Donnerstag, 28. August 2025

Freiheitliches Treiben

Die Rating-Agentur Moody 's hat Österreich heruntergestuft. Von "stabil" auf "negativ". Als Gründe wurden die anhaltende und erhebliche Schwächung der Finanzkraft Österreichs genannt. Es sei von einer steigenden Staatsverschuldung auszugehen, zudem könnten die alterungsbedingten Ausgaben und Zinskosten höher ausfallen als erwartet.

Das Echo im Land war bescheiden, die Meldungen in den Medien klein. Und von der Politik war gleich gar nichts zu hören. Man hatte anderes zu tun. Wie immer möchte man sagen. Die Anwendung der Scharia bei einem Vertrag regte auf, obwohl das in der Rechtswelt immer eine Möglichkeit war, die ganz normal war. Aufgeregtheit allerorten von den Freiheitlichen bis zur Kanzleramtsministerin. Reflexartig und ohne sich lange um Sachlichkeit zu kümmern. Man glaubte, was man immer glaubt -Empörung zu zeigen zieht.

Man hält das für Politik. Genauso wie man für Politik hält, wenn man eine Umfrage hinausposaunt, der zufolge angeblich 59 Prozent der Österreicher für ein "ausländerfreies Schwimmbad" sind, oder zum Skandal macht, wenn der Vizekanzler zum Abschied seines Vorgängers im Amt zu einem Buffet lädt, das angeblich 2.000 Euro gekostet hat. Oder wenn man versucht, mit dem Slogan "Unsere Kinder geben wir nicht" Panik zu schüren, dass österreichische Soldaten in der Ukraine zum Einsatz kommen könnten. Das passt zu einem Verständnis, dass 827 parlamentarische Anfragen zur Covid-Zeit oder tausende Fragen zu Geldflüssen an Ministerien als Politik gelten.

All solche Themen, auch, dass ÖVP-Klubobmann Wöginger nun doch vor den Richter muss, mögen wichtig sein, aber warum können sie so viel Platz einnehmen und warum wird ihnen so viel Platz gegeben in einer Zeit, wo das Land viel größere Probleme plagen? Warum können sie nicht geordnet, wie es vorgesehen ist, abgearbeitet werden, um frei zu sein für die wirklichen Themen, bei denen es ums Fortkommen geht, um die Zukunft? Bei der Teuerung, bei den Energiekosten, bei Wirtschaft und Industrie, im Gesundheitswesen, bei den Pensionen oder bei staatspolitischen Themen wie der Neutralität.

Ein "Kraut-und Rüben-Untersuchungsausschuss", wie die FPÖ einen wollte, um mit Pilnacek und Covid ein Dauerthema zu schaffen, hilft da nicht. Und auch kein Badeverbot für Ausländer, kein Kopftuchverbot und auch kein loses Gerede von einer Festung Europa. Das alles frisst nur unnötig politische Energie und Kapazitäten, blockiert und bindet politische Lösungskraft, die angesichts der Probleme, die das Land hat, dringend gefordert ist. Abbeißen kann man sich davon nichts, kaufen auch nicht und billiger wird schon gar nichts davon.

Österreichs Politik bewegt sich vornehmlich auf Nebengleisen. Dass das so ist, daran hat die Freiheitliche Partei einen großen Anteil. Sie hat sich darauf verlegt, Empörung zu erzeugen und zu kanalisieren, um davon zu leben. Und das, ohne irgendwelche Lösungen zu bieten, ohne Kompromissbereitschaft zu zeigen und ohne Willen zu irgendeiner Zusammenarbeit. Was mit Jörg Haider begann, hat Kickl in den vergangenen Jahren perfektioniert. Eines der Probleme Österreichs ist, dass sich die anderen Parteien davon anstecken und sich in einen ziel-wie erfolglosen Populismus verstricken haben lassen. Und man fragt sich, warum das geschehen konnte.

"Kinder, wir haben zu tun!", möchte man hie und da den Akteuren zurufen. Die Inflation plagt und die Energiekosten auch, Wirtschaft und Industrie klagen und das Gesundheitswesen zerbröselt, ganz abgesehen davon, dass wir in Europa zu den Hinterbänklern gehören. Wir, die einstige Insel der Seligen.

Schmerzlich vermisst man Macher in der Politik. Leute, die ihren Weg gehen und Leute, die sich nicht rausbringen und die sich nicht treiben lassen. Sie sind selten geworden in der Politik, für die sich kaum mehr wer hergeben will. Und gibt es einmal dennoch welche, die man für Macher hält und denen man zutraut, sich durchzusetzen, kommen sie schnell in Gefahr und straucheln wie etwa Sepp Schellhorn.

Es fehlt an einer klaren Politik im Land und auch an Machern, die ihren Weg gehen -freilich auch die nötige Unterstützung von der Öffentlichkeit und von den Medien. Die ist viel zu selten zu finden, lechzen doch alle viel zu sehr nach Sensationen.

Das ist Kultur geworden im Land. Leider. Über die wirklichen Probleme will man lieber nicht reden. Nirgends. Weil man Konflikte vermeiden will. Weil man zu feig ist. Aber auch, das muss auch gesagt sein, weil man keine wirklichen Ideen hat oder nicht das nötige Rückgrat.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. August 2025

Donnerstag, 14. August 2025

Trugbilder allerorten

Es ist Sommer. Es ist Urlaubszeit. Es ist Österreichs Zeit. Eigentlich. Aber das Glück hält sich in Grenzen. Das Wetter im Juli vergällte vielen die Freude über die Zeit, die vielen als die schönste im Jahr gilt. Den Urlaubern vor allem, aber auch denen, die davon leben. "Wechselhaft" fällt die Bilanz der ersten Halbzeit dieses Sommers auch für den Tourismus aus. Man hoffe nun auf einen Goldenen Herbst, heißt es und würde es großes Glück nennen, wenn man das Vorjahresergebnis halten könnte.

Das alles verwundert nicht nur wegen des Wetters nicht. Die Preise in der Hotellerie und Gastronomie sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen. Man kennt die Diskussion - die Kosten sind es, die davonlaufen. Für die Löhne, für die Lebensmittel, für die Energie.

Wiewohl - ist das immer die passende Erklärung? Wer aus Italien heimkommt, wird nicht müde die Geschichten von den Cappuccini und Espressi zu erzählen, die nur einen Bruchteil von dem kosten, was man hierzulande auf den Tisch legen muss dafür. Man schwärmt von den günstigen Mahlzeiten und den leistbaren Hotelzimmern. Und man wundert sich. Die sind doch auch bei der EU, warum geht dort, was bei uns nicht geht, fragt man sich, zunehmend mit mürrischem Unterton.

Es ist aber nicht alleine das. Auch hierzulande sind die Preisunterschiede oft extrem groß. So groß, dass den potenziellen Gästen oft die Lust vergeht. Zum einen, weil sie nicht nachvollziehen können, warum das so ist. Und zum anderen, weil sie sich nicht selten über den Tisch gezogen fühlen. Neulich machte im Freundeskreis das Foto einer Speisekarte aus dem Mühlviertel die Runde. "Wiener Schnitzel vom Schwein mit Pommes oder Reis und Kartoffeln - € 8,90" und viele ähnlich günstige Angebote waren da aufgeführt. Wirtshauspreise wie früher. "Sachen gibts" stand unter dem Bild und "Sehr gut war's".

Wie geht das und warum geht das? Es soll hier nicht um die gehen, die Tolles anbieten und großartige Arbeit leisten. Es soll vielmehr um die Trittbrettfahrer gehen, die, die es sich einfach machen und die wenig Skrupel haben, den Gästen einfach das Geld aus den Taschen zu ziehen. Von denen mag keiner reden, obwohl es immer noch viel zu viele davon gibt und die auch dem Ruf des Urlaubslandes Österreich schaden.

Der Groll und die Unzufriedenheit verwundern dann nicht, wenn man ein teures Schnitzel auf dem Teller liegen hat, dessen Panier in der Marinade des Salats schwimmt, der am selben Teller von einem mürrischen Kellner auf den Tisch geklatscht wurde - und für das man weit mehr als das Doppelte des Preises für das Schnitzel im Mühlviertel bezahlen soll.

Denn die Gastronomie -und auch die Hotellerie -haben nicht nur ein Problem mit den Kosten und den Preisen. Sie haben oft auch eines mit der Qualität und mit der Freundlichkeit, die entweder nicht vorhanden oder oft nur picksüß und gespielt ist. Was man hierzulande aufgetischt bekommt, entspricht viel zu oft immer noch nicht den heutigen Standards. Und schon gar nicht dem, was man verspricht. Nicht beim Essen. Und auch nicht bei den Zimmern. "Ostblockcharme" bescheinigte kürzlich der Chefredakteur eines Wochenmagazins einer Hotel-Unterkunft am Attersee und befand es, gnädiger als von ihm gewohnt, als "fast schon wieder cool um 220 Euro das Doppelzimmer". Es ist, jeder weiß es, wohl nur eines von ganz vielen Zimmer, die es in dieser Art, dieser Zumutung und dieser Anmaßung immer noch gibt in Österreich.

Gastronomie und Hotellerie sind freilich nicht die einzigen Bereiche, wo Österreich aufpassen muss, nicht Fehleinschätzungen und Selbstbetrug aufzusitzen. Der Bogen reicht von mauen Freizeitangeboten in den Urlaubsregionen bis zur schlechten Ausschilderung von Wander-und Radwegen.

Und dann ist da noch das Thema, das man oft schon gar nicht wahrhaben will. "Warum ist Österreich so schiach?" fragte kürzlich sogar die noble "Presse" ganz derb und traf damit einen Punkt, den viele in diesem Land gar nicht sehen wollen. Österreich hat fraglos wunderbare Landschaften und schöne Orte und Städte. Aber die Hässlichkeiten, die man diesen Landschaften und Orten antut, sind immer öfter kaum mehr zu übersehen. Da bleibt oft nur mehr wenig zu erkennen von den Bilderbuchbildern aus den Hochglanzmagazinen und Instagrampostings, wenn man vor Ort ist. Viele zu oft sind da nur geschundene Landschaften, Ortschaften und Städte, die ihr Herz und ihre Herzlichkeit längst verloren haben - und zum Trugbild geworden sind.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. August 2025

Mittwoch, 13. August 2025

Ungleicher Kampf um Platz im Gemüseregal

Strenge Auflagen beim Pflanzenschutz, hohe Lohnkosten und Ware aus Billiglohnländern machen Gemüse- und Obstbauern zu schaffen.

Hans Gmeiner

Fraham, Linz. Die Ackerbauern klagen schon lange über fehlende Pflanzenschutzmittel. Bei vielen Mitteln ist die Zulassung ausgelaufen, Neuzulassungen von Wirkstoffen gibt es praktisch kaum mehr. Der Anbau von Zuckerrüben und von Raps leidet besonders darunter. Die Anbauflächen haben sich halbiert, weil man mit den Schädlingen nicht mehr zurande kommt.

Den Gemüsebauern geht es mit dem Pflanzenschutz nicht anders. Es gibt mittlerweile keinen Bierrettich mehr in Österreich, und auch bei den Radieschen gibt es wegen der zerfressenen Blätter Probleme. Der Kartoffelbau steht unter Druck. Und wegen der hohen Lohnkosten in Österreich und Auflagen leidet der Anbau von Gurken und Gurkerln, Kraut und anderen handarbeitsintensiven Gemüsearten.

Diese Probleme brennen Bauern schon länger unter den Nägeln. Vor allem die jungen Bäuerinnen und Bauern hadern damit, fürchten sie doch um ihre Zukunftschancen. „Es fehlen uns zunehmend die Möglichkeiten, die Produktion aufrechtzuerhalten“, sagt Mathias Ecker, Gemüsebauer im Eferdinger Becken und oberster Bauernvertreter bei Efko, dem größten heimischen Sauergemüseerzeuger. „Das ist keine Jammerei, sondern mittlerweile bittere Realität“, viele Bauern seien verunsichert. Ins gleiche Horn stößt die Jungbauern-Vertreterin Viktoria Hutter aus Niederösterreich: „In Österreich werden immer mehr Pflanzenschutzmittel verboten, ohne dass praxistaugliche Alternativen bereitgestellt werden.“

Sie sind es leid, zusehen zu müssen, wie in anderen EU-Ländern die Gesetze weniger streng ausgelegt werden als in Österreich, gar nicht zu reden von den Produktions- und Sozialstandards in Ländern wie der Türkei oder in Indien, gegen deren Produkte sich heimische Ware in den Regalen behaupten muss. Typisch dafür ist die Geschichte des heimischen Essiggurkerls. Sind früher 80 bis 90 Prozent der Gurkerl aus Österreich gekommen, so sind es nach Angaben von Efko-Chef Thomas Krahofer heute gerade einmal 45 bis 50 Prozent. „Vor allem bei den Eigenmarken des Handels wird zunehmend auf Importware aus Indien und der Türkei zurückgegriffen.“ Aber der Gemüseverarbeiter hat auch mit den hierzulande höheren Lohnkosten zu kämpfen. „Wenn ein Erntehelfer 2000 Euro brutto bekommt, dann kostet das in Deutschland einen Betrieb 2400 Euro, bei uns aber 2700 Euro.“ Das führe dazu, dass die Produktion in manchen Bereichen stetig zurückgehe, beklagen Ecker und Hutter. So ging in den vergangenen 15 Jahren der Selbstversorgungsgrad bei Getreide von 92 auf 88 Prozent zurück. Bei Obst sank er von 52 auf 45 Prozent, und bei Gemüse von 61 auf 58 Prozent.

„Noch sind wir daran gewöhnt, dass die Regale unserer Lebensmittelgeschäfte gut gefüllt sind mit österreichischen Lebensmitteln“, sagt Robert Pichler von „Wirtschaften am Land“, einem Verein aus dem Umfeld des ÖVP-Bauernbunds. Gerade die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass sich die Österreicherinnen und Österreicher auf die Bauern verlassen können. Aber das könnte sich ändern. Noch sei die Versorgungssicherheit hoch, die Covid-Krise und der Ukraine-Krieg hätten aber bewusst gemacht, dass das nicht selbstverständlich sei.

Bei der Politik finden die Bauern offenbar wenig Gehör. Und das, obwohl im Landwirtschaftsministerium seit den 1990er-Jahren durchgehend ein vom ÖVP-Bauernbund gestellter Minister die Hebel in der Hand hatte und auch die Agrarressorts in den Bundesländern bis auf wenige Ausnahmen durchwegs in Händen der Bauern waren. Die Erklärungen dafür wirken eher dünn. Man verweist auf Brüssel und die EU sowie darauf, dass bei Themen wie Tierschutz das Gesundheitsministerium und für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Wirtschaftsminister zuständig sind. Und dass andere EU-Länder mit den Vorschriften salopper umgehen, während man in Österreich der Bravste der Braven sein wolle.

Salzburger Nachrichten, 13. August - Seite 1/Wirtschaft

Donnerstag, 31. Juli 2025

Einfach nur wundern

Man kann es abtun als Ausreißer, man kann auch sagen die Wahlen sind weit weg und auch, dass es ja andere Umfragen auch gibt. Faktum ist -auch die neue Regierung, immerhin auch schon wieder fast fünf Monate im Amt, schafft es nicht die FPÖ in den Griff zu kriegen. Ganz im Gegenteil. Laut der aktuellen Sonntagsfrage kommt die Partei von Herbert Kickl auf beinahe so viele Prozent wie die SPÖ und die ÖVP zusammen. 34 Prozent für die FPÖ vermeldete dieser Tage das Online-Boulevardmagazin Exxpress, das erst jüngst mit staatlichen Förderungsgeldern für Qualitätsjournalismus ausgestattet wurde.

34 Prozent sind nicht wenig und deutlich mehr als die FPÖ bei den letzten Wahlen erringen konnte. Für die großen Regierungsparteien hingegen geht's weiter bergab. Für die Volkspartei sogar ziemlich steil. Um 4,32 Prozent liegen die Türkisen laut APA-Wahltrend unter dem Wahlergebnis vom vergangenen Herbst. Dagegen nehmen sich die minus 1,2 Prozent der SPÖ mit ihrem so viel gescholtenen Vorsitzenden nachgerade harmlos aus, gar nicht zu reden von den NEOS, die laut APA sogar mit 1,4 Prozent im Plus liegen.

Diese Umfrageergebnisse mögen mit vielem zu tun haben, sie haben wohl aber auch damit zu tun, dass die ÖVP dabei ist, wieder in alte Bahnen zu geraten. Allem Stocker zum Trotz, der sie, das muss man ihm lassen, in ruhigere Gewässer geführt hat und der heimischen Politik die Aufgeregtheit genommen hat. In seiner Partei macht sich aber wieder diese Bräsigkeit breit, die von einer zur Schau getragenen Überlegenheit geprägt ist, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat, die schon in den vergangenen Jahren so viele Stimmen gekostet hat.

Da nimmt nicht wunder, dass den Herrschaften die Politik schon wieder um die Ohren zu fliegen beginnt. Vor allem auch, weil man immer wieder von der eigenen, bekanntermaßen nicht immer so tollen Politik der vergangenen Jahre eingeholt wird, weil sich vollmundige Versprechen allzu oft als hohl erweisen oder weil man schlicht vergisst, dass es die eigene Wählerschaft ist, auf die man da losgeht.

Die Diskussion um die Teilzeitbeschäftigung ist typisch dafür. Sie wurde vom Wirtschaftsminister dort angezettelt, wo man sie immer verortete -bei den Frauen. Das verwunderte schon, ist doch seine Partei jene, in der am längsten die Nase darüber gerümpft wurde, dass Frauen überhaupt einer Arbeit nachgehen. Inzwischen ist die Diskussion längst bei der übergebührlichen steuerlichen Belastung gelandet, die vielen die Lust an der Arbeit verleidet, weil ihnen der Finanzminister so tief in die Taschen greift, dass sie lieber daheimbleiben. Und gar nicht zu reden davon, dass sehr viele Unternehmen derzeit gar nicht so viel Arbeit haben, dass sie ihre Mitarbeiter voll beschäftigen könnten. Und dass es so ist, hat maßgeblich die Partei des Wirtschaftsministers zu verantworten, der jetzt den Eindruck erwecken will, er habe das Thema entdeckt -obwohl seine Partei zu den Verursachern zählt.

Im aufgehenden Sommerloch liefern die Türkisen mehrere Beispiele wie dieses, die die eigenen Wähler eher ratlos, wenn nicht gar verärgert zurücklassen. Da nennt etwa der Landwirtschaftsminister die Vorschläge zur künftigen EU-Agrarpolitik eine "zentrale Gefahr für die österreichische Landwirtschaft", ganz so, als ob er vor Jahresfrist vor den Europawahlen nicht durch die Lande gezogen ist, um just für jene Fraktion zu werben, deren Politik und deren Personalentscheidungen den Bauern nun diese trüben Aussichten eingebrockt hat. Gelernt hat man freilich nichts. Denn jetzt heißt es schon wieder "jetzt zeigt sich einmal mehr, wie bedeutend eine starke Vertretung der österreichischen Bauernschaft in Brüssel ist". Dreimal darf man raten, was man sich in der Bauernschaft, immerhin allem zum Trotz Stammwähler der Türkisen, darob denkt. Wundern darüber sollte man sich freilich nicht.

Und wundern sollte man sich auch nicht über die junge Bundesministerin im Bundeskanzleramt, die in Kopftüchern bei Kindern einen Ausdruck "extremistischer Tendenzen" sieht. Dabei möchte man wetten, dass sie in ihrer Mühlviertler Heimat, wo diese Art von Kopfbedeckung bei Frauen, zumal bei solchen, die zur Stammwählerschaft der Türkisen zählen, immer noch verbreitet ist, als Kind auch oft ein Kopftuch getragen hat.

Wie gesagt - man soll sich wundern. Und vielleicht auch fragen, ob es den Türkisen auf diese Art gelingt, wieder Boden unter die Füße zu kriegen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 31. Juli 2025

Dienstag, 29. Juli 2025

„Man kann’s auch übertreiben und den Wohlstand gefährden“

Zu teuer? Der Landmaschinen- Hersteller Pöttinger legt Expansionspläne in Österreich auf Eis.

Hans Gmeiner

Wegen der hohen Kosten in Österreich rechnen sich die Pläne nicht mehr, sagt Gregor Dietachmayr, Sprecher der Geschäftsführung des oberösterreichischen Familienunternehmens Pöttinger, das besonders in Grünlandtechnik auch international zu den Großen der Branche zählt.

SN: Pöttinger bekam die Krise im Vorjahr heftig zu spüren. Nach guten Jahren fiel der Umsatz um 20 Prozent. Im vergangenen Winter haben Sie von leisen positiven Signalen gesprochen. Was ist daraus geworden? 

Gregor Dietachmayr: Diese positiven Signale haben sich leider nicht fortgesetzt. Bei den Geräten für die Grünlandwirtschaft sind wir zwar stabil, bei den Geräten für den Ackerbau, auf die 35 Prozent unseres Umsatzes entfallen, spüren wir die sinkenden Preise für Feldfrüchte und die schwierige Ertragslage der Landwirte in diesem Bereich. Die Preise sinken dort, während die Kosten steigen. Weltweit lässt in diesem Bereich die Investitionsbereitschaft zu wünschen übrig.

Die USA gelten als Markt mit großem Potenzial. Wie erleben Sie die USA unter Trump? 

Wir haben in den USA vor zwei Jahren 40 Millionen Euro Umsatz gemacht. Aufgrund der aktuellen Situation hat sich dieser Umsatz halbiert. Das hat mit der schlechten Lage der US-Landwirtschaft begonnen und jetzt kam die Zollthematik dazu. Wir haben nun 15 statt zuletzt zehn Prozent auf all unsere Produkte. Und wir sind auch von den 50-prozentigen Zöllen auf Stahl betroffen, weil die auch auf Maschinen für den Ackerbau aufgeschlagen werden.

Pöttinger ist immer noch in der Ukraine und auch in Russland auf dem Markt. 

Das sind kleine Märkte. In der Ukraine haben wir 50 Beschäftigte. Die leisten großartige Arbeit und zählen zu den Gewinnern des Wirtschaftsjahrs. In Russland sind wir noch aktiv, aber deutlich reduziert, beeinträchtigt von Sanktionen und beschränkten Möglichkeiten im Kapitalverkehr. Aber da ging es nie um große Umsatzzahlen.

In Deutschland gab es Sorgen wegen der Schwierigkeiten der BayWa, des größten Kunden dort. 

Die haben uns schon ein paar schlaflose Nächte bereitet. Aber das geht jetzt wieder in die richtige Richtung. Die Zahlen stimmen.Was heißt das alles für das aktuelle Geschäftsjahr, das mit Ende Juli endet? Wir hatten von Jänner bis Mai deutlich höhere Auftragseingänge als im Vorjahr, das ist aber im Juni und Juli wieder abgerissen. Erhofften wir im Frühling noch ein leichtes Plus, so gehen wir jetzt von einem Minus im einstelligen Prozentbereich aus.

Im Vorjahr meldeten Sie im Sommer 200 Mitarbeiter beim Arbeitsmarktservice an. 

Heuer sind es deutlich weniger. Zudem schöpfen wir wieder alle Möglichkeiten wie konsequenten Urlaubsabbau und Abbau der Zeitkonten aus. Zudem haben wir die Zahl der Zeitarbeitskräfte reduziert.

Weltweit leidet die Landmaschinenindustrie. 

Alle stecken in einer Absatzkrise, die ihre Wurzeln in den Marktverwerfungen als Folge der Coronakrise und des Ukrainekriegs hat. Zuletzt kamen die Zinsen und die Inflation dazu. Die Produkte wurden immer teurer, der Absatz begann zu stocken. Dazu gab es noch Sonderfaktoren wie die Investförderung in Österreich, die viele landwirtschaftliche Betriebe zu Vorziehkäufen veranlasste. Das alles mündete dann sehr schnell in die Situation, mit der wir derzeit alle zurechtkommen müssen.

Wie reagiert man da als Unternehmen? 

Ist das so wie Fahren im Nebel? Nein, im Nebel fährt man nicht, aber man muss heute extrem unterschiedliche Szenarien entwickeln. Die Bandbreite der Möglichkeiten ist eine ganz andere als vor fünf oder zehn Jahren. Es wird zunehmend weniger planbar. Wer kann mir heute sagen, was in drei oder fünf Jahren ist? 

Kommen wir zur Wirtschaftspolitik und zum Standort Österreich. Wo sehen Sie das Problem?

Vielleicht einmal vorweggeschickt: Es ist mir ein großes Anliegen festzuhalten, dass es uns Österreicherinnen und Österreichern gut geht. Das ist unbestritten und wichtig. Aber man kann’s halt auch übertreiben und man kann den Wohlstand auch gefährden. Und das ist meiner Ansicht nach in den letzten Jahren in Österreich schon passiert. Wir lassen es uns unter Anführungszeichen zu gut gehen. 

Können Sie da konkreter werden? 

Natürlich. Wir haben uns die vergangenen vier Jahre in Europa unter die Top 3, was die Arbeitskosten anlangt, hinentwickelt. Da ist ja bei den Lohn- und Gehaltsabschlüssen immer die Benya-Formel, nach der sich die Lohnabschlüsse an der Inflationsrate orientieren sollen, strapaziert worden. Die Abschlüsse liegen aber seit Jahren darüber. Es muss uns auch bewusst sein, dass wir uns mittel- und langfristig dadurch selber schaden, da gehört mit Augenmaß agiert.

Sie vermissen Augenmaß? 

Genau. Und ich meine, es ist zwar Illusion oder Wunschvorstellung, dass man einen Staat führt wie ein Unternehmen, aber es wäre manchmal gut. 

Ist Österreich als Wirtschaftsstandort uninteressant geworden? 

Wir haben jedenfalls an Attraktivität ganz massiv verloren. Wir gegenüber dem restlichen Europa und wir erst recht gegenüber der restlichen Welt. Nichts einzuwenden dagegen, dass Europa in Sachen Umwelt Vorbild sein soll, aber es ist Faktum, dass die Energiekosten für die industrielle Fertigung in Europa drei Mal so hoch sind wie in den USA. Da muss man schauen, dass man das kompensiert, dass wir besser sind, dass wir effizienter sind und so weiter und so fort. Aber man kann’s auch übertreiben. Und in Österreich haben wir sicher übertrieben. Am Ende, wenn uns nicht schnell was einfällt, wird Produktion abwandern. Das tut sie schon allein, wenn keine Investitionsentscheidungen mehr in Österreich getroffen werden.

Auch Pöttinger hatte andere Pläne, als man in der Nähe des derzeitigen Standorts Projekte entwickelte. 

Ja, wir haben in der Nähe unseres Standorts Grieskirchen begonnen, ein Werk zu errichten, aber jetzt nach der zweiten von insgesamt fünf geplanten Ausbaustufen vorerst einmal Stopp gesagt, weil sich für uns aktuell nicht abzeichnet, dass wir an dem Standort konkurrenzfähig sind. Wenn wir jetzt Investitionsentscheidungen treffen müssten, gäbe es andere Standorte, die wir vorher prüfen, als weiter in Österreich zu investieren.

Und wie sehen Sie die Zukunft von Pöttinger? 

Die Herausforderung für die Zukunft ist neben den Märkten die Technik. Entwickeln wir unsere Maschinenkonzepte in Richtung Großfläche weiter? Oder sind der technologische Treiber für uns eher autonome, also selbst fahrende Systeme, die mit geringeren Arbeitsbreiten auskommen und den großen Vorteil haben, dass sie Tag und Nacht fahren und deswegen zu ihrer Schlagkraft kommen? Vor allem geht es uns darum, weiterhin einen Teil dazu beizutragen, die Landwirtschaft mit unseren Produkten zu unterstützen und damit die Ernährung der Weltbevölkerung abzusichern.

Gregor Dietachmayr ist Sprecher der Geschäftsführung des Landmaschinenherstellers Pöttinger. Das Familienunternehmen aus Grieskirchen (OÖ) mit Produktionen in Deutschland, Tschechien und Italien ist rund um den Globus tätig und erzielt mit 2200 Beschäftigten einen Jahresumsatz von rund 500 Mill. Euro.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 29. Juli 2025

Donnerstag, 17. Juli 2025

Bauernsterben ist kein Schicksal

Die Zahl der bäuerlichen Betriebe hat sich in 25 Jahren halbiert. „Krisenmodus“ sei dennoch nicht angesagt, sagt Wifo-Agrarexperte Franz Sinabell.

HANS GMEINER

Österreichs Landwirtschaft sei zwar kleinstrukturiert, aber erstaunlich leistungsfähig. Gut 101.000 rein landwirtschaftliche Betriebe gibt es noch in Österreich. Zu Beginn dieses Jahrzehnts waren es noch um knapp 10.000 mehr.

SN: Wenn Zahlen veröffentlicht werden, die einen Rückgang der Zahl der Bauern zeigen, gibt es regelmäßig Aufregung. Vom „Bauernsterben“ ist die Rede, dabei sinkt die Produktion seit Jahren alles in allem nicht. Ist diese Aufregung gerechtfertigt? 

Franz Sinabell: Man muss sich schon Sorgen um die Struktur machen, aber nicht in einen Krisenmodus verfallen. Wir haben in der Lebensmittelindustrie das gleiche Thema wie in der Industrie in Österreich insgesamt – die preisliche Wettbewerbsfähigkeit hat in den vergangenen Jahren abgenommen, wenn sie möglicherweise nicht überhaupt verloren gegangen ist. In den vergangenen fünf Jahrzehnten wurden mehr als 200.000 landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben. Den Strukturwandel gibt es in der Landwirtschaft seit über hundert Jahren, und zwar ausgelöst von der Technologie. Die menschliche Arbeitskraft wurde durch Maschinen, durch Chemikalien, durch Roboter, jetzt zunehmend auch durch künstliche Intelligenz, ersetzt. Eine Folge davon ist, dass die Landwirtschaft immer weniger Ressourcen, Arbeit und Boden braucht, um Agrargüter zu erzeugen. Dadurch sinken die Preise und Konsumenten haben einen Vorteil davon, weil sie relativ weniger für das Essen ausgeben.

Das ist schlecht, oder nicht?

Das ist nicht schlecht, weil die Leute selbst entscheiden, ob sie in der Landwirtschaft bleiben oder nicht. Es ist nicht der Staat, der sagt, der Betrieb hat keine Zukunft, mach was anders. Betriebe werden aufgegeben, weil es andere Möglichkeiten gibt. Man kann außerhalb der Landwirtschaft oft ein besseres Einkommen haben, und das bequemer. 

Aber gefährdet der Strukturwandel nicht die Versorgung? 

In der Vergangenheit wurde jede Randfläche, jeder Straßengraben beweidet. Heute wird dieser Aufwuchs im besten Fall in einer Biogasanlage verwertet. Das gefährdet unsere Versorgung bisher nicht. In größeren Strukturen können auch die Felder größer werden, weil Elemente wie Raine und Zufahrtswege wegfallen. Das sieht man, wenn man aus der Luft die Felder in der Slowakei und im Weinviertel vergleicht. Immer weniger hochspezialisierte Menschen in der Landwirtschaft versorgen mehr Menschen, die damit gar nichts mehr zu tun haben. Das gefährdet die Versorgung nicht. Aber es verringert die Resilienz, die Widerstandskraft in schwierigen Situationen.

Muss man sich Sorgen wegen der Entsiedelung von Regionen machen?

Ich sehe das eher entspannt, die Alternative ist, zu sagen: Okay, der Lebensraum eignet sich nicht mehr für die Besiedelung und daher ziehen wir uns daraus zurück. Das ist vor allem im alpinen Bereich zu beobachten. Für diejenigen, die dort leben und wirtschaftliches Vermögen haben, entsteht natürlich ein wirtschaftlicher Schaden. Sie müssen Nachteile hinnehmen. Es kann aber auch Sinn ergeben, weil sich Unternehmen, auch landwirtschaftliche, dann an günstigeren Standorten ansiedeln und dort auch produktiver sein können. Und es kann der Umwelt nutzen, denn es hat ja auch Vorteile, wenn Kohlenstoff in Wäldern gespeichert wird.

Wann gibt ein Landwirt den Betrieb auf? 

Es gibt kaum je den einen Grund. Stellen wir uns umgekehrt die Frage: Warum wird jemand Bauer oder Bäuerin? Es spielen viele Gründe zusammen und so ist es auch bei der Aufgabe eines Betriebs. In der Landwirtschaft in Österreich sind die Eigentümer in den meisten Fällen auch die Bewirtschafter und es gibt kaum Betriebe, die, wie in anderen Branchen üblich, in Konkurs gehen. Meistens ist es so, dass die Betriebe zunächst einmal verpachtet werden. Irgendwann werden die Felder und Wiesen und auch die Gebäude dann vielleicht veräußert.

Welche Rolle spielen die Preise für Agrargüter, die häufig ins Treffen geführt werden? 

Produktive Betriebe sind in der Lage, zum aktuellen Preisverhältnis von Agrargütern und Vorleistungen ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, ohne dass die Substanz des Betriebs abnimmt. Schafft man es nicht, unter den gegebenen Preisverhältnissen Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen zu finanzieren, dann muss man beginnen, sich über eine Umstrukturierung des Betriebs Gedanken zu machen. Geht man etwa in die Direktvermarktung, die Verarbeitung eigener Produkte, dann kann es gelingen, sich vom starken Preisdruck etwas abzuheben. Dafür ist man anderen Zwängen ausgesetzt. Die Frage ist, mit welchen man am besten zurechtkommt.

Welche Bedeutung hat die Betriebsgröße beim Strukturwandel? 

Österreichs Landwirtschaft gilt ja als sehr kleinstrukturiert. Im EU-Vergleich ist Österreich gar nicht so besonders kleinstrukturiert. Nur wenn man sich die unmittelbaren Nachbarländer im Norden und Osten ansieht, wundert man sich, dass unsere Betriebe überhaupt konkurrenzfähig sind. Faktoren wie die hohe Eigenflächenausstattung, die Beschäftigung von Familienarbeitskräften und die Möglichkeit zu Erwerbskombinationen zählen zu den Stärken der heimischen Landwirtschaft. Die Agrarförderungen darf man dabei auch nicht vergessen. Bei uns dominieren Familienbetriebe, die jeweils einen Betrieb bewirtschaften. International sieht man aber zunehmend Unternehmen, die im Besitz von mehreren verschiedenen Betrieben sind, die zwar groß, aber nicht beliebig groß sein können. In Europa und besonders in Österreich sehe ich derzeit noch keinen großen Trend, dass Familien von Kapitalgesellschaften abgelöst werden.

Gibt es auch regionale Unterschiede? 

Ja. Der Strukturwandel ist sehr viel größer in Gegenden, in denen man es gar nicht erwartet. Zum Beispiel in Niederösterreich in Ackerbau-Gunstlagen. Im Berggebiet mit den ungünstigen Produktionsbedingungen hingegen ist er oft deutlich langsamer. Der Grund ist, dass in diesen Regionen die Möglichkeit für Erwerbskombinationen etwa durch Urlaub am Bauernhof oft günstig ist und man oft weniger Alternativen hat, Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft zu finden. In zentraleren Regionen, in der Nähe von Städten wie eben in Niederösterreich, ist es daher oft viel leichter, aus dem Agrarsektor auszusteigen, weil man bessere Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Branchen hat.

Welche Rolle spielt die unternehmerische Leistung der Bauern? 

Verlassen sie sich zu sehr auf die Förderungen und ist die Forderung nach besseren Preisen die einzige Idee? Jeder Betrieb entwickelt heute nach Möglichkeit seine eigenen Strategien. Das sind in Österreich oft Erwerbskombinationen oder die Spezialisierung auf einen Betriebszweig oder Produktspezialitäten. Es gibt sehr viele gut ausgebildete Bäuerinnen und Bauern mit sehr klaren Vorstellungen, wie sie die Ressourcen, die sie haben, nutzen können. Das können auch sehr kleine Betriebe sein, wenn es gelingt, eine Marke aufzubauen, wenn man Spezialitäten erzeugt und wenn man Arbeitskräfte verfügbar hat. Betriebe, die immer das Gleiche machen, sind jene, die durch die hohen Kapitalkosten gezwungen sind, eine einmal getroffene Entscheidung zur Spezialisierung auf einen speziellen Betriebszweig aufrechtzuerhalten.

Von der Politik wird verlangt, dass man den Strukturwandel möglichst bremst, wenn nicht sogar stoppt. Geht das? 

In Österreich wird keine aktive Strukturpolitik gemacht. Weder mit dem Ziel, zu selektieren und Betriebe größer zu machen, noch, wie etwa in den Niederlanden üblich, Anreize zu schaffen, dass Betriebe aussteigen, noch, wie in Frankreich, Nebenerwerbsbetriebe bei Investitionsförderungen nicht mehr zu berücksichtigen. Bei uns wird jeder Betrieb im Wesentlichen gleich behandelt und Investitionsförderungen bekommen auch Betriebe in Berggebieten, um kleine Ställe erweitern zu können.

Was sind eigentlich starke Strukturen? 

Es gibt immer diese Vergleiche der Tierbestände und Hektar pro Betrieb. Österreich liegt da immer ganz weit hinten. Das allein macht keine starken Strukturen aus. Dazu gehören Landtechnikbetriebe und Mechaniker, die die Maschinen am Laufen halten und da sind, wenn irgendwas kaputt ist. Es muss Landesproduktenhändler geben, die Dünger und Saatgut bereitstellen. Und es muss Abnehmer für die Agrargüter geben, starke Verarbeiter. Und da hat Österreich große Vorteile.

Wie ist die Struktur der österreichischen Landwirtschaft im europäischen Vergleich zu beurteilen? 

In Österreich ist es so, dass von der Umweltgesetzgebung viel weniger Druck auf die Landwirtschaft ausgeht als in anderen Ländern, wenn man etwa an die Niederlande, Dänemark oder auch Deutschland denkt. Österreich hat weniger Anpassungsdruck, weil man es gar nicht so weit kommen ließ wie dort. Also haben wir in diesem Bereich grundsätzlich gute Voraussetzungen.


Franz Sinabell ist Ökonom am Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) und Lektor an der Universität für Bodenkultur.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 17. Juli 2025

Land der Möglichkeiten

"Soziale Mobilität in Österreich ist vergleichsweise gering", heißt es regelmäßig. Auch "Einkommen, Beruf und Bildung werden maßgeblich vom sozialen Status der Eltern bestimmt". Oder "In welche Familie man hineingeboren wird, prägt in großem Ausmaß die künftigen Lebensund Einkommenschancen". Kurzum, sozialer Aufstieg erweist sich als schwieriges, wenn nicht unmögliches Unterfangen - wie eine Leiter ohne Sprossen. Man kennt diese Sätze. Sie gehören zum Standardrepertoire gesellschaftlicher Betrachtungen in Österreich. Sie sind kaum zu leugnen und wohl eine der ewigen Herausforderungen in diesem Land. Frauen sind besonders betroffen, Migranten auch. Man erlebt es immer wieder, man hört davon. Und man muss ernst nehmen, wenn Österreich in einschlägigen Vergleichen mit anderen Ländern schlecht abschneidet.

Zur Wirklichkeit passen diese Sätze, Einschätzungen und Untersuchungsergebnisse freilich nicht immer. Schon gar nicht in der Totalität, in der sie gerne daherkommen. Es gibt vielleicht diese gläserne Decke, von der so oft die Rede ist, wirklich. Aber sie ist durchaus durchlässig. "In Österreich lebt der 'American Dream'", betitelte unlängst "Die Presse" eine Meldung über eine Studie von Wissenschaftlern der Uni Wien und der Linzer JKU zum Thema soziale Mobilität. Der wirtschaftliche Erfolg eines Kindes wird ihr zufolge, anders als Bildung, nur minimal vom Elternhaus beeinflusst. "Die Ergebnisse sind bemerkenswert", wird einer der Studienautoren zitiert.

Und sie sind es tatsächlich. Denn dieser Studie zufolge ist der Zusammenhang zwischen dem Einkommen der Eltern und dem der Kinder in Österreich im internationalen Vergleich außergewöhnlich niedrig. Deutlich niedriger jedenfalls als im gerne als Vorbild zitierten Dänemark und deutlich besser als in den USA, wo über Generationen der "American Dream" Vorbild und Ziel von Millionen Auswanderern war.

Kurzum -die soziale Mobilität in Österreich ist viel stärker ausgeprägt als bisher angenommen. Da ist Österreich also durchaus etwas gelungen.

Beispiele dafür gibt es reichlich. Didi Mateschitz gehört dazu oder auch Sigi Wolf und viele andere auch. In den vergangenen Jahren zeigten viele, was man in Österreich aus sich machen kann -mit dem nötigen Ehrgeiz, dem nötigen Eifer, dem nötigen Rückhalt, guten Ideen und klaren Zielen. Und natürlich mit viel Glück, muss man hinzufügen, denn das braucht es wohl immer, gleich aus welchem Elternhaus man kommt.

In Führungspositionen in Konzernen und Unternehmen findet man heute überwiegend Menschen, die nicht mit goldenen Löffeln gefüttert wurden, sondern häufig Leute, die aus einfachen Verhältnissen stammen, deren Eltern Lehrer waren, Angestellte, Beamte, Handwerker auch und nicht selten Arbeiter. Sehr oft auch waren sie einfache Bauern. Heute sind deren Nachkommen Anwälte, Notare und Richter oder Spitzenbeamte, leiten Abteilungen in Behörden und Unternehmungen, haben Firmen oder sitzen in den Chefetagen von Konzernen oder an den Schalthebeln der großen Politik.

Mitunter ist es beeindruckend, wozu es diese Leute gebracht haben. Auch wenn sie zuweilen scheitern, wie Stefan Pierer, oder auf Abwege geraten, wie Rene Benko. Aber all diese Karrieren, die Erfolgreichen wie die Gescheiterten, sind in Österreich möglich. Auch wenn die Eltern am Fließband standen, in Schulklassen oder in Ställen und auf Feldern.

Das ist nicht geringzuschätzen. Denn umgekehrt zeigt sich immer wieder, dass es mit einer vollen Hose gar nicht so leicht ist zu "stinken", wie der Volksmund gerne meint. Legion sind die vorgeblich höheren Söhne und Töchter, die es wirtschaftlich zu nichts gebracht haben, die sich schwertun in der Arbeitswelt und die sich selbst kaum erhalten können.

In allen Fällen ist meist auch der Einfluss, das Vorbild der Eltern, nicht zu übersehen. Im Positiven wie im Negativen. Ein wenig beachteter Grund dafür, dass man bei uns fehlende soziale Durchlässigkeit beklagt, liegt wohl auch darin, dass nicht wenige Eltern, auch solche, denen es leicht fallen würde, gar nicht wollen, dass sich ihre Kinder um das bemühen, was als sozialer Aufstieg gilt. Während die einen gar nicht wollen, dass das Kind etwas studiert, denken die anderen gar nicht daran, dass etwas anderes als Studieren eine Möglichkeit sein könnte.

Sie sollten vielleicht ihre Meinung ändern. Denn auch, wenn man es oft nicht glauben mag - Österreich ist allem zum Trotz ein Land der Möglichkeiten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Juli 2025

Donnerstag, 3. Juli 2025

Alle reden mit - über alles

Den Präsidenten der Landwirtschaftskammer Österreich, ansonsten alemannische Gelassenheit und Ruhe in Person, bringt dann und wann doch etwas aus der Fassung. "Spendensammel-Umfragen unter Ahnungslosen zu zentralen Landwirtschaftsthemen dürfen keine Entscheidungsgrundlage sein", poltert er dann, wenn ihm die Begehrlichkeiten von NGOs und Zurufe von außen gar zu viel werden. Die Landwirtschaft ist dabei so etwas wie das Paradeopfer. Wie kaum eine andere Branche müssen sich die Bauern mit Vorhaltungen von NGOs und allerlei anderen Gruppen auseinandersetzen, die nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, meist nicht über das nötige Fachwissen verfügen, sondern sich einfach herausnehmen, Diskussionen anzuzetteln und dabei gerne auf Umfragen verweisen. Und das, obwohl man in dieser Welt, von der man mitunter so viel fordert, keine Verantwortung zu tragen hat, davon oft gar nicht betroffen ist und nicht davon leben muss. Aber heute hat jeder eine Meinung zu allem und scheut sich kaum mehr, ob dafür qualifiziert oder nicht, diese hinauszuposaunen und auch noch zu verlangen, dass sie berücksichtigt wird -zumal dann, wenn sie wirtschaftlich oder politisch in die entsprechenden Kanäle geleitet wird. Von Respekt ist da nur selten etwas zu spüren.

Mitunter scheint jeder zu glauben, überall mitreden zu können. Obwohl er oder sie noch nie in einem Stall war, noch nie Verantwortung für Tiere oder Feldfrüchte hatte, so etwas wie den Wolf nur aus dem Märchenbuch kennt und für die ein Bär so etwas ist wie Winnie Pooh. Und alle spielen mit. "Der gute Wolf: 83 Prozent sehen kein Problem", posaunen die Zeitungen hinaus, was ihnen NGOs vorsagen. Wie es den Bauern geht, welche Bemühungen es von Seiten der Landwirtschaft gibt und was man sonst alles versucht, spielt keine Rolle. Das Urteil steht fest. "Drei von vier Österreicher:innen denken anders als Minister Totschnig."

Bei anderen Themen, die die Landwirtschaft betreffen, ist es nicht anders. Alle reden mit - und das mit inbrünstiger Überzeugung. "Bevölkerung will raus aus der Massentierhaltung", brachten Umfragen als Ergebnis. Und: "Überwältigende Mehrheit missbilligt Methoden der konventionellen Landwirtschaft." Diese Tonart ist Regel geworden. Alles besser wissen, überall dreinreden und immer das Maximum wollen. Ohne Kompromisse.

Wo die Landwirtschaft wirklich steht, welche Bemühungen es gibt und welche Hürden -keine Rede davon. Schon gar nicht davon, dass es dann das Schnitzel nicht um ein paar wenige Cent gäbe. Den Vogel schoss der Umweltdachverband ab, der erhob, dass "90 Prozent der Befragten es für wichtig halten, dass Landwirt:innen Maßnahmen ergreifen, um ihre Tiere vor natürlichen Risiken wie Unwettern, Unfällen, Krankheiten oder Übergriffen von großen Beutegreifern zu schützen". Ganz so, als ob die "Landwirt:innen" das nicht täten.

An diesem Muster, das nicht wenige für ein Geschäftsmodell von NGOs und anderen Gruppierungen bis hinein in die Welt der politischen Parteien halten, leiden auch viele andere Bereiche. Bei Straßenprojekten reden nicht nur Betroffene mit, wenn es darum geht, sie zu verhindern, sondern Hinz und Kunz, wo immer sie wohnen. Bei Bahn-Projekten ist es nicht anders. Und bei vielen anderen Themen auch nicht.

Längst geht es nicht mehr darum, politische Einstellungen abzufragen. Mit Umfragen Politik zu machen, ist Usus geworden. Damit zu täuschen auch. Unvergessen die EU-Umfrage zur Zeitumstellung, bei der sich 80 Prozent der Teilnehmer für eine ganzjährige Umstellung auf Sommerzeit ausgesprochen haben. "Mehrheit will Zeitumstellung abschaffen", wurde damals geschrieben. Davon, dass nur 4,6 Millionen von mehr als 450 Millionen EU-Einwohnern daran teilgenommen haben, war keine Rede. Und dennoch hat nicht viel gefehlt, dass die Zeit wirklich umgestellt worden wäre.

Die, man mag es "Umfragokratie" nennen, ist längst zu einer Gefahr geworden. Umfragen dienen kaum mehr der Meinungsfindung, sondern sind zu einem politischen Instrument und auch wirtschaftlichen geworden -und damit zu einer Gefahr für die Demokratie, aber auch, siehe Landwirtschaft, für die Wirtschaft. Sie werden nach Gutdünken für Ziele eingesetzt, die oft kaum erkennbar sind. Regeln gibt es nicht. Und auch keine Transparenz. Und damit ist für alles und jedes die Tür offen. Nur nicht nur für die, gegen die sie eingesetzt werden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Juli 2025

Donnerstag, 26. Juni 2025

Aber ansonsten geht's uns gut

Wien ist nicht mehr die lebenswertste Stadt der Welt. Nach drei Jahren an der Spitze wurde unsere Bundeshauptstadt von Kopenhagen abgelöst und muss sich mit Zürich nun den zweiten Rang teilen. Auch unsere Badegewässer sind, wiewohl immer noch sehr sauber, nicht mehr die allersaubersten. Aber es ist ja schon auch beim Skifahren im Winter nicht ganz so toll gelaufen und unsere Fußball-Nationalmannschaft hat schon geschwächelt, wenn es nicht gerade gegen San Marino ging.

Das alles sind Petitessen und freilich nicht überzubewerten. Aber sie fügen sich in die Entwicklung des Landes, das sich über Jahrzehnte für eine vom damaligen Papst höchstpersönlich ernannte "Insel der Seligen" hielt, das nun seit geraumer Zeit in vielen internationalen Rankings und Vergleichen stetig abrutscht, ohne dieser Entwicklung viel entgegenzusetzen zu haben und entgegenzusetzen zu wollen. Wir zählen inzwischen beim Wirtschaftswachstum, so man das überhaupt so nennen darf, zu den Schlusslichtern in Europa. Wir haben ein riesiges Budget-Defizit und ein EU-Verfahren am Hals. Bei der Produktivität hinken wir nach. Was nicht verwundert, sind doch kaum sonst wo in Europa und auf der Welt die Arbeitskosten so hoch und die Löhne dazu, während die österreichische Industrie, einst Stolz des Landes, mitunter nur mehr ein Schatten ihrer selbst ist und deutlich hinter Ländern wie Polen, Spanien, Frankreich, Slowakei und selbst dem maroden Deutschland hinterherhinkt.

Aber wen kümmert's, stehen wir doch bei den Sozialausgaben überhaupt an der Spitze. Und jetzt heißt es nun auch noch "Österreich -Hotspot der Erderhitzung", weil es kaum wo auf der Welt und schon gar nicht in Europa in den vergangenen Jahren wärmer geworden ist als bei uns. "Im Schnitt ist es 3,1 Grad Celsius wärmer im Vergleich zum vorindustriellen Schnitt -Tendenz steigend", schreiben die Zeitungen, echauffiert nicht nur der Wärme wegen, sondern auch vom Ergebnis des jüngst präsentierten Klimaberichtes.

Und da ist dann noch Graz. Aber ansonsten geht's uns gut. Irgendwie halt. Das Linzer Market-Institut erhob jüngst für den "Standard", dass gut ein Drittel der Bevölkerung die Lebenschancen in Österreich für besser hält als in anderen EU-Staaten und weitere 44 Prozent für zumindest gleich gut. Immerhin und trotz der schrägen Lage. Freilich -"2012 sagten noch 61 Prozent, also etwa doppelt so viele wie heute, dass man in Österreich bessere Lebenschancen hätte als anderswo in der EU", schreibt der "Standard".

Aber was soll's? Gut, nach dem Amoklauf von Graz hat man in der Vorwoche mit einer Verschärfung des Waffengesetzes und anderen Maßnahmen für österreichische Verhältnisse sehr rasch reagiert. Aber sonst? Aufs Tempo drückt man nicht wirklich, um aus der Malaise zu kommen. Auch nicht die neue Regierung, die ja gar nicht mehr so neu ist. Dabei drängt die Zeit eigentlich, sich endlich am Riemen zu reißen, aus der Lethargie herauszukommen, die Bequemlichkeit abzuschütteln und so etwas wie eine Aufbruchstimmung zu erzeugen, die sich über Gewohntes und Eingefahrenes hinwegsetzt, Schwung und Druck erzeugt und Zuversicht -Ärmel aufkrempeln, statt Kopf in den Sand stecken und sich in den Bunkern überkommener Argumentations-Arsenale zu verbarrikadieren und sich bräsiger Behäbigkeit und starrköpfiger Beharrlichkeit hinzugeben.

Doch wie schafft man das? Wie zieht man die Menschen mit? Möglichst die gesamte Gesellschaft oder zumindest einen Großteil davon? Wie erzeugt man Verständnis dafür und für Maßnahmen, die nötig sind? Wie kann erreicht werden, dass sich die Leute am Riemen reißen und sich nicht nur in Selbstmitleid ergehen und in den alten Eigenschaften, die das Land in den letzten Jahren zu dem gemacht haben, zu dem es geworden ist?

Vielleicht könnte ein Anfang sein, sich nicht gegenseitig bei allem und jedem, das nicht läuft, wie es laufen sollte, die Verantwortung gegenseitig in die Schuhe zu schieben. Und vielleicht könnte ein Anfang sein, sich nicht hauptsächlich auf die Außenwirkung des eigenen Tuns zu konzentrieren, sondern darauf, Lösungen auf den Weg und dorthin weiterzubringen. Gemeinsam mit den anderen und nicht gegen sie.

Das freilich gilt nicht nur für die Politik, auf die man die Verantwortung dafür gerne abschiebt. Das gilt auch für jeden und jede.

Zu befürchten steht freilich - in beiderlei Hinsicht handelt es sich nicht um mehr als um einen frommen Wunsch.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 26. Juni 2025

Mittwoch, 18. Juni 2025

Nicht nur der Amokläufer lief Amok

"Na und? Bei mir ist jeden Tag Amoklauf?" stand da auf Twitter. Oder "Im russischen Kernland knallt es auch öfter mal, dann ist der ganze Wohnblock weg oder die Familie ausgelöscht - und?" Oder "Das Blut aller 11 Opfer klebt, unabhängig vom Tatmotiv, im gleichen Maß auch an den Händen der Pro-EU-Politiker." Oder "Hier hört man die Schüsse in der Grazer Schule. Das Video wurde in einem Klassenzimmer gefilmt." Oder "Ist das wieder so ein Transgender?" Oder "Warum wird beim Gottesdienst nur den islamischen Opfern Anteilnahme erwiesen? Sind die anderen nichts wert? Dieser salbungsvolle Gottesdienst ist unerträglich".

Was ist in den Köpfen solcher Menschen los? Was da in der vergangenen Woche nach dem Amoklauf in Graz auf Twitter und in anderen Sozialen Medien, aber auch in den Foren von Zeitungen zu lesen war, war nicht nur in der Quantität unerträglich, sondern vor allem auch inhaltlich bestürzend. Man mag sich nicht vorstellen, dass Leute, die so etwas von sich geben, die so denken, so urteilen und solche Schlüsse ziehen, vielleicht in der Umgebung wohnen. Dass sie im Supermarkt vor einem an der Kassa stehen oder im Wartezimmer beim Arzt neben einem sitzen. Freundlich vielleicht und nett sogar, unscheinbar und durch nichts zu erkennen, was in ihren Köpfen los ist. Man mag es nicht fassen. Man ist erschrocken und man ist verwundert. Vor allem aber mag man es nicht glauben.

Aber es ist wohl so. Im Schutz der Anonymität haben immer öfter Menschen keinerlei Hemmungen mehr, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Offen zu sagen, was sich in ihren Köpfen wirklich abspielt, was sie denken, und dass sie fordern und was ihrer Meinung nach getan werden müsste.

Als Österreicherin respektive Österreicher ist man einiges gewohnt und man hat gelernt, dass viele der Landsleute auf doppeltem Boden leben und sich in der Öffentlichkeit ganz anders darstellen, als sie wirklich sind. Aber Graz hat wohl auch in dieser Hinsicht eine neue Dimension aufgezeigt. So viel unverhohlener und ungenierter Hass, und so viel unverhohlene Dummheit auch, hat sich bisher noch nie in der Öffentlichkeit dargestellt. Auch nicht in schlimmsten Corona-Zeiten.

Das kann einem Angst machen. Immer mehr Menschen, die selbst in extremen Situationen zu keiner Empathie mehr fähig sind, sondern nur zu Hass, Bosheit, Rechthaberei und Verachtung. Die jede Auseinandersetzung verweigern und keinerlei Argumente mehr akzeptieren. Die immer öfter für nichts und niemanden mehr erreichbar sind und in ihrer eigenen Welt leben. In einer Welt, zu der auch die Möglichkeit gehört, für andere zur Bedrohung zu werden. So wie der Amokschütze von Graz.

Aber längst ist das nicht mehr das Problem Einzelner, sondern der Gesellschaft. In einem Interview mit den Salzburger Nachrichten spricht die Psychotherapeutin Martin Leibovici-Mühlberger von der "individualistischsten" Welt aller Zeiten und bezeichnet diese Gesellschaft als "von großer Verwirrung geprägt". Die Krisen und Gefahren rundherum drückten die Stimmung in der Gesellschaft, führten zu Instabilität, Angst und Rachegelüsten. "Zudem demontieren wir mit der Hyperindividualisierung, in der das Ich dominiert, die Gemeinschaft." Für sie ist das eine "vielfältig fatale Entwicklung".

Dass es so weit kommen konnte, hat auch mit einer zunehmend Verantwortungslosigkeit in der Politik zu tun, die sich von billigem Populismus treiben ließ und den Menschen oft nicht mehr bieten kann als leere Versprechungen. Sie hat aber auch mit oft verantwortungslosen Medien zu tun, denen um der Quoten und Verkaufszahlen willen nichts zu billig und auch nichts zu blöd ist. Und das hat auch damit zu tun, dass der Gesellschaft der Kompass abhanden gekommen ist, zu dem früher die Kirchen gehört haben, aber auch Universitäten, Schulen, Unternehmen und viele andere Einrichtungen. Ihr Einfluss ist verschwunden, untergegangen oft im billigen Zeitgeist und kaum mehr verteidigt, schon gar nicht mit Erfolg.

Nach dem, was das Land in der Vorwoche erleben musste, kann man die Zuversicht verlieren. Man muss aber nicht. Denn die vergangene Woche zeigte auch bei allem Leid sehr viel Positives. "Wir sind stärker", hieß es bei der Gedenkfeier in Graz. Es wurde auch sehr viel richtig gemacht. Von den Sicherheitskräften angefangen, über die Hilfsorganisationen, den Bundespräsidenten, bis hin zum Schuladministrator -und den vielen, vielen Menschen, die ihre Betroffenheit und ihre Empathie zeigten. Auch in den Sozialen Medien.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. Juni 2025

Samstag, 14. Juni 2025

Deutscher Verband angelt nach Österreichs Biobauern

Der deutsche Bioverband Naturland, in der Szene ein internationaler „Multi“, greift nach Österreichs Biolandbau. Bio Austria wehrt sich nach Kräften.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Nachdem sich der Markt nach den Rückgängen der vergangenen Jahre wieder gefangen hat und die Absatzzahlen zulegen, herrscht neuerlich Aufregung in der heimischen Bioszene. Seit vergangenem Herbst wirbt der deutsche Biobauernverband Naturland, erst jüngst im Zusammenhang mit einem Verdacht auf einen Bioetikettenschwindel in die Schlagzeilen geraten, unter Österreichs Biobauern um Mitglieder. Nach den Milchlieferanten geht es jetzt vor allem um Erzeuger von Biogetreide.

Es gebe zahlreiche Anfragen, sagt der für Österreich zuständige Josef Brunnbauer von Naturland. Zwei Versprechen stehen dabei im Zentrum: Man biete als Partner von Rewe und Aldi Zutritt zu einem nicht unbedeutenden Teil des deutschen Markts. Und: Naturland sei ein Verband „in dem noch Bäuerinnen und Bauern selbst Richtlinien machen und bestimmen, was hochwertiges Bio ist, und nicht der Handel“. Damit nicht genug, will man die Biobauern auch politisch vertreten. „Wir wollen uns politisch einbringen“, bestätigt Brunnbauer und verweist auf einen „Austausch mit allen relevanten Akteuren“ vom Agrarministerium über die Landwirtschaftskammern bis hin zum Bauernbund, mit dem man sich „schon jetzt“ abstimme. Ob die Bemühungen Erfolg haben, ist offen. Es gibt auch heftigen Gegenwind.

So warnt Franz Waldenberger, Bauernkammerpräsident in Oberösterreich, davor, dass Biorichtlinien für Österreich künftig in Deutschland gemacht werden. „Bei Naturland dürften primär Geschäftsinteressen und nicht jene der heimischen Bauern im Mittelpunkt stehen“, mutmaßt er. Immerhin gilt Naturland, das nach eigenen Angaben weltweit mit 128.000 Bauern und 1500 Handelsunternehmen und Verarbeitern zusammenarbeitet, international als einer der größten Biozertifizierer.

Die heimischen Bauern zeigen sich zurückhaltend. Seit ein Gutteil der Lieferanten der SalzburgMilch und von Woerle und im Vorjahr einige Lieferanten der Berglandmilch zu Naturland wechselten, weil die Molkereien das verlangten, um deutsche Kunden nicht zu verlieren, ist die Zahl der Naturland-Mitglieder in Österreich stabil bei rund 2300. Gut die Hälfte entfällt auf Salzburg. Dass diese Zahl derzeit nicht mehr wächst, hat auch damit zu tun, dass in Deutschland der Biomarkt wieder boomt und der Handel auf spezifische Verbandszertifizierungen wie von Naturland weniger Wert legt, wenn man Bioware denn nur bekommt. Das bestätigen auch Barbara Riegler und Susanne Maier, Obfrau von Bio Austria, dem größten heimischen Biobauernverband, die eine und Geschäftsführerin die andere. „Das hat Druck rausgenommen.“

Riegler und Maier üben sich daher in Gelassenheit, obwohl nicht wenige die Naturland-Aktivitäten in Österreich als Angriff auf Bio Austria sehen. Dem Verband gehören mehr als die Hälfte der 25.000 Biobauern an. „Wir sind ja kein Bio-Entwicklungsland, das auf die Deutschen gewartet hat“, sagen Riegler und Maier. Vielmehr komme Naturland aus einem Land, in dem es „viel mehr Handlungsbedarf als bei uns“ gäbe. Denn während in Österreich 25 Prozent der Höfe und 30 Prozent der Flächen biologisch bewirtschaftet würden, seien es in Deutschland keine zehn Prozent. Zudem habe Bio Austria in Österreich 13.000 bäuerliche Mitgliedsbetriebe und Naturland in Deutschland keine 5000, deutlich weniger als Bioland, der größte deutsche Biobauernverband. Man biete zudem umfassende, auch fachliche Beratung und arbeite zu deutlich niedrigeren Kosten. „Und da kommt jetzt ein Neuer daher, der glaubt, er müsse alles revolutionieren.“ Sie fürchten vor allem um die österreichische Bioqualität, denn die Naturland-Zertifizierung gelte international und mache damit Bioware austauschbar. „Herkunft und Regionalität spielen da keine Rolle.“

Bei Bio Austria spricht man von einer „Konkurrenzsituation“. In Salzburg ist sie am augenscheinlichsten. Dort steht der Landesverband von Bio Austria längst auch unter wirtschaftlichem Druck. Als Bedrohung wollen Riegler und Maier die Naturland-Pläne dennoch nicht sehen. Auch nicht, dass zwischen Hofer und der Naturland Zeichen GmbH Gespräche wegen einer Naturland-Zertifizierung laufen. Sie verweisen darauf, dass die Kosten für die Bauern bei Naturland deutlich höher sind als bei Bio Austria und zitieren nicht ohne Häme aus einem Naturland-Papier den Satz „Die Naturland-zertifizierten Molkereien in Österreich zahlen ihren Lieferanten spezielle Zuschläge, um die Mehrkosten der Naturland-Zertifizierung auszugleichen“, was im Klartext nichts anderes heiße, als dass der höhere Preis nicht in den Taschen der Bauern, sondern in jenen von Naturland lande. Abgesehen davon, dass ein Großteil der Naturland-Milch auf dem heimischen Markt bleibe und dafür oft weniger gezahlt werde.

Trotz der angespannten Situation ist die Gesprächsbasis zwischen Bio Austria und Naturland noch intakt. Man wolle „konstruktiv“ zusammenarbeiten, sagt Brunnbauer. Mit dem Wunsch nach gegenseitiger Anerkennung der Richtlinien, die Bürokratie und Kosten ersparen würde, beißt Bio Austria aber trotz gegensätzlicher Absichtserklärungen von Naturland auf Granit. Einigung gibt es keine. Auf mehr als Doppelmitgliedschaften konnte man sich bisher nicht verständigen. „Naturland gibt mit einer Zertifizierung ein Qualitätsversprechen, das auch viele zusätzliche Tierwohlkontrollen, Sozialstandards und ein starkes System der Qualitätssicherung umfasst“, sagt Brunnbauer.

Bei Bio Austria hält man das für überheblich. „So geht man nicht miteinander um“, sagt Riegler. „Im Prinzip haben wir bis auf wenige Ausnahmen komplett ähnliche Richtlinien.“ Genau das versucht Bio Austria nun deutlicher darzustellen. Gemeinsam mit den großen deutschen Verbänden wie Bioland, Biokreis oder Demeter arbeitet man an einer Allianz zur gegenseitigen Anerkennung der Richtlinien.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 14. Juni 2025

Donnerstag, 12. Juni 2025

Pflichterfüllung in einem ermatteten Land

Am Dienstag dieser Woche war die Regierung 100 Tage im Amt. Aber auch nicht viel mehr. Man scheint immer noch froh zu sein, dass man sich hat. Und auch dass man sie hat und dass das Land Kickl entkommen ist. Das genügt, so scheint es, wohl fürs Erste. Über allen scheint eine Müdigkeit zu liegen und man will jetzt allerorten einmal einfach Großzügigkeit und Ruhe walten lassen. Die spitzen Federn scheinen verräumt zu sein. Die Daueraufgeregtheit hat Pause. Keine Kritik, keine Diskussion, kein Streit gar. "Gepflegte Langeweile", wie eine Beobachterin empfindet. Man habe fast vergessen, wie angenehm normales Regieren sein könne.

Das alles hat etwas für sich. Man kann finden, dass das gut tut. Durchaus. Es tun sich sogar die Freiheitlichen schwer damit, für Wirbel zu sorgen. Und die Grünen auch, die jetzt wieder in alten Mustern und unter neuer Führung ihr Heil zu finden suchen. Sie werden gehört. Das ja. Aber sie regen nicht mehr auf. Derzeit jedenfalls nicht.

Das Land will, so scheint es, offenbar jetzt einmal Ruhe. Man ist erschöpft von den vergangenen Jahren und ihren Zumutungen, Aufregungen und Aufgeregtheiten. Man ist müde, über Politik zu streiten, man lässt geschehen. Aber langsam ist doch zu fragen, ob man damit zufrieden sein kann? Ob das wirklich gut ist? Oder ob es nicht doch ein schlechtes Zeichen ist? Und -ob es uns, ob es dem Land etwas nutzen wird?

Über die Performance der Dreierkoalition wird, gleichsam passend zur Befindenslage, wenig geredet. Und wenn geredet wird, ist man doch milde gestimmt und um Unaufgeregtheit bemüht. Auf allen Seiten. Von einem "überraschend harmonischen Zweckbündnis" schreiben Zeitungen. "Man hat zumindest einmal die Pflicht hinbekommen in den ersten 100 Tagen", sagt der Analyst im Fernsehen, der Wirtschaftsprofessor fügt mit Blick auf den Budgetpfad, auf den man sich einigte, an: "Was bis jetzt gemacht wurde, ist wertzuschätzen", und eine Zeitung fasst zusammen, was Stimmung und Lage wohl am besten trifft - "Die ersten 100 Tage überstanden". Das ist nicht nichts.

Man schläft nicht. Das nicht. Man ist damit beschäftigt, die Hinterlassenschaften der Politik der vergangenen Jahre auszuräumen und in den Griff zu bekommen (Stichwort: Sparpaket) und zumindest das eine oder andere Wahlversprechen umzusetzen -vom Mietpreisdeckel, dem Aus für die Bildungskarenz, Handyverbot in Schulen bis hin zu den dichteren Grenzen und Beschränkung des Familiennachzugs bei Migranten.

Das mag man für gut und richtig finden, aber das sind nicht mehr als Fingerübungen gegenüber dem, was wirklich notwendig ist. Etwas, was allenfalls repariert, aber sicher nicht das, was dem Land eine neue Richtung gibt und ein Ziel, oder gar etwas, was für den nötigen Schub für die kommenden Jahre sorgt.

Bewegung schaut anders aus. Jedenfalls nicht wie ein Aufbruch, auf den man nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in vielen anderen Bereichen wartet. Danach ist die Stimmung jedenfalls nicht. Warum auch, mag man fragen, wo doch jetzt erst einmal alle mit der Ruhe zufrieden sind.

Das Dösen im Land spiegelt sich auch in den Umfragen wider. Keine Ausreißer nach oben oder unten. Keine Veränderungen. Stillstand. Alles wie gehabt. Immerhin, kann man dazu sagen. Die Meinungsforschung verortet angesichts der jüngsten Umfragedaten die Zustimmung zur Regierungsarbeit als "mäßig". Die politischen Verhältnisse scheinen eingefroren. In der Sonntagsfrage ermittelten die Meinungsforscher von OGM für den Kurier die Freiheitlichen mit 32 Prozent weiterhin unangefochten an der Spitze, gefolgt von der ÖVP mit 22, der SPÖ mit 21 und den NEOS mit 12 Prozent. Und wohl auch bezeichnend - Christian Stocker kommt über die Werte seiner Partei nicht hinaus, hat also mithin bisher keinen Kanzlerbonus.

Das wird sich vielleicht jetzt doch ändern, wurde doch bei der Landeshauptleutekonferenz Ende der Vorwoche in Salzburg eine neue Phase im Zusammenleben der Koalition gestartet. Nach den Sparplänen soll es nun um Reformen gehen.

Man darf neugierig sein und kämpft damit, die Skepsis im Zaum zu halten. Schließlich ist man ja in Österreich. Und da kann man nur inständig hoffen, dass man nach der Ruhe-und Besinnungsphase der vergangenen Wochen nun wirklich zu neuen Ufern aufbricht -und nicht in alte Muster zurückfällt. Und Österreich Österreich bleibt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. Juni 2025


 
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