Donnerstag, 13. September 2012

Im Schwitzkasten der Gerechtigkeitsdebatte

 




Österreichs Politik ist seit Jahren im Schwitzkasten einer Gerechtigkeitsdebatte gefangen. Die Forderungen nach Besteuerung von Erbschaften und Vermögen werden damit begründet, die Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushaltes werden daran gemessen, die Hilfen für notleidende Eurostaaten und die Proteste gegen die internationale Finanzwirtschaft.

Was man unter Gerechtigkeit versteht, wird freilich selten dazu gesagt. Da neigt man allerorten sehr viel lieber dazu, sich den Inhalt des Begriffes selbst zurechtzubiegen. Oft kommt sie in Begleitung des Begriffes "Fairness“ daher, oft aber auch in der von "Gleichheit“. Und fast immer ist dem, was als Gerechtigkeit gefordert wird, eine große Portion Selbstgerechtigkeit eigen.

Die Sozialdemokraten samt ihrer Vorfeldorganisationen und der von ihnen beherrschten Interessenvertretungen haben es hierzulande verstanden, daraus ein Perpetuum mobile zu zimmern, das den eigenen Erfolg ohne großes Zutun zu sichern scheint. Die Konservativen, namentlich die Volkspartei, hingegen drohen am Gerechtigkeitsgeflecht zu ersticken. Chancenlos, nicht zuletzt, weil auch völlig ideenlos das zu ändern, dreht sich die Spirale für die Schwarzen seit drei Jahren abwärts, seit die Sozialdemokraten die Gerechtigkeit für sich entdeckt und gepachtet haben. Die wissen den Zeitgeist hinter sich und verstehen es seither auf dieser Klaviatur zu spielen und ihre Macht abzusichern. Der Regierungspartner hingegen ist gezwungen seine Kraft zu verbrauchen an der Notwendigkeit, sich ständig rechtfertigen zu müssen für seinen Begriff von Gerechtigkeit.

Fraglos ist in der Gesellschaft in den vergangenen Jahren viel aus dem Lot geraten, was das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen stört. Dem Liberalismus in der Wirtschaft ist ein Teil zuzurechnen und der Nehmermentalität, die sich ausgehend von der als Vorbild dienenden Politik tief in nahezu alle Gesellschaftschichten hineinfraß. Dazu trugen viele der Versprechen bei, die in Aussicht gestellt wurden, um Wählerstimmen zu bekommen, die aber nie eingelöst wurden. Und dazu trug die Wirtschafts- und Währungskrise bei, die Europa und auch Österreich nun schon das sechste Jahr in ihrem Banne hält. Zutiefst verunsichert und in Sorge um ihr eigenes Vorankommen schaut aus verständlichen Gründen jede Berufsgruppe, jedes Unternehmen und jede Bürgerin respektive jeder Bürger, sehr genau, ob er es wo besser haben könnte und wo ein anderer möglicherweise zu viel bekommt.

Dass dabei andere Prinzipien der Gesellschaft und andere Grundsätze des Rechtsstaates in immer größere Gefahr kommen, unter die Räder zu geraten, wird billigend in Kauf genommen. Die Neiddebatte, sozusagen der Zwilling der Gerechtigkeitsdiskussion, ist ein Beispiel dafür. Immer öfter und immer unverhohlener werden etwa Leute, die etwas besitzen - und es müssen gar nicht die als "Reiche“ Diskreditierten sein - in die Nähe von Gaunern gerückt, wird ihnen unterstellt, ihr Vermögen, und sei es auch nur ererbt, auf zwielichtigem Weg erworben zu haben, knapp am Rande der Illegalität. Nicht anders läuft das Spiel zwischen Gesellschaftsschichten. Die heimischen Bauern, aber auch die Eisenbahner, wissen ein Lied davon zu singen.

Das war nicht immer so und das ist nicht überall so. Gerechtigkeit spielt auch in Deutschland eine zentrale Rolle, so wie sie in allen Demokratien spielen muss. Dort aber sorgte der neue Bundespräsident Gauck für Aufsehen, als er den Begriff "Freiheit“ als zentrales Leitmotiv seiner Präsidentschaft nannte. Bei uns in Österreich ist dieser Begriff alles andere als modern. Im Gegenteil. Man würdigt die Freiheit allenfalls als Ende der Besatzungszeit und feiert den Staatsfeiertag. Ansonsten versteht man aber den Begriff Freiheit eher als die Freiheit, Ansprüche zu stellen. Zu mehr fehlt der Mut, dann schon lieber Vollkasko von der Wiege bis zur Bahre, ist der Eindruck der sich hierzulande allzu oft aufdrängt.

Freiheit aber ist nur eines von vielen Themen, die vom Drängen nach dem, was für Gerechtigkeit gehalten wird, zugedeckt werden. Zu Unrecht. Solidarität ist auch so ein Begriff, der hierzulande, zumal in der Gesellschaft, viel zu kurz kommt, Verantwortung gehört dazu und auch Leistung. Man sollte diese Begriffe, die meist für Lebenshaltungen, aber auch für politische Prinzipien stehen, nicht geringer schätzen als das Streben nach Gerechtigkeit. Zumal in einer Gesellschaft, um deren Vorankommen es Spitz auf Knopf steht. Sie einzufordern sollte vorderste politische Aufgabe sein. Zumal von jenen, deren Kräfte die Gerechtigkeitsdebatte verbraucht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13.September 2012

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