Montag, 4. April 2022

China sitzt auf der Hälfte der Getreidevorräte

Wien, Brüssel, Peking. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine geht die Sorge um, dass Getreide auf der Welt knapp werden könnte, gehören doch beide Länder zu den größten Lieferanten weltweit. Das dürfte vor allem die ärmeren Regionen der Welt hart treffen. 50 Länder rund um den Globus deckten bisher ihren Bedarf an Weizen zumindest bis zu 30 Prozent mit Lieferungen aus Russland und der Ukraine.

Der Westen als alternativer Lieferant, um die entstehende Lücke zu schließen, fällt aus und muss vermutlich China das Feld überlassen. Denn während die Reserven der neben Russland und der Ukraine größten Exporteure der Welt – zu denen zählen, angeführt von der Europäischen Union, auch die USA, Kanada, Argentinien und Australien – auf ein Neun-Jahre-Tief gefallen sind, hat China in aller Stille seine Lager gefüllt. Das Reich der Mitte ist zwar sowohl bei Weizen und Futtergetreide als auch bei Mais und Reis Nettoimporteur, sitzt aber auf vollen Speichern. Laut Schätzung des US-Landwirtschaftsministeriums lagern in China 142 Millionen Tonnen Weizen, mehr als eine Jahresernte und die Hälfte der weltweiten Reserven.

Bei Futtergetreide lagern mit 211 Millionen Tonnen drei Viertel einer Jahresernte und zwei Drittel der global verfügbaren Reserven in Chinas Speichern. Bei Mais sind es 210 Millionen Tonnen oder 80 Prozent der jährlichen Erntemenge und ebenfalls zwei Drittel der weltweiten Reserven. Auch bei den Reisvorräten ist China die klare Nummer eins.

Seit Beginn der Pandemie kauft China Getreide und Soja in großen Mengen ein. Die Volksrepublik will sich mit den prall gefüllten Speichern nicht nur unabhängig machen, sie verfolgt laut Experten auch andere Ziele. Dafür scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein. Wenn in Krisen andere Lieferanten ausfallen, kann China einspringen und in vielen Ländern, etwa in Afrika, seinen wirtschaftlichen Einfluss ausbauen.

Westliche Exporteure können höchstens mit zusätzlichen Mitteln für Ernährungsprogramme helfen, sind aber ansonsten nur Zuschauer. Denn die Reserven von 57 Millionen Tonnen Weizen in der Erntesaison 2021/22 reichen gerade aus, um die Welt 27 Tage lang mit Getreide zu versorgen. Ohne die Lagerbestände in Russland und der Ukraine sind es weniger als drei Wochen.

Salzburger Nachrichten, 4. April 2020 - Seite 1

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