Donnerstag, 9. Juni 2016

Die bittere Rache der Selbsttäuschung



Als im Frühjahr 2015 die Milchpreise zu sinken begannen, wurden manche Bauernvertreter nicht müde das "Marktversagen" zu geißeln. Mittlerweile haben auch die letzten Agrarier erkennen müssen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Selten hat etwas so gezeigt, wie die Milchkrise, dass der Markt funktioniert. Gnadenlos und mit einer Perfektion, die zahllose Milchbauern in existenzielle Probleme bringt. Es ist einfach zuviel Milch da.

Viele Bauern stecken in der Klemme. Der Politik ist bisher noch nichts eingefallen. Klar ist nur, dass man sich von einigen Dingen verabschieden muss. An erster Stelle steht wohl, dass man zur Kenntnis nehmen muss, dass Milch nicht "Weißes Gold" und damit etwas Besonderes ist. Milch ist ganz simpel ein Überschussprodukt. Auch in Österreich. Hier wird, das sollte man nicht vergessen, um 50 Prozent mehr Milch erzeugt, als verbraucht werden kann.

Verabschieden sollte man sich auch schleunigst von der Einschätzung, österreichische Milch hebe sich qualitativ von der aus anderen Ländern ab. So lange man das nicht mit handfesten Zahlen und Argumenten untermauert, zählt das nichts. Nur von "höchster Qualität" zu reden ohne zu sagen, was man damit meint, ist zu wenig. Und dass es nicht gelang, die GVO-freie Produktion in einen deutlich höheren Preis umzusetzen ist schlicht eine Schande.

Auf die Müllhalde der bäuerlichen Klagen gehört auch, den Handel hauptverantwortlich für die Milchmisere zu machen. Dort sitzen zwar in der Tat keine Samariter und es ist ihnen viel vorzuwerfen, aber ihnen alleine die Schuld zuzuschieben, ist nichts denn Selbsttäuschung. Über den Handel wird nicht einmal die Hälfte der heimischen Milch und Milchprodukte vermarktet. Warum redet man kaum von der anderen Hälfte. Warum soll ausgerechnet der Handel mehr zahlen? Und warum soll man mehr zahlen, als die ausländischen Abnehmer österreichischer Milch?

Ganz ehrlich - die Bauern würden kaum anders handeln. Viele beweisen das Tag für Tag. Das beginnt bei den Traktoren und geht hin bis zu den Betriebsmitteln. Gerade bei denen, die am lautesten schreien, sind oft die meisten ausländischen Maschinen und Geräte zu finden, ausländische Saatgut auf den Feldern und im Futtertrog Getreide aus Osteuropa - oft sogar in Eigenregie herantransportiert.

Die Milchbauern sind mit ihrer Not nicht alleine. Bei den Ackerbauern ist das nicht viel anders. Und auch nicht bei den Fleischproduzenten. Die Landwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Man hat sich von den plötzlich hohen Preisen vor ein paar Jahren und von den Sorgen um die Sicherung der Welternährung den Kopf verdrehen lassen. Man hat geglaubt, es geht nur mehr aufwärts. Man hat nachgelassen in den Bemühungen sich Nischen aufzubauen und seinen Platz zu finden. Man glaubte mit den Großen mitspielen zu können. Das rächt sich jetzt bitter.

Österreich ist ein kleines Land und seine Landwirtschaft kleinstrukturiert. Die meisten der hiesigen Bauern brauchen andere  Konzepte. In der Milch zeigen es die Heumilch- und die Biobauern vor, in anderen Bereichen sind es andere. Ein "New Deal" ist es, den nicht nur Österreich, sondern auch seine Landwirtschaft braucht. So etwas wie es seinerzeit der ökosoziale Weg war. Die Landwirtschaft sollte alles daran setzen, sich wieder zu sammeln und neu zu erfinden. Es geht darum, in der heutigen Gesellschaft und auf den heutigen Märkten den Platz zu finden. Darauf hat man in den vergangenen Jahren vergessen.

Gmeiner meint - Blick ins Land, Juni 2016

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