Montag, 6. März 2023

Die Agrarmärkte bleiben angespannt


Auf den internationalen Getreidemärkten hat sich die Lage nach dem Angriff auf die Ukraine wieder beruhigt. Die Nervosität und die hohen Preise bleiben aber bestehen.


Hans Gmeiner 

Wien. Vor einem Jahr, vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, notierte Weizen an der europäischen Warenterminbörse Matif in Paris mit 269 Euro je Tonne. Ab dann explodierten die Preise, die schon in den Monaten zuvor kräftig angezogen hatten, regelrecht und erreichten Mitte Mai mit 429 Euro je Tonne einen historischen Höhepunkt. Bei Mais war es nicht anders. Die Welt stand kopf. Ängste machten sich breit. Man fürchtete um die Versorgung der internationalen Märkte und befürchtete vor allem in Ländern Afrikas und im Nahen Osten Hungeraufstände und Hungersnöte, wenn die Ukraine als Getreide- und Maislieferant ausfällt.

Erst als es gelang, Russland die Einrichtung eines internationalen Solidaritätskorridors abzutrotzen und die Schwarzmeerhäfen der Ukraine nicht mehr zu blockieren, gab es eine Entspannung. „Ab diesem Zeitpunkt hat sich die Lage halbwegs normalisiert, die Lieferketten funktionieren“, sagt Christian Gessl, Marktexperte der Agrarmarkt Austria (AMA). Inzwischen exportiert die Ukraine auch Millionen Tonnen über den Landweg nach Europa, den sogenannten „Grünen Solidaritätskorridor“, wo man in den vergangenen Monaten sukzessive Kapazitäten aufbaute.

„In wichtigen Bereichen ist die Marktentwicklung wieder einigermaßen normal“, sagt Gessl. Aber auch wenn zwischenzeitlich die Notierungen von Weizen ebenso wie von anderen Produkten auf Vorkriegsniveau gefallen sind, bleibe das Preisniveau hoch. „Von den Spitzenwerten ist man zwar wieder weit weg, aber im Schnitt liegen die Preise nicht nur bei Getreide, sondern auch bei anderen Agrarprodukten um 30 bis 50 Prozent höher als vor einem Jahr.“

Die Nervosität auf den Produktmärkten ist nach wie vor enorm. „Das Abkommen mit Russland muss regelmäßig erneuert werden und vor jedem Termin machen sich alle sofort in die Hosen“, sagt Ernst Gauhs, der als Getreidemarktexperte Österreich bei der Coceral, dem europäischen Dachverband der Getreide- und Futtermittelhändler, vertritt. Die nächste Verlängerung des Abkommens steht Mitte März an. „An den Produktbörsen ist die Unsicherheit ablesbar. Wenn die Russen auch nur andeuten, dass sie eigentlich nicht verlängern wollen, haben alle anderen sofort Panik, dass die Ukraine wieder von den Märkten abgeschnitten wird.“ Die Weltversorgungslage sei angespannt und ein Ausfall der Ukraine würde bedeuten, dass bestimmte Regionen nicht mehr gut versorgt werden. „Und das macht sehr schnell Panik“, sagt Gauhs.

Schon ist zu beobachten, dass sich die internationalen Warenströme neu formieren. „Die Russen liefern sehr viel nach Nahost und Afrika“, sagt AMA-Experte Gessl. Aber auch Europäer, die sich von Russland immer wieder den Vorwurf gefallen lassen müssen, die Solidaritätskorridore für eigene Importe zu nutzen, liefern große Mengen in diese Regionen. Derzeit freilich ist zu beobachten, dass Europa „auf Teufel komm raus“, wie Marktexperte Ernst Gauhs das formuliert, Rohstoffe aus der Ukraine importiert. „Aus Angst davor, dass das plötzlich ab Mitte März nicht mehr geht.“

Vor allem Mais kann Europa aus der Ukraine nicht genug bekommen. Im Zeitraum Anfang Juli bis Anfang Februar lagen die Maisimporte der EU aus der Ukraine heuer bei 16,7 Mill. Tonnen. Im vergleichbaren Vorjahreszeitraum waren es lediglich 970.000 Tonnen. Auch die Weizenexporte in die EU sind stark angestiegen.

Innerhalb der EU mache das längst Probleme, warnt Helmut Feitzlmayr von der LK Oberösterreich. „Bisher hatte die Ukraine in Europa relativ wenig Bedeutung, aber jetzt ist sie dabei, zu einem Einfallstor zu werden.“ Die Bauern in den an die Ukraine angrenzenden Ländern klagen schon jetzt über enormen Preisdruck. Zudem sorgt das Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine, das 2016 abgeschlossen und erst im vergangenen Sommer auf alle Produkte ausgeweitet wurde und zwischen EU und Ukraine de facto einen Binnenmarkt einrichtete, zunehmend für Unmut. Schon sei zu hören, gegen dieses Freihandelsabkommen mit der Ukraine sei Mercosur für Europa ein Kindergeburtstag, sagt Feitzlmayr. Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien verhandeln längst über eine Entschädigung von der EU und stehen einer Verlängerung des Abkommens, die im Juni ansteht, skeptisch gegenüber.

Dabei ist die Zukunft der Landwirtschaft in der Ukraine voller Fragezeichen. „Über dem Markt schwebt die Frage wie ein Damoklesschwert, wie viel in der Ukraine überhaupt noch angebaut wird“, sagt Ernst Gauhs. Schon im Vorjahr sei etwa der Maisanbau nicht kostendeckend gewesen. Ungewiss ist auch, wie viele Flächen überhaupt zur Verfügung stehen. Rund 40 Prozent der Ackerfläche könnten durch Verminung, Zerstörung oder Besetzung durch Russland fehlen. Zudem herrscht akuter Düngermangel.

Jüngste Schätzungen gehen davon aus, dass die Anbaufläche bei Weizen, die vor dem Krieg bei 7,4 Mill. Hektar lag, heuer auf 4,4 Mill. Hektar zurückgehen wird. Statt 21 Mill. Tonnen könnte die Getreideernte heuer nur 12 bis 15 Mill. Tonnen erreichen und sich der Export von Weizen und Mais aus der Ukraine halbieren. 

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 6. März 2023


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1