Wien ist nicht mehr die lebenswertste Stadt der Welt. Nach drei Jahren an der Spitze wurde unsere Bundeshauptstadt von Kopenhagen abgelöst und muss sich mit Zürich nun den zweiten Rang teilen. Auch unsere Badegewässer sind, wiewohl immer noch sehr sauber, nicht mehr die allersaubersten. Aber es ist ja schon auch beim Skifahren im Winter nicht ganz so toll gelaufen und unsere Fußball-Nationalmannschaft hat schon geschwächelt, wenn es nicht gerade gegen San Marino ging.
Das alles sind Petitessen und freilich nicht überzubewerten. Aber sie fügen sich in die Entwicklung des Landes, das sich über Jahrzehnte für eine vom damaligen Papst höchstpersönlich ernannte "Insel der Seligen" hielt, das nun seit geraumer Zeit in vielen internationalen Rankings und Vergleichen stetig abrutscht, ohne dieser Entwicklung viel entgegenzusetzen zu haben und entgegenzusetzen zu wollen. Wir zählen inzwischen beim Wirtschaftswachstum, so man das überhaupt so nennen darf, zu den Schlusslichtern in Europa. Wir haben ein riesiges Budget-Defizit und ein EU-Verfahren am Hals. Bei der Produktivität hinken wir nach. Was nicht verwundert, sind doch kaum sonst wo in Europa und auf der Welt die Arbeitskosten so hoch und die Löhne dazu, während die österreichische Industrie, einst Stolz des Landes, mitunter nur mehr ein Schatten ihrer selbst ist und deutlich hinter Ländern wie Polen, Spanien, Frankreich, Slowakei und selbst dem maroden Deutschland hinterherhinkt.Aber wen kümmert's, stehen wir doch bei den Sozialausgaben überhaupt an der Spitze. Und jetzt heißt es nun auch noch "Österreich -Hotspot der Erderhitzung", weil es kaum wo auf der Welt und schon gar nicht in Europa in den vergangenen Jahren wärmer geworden ist als bei uns. "Im Schnitt ist es 3,1 Grad Celsius wärmer im Vergleich zum vorindustriellen Schnitt -Tendenz steigend", schreiben die Zeitungen, echauffiert nicht nur der Wärme wegen, sondern auch vom Ergebnis des jüngst präsentierten Klimaberichtes.
Und da ist dann noch Graz. Aber ansonsten geht's uns gut. Irgendwie halt. Das Linzer Market-Institut erhob jüngst für den "Standard", dass gut ein Drittel der Bevölkerung die Lebenschancen in Österreich für besser hält als in anderen EU-Staaten und weitere 44 Prozent für zumindest gleich gut. Immerhin und trotz der schrägen Lage. Freilich -"2012 sagten noch 61 Prozent, also etwa doppelt so viele wie heute, dass man in Österreich bessere Lebenschancen hätte als anderswo in der EU", schreibt der "Standard".
Aber was soll's? Gut, nach dem Amoklauf von Graz hat man in der Vorwoche mit einer Verschärfung des Waffengesetzes und anderen Maßnahmen für österreichische Verhältnisse sehr rasch reagiert. Aber sonst? Aufs Tempo drückt man nicht wirklich, um aus der Malaise zu kommen. Auch nicht die neue Regierung, die ja gar nicht mehr so neu ist. Dabei drängt die Zeit eigentlich, sich endlich am Riemen zu reißen, aus der Lethargie herauszukommen, die Bequemlichkeit abzuschütteln und so etwas wie eine Aufbruchstimmung zu erzeugen, die sich über Gewohntes und Eingefahrenes hinwegsetzt, Schwung und Druck erzeugt und Zuversicht -Ärmel aufkrempeln, statt Kopf in den Sand stecken und sich in den Bunkern überkommener Argumentations-Arsenale zu verbarrikadieren und sich bräsiger Behäbigkeit und starrköpfiger Beharrlichkeit hinzugeben.
Doch wie schafft man das? Wie zieht man die Menschen mit? Möglichst die gesamte Gesellschaft oder zumindest einen Großteil davon? Wie erzeugt man Verständnis dafür und für Maßnahmen, die nötig sind? Wie kann erreicht werden, dass sich die Leute am Riemen reißen und sich nicht nur in Selbstmitleid ergehen und in den alten Eigenschaften, die das Land in den letzten Jahren zu dem gemacht haben, zu dem es geworden ist?
Vielleicht könnte ein Anfang sein, sich nicht gegenseitig bei allem und jedem, das nicht läuft, wie es laufen sollte, die Verantwortung gegenseitig in die Schuhe zu schieben. Und vielleicht könnte ein Anfang sein, sich nicht hauptsächlich auf die Außenwirkung des eigenen Tuns zu konzentrieren, sondern darauf, Lösungen auf den Weg und dorthin weiterzubringen. Gemeinsam mit den anderen und nicht gegen sie.
Das freilich gilt nicht nur für die Politik, auf die man die Verantwortung dafür gerne abschiebt. Das gilt auch für jeden und jede.
Zu befürchten steht freilich - in beiderlei Hinsicht handelt es sich nicht um mehr als um einen frommen Wunsch.