Donnerstag, 18. März 2021

Vom Träumen und Staunen

Mit der Affäre rund um die Masken der Hygiene Austria geriet mit einem Mal Licht in eine der eher dunklen Ecken der heimischen Wirtschaft. Wie viel Österreich muss drinnen sein, wenn man sich als österreichisches Produkt rühmt und sich damit nicht nur Ehre, Image und Anerkennung mehren, sondern man auch noch ein gutes Geschäft machen will, fragte mit einem Mal das ganze Land. Was kommt wo her, stimmt, was da immer draufsteht und wie ist das mit den Regeln wirklich? Unschöne Worte wie "Rosstäuscher" schlichen sich da in manche Diskussion und man ätzte über "Faked in Austria", wenn über Made in Austria geredet werden sollte.

Es ist in der Tat vermintes Gelände, wenn es um die rechte Herkunftsbezeichnung geht, die so gerne als Marketinginstrument eingesetzt wird. Die Rechtslage sei "heikel", brachten die Medien zutage. Es gebe in der österreichischen Rechtsordnung keine Regeln für die Herkunftsbezeichnung, weitgehend ungeregelt sei, wie viel Österreich in Made in Austria stecken müsse.

Selbst bei Lebensmitteln, in denen die Herkunftskennzeichnung gerade in den vergangenen Jahren zur zentralen Fahnenfrage und zum wichtigen Marketinginstrument stilisiert wurde, tun sich da und dort ungeahnte Untiefen auf. Dort gilt etwa seit dem Vorjahr die sogenannte Primärzutatenverordnung, die bei verarbeiteten Lebensmitteln dazu verpflichtet, die Herkunft der wichtigsten Zutat anzugeben. Klingt gut, aber nur das und nicht mehr. Denn diese Regelung erlaube, ließ etwa der Chef der AMA-Marketing die "Salzburger Nachrichten" wissen, eine Wurst selbst dann als österreichisch zu bewerben, wenn im Kleingedruckten steht, dass die Hauptzutat Fleisch etwa aus Polen komme. Als Konsument bleibt einem oft nur zu staunen.

Jetzt zeigen alle auf Hygiene Austria. Aber es ist anzunehmen, dass es sich auch viele andere Unternehmungen, ohne irgendetwas Unrechtes zu tun oder gar gegen Gesetze zu verstoßen, bei Bedarf richten und einrichten. Zumal dann, wenn es ihnen so einfach gemacht wird. Da gibt man sich eigene Regeln, gerne auch jedes Unternehmen für sich, und biegt sich je nach Bedarf die Dinge zurecht, auf dass man sie als "österreichisch" verkaufen kann. Hauptsache, so scheint es oft, der Schein bleibt gewahrt. Oder man setzt einfach darauf, dass ohnehin niemand fragt, weil man blauäugig glaubt, dass österreichische Unternehmen ohnehin alles in Österreich erzeugen.

Vor diesem Hintergrund könnte der Wirbel um Hygiene Austria sogar überraschen, wenn man nicht ausgerechnet dort über China-Ware so geschimpft hätte. Denn dass selbst ur-österreichische Unternehmen im Ausland produzieren lassen, ist nicht nur im Maschinenbau Usus. Dort fragen freilich nur Insider nach der Herkunft der Geräte und Bauteile, während sich das Gros der Käufer damit zufrieden gibt, dass der Name eines österreichischen Unternehmens auf dem steht, was gekauft wird. Darauf vertraut man.

International ist das nicht anders. Man denke nur, wo etwa die Autos europäischer Hersteller überall gebaut werden oder elektronische Geräte wie Handys. Letztendlich zählt, was draufsteht und wo dieses Unternehmen seinen Sitz hat. Nach der tatsächlichen Herkunft fragt niemand. Passen muss es und funktionieren auch. Und gelogen darf auch nicht werden.

Wir leben in und von einer immer internationaler und immer arbeitsteiliger werdenden Wirtschaft. Da erstaunt oft, wie selbst hochrangige Politiker oder Branchenvertreter die Wirklichkeit ausblenden. Etwa, dass in Österreich jeder zweite Arbeitsplatz am Export hängt. Oder dass in der Landwirtschaft, wo Regionalität nachgerade zur Überlebensfrage stilisiert wird, viele Produktionszweige davon leben, dass ihre Produkte international gefragt sind.

Dieses Spiel mit der nationalen Herkunft, diese aufgepumpte Sehnsucht nach Regionalität, die wir erleben, mag sehr viel mit den Erfahrungen zu tun haben, die uns Corona zugefügt hat. Vieles ist auch nachvollziehbar. Zumindest emotional. Rational hingegen muss sich freilich oft befremdlich ausnehmen, wenn Selbstversorgung und Autarkie zum obersten Ziel stilisiert wird, wenn die Träumereien von wirtschaftlicher Unabhängigkeit überhandnehmen und dann möglicherweise sogar noch zu politischen Zielen erhoben werden.

Man neigt heute allerorten dazu, die Möglichkeiten zu über-und die Folgen zu unterschätzen - und vergisst dabei darauf, dass die Zusammenhänge oft sehr viel komplexer sind, als sie sich im politischen Infight darstellen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. März 2021

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