Dienstag, 11. September 2012

Die anderen Seiten des Agrosprits





Agrosprit aus Pflanzen sorgt für heftige Diskussionen. Manches wird dabei ausgeblendet – zu Unrecht.

HANS GMEINER Salzburg (SN). Jahrzehntelang galt der Einstieg in die Erzeugung von Bioenergie als die Zukunftsstrategie für die Landwirtschaft und für die Industriestaaten schlechthin. Angesichts der großen Abhängigkeit von einigen wenigen Öl produzierenden Ländern und auch wegen der zweifelhaften Umwelteigenschaften von fossilen Treibstoffen hatte die Erzeugung von Treibstoffen aus Pflanzen immer besonderen Charme. Damit ist es nun vorbei. Überzogene politische Ziele für die Agrosprit-Erzeugung und schlechte Ernten schüren weltweit die Angst vor hohen Lebensmittelpreisen. In Österreich ist die Diskussion wegen der bevorstehenden Aufstockung des Agrosprit-Anteils in Benzin von derzeit fünf auf zehn Prozent (E10) besonders hitzig. Manches wird dabei vor allem aus Sicht der Landwirtschaft vergessen, manches überzeichnet, vieles kam bisher zu kurz.

1 Landwirtschaft erfüllt mit Agrosprit alte Forderung
Bis vor fünf Jahren, bis 2007, als die Preise für Agrarrohstoffe erstmals in bis dahin unvorstellbare Höhen schnellten, wurde der Landwirtschaft in der Europäischen Union und in den USA jahrzehntelang vorgeworfen, an den Märkten vorbei zu produzieren. Mit ihren Überschüssen würden die Produzenten die Preise auf den Weltmärkten ruinieren und damit den Bauern in der Dritten Welt gar keine Chance lassen, eine eigenständige Agrarproduktion aufzubauen. Die gleichen Leute und Organisationen werfen jetzt vor allem den USA und der EU vor, die Lebensmittel unnötig zu verteuern, weil sie in einem Teilbereich eine Lösung für die Bewältigung der Überschussprobleme gefunden haben, Agrosprit nämlich. Von den Möglichkeiten für die Bauern in der Dritten Welt ist hingegen keine Rede mehr.

2 Ungerührte Wegwerfgesellschaft
Bemerkenswert ist, dass die Diskussion über die Verspritung von rund sechs Prozent der Welt-Getreideproduktion von einer Gesellschaft geführt wird, die einen Gutteil der Lebensmittel wegwirft. Experten gehen davon aus, dass in den USA und in Europa jedes Jahr bis zu 50 Prozent der Nahrungsmittel im Müll landen. Allein in der EU wird die Menge auf rund 90 Mill. Tonnen geschätzt. In Österreich wird ein Viertel der gekauften Lebensmittel weggeworfen, 784.000 Tonnen insgesamt.

3 Erfolglose Entwicklungspolitik
Die Folgen des Agrosprit-Booms für manche Entwicklungsländer werden ausschließlich unter dem Aspekt des Landverbrauchs für die Erzeugung von Ölpflanzen diskutiert. Keine Rolle spielt hingegen, wie die Produktionsbedingungen für die dortige Landwirtschaft verbessert und das höhere Preisniveau genutzt werden könnten. Die Fortschritte sind gering. Es fehlt an Geld, Ausbildung und Infrastruktur. Die Verluste zwischen Acker und Markt sind enorm. Laut dem vor drei Jahren veröffentlichten Weltagrarbericht gehen rund 15 Prozent der Waren gleich bei der Ernte verloren, weil es an einem entsprechenden Straßennetz oder entsprechender Kühl-, Transport- und Lagertechnik fehlt. Bis zu den Märkten erreichen die Verluste in manchen Regionen 40 Prozent.

4 EU schränkt Flächen für die Landwirtschaft ein
Im Zuge der Agrarreform will die EU sieben Prozent der Agrarflächen als „ökologische Vorrangflächen“ aus der Produktion nehmen. Die Bauern laufen dagegen Sturm. Sie verstehen nicht, dass die möglichen Folgen für Preise und Versorgungssicherheit in diesem Zusammenhang kein Thema sind. Verbündete finden sie nicht.

5 Die Produktion in Österreich läuft längst
In Österreich wird bereits seit drei Jahren die Menge an Agrosprit erzeugt, die für E10 notwendig ist. Ob die Beimischung kommt oder nicht, ändert nichts daran, weil der Sprit auf dem internationalen Markt gefragt ist. Ein direkter Einfluss auf die Getreidepreise ist nicht auszumachen. Diese pendelten auch in den Jahren, seit die Erzeugung in Pischelsdorf läuft, zwischen 120 und 250 Euro je Tonnen. Entscheidend dafür waren in Österreich nicht Nachfrage nach Agrosprit, sondern Ernteergebnisse in Mittel- und Osteuropa. Ein Positivum hat die Produktion in Österreich jedenfalls. Bei der Verspritung entsteht ein hochwertiges Eiweißfuttermittel, das ein Drittel der österreichischen Importe aus Südamerika ersetzen kann und damit dort Agrarflächen für die Versorgung der Bevölkerung frei macht.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. September 2012

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