Donnerstag, 31. Oktober 2024

Österreich zwischen den Zeiten

"Die erste Annäherung fand bei Tafelspitz statt", schrieb die größte Tageszeitung im Land zu Beginn dieser Woche. "In zwei Wochen will man entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen möglich sind." Nach Tempo schaut das nicht aus. Es wird sich wohl ziehen, bis wir eine neue Regierung haben und wir müssen uns wohl darauf einstellen, länger zwischen den Zeiten zu leben. Zwischen der alten Regierung, die eine "Lame Duck" ist, wie das im Englischen wenig despektierlich, aber sehr treffend genannt wird, und vor der neuen Regierung, die kaum mehr heuer angelobt wird. Eine "lahme Ente", die keine Entscheidungen trifft und auch nicht mehr treffen kann, aber weiter im Amt sitzt, ganz gleich, wie dringlich der politische Handlungsbedarf ist im Land.

Aber es geht wohl nicht anders. Die Lage ist alles andere als einfach. Verzwickt ist noch ein Hilfsausdruck. Mit Kickl mag niemand respektive getraut sich niemand in eine Regierung zu gehen. Aber auch die Koalition zwischen ÖVP und SPÖ, für die die immer noch zu hörende Bezeichnung "große Koalition" angesichts des Stimmenschwunds längst reichlich übertrieben ist, mag man nirgendwo wirklich. Mag sein, dass schwarz-rot am besten wäre, wenn man nicht wüsste, wie weit sich diese Welten voneinander entfernt haben, wie tief auf beiden Seiten die Abneigung zuweilen geht und worunter man in der Vergangenheit zu leiden hatte.

Früher hätte man der Koalition zwischen VP und SP ohne viele Einschränkungen das Wort geredet, zumal, wenn große Aufgaben anstehen und große Probleme zu lösen sind, in denen politischer Kleinkrieg nur hinderlich wäre. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Und da wie dort ist viel Porzellan zerschlagen worden. Ob die Neos da viel retten oder gar verändern können, wenn man sie in eine "Zuckerlkoalition" holt, wie dieser Parteien-Dreier schnell punziert wurde, steht in den Sternen.

Da nützen alle Beschwörungen des Kanzlers wenig, dass es ein "weiter wie bisher nicht geben darf" und dass es "Veränderungen und Reformen" brauche, "um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können". Genauso wenig, wie wenn der SP-Vorsitzende nahezu wortgleich das Nämliche formuliert oder der Bundespräsident "neue Lösungen" und Reformen fordert, und Altes loszulassen und Neues zu wagen.

"Ja eh", ist man geneigt zu stöhnen. Man kennt das ja sattsam und zur Genüge und man mag nicht recht daran glauben, dass die wirklich umsetzen können, was sie da versprechen und fordern. Das war schon bei den vergangenen Wahlen so. Warum sollte es diesmal anders sein?

Schwarz-rot ist nicht spannend. Man erhofft sich wenig und man erwartet nicht viel. Weit und breit keine charismatischen Figuren, weit und breit keine spannenden Ideen. Nicht zuletzt deshalb ist in diesem Land wohl keine Stimmung für diese Koalition zu spüren. Nichts von dem, was man gemeinhin unter "Zug" versteht, und schon gar nichts von einer Aufbruchsstimmung, die das Land so dringend brauchen würde. Da ist nichts von Visionen für die Zukunft zu erkennen und nichts von Zielen, die das Land weiterbringen können. Und die Neos sind in dieser Konstellation wohl zu klein und allenfalls für den einen oder anderen Farbtupfer gut, wenn sie tatsächlich in die Regierung gebeten würden.

Die Zustimmung zu einer Koalition zwischen Schwarz und Rot und auch zu einer Zuckerl-Koalition entspringt wohl eher einer Mischung aus Verzweiflung und Ratlosigkeit. Zu viel hat man als Wählerin respektive Wähler schon mit diesen beiden Parteien erlebt. Da ist die Sorge größer, dass man wieder das erlebt, was man ohnehin schon kennt und von dem man oft schon so enttäuscht war, "aber irgendwer muss ja regieren", hört man oft.

Rundherum ist man nicht glücklich. Freilich ohne Alternativen zu haben. Mit den Freiheitlichen besteht zu recht Angst und Sorge, dass der Staat in den Graben fährt. Das ist aber, in einer anderen Weise, wohl auch von der Koalition zu befürchten, an die man sich "beim Tafelspitz" annäherte. Manche Kommentatoren machen sich schon jetzt Sorgen. "Sollten ÖVP und SPÖ der Versuchung erliegen, ihre diversen Wahlkampfschlager zu verwirklichen, wird das Staatsbudget endgültig aus den Fugen geraten", schreibt etwa Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten.

Vielleicht wird ohnehin noch alles ganz anders. Nicht wenige im Land meinen das. Viele hoffen unverdrossen darauf, dass FP und VP doch noch zusammenfinden. Und viele freilich fürchten sich genau davor.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 31. Oktober 2024

Die Bauern kämpfen um ihren Platz

Der Streit zwischen Spar und den Milchbauern lenkt die Augen auch auf strukturelle Probleme in der Landwirtschaft. Die Zahl der Betriebe dürfte weiter sinken.

Hans Gmeiner

Salzburg. Die Milchbauern sorgen in diesen Tagen wieder für Schlagzeilen. Die Handelskette Spar und die Bauern der MGN Milchgenossenschaft Niederösterreich, Lieferanten und Miteigentümer der NÖM, Österreichs zweitgrößter Molkerei, kommen bei den Preisverhandlungen auf keinen grünen Zweig. Spar akzeptiert die von der NÖM für ihre Milchprodukte gewünschten Preiserhöhungen nicht. Deshalb beliefert die NÖM Spar vorerst nicht mehr. Während das Handelsunternehmen mit dem Verweis auf gesunkene Kosten bei Energie, Verpackungsmaterial und Futtermitteln keine Preiserhöhungen akzeptieren will, pochen die Bauern auf Fairness und kostengerechte Preise.

Der Streit samt Lieferstreik ist vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzungen der Bauern mit den Handelsketten, die sich bereits über Jahrzehnte ziehen. Die Milchbauern stehen seit Jahren unter großem Druck. In keinem Betriebszweig der Landwirtschaft hörten so viele Bauern auf, weil sie keine Zukunft mehr für sich sahen. Allein in den elf Jahren seit 2013 ging die Zahl der heimischen Milchproduzenten um mehr als ein Drittel auf rund 22.400 zurück. Noch drastischer fällt der Vergleich mit der Mitte der 1990er-Jahre aus. Damals gab es noch mehr als 81.000 Milcherzeuger in Österreich. Der ständige Preisdruck, hohe Kosten, immer neue Auflagen und oft auch Probleme mit der Hofnachfolge sind die Hauptgründe dafür, dass so viele Bauern aus der Produktion ausgestiegen sind. Die Betriebe sind heute deutlich größer. Hatte damals ein Milchbauer im Schnitt zehn Kühe im Stall, so liegt der Schnitt heute bei knapp 25 Kühen. Dass ein Milchbauer mehr als 100 Kühe hält, ist heute auch bei uns keine Seltenheit mehr und auch mit der Grund dafür, dass die Milchproduktion nicht zurückgegangen ist. Ganz im Gegenteil. In den vergangenen 30 Jahren erhöhte sich die Produktion um mehr als 40 Prozent auf rund 3,8 Mrd. Liter jährlich, deutlich mehr als der Inlandsbedarf.

Der Strukturwandel in der Milcherzeugung ist das eindrücklichste Beispiel dafür, dass der Strukturwandel in den landwirtschaftlichen Betriebszweigen mit Tierhaltung deutlich mehr Tempo hat als etwa im Ackerbau. Während die Zahl der Bauern in den vergangenen Jahren insgesamt jährlich um rund zehn bis zwölf Prozent zurückging, und damit deutlich geringer als in den Jahrzehnten davor, sank die Zahl der Rinderhalter insgesamt (inklusive Milchviehhalter) in den vergangenen zehn Jahren um rund 20 Prozent. Noch mehr Bauern stiegen aus der Schweinhaltung aus. Die Zahl der Schweinehalter ging in den vergangenen zehn Jahren um ein Viertel auf rund 17.000 Bauern zurück.

In diesem Tempo wird es wohl weitergehen. Erst jüngst sorgte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts KeyQuest unter den Bauern für Aufsehen. Demnach wird in den nächsten zehn Jahren die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um weitere 15 Prozent zurückgehen. Die Zahl der Haupterwerbsbetriebe soll demnach sogar um 22 Prozent sinken. Auch dort wird der Rückgang bei Tierhaltern, speziell bei Milchbauern, Mutterkuhhaltern und Rindermästern, aber auch bei Waldbauern besonders stark ausfallen. Auch die Zahl der Betriebe, die im Nebenerwerb bewirtschaftet wird, wird der Umfrage zufolge um neun Prozent sinken.

Als Hauptursachen für die Stilllegung von Betrieben und für den verstärkten Wechsel in den Nebenerwerb nennt Johannes Mayr von KeyQuest die „mangelnde Rentabilität“. Sie ist für 70 Prozent der Grund dafür, die Hof- und Stalltüren für immer zu schließen. Bei gut einem Drittel der Höfe, die aufgegeben werden, fehlt es aber schlicht an Nachfolgern. Mayr: „Vielen potenziellen Hofnachfolgern fehlt es an den wirtschaftlichen Perspektiven“. Zudem sei die zu erwartende Arbeitsbelastung ein wichtiges Entscheidungskriterium.

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat längst weitreichende Folgen, die weit über das Schicksal von Bauernfamilien und Höfen hinausgehen. Besonders markant ist nicht nur der Verlust an Arbeitsplätzen auf dem Land, sondern auch der Wandel in der Landnutzung, der damit schon bisher einherging. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo verkleinerte sich innerhalb der vergangenen 50 Jahre die landwirtschaftlich genutzte Fläche Österreichs von 3,6 Mill. auf 2,6 Mill. Hektar, während die Wald-und Forstflächen von 2,9 Mill auf 3,4 Mill. Hektar und die weder land- noch forstwirtschaftlich genutzten Flächen von 1,4 Mill. auf 2,4 Mill. Hektar wuchsen.

Dass die heimische Landwirtschaft trotz des Strukturwandels und deutlich weniger Betrieben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten heute dank der Fortschritte in Pflanzenzüchtung, Tiergenetik, Produktionstechnik und Know-how mehr erzeugt denn je, konnte nicht verhindern, dass die Wertschöpfung im Vergleich zu anderen Sektoren deutlich zurückgefallen ist und die Bauern unzufrieden sind. Wäre die Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft in Österreich seit 1995 so gestiegen wie in der Volkswirtschaft insgesamt, müsste sie laut Wifo nominell 7,6 Mrd. Euro betragen. „Tatsächlich betrug sie im Vorjahr nur 4,4 Mrd. Euro“, heißt es im Wifo-Bericht.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 31. Oktober 2024

Die Zahl der Bauernhöfe sinkt weiter

Salzburg. Seit Tagen sorgen die heimischen Bauern wieder für Schlagzeilen. Dass sich der größte Handelskonzern Spar nicht mit der zweitgrößten Molkerei des Landes NÖM über die Preise einigen kann und die Bauern daher die Belieferung eingestellt haben, lässt die Wogen hochgehen. Zugleich zeigt es strukturelle Probleme in der heimischen Landwirtschaft auf – und die gehören noch keineswegs der Vergangenheit an.

In keinem anderen Betriebszweig hörten in den vergangenen Jahren so viele Bäuerinnen und Bauern auf wie in der Milchwirtschaft. Allein in den elf Jahren seit 2013 ging die Zahl der heimischen Milchproduzenten um mehr als ein Drittel auf rund 22.400 zurück. Noch drastischer fällt der Vergleich mit der Mitte der 1990er-Jahre aus. Damals gab es noch mehr als 81.000 Milcherzeuger in Österreich. Der ständige Preisdruck, hohe Kosten, immer neue Auflagen und Probleme mit der Hofnachfolge sind die Hauptgründe dafür. Zugleich freilich ist auch die Betriebsgröße deutlich angewachsen.

Ein Ende des viel beklagten „Bauernsterbens“ ist nicht in Sicht. Erst jüngst sorgte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts KeyQuest unter den Bauern für Aufsehen. Demnach wird in den nächsten zehn Jahren die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um weitere 15 Prozent zurückgehen. Die Zahl der Haupterwerbsbetriebe soll demnach sogar um 22 Prozent sinken.

Das hat laut Daten des Wirtschaftsforschungsinstituts längst Folgen, auch über die persönlich Betroffenen hinaus: Laut Wifo hat sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich in den vergangenen 50 Jahren von 3,6 Mill. auf 2,6 Mill. Hektar verkleinert, während die Wald- und Forstflächen von 2,9 Mill. auf 3,4 Mill. Hektar und die weder land- noch forstwirtschaftlich genutzten Flächen von 1,4 Mill. auf 2,4 Mill. Hektar wuchsen. Als Hauptgrund, aufzuhören, nennen Bauernn die fehlende wirtschaftliche Perspektive. 

Salzburger Nachrichten - Seite 1, 31. Oktober 2024

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Das Ringen mit dem Wahlergebnis

 

Es war einer der entlarvendsten Tweets, die nach den Nationalratswahlen geschrieben wurden. "Stadt/Land -Gummistiefel vs. Herz und Hirn." Hier die Leute mit Verstand, Verantwortung, Umsicht und Weitblick, dort die Einfachen, Grobschlächtigen, Verblendeten, Engstirnigen, die zu schlicht gestrickt sind, um auch nur irgendetwas zu begreifen, war damit wohl gemeint. Hier die weltläufige Stadt und ihre Bewohner, da die Leute vom Land, die hinten geblieben sind. Gegenüber was auch immer. Mehr an Verachtung geht kaum und weniger Respekt auch nicht. Eindrücklicher könnte nicht beschrieben werden, warum das Land in der Lage ist, in der es ist.

Der Tweet zeigt aber auch, wie schwer sich viele tun mit einem in demokratischen Wahlen zustande gekommenen Ergebnis umzugehen. Links der Mitte will man nicht zur Kenntnis nehmen, dass einer wie Kickl als klarer Wahlsieger hervorgegangen ist, der ihrer Ansicht nach gar nicht hätte gewinnen dürfen und den sie auch nach den Wahlen immer noch mit aller Macht zu verhindern versuchen. Man protestiert nach Kräften, geht auf die Straßen und versucht mit Petitionen und Resolutionen, das Wahlergebnis am besten ungeschehen zu machen. Ganz so, als hätte es die Wahlen nicht gegeben.

Auf der anderen Seite, das soll nicht unerwähnt bleiben, tun sich freilich auch die, die Kickl zum großen Sieger gemacht haben, und auch Kickl selbst schwer damit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sie eben nur 30 Prozent der Stimmen erreicht haben und dass das weit entfernt ist von einer absoluten Mehrheit, die es ermöglichen würde, wirklich anzuschaffen in diesem Land.

Auch wenn man davon kaum reden mag -es gehen Gräben durch das Land. "Die Stadt-Land-Kluft im Wahlverhalten, die es immer schon gab, wächst", schrieb eine Tageszeitung in einer Wahlanalyse. Das Verständnis der Gesellschaftsgruppen untereinander schwindet, Versuche, Brücken zu bauen, gelten nicht mehr viel, auch nicht miteinander zu reden oder gar aufeinander zuzugehen. Stattdessen Abgrenzung allerorten, Unverständnis, Kopfschütteln, Häme auch und oft sogar Wut. Auf allen Seiten der Gräben, die sich durch das Land ziehen.

Genau auch deswegen ist es zu dem Wahlergebnis gekommen, mit dem so viele im Land nicht zurechtkommen können. Man nimmt in den urbanen Räumen nicht zur Kenntnis, dass die Anforderungen draußen am Land oft ganz andere sind. Dass man sich dort zunehmend abgehängt fühlt, alleine gelassen, wenn der Greissler zusperrt, das Dorfwirtshaus, die Post, der Doktor und die Bank, oder wenn Betreuungsplätze für Kinder oft nur schwer zu finden sind. Man kann zuweilen wenig anfangen mit der immer lauter werdenden Kritik am Auto, wenn man kilometerweit bis zu nächsten Bus-oder Bahnhaltestelle fahren muss. Oft bleibt nichts als Staunen darüber, was da in der Stadt und in der Politik geredet und diskutiert wird, weil es mit der eigenen Lebenswelt so wenig zu tun hat.

Herbert Kickl hat es geschafft, diese Unzufriedenheit in Stimmen umzuwandeln. Die anderen, vornehmlich die links der Mitte, haben es nie geschafft, die Leute in dem Maß für sich und ihre Anliegen zu gewinnen. Ihre Ideen und Warnungen sind nicht angekommen. Im Gegenteil. Sie stärkten die andere Seite. Seit Jahrzehnten.

Aber es ist nicht alleine das. Betrachtet man die ländlichen Regionen, so ist es dort vor allem im konservativ-rechten Spektrum zu Wählerverschiebungen gekommen. Also zwischen der FPÖ und der ÖVP, die bis auf wenige Ausnahmen über Jahrzehnte gemeinsam die Mehrheit im Land halten. Und das sowohl auf der Ebene des Bundes und auch in vielen Ländern und Gemeinden. Es ist vor allem die ÖVP, die jene Stimmen verloren hat, die Kickl so stark gemacht haben. Jene ÖVP, die sich nicht stolz genug brüsten kann mit ihren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im ganzen Land und mit ihren Landeshauptleuten, und die sich so gerne selbst auf die Schultern klopft. Obwohl man überall die Schalthebel in der Hand hat, hat man es nicht geschafft, die Probleme, die die Leute drücken und mit denen sie sich herumschlagen müssen, aufzufangen.

Nun muss man sich vorhalten lassen, dass man, bei Licht betrachtet, eigentlich verantwortlich ist dafür, dass viele Leute am Land ihre Lage so empfinden, wie sie sie empfinden, und dass sie just deswegen diesmal bei der FPÖ ihr Kreuzerl gemacht haben.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Oktober 2024

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Jetzt ist Feuer am Dach

Eine florierende Wirtschaft und ein solides Budget sind tragende Säulen für das Funktionieren der Gesellschaft. Sie entscheiden darüber, was sich diese Gesellschaft leisten kann und was nicht, was sie planen kann und was nicht und ob man es selbst in der Hand hat, sich zu helfen, wenn etwas aus dem Lot gerät -oder eben nicht. Im Sozialbereich genauso wie bei der Infrastruktur, in der Landwirtschaft, in der Bildung oder in der Wirtschaft.

Diese Zusammenhänge hat man in den vergangenen Jahren aus den Augen verloren, vorsätzlich verleugnet, zuweilen im populistischen Ringen um die Stimmen der Wähler. Die gesellschaftliche Diskussion ist, überfordert freilich auch von Themen wie Migration und Pandemie, aus dem Ruder gelaufen und hat auf diese Grundlagen vergessen.

Nach den Wahlen erleben wir jetzt ein Rendezvous mit der Wirklichkeit. Jetzt ist Feuer am Dach. "Österreichs Wirtschaftslage ist noch schlechter als angenommen", heißt es jetzt selbst in der internationalen Presse. Und der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes wollte da auch nichts beschönigen. "Wir haben die längste Rezession, wenn auch nicht die tiefste seit 1946", sagt er im Radio. Und seine Kollegin von Eco Austria meint, dass das noch nicht alles sei: "Die Aussichten verdüstern sich", schrieb sie in einem Kommentar für eine Tageszeitung.

Die beiden heimischen Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für heuer einhellig ein schrumpfendes BIP voraus und für das kommende Jahr auch nicht mehr als allenfalls ein Plus von 0,8 Prozent. Dazu wurde nur wenige Tage nach den Wahlen ruchbar, dass das Budget ziemlich aus dem Ruder gelaufen ist und der Konsolidierungsbedarf in den nächsten Jahren deutlich über den zwölf Milliarden Euro liegen wird, die man bisher immer angenommen hatte.

Seither ist die Aufregung groß. Endlich möchte man sagen. Endlich widmet man sich dem Thema, an dem unser aller Zukunft und Wohlstand hängt. In den vergangenen Jahren hat man sich um die Wirtschaft und auch um das Budget ja kaum gekümmert und zumeist so getan, als sei, wenn schon nicht alles in Ordnung, so doch alles möglich. Ohne irgendwelche Folgen. So wie man sich wohl das Schlaraffenland vorstellt. Vom unseligen "Koste es, was es wolle"-Sager von Kurz, über die 32-Stunden-Wochenarbeitszeit-Forderung von SP-Chef-Babler bis hin zum noch regierenden Kanzler, der noch vor Monaten steif und fest behauptete, dass es "keine Notwendigkeit für ein Sparpaket" gebe, wurde die Realität einfach ausgeblendet. Warnungen wurden in den Wind geschlagen, Forderungen überhört, Anliegen ignoriert. Die Wirtschaft wurde über weite Strecken sich selbst überlassen, mit immer neuen Auflagen und immer noch mehr Bürokratie eingedeckt, was die Kosten über Gebühr erhöhte und die Konkurrenzfähigkeit schwächte. Statt Lösungen zu suchen und neue Wege, hat man Probleme allenfalls mit Geld zugeschüttet und so zumeist Strukturen eher einzementiert, denn sie zukunftsfähig zu machen. Und beim Staathaushalt ist es kaum anders. In die Strukturen griff man auch da nie ein. Am eindrücklichsten ist das beim Pensionssystem zu sehen. Der Aufwand alleine dafür explodierte in den vergangenen vier Jahren von 20 Mrd. auf 30 Mrd. Euro.

Nun gibt es allerlei Vorschläge und Anregungen. Der Bogen reicht vom Streichen des Klimabonus, über höhere Steuern beim Sprit, die Besteuerung von Erbschaften bis hin zu einem Durchforsten des Fördersystems.

Was wirklich kommen wird, steht einstweilen in den Sternen. Dass wir gerade gewählt haben und auf eine neue Regierung möglicherweise noch Monate warten müssen, macht die Sache nicht einfacher. Und das nicht alleine dessentwegen, sondern auch deshalb, weil längst alle Interessengruppen dabei sind, sich mit ihren Forderungen und Wünschen in Stellung zu bringen - darunter selbstredend auch viele von denen, die sonst gerne und lautstark den Förderwahnsinn im Land anprangern. Nichts zu hören ist freilich davon, dass irgendjemand bereit sei, auf irgendetwas zu verzichten. Ganz im Gegenteil. Alle wollen noch mehr. Selbst jetzt, wo alles an die Wand gefahren scheint.

Der Schaden ist nicht unbeträchtlich. Damit zurechtzukommen braucht, wie vieles in diesem Land, einen neuen Zugang, ein neues Denken. Und das freilich nicht nur in der Politik, sondern auch und vor allem bei denen, für die sie da ist - bei den Angestellten und Arbeitern, bei den Pensionisten, bei den Bauern, bei der Wirtschaft. Kurzum bei allen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Oktober 2024

Donnerstag, 10. Oktober 2024

Das große grüne Wählerrätsel

Nur mehr 402.000 Stimmen, mehr als ein Drittel weniger als noch vor fünf Jahren. Ein Stimmenanteil von nur mehr 8,2 Prozent statt 13,9 Prozent und nur mehr 16 statt bisher 26 Mandate im neuen Nationalrat. Und mit ziemlicher Sicherheit -in der derzeitigen Situation weiß man ja nie -auch nicht mehr in der Regierung. Das Wahlergebnis der Grünen ist wohl das, was man gemeinhin als desaströs versteht. Nachzuvollziehen ist es allenfalls für VP-Wähler oder FP-Anhänger und all die anderen, die mit den Grünen grundsätzliche Probleme haben. Sonst aber bleibt nur Verwunderung und Staunen, haben die Grünen doch in den vergangenen Jahren als Juniorpartner der großen und traditionell sehr machtbewussten Volkspartei weit mehr erreicht, als man ihnen zugetraut hat.

Vom Besten zweier Welten, das die beiden Parteien zu Beginn der Regierungsperiode versprochen haben, haben die Grünen deutlich mehr geholt als die Schwarzen. Die CO2-Bepreisung, der Klimabonus, die Förderung der thermischen Sanierung, das Einwegpfandsystem, der Ausbau der E-Mobilität, das Klimaticket oder die Einführung des Inflationsausgleichs für Sozial-und Familienleistungen und noch einiges mehr waren doch weit mehr, als man erwarten konnte. Möchte man meinen. Und dennoch haben sich so viele Wähler von den Grünen abgewendet und damit die Grünen um die Möglichkeiten gebracht, in ihrem Sinn etwas zu verändern, zu gestalten, voranzutreiben. Und, folgt man ihren Denkmustern, der eigenen Sache, dem Schutz der Umwelt und des Klimas, damit am meisten geschadet und die Bemühungen darum weit zurückgeworfen.

Das Verhalten der Wählerinnen und Wähler gibt Rätsel auf, sind doch die Alternativen beschränkt. Wo sehen sich die, die diesmal nicht mehr Grün wählten, jetzt vertreten? Warum haben sie die Partei dann gleich derart abgestraft und wieder in die Bedeutungslosigkeit geschickt? Dorthin, wo sie allenfalls protestieren, aber nicht wirklich etwas erreichen können? Und ist all denen, die die Grünen diesmal im Stich gelassen haben, überhaupt klar, dass sie nun damit der von ihnen so gerne und oft nachgerade inbrünstig angefeindeten FP oder VP das Feld überlassen mit ihrem Stimmverhalten? Stimmen gar wirklich die Erklärungsversuche, die von strategischer Stimmabgabe für die SPÖ reden, um Kickl zu verhindern, oder steht der Klimaschutz in der Krise tatsächlich nicht mehr so hoch im Kurs?

Das alles passt nicht zusammen. Aber es passt zu dem, wie man Grüne oft kennt. Sie umgeben sich gerne mit der Aura, alles zu wissen, haben aber die Verantwortung und Konsequenz in der Umsetzung gerne gescheut und sind Antworten schuldig geblieben. Und das passt dazu, dass sie für ihre Forderungen immer schon eher Kollateralschäden in Kauf nehmen, als Kompromisse zu suchen, und damit oft ihrer Sache mehr schaden, als ihr zu nutzen. Und mit der Demokratie und der Mündigkeit der Bürger, die man sonst so gerne beschwört, hat man es auch nicht großartig, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Interessen geht. Die Diskussion um die Renaturierungsverordnung und der Alleingang der Umweltministerin sind ein beredtes Beispiel dafür. Lösungen, zumal solche, die gesellschaftlich und politisch verträglich sind und dennoch die Sache voranbringen, waren viel zu selten das ihre. Wir erlebten es in Österreich und wir erleben es in Deutschland.

Das Wahlergebnis bestätigte wohl, dass Dankbarkeit in der Politik keine Kategorie ist. Und das ist gut so. Denn Politik, die auf Dankbarkeit aufbaut und die Dankbarkeit erwartet, kann keine gute Politik sein. Zu groß ist die Gefahr, dass sie sehr leicht eine falsche Richtung nimmt und sich tatsächlich nötige Maßnahmen nicht zu treffen traut und Ziele aus den Augen verliert.

Ganz abgesehen davon ist in der Wählerschaft und damit in der Gesellschaft Dankbarkeit generell keine Kategorie mehr. Heute fordert man und stellt Ansprüche, aber man weiß nicht mehr zu schätzen, unter welchen Umständen irgendetwas zustandegekommen oder zustandegebracht wurde. Vielleicht gäbe es dann viel mehr Dank, wenn man keine Dankbarkeit erwartet.

Die Grünen jedenfalls können jetzt wieder von der Galerie aus ungestraft alles besser wissen. Die ehemaligen Wähler müssen sich freilich fragen, warum sie nicht erkennen wollten, dass es anders doch besser wäre -wenn ihnen denn ihre Anliegen wirklich so wichtig wären, wie sie immer sagen und von den anderen fordern.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Oktober 2024

Freitag, 4. Oktober 2024

Lebensmittelexporte geraten im Wettbewerb unter Druck

Im Agrar-Außenhandel lief es auch schon einmal besser. Hohe Kosten und Billigkonkurrenz machen Österreichs Erzeugern Sorgen.

Hans Gmeiner

Wien. Der Außenhandel mit Agrarprodukten, über Jahre eine der großen Erfolgsgeschichten der heimischen Wirtschaft, ist in der ersten Hälfte dieses Jahres unter Druck geraten. Milch, Butter, Käse, Fleisch, Wurst, Getränke, Backwaren und all die vielen anderen Produkte der heimischen Land- und Lebensmittelwirtschaft schmecken zwar rund um den Globus mehr denn je, zahlen will man aber nur mehr deutlich weniger dafür. Trotz der mengenmäßigen Zuwächse im ersten Halbjahr (plus 7,2 Prozent) blieben die Erlöse mit einem Minus von 2,3 Prozent (auf 8,29 Mrd. Euro) deutlich unter den Vorjahreswerten. Ganz anders ist das bei den Importen. Die legten mengenmäßig mit plus 13,2 Prozent nicht nur doppelt so stark zu wie die Exporte. Sie lagen auch wertmäßig mit plus 6,1 Prozent (auf 9,1 Mrd. Euro) deutlich im Plus.

„Die Außenhandelsbilanz hat sich verschlechtert“, sagte Donnerstag Christina Mutenthaler-Sipek, Chefin der AMA-Marketing, bei der Präsentation der Halbjahresergebnisse trocken. Und Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Fachverbands der Lebensmittelindustrie, zeigte sich erleichtert, dass zumindest der deutsche Markt, der mit einem Anteil von 37 Prozent an den Gesamtexporten mit Abstand wichtigste Exportmarkt für die heimische Land- und Lebensmittelwirtschaft, trotz der wachsenden wirtschaftlichen Probleme im Land weiter funktioniert.

Im ersten Halbjahr gab es bei den Ausfuhren nach Deutschland mengenmäßig ein Plus von 9,9 Prozent. Der Exportwert legte deutlich weniger, aber immerhin doch um 1,4 Prozent zu. Im größten Segment, bei Fleisch und Fleischzubereitungen, gab es sogar ein Mengenplus von 20 Prozent und ein Erlösplus von fast 17 Prozent (auf 268 Mill. Euro). Auch bei Obst und Gemüse gab es kräftige Zuwächse. Bei Käse hingegen gab es nur mengenmäßig ein Plus, wertmäßig aber einen Rückgang um 2,7 Prozent auf 250 Mill. Euro. Für Mutenthaler-Sipek bleibt Käse dennoch ein Exportschlager. Auf diesem Weg gehe jeder vierte in Österreich erzeugte Liter Milch nach Deutschland. „Auf Deutschland war Verlass, unsere Nachbarn blieben unseren Lebensmitteln und Getränken treu“, zeigte sich Koßdorff zufrieden.

Das freilich kann man von den USA nicht behaupten. Den dortigen Einbruch der Exporte um 49,9 Prozent auf 150 Mill. Euro im ersten Halbjahr erklärte Koßdorff zurückhaltend damit, dass die Exporte in die USA stark an der „Kategorie Getränke hängen“. Dahinter steckt, dass Red Bull nicht mehr von Österreich in die Vereinigten Staaten geliefert wird, sondern vom neuen Werk aus, das Rauch und Red Bull in North Carolina errichtet haben. Schon 2023 gab es einen Rückgang von 43,1 Prozent gegenüber 2022 von 745 auf 424 Mill. Euro.

Auch wenn sich die Entwicklung der Außenhandelsbilanz bei Agrar-und Lebensmitteln mit dem Trend zu günstigen Produkten oder Sondereffekten wie der Verlagerung einer Getränkeproduktion erklären lässt, ist vor allem bei der Lebensmittelindustrie Feuer am Dach. Die Branche mit 200 Unternehmen und mehr als 27.000 Beschäftigen macht im Export zehn der insgesamt zwölf Mrd. Euro Umsatz. „Die heimische Industrie steckt im dritten Jahr in einer Rezession, die Gesamtexporte gehen zurück, das bleibt nicht ohne Folgen auch für die Lebensmittelindustrie“, sagt Koßdorff. „Nun sind auch wir in eine Stagnation gerutscht.“ Der Absatz ging heuer in den ersten sechs Monaten um 0,6 Prozent zurück, auch die Exporte haben sich eingebremst und stagnieren wertmäßig bei einer schwarzen Null, während die Importe gestiegen sind. Ohne das gute Deutschland-Geschäft hätte es laut Koßdorff ein Minus von 2,2 Prozent gegeben.

Für Koßdorff zeigt die Entwicklung „ganz deutlich“, dass die heimischen Lebensmittelhersteller „an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verlieren“. Die Produktionskosten seien in den vergangenen Jahren massiv gestiegen und hätten den Industriestandort geschwächt. In einem neun Punkte umfassenden Forderungskatalog an die neue Bundesregierung stehen für die Branche daher „leistbare Arbeits- und Energiekosten“, „faire Wettbewerbsbedingungen entlang der Lebensmittelkette“ und „freie Fahrt für Exporte“ neben einem „Stopp der Überregulierung“ an vorderster Stelle.

Die Hoffnung hat man in der Branche dennoch nicht ganz verloren. Für das Gesamtjahr zeigt sich Koßdorff zuversichtlich. „Wir sind noch optimistisch, dass wir das Jahr positiv abschließen können.“ Schließlich zeigen die bisherigen Ergebnisse nur die Entwicklung bis zur Jahresmitte. Danach sei der warme Sommer samt guter Buchungslage im Tourismus gekommen. „Wir hoffen, dass das noch eine positive Auswirkung hat“, sagt Koßdorff.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 4. Oktober 2024

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Das blaue Wunder, das keines ist

Jetzt ist es vorbei. Die Wahl und alles, was dazugehörte. Österreich ist blau. Und es ist nicht nur ein blaues Auge, das sich das Land da am vergangenen Sonntag zugezogen hat. Und es ist auch kein blaues Wunder, das wir da erlebten. Ganz im Gegenteil -es war ein blauer Erfolg mit Anlauf, dem man über Jahre zuschaute und der seit langem absehbar war. Die Politik, die Politiker, die Parteien haben allesamt versagt dabei, das zu stoppen, was sie jetzt so wortreich beklagen und zur Kenntnis nehmen müssen. Und mit dem sie und mit dem Österreich leben muss.

Man hat nie ein Rezept gegen den kleinen Mann aus Kärnten an den Steuerhebeln der FPÖ gefunden. Viele haben geglaubt, Häme sei ein taugliches Rezept gegen ihn, Abfälligkeit und Geringschätzung. Ins Lächerliche zog man ihn und als Nazi punzierte man ihn mehr oder weniger offen. Was hat man gewitzelt über die Bilder, die ihn seinerzeit als Innenminister auf einem Pferd zeigten. Was geiferte man über seine zuweilen brachialen Wortmeldungen. Was ereiferte man sich gegen seine Auftritte mit Orban und gegen seine Meinung zum Ukraine-Krieg und sein Verständnis für Putin. Und gar nicht zu reden von seiner Haltung zu EU und erst recht zur Migration. Alles völlig zu Recht und verständlich -aber eben ohne die Wirkung, die es gebraucht hätte.

Kurz vor den Wahlen kam auch noch das Bild von der Brandmauer in die öffentliche Diskussion, die gegen Kickl aufzubauen sei. Als wollte man auf den Punkt bringen, was man in den vergangenen Jahren versäumt und was man schlecht gemacht hatte. Wegschauen, abmauern. Was dahinter passiert, geht uns nichts an. In Deutschland ist man damit längst krachend gescheitert, aber hierzulande ist das einerlei.

Es ist nun hoch an der Zeit für alle, die sich permanent an Kickl reiben, vom hohen Ross herunterzusteigen. Ihre Strategien haben versagt. Die der Linken und die der Intellektuellen. Und auch die jener, die sich der Mitte zuzählen. Im Gegenteil. Mit vielem, von dem man meinte, dem nunmehrigen Wahlsieger Herr zu werden, machte man ihn noch größer. Man muss aufhören, über ihn von oben herab zu urteilen und ihn, sein Gehabe, sein Auftreten, seine Äußerungen zu belächeln. Man muss auch aufhören, ihn zu dämonisieren.

Und nicht nur das. Man muss auch aufhören, von oben herab über die Kickl-Wähler und -Parteigänger den Kopf zu schütteln und die Nase zu rümpfen. Genau das Gegenteil ist nun gefordert. Man muss sich von all den bisherigen Strategien und Methoden verabschieden, auch von den Vorurteilen. Man muss sich Neues überlegen, wie man diese Menschen erreichen, wie man zu ihnen finden könnte. Man muss vieles völlig neu denken und Vorurteile über Bord werfen. Was man bisher machte, das ist wohl nun erwiesen, taugte nichts. Neben all den anderen Aufgaben und ganz gleich in welcher Koalitionsform, die jetzt kommen wird, ist das wohl die vorderste Aufgabe.

Es darf eben nicht darum gehen, gut 30 Prozent der Bevölkerung hinter Brandmauern auszugrenzen und zu verstecken, sondern es muss darum gehen, sie wieder hereinzuholen. Darum, sie ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und mit ihnen zu reden. Und dazu gehört wohl auch, sie aus dem Eck zu holen, in das man sie stellte. Sie sollen sich wieder vertreten fühlen von der Politik, von der sie sich in den vergangenen Jahren offenbar nicht mehr vertreten fühlten. Denn das war die Basis für Kickls Erfolg.

Noch ist nicht alles verloren. Kickl und seine FPÖ haben 29 Prozent der Stimmen erzielt. Das ist viel. Keine Frage. Aber 71 Prozent haben ihn und seine FPÖ nicht gewählt. Und das ist immer noch eine große Mehrheit. Und genau darin liegt die Verantwortung und wohl auch die Chance, all das in den nächsten Jahren wieder umzudrehen, was mit den Wahlen nun so festgemacht wurde, wie man es nie glauben wollte.

Auch wenn es schwierig sein mag, wenn man nicht gerade FPÖ-Wähler ist, die neuen Realitäten zu akzeptieren. Das ist Demokratie. Das ist zu akzeptieren. Aber das Wahlergebnis muss als Auftrag verstanden werden und als Herausforderung, auch alte Pfade zu verlassen.

Die ersten Reaktionen auf das Wahlergebnis und all die Koalitions-Spekulationen in den ersten Tagen nach der Wahl lassen freilich nicht wirklich Gutes ins diese Richtung erwarten. Denn es zeigt sich allerorten genau das, was das Image der Politik so katastrophal werden ließ -und die Wählerinnen und Wähler in Kickls Hände trieb.

 Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Oktober 2024
 
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