Montag, 20. März 2023

„Man will sich das Leben nicht nehmen lassen“

Wie ein österreichischer Agrarunternehmer um sein Unternehmen in der Ukraine kämpft. Und was er tut, damit das Leben in dem vom Krieg geschüttelten Land weitergeht.

Hans Gmeiner 

Linz. Es ist Monat 13 im Krieg in der Ukraine. Thomas Brunner plant in Dnipro ein Konzert. Haydns „Die sieben letzten Worte“ mit dem Kammerorchester der Philharmonie von Kiew, dirigiert von Natalia Ponomarchuk. „In einem Monat wollen wir es probieren.“ Die Vorbereitungen laufen bereits. „Man will sich das Leben nicht nehmen lassen“, sagt Brunner, der schon vor dem Krieg in Kiew, Dnipro und Charkiw mit dem Verein Freunde der Philharmonie Dnipro das internationale Musikfestival Österreichischer Herbst mit internationalen Stars wie dem Violinisten Benjamin Schmid organisierte.

Thomas Brunner stammt aus Österreich. Kultur ist seine Leidenschaft. Seit 20 Jahren lebt der 48-jährige in der Ukraine. Zuerst lange Jahre als Marketingdirektor eines deutschen Konsumgüterkonzerns. Seit 2011 betreibt der gebürtige Bauernsohn aus St. Florian bei Linz 250 Kilometer südöstlich von Kiew einen Agrarbetrieb. 1200 Hektar Land, 500 Zuchtsauen, 2800 Mastplätze, um die Ferkel großzuziehen. Brunner lebt derzeit mit seiner aus der Ukraine stammenden Frau und den zwei Kindern in Linz. Die Fäden in seiner Landwirtschaft hat er trotzdem fest in der Hand. Über Internet und Kameras hat er die Tiere im Blick, mit seinen Mitarbeitern ist er in ständigem Kontakt. Und jeden Monat fährt er die 1700 Kilometer lange Strecke von Linz für zwei bis drei Wochen in die Ukraine.

Dieser Tage setzt er sich wieder ins Auto, um eineinhalb Monate zu bleiben. Die Frühjahrsaussaat steht an. Mais, Soja und Sonnenblumen. Weizen und Gerste stehen bereits seit dem Herbst auf seinen Feldern. „Ja, ich werde anbauen, alle bauen an“, sagt er. „Die meisten werden aber eine vorsichtigere Variante wählen und weniger düngen, weil sich die Produktion kaum rechnet.“ Die Erträge werden geringer sein. Aber die Kosten für die Logistik, aber auch für die Betriebsmittel machen der Landwirtschaft in der Ukraine noch viel mehr zu schaffen als den Landwirten in Westeuropa. Und auch, dass es im Export große Probleme gibt. „Ich will heuer mehr Soja anbauen“, sagt Brunner. Dafür braucht er keinen Dünger, weil sich die Eiweißpflanze über Knöllchenbakterien an den Wurzeln selbst den Stickstoff aus dem Boden holt. „Man denkt nicht in Gewinn oder Verlust, sondern nur, ob der Cashflow stimmt“, sagt Brunner, „man muss sich einfach durchlavieren.“

Perspektive gibt ihm derzeit die Schweineproduktion. „Ich kann zumindest einen Teil meines Getreides verfüttern und das sichert mir mein Überleben.“ Die Schweinepreise sind gut, die Nachfrage auch. Sein Betrieb, den er mit Tieren aus Österreich aufbaute, ist ein Musterbetrieb. Von Beginn an ging es ihm darum, unterstützt von einem deutschen Berater, den Antibiotikaeinsatz in den Stallungen möglichst gering zu halten. Anfangs brauchte man für zwei Prozent der Tiere in Krankheitsfällen Antibiotika. Heute liegt man bei nur mehr einem Prozent und der Marketingmann, der seinerzeit „keine Ahnung von Schweinen“ hatte, ist heute als Vortragender in Deutschland und in der Schweiz gefragt. „Für klein strukturierte Schweineproduktionen wäre eine antibiotikafreie Aufzucht eine Chance, das schaffen die Großen nicht.“

Brunners Agrarbetrieb liegt nicht im Kriegsgebiet. Dennoch ist der Krieg überall zu spüren. „Am Anfang lebte man immer in Angst, wenn es Alarm gab und die Raketen über den Hof flogen, aber daran gewöhnt man sich.“ Er hat mit dem Krieg umzugehen gelernt. „Etwa dass Mitarbeiter einberufen werden, dass viele Dinge komplizierter sind, dass die Logistik teuer ist und Betriebsmittel schwieriger zu bekommen sind.“ Brunner ist gerne in der Ukraine. Immer noch. „Die Ukraine ist extrem reich, vor allem auch kulturell“, sagt er. „Wie ein wunderschönes Haus, ein europäisches Haus.“ Man dürfe sich nicht täuschen lassen. „Alles, was in den vergangenen Jahrzehnten in Bezug auf Russland und Ukraine an Geschichtsforschung und Wissenschaft betrieben worden ist, ist aus dem Blickwinkel Moskaus passiert.“ Die Ukraine aber sei Europa, sei ein westliches Land. Spannend und dynamisch – und doch ein ganz anderes als noch vor acht Jahren.

„Europa kann es sich nicht leisten, dass die Ukraine nicht gewinnt“, sagt Brunner. Für „Friedensdemos“ wie in Deutschland, für Politiker, die behaupten, man hätte nicht gewusst, wer Putin sei, oder gar Putin-Versteher hat Brunner kein Verständnis. „Man weiß, woher Putin kommt, man hat Grosny gesehen und man hat gesehen, was er in Aleppo angerichtet hat.“

Brunner versucht, das Seine zu tun, damit die Ukraine tatsächlich gewinnt. Nicht nur mit seinem Agrarbetrieb. In Österreich gründete er gleich nach dem Überfall Russlands die Hilfsorganisation Sunua (Support Ukraine Now Upper Austria), mit der er Hilfsgüter und Spenden organisiert. Mittlerweile werden mit den Spendengeldern auch Fleischkonserven zum Aufwärmen für die Verteilung in den Kriegsgebieten erzeugt und Fruchtmusbeutel für Spitäler und Kinderheime finanziert.

Jetzt plant der Landwirt und Unternehmer aus Österreich sein Konzert mitten im Krieg. Als Signal für das Leben. Kultur habe sehr viel mit Identität zu tun. Die zu stärken, dazu wolle er beitragen. „Von Anfang an wollte jeder weitermachen, um zu zeigen – wir lassen uns unser Leben nicht nehmen“, sagt Brunner. „Denn das Schlimmste ist nie gewesen, das Geld zu verlieren, sondern das ganze Leben.“ Darum geht es den Menschen in der Ukraine. Viel mehr, als man sich hierzulande vorzustellen vermag.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 20. März 2023

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