Donnerstag, 23. Juni 2016

Jetzt bleibt nur mehr zu hoffen



Das Jahr 2016 könnte eine Wende markieren. Eine Wende für Europa, eine Wende auch für die Welt, eine Wende auch für Österreich. Und damit wohl auch eine Wende für unser Leben, an das wir uns so gewöhnt haben, mit dem wir zwar hie und da hadern, mit dem wir aber im Großen und Ganzen zufrieden sind. In einem Jahr könnte alles ganz anders aussehen.

Da ist einmal der so genannte "Brexit", der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, der in dieser Woche bei den Briten zur Abstimmung steht. Seit Wochen beherrscht das Referendum die internationalen Schlagzeilen. Was sind die Folgen, wenn die Briten die EU wirklich verlassen, fragt man sich allerorten. Wie groß wird die Erschütterung des europa- und des weltpolitischen Gefüges sein? Oder kommt es gar nicht so schlimm, wie man da und dort befürchtet? Ist es möglicherweise vielleicht sogar wirklich eine Erleichterung für Europa oder greift es nur einer von vielen ohnehin für unvermeidlich gehaltenen Entwicklung, dem Zerfall der europäischen Union, vor? Die Börsen sind seit Tagen in Alarmstimmung. Und viele andere auch. Ausgerechnet ein politisch motivierter Mord, begangen an einer jungen britischen Politikerin, die sich gegen den Austritt Großbritanniens engagierte, gilt nun als Hoffnung, dass sich das Blatt noch wendet und der Europäischen Union die Erschütterung, die der "Brexit" wohl in jedem Fall auslösen wird, erspart bleiben möge.

Im Herbst dann steht das nächste Ereignis ins Haus, das das Zeug hat, die Welt aus den Angeln zu heben und unser Leben nachhaltig zu verändern. Und das in diesem Fall ganz sicher nicht zum Besseren. Einen Donald Trump als Präsident im Weißen Haus mögen sich inzwischen nicht einmal die Republikaner, die ihm die Kandidatur ermöglichten, vorstellen. Denn sollte ihm das so lange für unvorstellbar gehaltene gelingen, auf den Sessel des US-Präsidenten zu gelangen, und er auch nur einen Bruchteil seiner Ankündigungen und Vorstellungen umsetzen, hat das weitreichende Auswirkungen und Folgen rund um den Globus. Da steht die Nachkriegsordnung auf dem Spiel, die Politik, die der Welt, freilich nicht im Detail, sondern im Großen und Ganzen gesehen, weitgehend den Frieden sicherte und eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung. Kommt Trump ins Weiße Haus, geht es ans Eingemachte. Da droht der Welt und der Ordnung, die sie ohnehin mehr schlecht als recht zusammenhält, die Abrissbirne - mit allen Folgen, die das bedeuten kann. Dass die gut und positiv sein werden, glauben wohl gerade einmal die glühendsten Trump-Anhänger.

Ganz anders als heute kann in einem Jahr nicht nur die Welt, sondern auch Österreich dastehen. Und das nicht, weil sich bis dahin Alexander van der Bellen in der Hofburg eingewöhnt hat und weil Bundeskanzler Kern und seinem Vize Reinhold Mitterlehner tatsächlich ein Neustart gelungen ist und sich in der Folge alles zum Guten gewendet hat. Nein, im krassesten Fall sitzt dann Norbert Hofer in der Hofburg und Heinz Christian Strache gegenüber im Bundeskanzleramt am Ballhausplatz, weil der Verfassungsgerichtshof der Wahlanfechtung Recht geben musste, sich der FP-Kandidat in der Wiederholungswahl dann doch durchsetzte und in der Folge die Regierung platzte und in Neuwahlen flüchten musste. Und es sei bezweifelt, dass das wirklich besser ist für Österreich und seine Entwicklung.

Das alles muss nicht so kommen. Aber es kann so kommen. Möglich ist das nicht, weil Populisten, wie in Großbritannien der "Brexit"-Antreiber und ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson, in den USA Donald Trump oder bei uns Heinz-Christian Strache so gut sind und auch nicht, weil sie, wie viele Gegner abschätzig einwerfen, verantwortungslos oder egoistisch sind. Möglich ist das, weil die anderen so schlecht sind. Weil sie die Sorgen und Ängste der Leute, die zu vertreten sie vorgeben, viel zu selten ernst nahmen, weil sie den Kontakt zu ihnen verloren haben, weil sie sich nie ernsthaft mit den gesellschaftlichen Strömungen auseinandersetzten, die von populistischen Politikern und willfährigen Medien befeuert wurden und weil ihnen kein anderes Rezept einfiel, als all das auszusitzen.

Nun aber ist auf einmal möglich, dass die Zeit da ist, in der die Rechnung dafür präsentiert wird. Vor einem Jahr hätte man noch sagen können, es ist noch nicht zu spät. Jetzt bleibt nichts mehr anderes als zu hoffen, dass es noch nicht zu spät ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. Juni 2016

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