Donnerstag, 3. Januar 2019

Landwirtschaft 4.0 auf der Kriechspur



Die Digitalisierung hat längst auch die Landwirtschaft erreicht. Es gibt unter den Bauern einige Vorreiter, aber um das Potenzial auszuschöpfen, fehlt es auch hier an Fachkräften, sagen Experten.

Hans Gmeiner 


Linz, Salzburg. Bei der Digitalisierung der Landwirtschaft werden den Bauern wahre Wunderdinge versprochen. Traktoren und Geräte, die per Satellit über die Felder gesteuert werden, Roboter, die Kühe melken und jede Menge Daten zur Milchqualität liefern, oder Sensoren an Rinderohren, die aufs Handy melden, wenn es einem Tier nicht gut geht. Was vor wenigen Jahren noch Science-Fiction war, bieten viele Hersteller längst als Realität an. Dennoch kommt die Digitalisierung der Bauernarbeit in Österreich, und nicht nur dort, nicht recht in die Gänge. Man hat großen Respekt vor den neuen Technologien und scheitert in der Praxis oft daran, die Möglichkeiten zu nutzen und aus den vielen Daten, die die Geräte liefern, Informationen für die Betriebsführung zu gewinnen.

Kleine und mittlere Bauernbetriebe bräuchten laut EU-Agrarkommissar Phil Hogan einen „Kickstart“. Laut einer Umfrage des österreichischen Marktforschers KeyQuest ist für immerhin 23 Prozent der Tierhalter „Landwirtschaft 4.0“ tägliches Brot. „Sie nutzen computergesteuerte Fütterungssysteme und digitale Möglichkeiten, die Tiergesundheit zu überwachen, drei Prozent der Milchproduzenten setzen auch Melkroboter ein“, sagt Johannes Mayr von KeyQuest. Vor allem Zucht- und Kontrollverbände treiben die Entwicklung voran. Ein Programm, das Daten zur Kälbergesundheit oder Fruchtbarkeit von Kühen liefert, nutzen 5500 Bauern als App und 14.000 in der Computerversion. „D4Dairy“ heißt ein Projekt, das man gemeinsam mit Universitäten betreibt.

In anderen Bereichen der Landwirtschaft hinkt man dagegen nach. So werden derzeit nur rund 13 Prozent der Ackerflächen mithilfe GPS-gesteuerter Technologie bewirtschaftet. Mit Farm-Management-Systemen, die von Maschinen auf den Feldern gewonnene Daten nutzen, um Informationen für die Betriebsführung und die Bewirtschaftung zu gewinnen, arbeiten lediglich fünf bis zehn Prozent der Bauern. Als Bremse für die Digitalisierung auf den Bauernhöfen erweist sich neben den hohen Kosten die wachsende Kluft zwischen den Anbietern und den Landwirten. „Die Hemmschwelle bei Bauern ist oft hoch“, sagt Martin Anzengruber, der sich an der Universität Salzburg mit dem Thema beschäftigt. „Viele sagen von vornherein, da kann ich nicht mit, wenn sie sehen, wie weit die Firmen die Entwicklung schon vorangetrieben haben.“

Für Anzengruber ist daher Bildung der Schlüssel, um der Digitalisierung auf den Höfen zum Durchbruch zu verhelfen. „Die Ausbildungsstrukturen hinken dem Wissensstand und dem Bedarf extrem nach.“ Vor allem auf Anbieterseite fehlten Fachkräfte, die den Bauern nicht nur die Technik verkaufen, sondern ihnen auch bei der konkreten Anwendung unter die Arme greifen können. „Die Lehre kann das nicht mehr abbilden.“

Anzengruber hat an der HTL in Ried im Innkreis vor drei Jahren einen eigenen Ausbildungszweig mit dem Schwerpunkt Agrar- und Umwelttechnik aufgebaut, bei dem auch namhafte Landtechnikhersteller von Pöttinger über Einböck bis zum Traktorenerzeuger Steyr, aber auch der Landtechnik-Handel eingebunden sind. Das Interesse an dem in Österreich einzigartigen HTL-Zweig ist sowohl bei Schülern als auch den Herstellern groß. „Sogar die ABB-Tochter Bernecker und Rainer ist bei uns im Boot, weil man spannend findet, was wir machen.“

Inzwischen befassen sich auch andere Bildungseinrichtungen mit dem Thema. So ist Landwirtschaft 4.0 selbst auf der HAK in Ried, an den HLBLA in Ursprung, in St. Florian, in anderen Landwirtschaftsschulen, an der FH in Wels und am neu gegründeten Campus Wieselburg Thema. Auch Unternehmen wie die Raiffeisen Ware Austria oder Agrana wollen der „Landwirtschaft 4.0“ zum Durchbruch verhelfen. So bietet der heimische Zuckererzeuger den Rübenbauern ein Jahr lang gratis Zugang zu Farmdok, einer in Österreich entwickelten App, mit der sie ihre Arbeit planen und aufzeichnen können.

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger präsentierte Mitte November eine eigene Plattform für die Entwicklung der Digitalisierung der Landwirtschaft in Österreich. Trotz der Gefahr, dass die Kluft zwischen kleinen und großen Bauern wachse, sieht Anzengruber „viele positive Effekte für die Menschen, deren Arbeit erleichtert werden kann“. Auch Umwelt und Tiere würden profitieren, „die neue Technologie bietet auch im Biolandbau etwa bei der mechanischen Unkrautbekämpfung ganz neue Möglichkeiten“, nennt er ein Beispiel.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 3. Jänner 2019

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