Schranken zu weisen. In Italien laufen die politischen Dinge alles andere als rund. Und in Frankreich und in den Niederlanden mischen Rechtspopulisten das Land auf. Gar nicht zu reden von Spanien, das seit bald zwei Jahren trotz mehrmaliger Neuwahlen keine Regierung zusammenbringt und dem Kroatien kaum nachsteht. Um nichts feiner geht es in Großbritannien zu, das mit der Brexit-Entscheidung zurechtkommen muss. Gar nicht zu reden von der Führung der Europäischen Union, die auch sehr viel öfter ein Bild des Taumelns abgibt als eines der Stabilität.

Das alles mag denen Trost sein, die in diesen Tagen mit Österreich und den hiesigen Zuständen hadern. Und es mag auch behilflich sein, die Dinge, die da rund um die Bundespräsidentenwahl passierten, in angemessener Bedeutung einzuordnen, um das Land nicht vollends der Lächerlichkeit preiszugeben.

Das mag verständlich sein. Aber dass es in anderen Ländern auch nicht anders ist als bei uns, heißt ja nicht, dass die Probleme, die man hat, keine Probleme sind. Da darf es keine Ausreden geben. Und auch keinen Verweis auf andere Länder.

Man weiß, dass hierzulande Politik und Politiker dazu neigen, ihr Tun als fraglos gut zu empfinden. Man sollte die Kirche im Dorf lassen, war in den vergangenen Tagen gerade von ihnen zu hören. Angesichts der abfälligen und von Häme und Verachtung getragenen Töne über Österreich und die hiesigen Zustände, die ebenfalls zu hören waren, mag man das nur unterstützen. Zu befürchten ist freilich, dass das nur vom Wunsche getragen ist, so weiterzumachen wie bisher.

Österreich ist nicht so schlecht, wie es zuweilen dargestellt wird. Es ist aber auch nicht so gut, wie es die Politik darstellt.

Es scheint, als fehle beiden Seiten der richtige Blick aufs Land. Und das ist nicht zu seinem Besten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. September 2016

Donnerstag, 8. September 2016

Die Schweiger



Die "Krone" kriegte sich nicht mehr ein und bei den NGOs knallten wohl die Sektkorken. "Angesichts des Widerstandes, der hier bisher formuliert worden ist, ist eine Unterzeichnung Österreichs, ohne dass wir uns vorher genau damit auseinandersetzen und es Punkt für Punkt abklopfen, aus meiner Sicht gar nicht möglich", sagte vergangene Woche Bundeskanzler Christian Kern und kündigte an, CETA und damit indirekt auch TTIP, die beiden so umstrittenen und von vielen Seiten nachgerade zur Glaubensund Seinsfrage stilisierten Freihandelsabkommen mit Kanada und mit den USA, den SPÖ-Mitgliedern zur Urabstimmung vorzulegen.

Kern bewies damit nicht sosehr sein Talent als Politiker, sehr wohl aber jenes als Populist, der andere, die dieses Amt bisher bekleideten, jedenfalls seinen dem Boulevard hörigen Vorgänger, ohne Probleme in den Schatten stellt. Im Handumdrehen ließ er zudem damit gleich auch seinen Vizekanzler schlecht aussehen, der in seiner spröden Art schon Tage zuvor für den Griff zur Notbremse bei den TTIP-Verhandlungen plädierte.

Dabei verdient Kerns Vorstoß bei Licht betrachtet eigentlich das Prädikat "ungeheuerlich". Das deswegen, weil er dieses heikle und vielschichtige Thema und die Urabstimmung darüber ganz offenbar vorrangig zur Stärkung seiner SPÖ nutzen will, was er auch unumwunden zugibt. Dazu die saloppe Äußerung, dass man sich damit genau auseinandersetzen muss, was die Frage aufwirft, was man bisher getan hat, und die Tatsache, dass bei TTIP noch gar kein Ergebnis vorliegt.

Die Aufregung und Proteste hielten sich in Grenzen. Im Beifallssturm, den Kern in breiten Kreisen der Bevölkerung entfachte, die durch jahrelange Kampfberichterstattung des Boulevards verängstigt und verunsichert wurden, war davon kaum etwas zu hören. Nicht aus der Wirtschaftspartei ÖVP und nicht einmal von der Wirtschaft selbst. "Die Diskussion wird völlig unsachlich und aus dem Bauch heraus geführt", ließ der Präsident der Industriellenvereinigung in Interviews vernehmen. Und dass man in Europa Wertschöpfung verliere und ohne diese Abkommen zwischen Asien und Nordamerika aufgerieben werde. Aber kein Wort des Protestes, kein Wort der Kritik und schon gar keine Forderung, am Verhandlungstisch zu bleiben. Ein klarer Standpunkt schaut anders aus.

Man kennt das aus den vergangenen Jahren. Die Diskussion, über die für Europa fraglos wichtigen Abkommen ließ man schleifen und machte damit die Bühne frei für die Gegner. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Landwirtschaft, in den vielen anderen Bereichen, die die Abkommen berühren und in den Zentren der Politik selbst, im Bundeskanzleramt, im Wirtschaftsministerium, im Landwirtschaftsministerium. Nie wurde man den Eindruck los, dass man plan-und konzeptlos danebenstand, dass man mit den Abkommen ohnehin keine rechte Freude hat und sie schon gar nicht als Chance für die heimische Wirtschaft begriff. Und auch den, dass man sich aus Schlamperei, mangels eigener Ideen und Überzeugung den Lauf der Dinge, die da zwischen Brüssel, Washington und Ottawa ausgehandelt wurden, lieber sich selbst überließ. Selten war erkennbar, wie und ob sich Österreich und seine Wirtschaft in die Verhandlungen einbrachte, wie und ob es eingebunden war und wie und ob die Themen und Vorbehalte, die die Alpenrepublik im Lauf des Jahres zum Land mit der stärksten Ablehnung gemacht haben, eingebracht wurden.

Freilich ist sowohl rund um CETA und erst recht rund um TTIP viel zu diskutieren. Klar aber ist, dass Abkommen dieser Art für das Fortkommen der Wirtschaft wichtig sind, gerade für eine Volkswirtschaft, wie das kleine Österreich, das so sehr auf eine florierendes und profitables Exportgeschäft angewiesen ist. "Ein Land wie Österreich kann nur für Abkommen wie TTIP sein", sagte vor Jahren einmal ein Wirtschaftswissenschafter. Dass er, wie seine Kollegen und viele andere auch, die der gleichen Überzeugung sind, in der Diskussion, selbst in der aktuellen, kaum zu hören sind, ist bezeichnend dafür, wie die Dinge laufen zwischen Bodensee und Neusiedler See. Nur keine Wellen, nirgends anstreifen, wird schon werden.

Letzteres wird es wohl nicht. Schon gar nicht, wenn auch die Regierungs-Politik, und nicht nur die Opposition, Populismus zu Leitstrategie erhebt und dabei auch noch der Bundeskanzler höchstpersönlich die Linie vorgibt und so erahnen lässt, was er unter dem von ihm angekündigten "New Deal" wirklich versteht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. September 2016

Freitag, 2. September 2016

Die blinden Flecken der Agrarpolitik



Wer rasch hilft, hilft doppelt. Die Agrarpolitik tut sich besonders schwer damit. Dabei bräuchten die Bauern so eine Hilfe dringender denn je. Aber auf den freien Märkten, die man zum obersten Credo gemacht hat, ist man machtlos. Die Umsetzung von Hilfsmaßnamen, so man sie denn überhaupt so nennen mag, dauert viel zu lange, gar nicht zu reden davon, dass sie immer zu kurz greifen.

Die Bauern aber bräuchten Konzepte und Instrumente, die zum einen wesentlich raschere Hilfe sicheren, wenn die Preise wieder einmal kollabieren. Und sie bräuchten zum anderen Konzepte und Instrumente, die es ihnen ermöglichen, mit schwierigen Situationen besser zurecht zu kommen.

Mit Geldern, die oft erst Jahre nach dem Ausbruch von Krisen auf den Höfen eintrudeln, ist den Bauern wenig geholfen, noch dazu wenn sie so mickrig ausfallen, wie die vor Jahresfrist so groß angekündigte Hilfe für die Milchbauern. Ganz abgesehen davon, dass solche mit der Gießkanne verteilte Millionenhilfen nichts anders sind, als Verschwendung von Geld. Verschwendung von Geld, das wesentlich sinnvoller eingesetzt werden könnte, und das die Ressentiments der breiten Öffentlichkeit gegen die "geldgierige" Landwirtschaft nur weiter erhöht.

Gerade die Hilfe für die Milchbauern legte die strukturellen Defizite der Agrarpolitik offen. Es dauerte viel zu lange, bis die Probleme erkannt und akzeptiert wurden. Dann vergingen Monate im Apparat in Österreich und in Brüssel, bis man sich auf etwas geeinigt hatte und dann dauerte es noch einmal unendlich lange, bis das, worauf man sich einigte, wirklich umgesetzt wurde.

Was dann den Bauern in Fällen wie der Milchkrise als Hilfe schmackhaft gemacht wird, verdient diese Bezeichnung freilich in der Regel nie und bleibt wirkungslos. Nicht nur die Bauern leiden darunter. Darunter leiden auch die Zulieferer, die Landtechnikindustrie und all die anderen, die mit und von der Landwirtschaft leben.

Die Agrarpolitik hat in den vergangenen Jahren zwar die Märkte freigemacht, man hat aber keine Instrumente dafür entwickelt, den Bauern zumindest in Notfällen rasch und wirksam unter die Arme zu greifen und ihnen Instrumente an die Hand zu geben, sich selbst gegen das Ärgste zu helfen.

Konzepte und Ideen kamen und gingen. Sie wurden diskutiert und verworfen. Viele versandeten einfach und verschwanden still in der Schublade. Der Aufbau von Lägern, um die sprunghafte Entwicklung bei den Getreide- und Maispreisen abzufedern, gehört dazu und auch der Aufbau von Alternativproduktionen zu Entlastung der Märkte.

Man steht den Märkten ohnmächtig gegenüber.  Außer der Erkenntnis, dass die Agrarmärkte volatiler, also sprunghafter, werden, gibt es nicht viel. Die Instrumente der Marktbeurteilung sind unterentwickelt und nicht auf Österreich zugeschnitten. Die Versuche, bei Getreide Preisabsicherungsmodelle einzuführen, haben sich bisher nicht auf breiter Basis durchgesetzt. In anderen Sparten gibt es nicht einmal das. Die Bemühungen sind überschaubar. Versicherungssysteme werden angedacht, sind aber in den vergangenen Jahren über den komplexen Schutz gegen Witterungsunbilden nicht wirklich weitergekommen.

In diesen Bereichen wie diesen liegt die Zukunft der Agrarpolitik. Die Bauern brauchen wirksame Instrumente um mit den Märkten umzugehen. Und sie brauchen in Krisenfällen ein Hilfssystem, das rasch und effizient hilft und über die ärgste Not hinweghilft. Beides ist nicht in Sicht. Leider.

Gmeiner meint - Blick ins Land September 2016

Die fehlende Sicht der Dinge



"Pleiten sind vor allem hausgemacht", hieß es dieser Tage in den Zeitungen. Wieder. Und wieder ist der Anteil der auf diese Weise zustande gekommenen Pleiten gestiegen. Seit Jahren kommt der Kreditschutzverband von 1870 zu einem ähnlichen Ergebnis, seit Jahren gibt es die gleiche Tendenz. Für jede zweite Insolvenz ist demnach inzwischen die Unfähigkeit der Chefs verantwortlich.

Die Analyse der Kreditschützer ist gnadenlos. Nicht die oft und gerade in Österreich so gerne als Begründung für mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten angeführte Politik ist schuld, nicht nervige Bürokratie und auch nicht die strengen Banken, wenn ein Unternehmen aufgeben muss. Nein, die Unternehmen sind es meist selbst, die sich mit ihren Fehlern ins Aus manövrieren.

Man kennt das. Eine pompöses Geschäftslokal noch bevor der erste Auftrag unterschrieben wurde, ein großes Auto vor der Tür, eine schicke Firmeneröffnung. Man sieht nicht die viele Arbeit, schon gar nicht die Aufbauarbeit, man sieht den Glitzer, den man aus dem Fernsehen kennt, man glaubt sich dank Abschreibungen und Absetzposten ein billiges Leben machen zu können und hält die Rückerstattung der Vorsteuer für eine staatliche Einkommensquelle.

Das funktioniert auch. In der Regel freilich aber nur drei Jahre lang. Bis sich die Nachzahlungsforderungen der Sozialversicherung nicht mehr aufschieben lassen und auch nicht die des Finanzamtes. Dann ist bei vielen Firmengründern und Jung-Zampanos, die glauben sich mit einer Firma ein schnelles Geld machen zu können, schnell Schluss mit lustig.

Darüber redet man in Österreich selten. So genau wie der Kreditschutzverband mag man in der Regel nicht hinschauen in diesem Land. Schon gar nicht unter dem Blickwinkel der Eigenverantwortung. Man könnte ja sein Selbstbild zerstören. Davon hält man hierzulande bekanntermaßen wenig. Analysen der Art, wie sie die Kreditschützer für Unternehmen und ihre Chefs ablieferten, gibt es in Österreich viel zu wenig. In Analysen, die in der Öffentlichkeit breitgetreten werden, geht es nur selten um den Umgang mit sich selbst, mit der Verantwortung, mit den eigenen Leistungen und den eigenen Möglichkeiten. Da geht es viel mehr um die Umstände, um das Umfeld und um vieles andere mehr, auf das man sich bequem ausreden kann, wenn denn einmal etwas schief gehen sollte.

Schuld scheinen in diesem Land grundsätzlich die anderen zu sein. Das Umfeld, die politische Konstellation, die Umstände. Je nach Bedarf. Es ist längst zur Kultur geworden, die Schuld immer woanders und bei anderen zu suchen und jede Verantwortung zunächst möglichst weit von sich zu weisen.

Selten nur geht es bei Analysen und in der öffentlichen Diskussion um die Fähigkeiten der Betroffenen und um ihre Verantwortung, um ihr Verhalten und ihr Geschick, um ihre Einstellung und ihren Charakter. Das gilt im Beruf, das gilt in der Bildung, das gilt in praktisch allen Lebensbereichen. Bis hin zum täglichen Auskommen und wie jemand das schafft oder nicht schafft. Da macht man keinen Unterschied, ob jemand gespart oder in Saus und Braus gelebt hat, nicht, ob er oder sie auf die Gesundheit geschaut hat, sich um Ausbildungen bemüht und fleißig gearbeitet oder lieber den Herrgott einen schönen Tag hat sein lassen. Da wird auch kein Unterschied gemacht, ob jemand gut ist in seinem Job, oder ob er die Dinge lieber schleifen lässt, ob er sich bemüht, oder ob ihm alles ziemlich einerlei ist.

In vielen Bereichen ist das Gespür für die Eigenverantwortung und die Möglichkeiten, die man hätte, längst verloren gegangen. Die Wohlstandsgesellschaft, die man sich in diesem Land über Jahrzehnte erarbeitete, ist längst zu einer Anspruchs- und Versicherungsgesellschaft geworden, in der viele Menschen ihre Verantwortung abgegeben haben wie ein Kleidungstück an der Garderobe.

Irgendjemand wird's schon richten. Sich selbst, seine Möglichkeiten und seine Verantwortung zieht man hierzulande dafür selten in Betracht, schon gar nicht, wenn es um negative Dinge geht. Um eine Pleite, in die man gerutscht ist, um eine Prüfung, die man nicht bestanden hat, um Mist, den man in der Familie gebaut hat, und um ähnliche Dinge. Wenn man das tut, dann allenfalls in einem weinerlichen Ton, der dröhnt vor Selbstmitleid.

Davon freilich gibt es genug in diesem Land. Von Analysen in der Art und mit dem Zugang wie jene des Kreditschutzverbandes zum Thema Firmenpleiten aber gibt es viel zu wenige. Dabei wäre der Bedarf so riesig.

Gmeiner meint - Raiffeisenzeitung, 1. September 2016
 
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