Donnerstag, 29. September 2022

Es macht sich eine Fehleinschätzung der Wirklichkeit breit

Putin eskaliert in der Ukraine und wir haben keine Antwort. Das alles wäre ja noch zu akzeptieren, weil es in solchen dramatischen Situationen, wie wir sie jetzt erleben, wohl nie eine und schon gar keine einzige Antwort geben kann. Das Schlimme aber ist, dass es bei uns scheint, nicht einmal darum zu gehen, wirklich eine Antwort zu finden, eine Antwort, die zumindest ein stückweit Vertrauen erwecken könnte.

Da ist nichts von einem Ruck in Politik und Gesellschaft zu spüren, dass es jetzt eigentlich gelten sollte, zusammenzurücken und an einem Strang zu ziehen. Es ist nichts zu spüren vom vielbeschworenen nationalen Schulterschluss über alle Partei-und Ländergrenzen hinweg, um all die Krisen besser zu bewältigen, die uns jeden Tag tiefer hinunterziehen. Unbeeindruckt balgt sich die Politik, als ginge es wirklich nur darum, wer wen am besten und möglichst medienwirksam zum Gaudium des Publikums heruntermacht.

Und alle machen mit. Den einen geht es darum, die Umweltministerin möglichst schlecht aussehen zu lassen, die anderen haben nichts anderes im Sinn als Nehammer und die ÖVP anzupatzen. Die meisten tun so, als gäbe es ganz einfache Rezepte, die nur umgesetzt müssen. Und allen geht es nur um Geld und Entschädigungen und die Sicherung des Standards der vergangenen Jahrzehnte, nicht aber um Strategien, wie wir in Krisensituationen wie der jetzigen wirklich leben können. Da ist viel zu wenig zu hören von möglichst nachhaltigen Antworten auf die handfesten Anforderungen einer Krise, wie wir sie derzeit erleben. Da ergeht man sich lieber in Streitereien auf Nebenschauplätzen, wie etwa Heizschwammerl oder Adventbeleuchtung, schüttet mit Geld lieber um sich, damit ja niemand spürt, dass Strom teuer geworden ist, und funkt möglichst herzige Bilder von Politikerinnen und Politikern in die Redaktionen, die zeigen sollen, wie besorgt man um seine Klientel ist.

Genau das ist man mit all dem freilich nicht. Eher das Gegenteil davon. Der Situation, vor der wir stehen, wird man damit kaum gerecht. Schon gar nicht, wenn im Vordergrund nicht die Sache, sondern - und das ist bei all den Diskussionen rund um die Krise und wie man mit ihr umgeht nicht zu übersehen - der politische Gegner steht. Man kann und muss die Regierung für ihre Krisenpolitik kritisieren, die ja nicht wirklich vertrauenerweckend ist, aber muss das Niveau, auf dem das geschieht, deswegen gleich so erbärmlich, beschämend und kleinkariert sein?

Keine Stunde nach Putins Drohrede am Mittwoch voriger Woche fragte der künftige SP-Vorsitzende in Oberösterreich, Michael Lindner, doch tatsächlich: "Gibt es von LH Stelzer und der ÖVP nach der Mobilmachung schon eine neue Evaluierung der Russland-Sanktionen oder knickt man weiter vor der FPÖ und den Rechten ein?"

Selbst Beate Meinl-Reisinger, sonst gerne in der Rolle der Jeanne d'Arc im Kampf gegen Alimentierung und Überversorgung, fordert Steuererleichterungen -und vergisst dabei offenbar, dass in diesem Land ohnehin weniger als die Hälfte der Menschen überhaupt Steuern zahlt.

Rund um den Gewerkschaft-Aktionstag Mitte September, an dem übrigens bemerkenswert wenig Menschen teilnahmen, war in einem Zeitungskommentar der Satz zu lesen, dass damit die Gewerkschaft zum "Widerstand gegen die Wirklichkeit" aufgerufen habe.

Diese Einschätzung hat etwas. Selbst der Wirtschaftsminister, gelernter Wissenschaftler, konnte sich nicht verkneifen, darauf aufmerksam zu machen, dass die Forderung "Preise runter" nichts als "Wunschdenken" sei, weil man nicht einfach den Zauberstab herausholen und die Preise senken könne. "Das ist so wie: Ich will keinen Regen haben."

Allerorten hat man den Eindruck, als mache sich eine fatale Fehleinschätzung der Wirklichkeit breit. Immer noch glauben viele, mit einer Geldspritze da und einer neuen Steuer dort sei alles wieder gut. Dabei ist die Lage wohl viel dramatischer, als alle glauben, und viel komplexer, als viele glauben machen wollen.

Vielerorts wachsen Unruhe und Sorge. Noch hinter vorgehaltener Hand. Von möglichen Diesel-und Gas-Engpässen ist die Rede, von einer gefährdeten Dünger-Produktion, von Betriebs-Stilllegungen und von vielem anderen mehr, was unser Leben nicht nur einschränken, sondern wirklich auf den Kopf stellen kann.

Das aber scheint Österreich bewältigen zu wollen wie immer - mit aussitzen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. September 2022

Samstag, 24. September 2022

Auch Bio gerät unter Druck

Der Absatz von Bioprodukten stockt heuer erstmals. Auch die Preise schwächeln.

Hans Gmeiner 

Wien. „Die aktuelle Situation rund um die Teuerungen hat der Beliebtheit von Biolebensmitteln keinen Abbruch getan“, sagte am Freitag Gertraud Grabmann, Obfrau von Bio Austria, dem größten heimischen Biobauernverband, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit AMA-Marketing. Deren Chef Michael Blass schlug einen ähnlichen Ton an. „Die Jahre 2021 und 2022 zeigen da und dort Dellen in der Entwicklung, aber keine ausgeprägte Krisenstimmung“, sagte er. Die Zahlen, die die beiden präsentierten, passten dazu. Der Absatz im Lebensmitteleinzelhandel hat laut AMA-Marketing im ersten Halbjahr gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres wertmäßig um 2,5 Prozent zugelegt. „Der Umsatz im Lebensmitteleinzelhandel ist weiter auf Wachstumskurs“, betonte Grabmann und pries ihre Klientel, die Biobauern, in der Zeit hoher Inflation als preisstabilisierenden Faktor. „Bei konventioneller Ware stiegen im ersten Halbjahr die Preise um 7,8 Prozent, bei Bioware aber nur um 3,5 Prozent.“

Alles im grünen Bereich also? Was die allgemeinen Zahlen betrifft, kann man das so sehen. Im Detail schaut die Sache freilich anders aus. Vor allem dass die Zuwachszahlen allein auf höheren Preisen beruhen, nicht aber auf einer stärkeren Nachfrage nach den Produkten, sollte nicht übersehen werden. Nicht nur der wertmäßige Zuwachs von 2,5 Prozent bedeutet angesichts der hohen Inflation real einen Rückgang, erstmals seit Jahren lagen heuer in den ersten sechs Monaten des Jahres auch die verkauften Mengen an Biolebensmitteln im Lebensmitteleinzelhandel niedriger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Wuchs die insgesamt verkaufte Menge an Biowaren in den Jahren 2017 bis 2021 kontinuierlich und meist um mehr als zehn Prozent pro Jahr von 138.000 auf rund 220.000 Tonnen, so gab es heuer im ersten Halbjahr erstmals keinen Zuwachs mehr. Laut AMA-Marketing verkaufte der Lebensmitteleinzelhandel von Jänner bis Juni insgesamt 115.419 Tonnen Bioware, um 0,9 Prozent weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Rückgänge gab es insbesondere bei Kartoffeln und Eiern.

Zum Denken gibt aber auch die Preisentwicklung bei manchen Bioprodukten. Man kann freilich, wie Bio-Austria-Obfrau Grabmann, zum kleiner werdenden Preisunterschied zwischen biologisch und konventionell erzeugten Produkten sagen: „Das erleichtert den Griff zum Bioprodukt zusätzlich.“ Aber es müssen die Alarmglocken schrillen, wenn in den Regalen zunehmend Bioprodukte zu finden sind, die billiger angeboten werden als gleichwertige konventionelle Ware. So war etwa gestern, Freitag, in einem Spar-Markt in Oberösterreich ein Kilogramm Universal-Weizenmehl von Natur pur um 1,49 Euro je Kilogramm zu haben, während für das gleiche konventionell erzeugte Mehl der Marke Finis Feinstes 1,99 Euro verlangt wurden. Konventionell erzeugte Schärdinger Vollmilch stand mit 1,59 Euro je Liter zum gleichen Preis im Regal wie Bio-Bergbauern-Vollmilch (Natur pur). Und die Biosuppennudeln von Natur pur waren mit 4,29 Euro je Kilogramm um knapp acht Prozent billiger als die vergleichbare Ware von Recheis aus konventionellen Rohstoffen.

Vor diesem Hintergrund sind wohl auch die Sorgen der Agrarpolitik zu sehen, die Freitag aus Anlass des ersten EU-Biotags neuerlich vor einer ungebremsten Ausweitung der Bioflächen warnte. „Nur auszuweiten ist zu wenig“, sagte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig. „Die Ware muss auch verkauft werden.“ Und Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, meinte mit Blick auf die von der EU geplante Erhöhung der Biofläche auf 30 Prozent, den Biobauern sei nicht mit hohen Flächenanteilen, sondern nur mit einer marktorientierten Weiterentwicklung geholfen.

Dass die nächsten Jahre für die Biobauern herausfordernd werden, erwartet freilich auch Grabmann. „Das wird kein Honiglecken“.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 24. September 2022

Donnerstag, 22. September 2022

Scheitern im Strafraum

"Wenn ich mich nicht gesund fühle, dann sag ich mal, ich fühl mich jetzt nicht so gesund, ich will eigentlich nicht in die Schule, aber ich muss. Dann werde ich mich auch nicht gesund fühlen, wenn ich schon das Gefühl habe, dass ich nicht gesund bin. Und wenn ich schon das Gefühl habe, ich muss um jeden Preis in die Schule, obwohl ich keine Symptome habe, dann hab' ich in mir ja schon das Gefühl, dass ich nicht zu 100 Prozent fit bin." Der österreichische Bildungsminister, ein ehemaliger Universitätsprofessor und Rektor einer Uni, sorgte in den vergangenen Wochen mit diesem Stellungnahme-Geschwurbel zur Unterrichtspflicht von Lehrern, die Corona-positiv sind, in den Sozialen Netzwerken landauf landab für -meist bösartige -Unterhaltung.

Dieses Stellungnahme-Ungetüm, das das p.t. Publikum mit offenem Mund und kopfschüttelnd zurückließ, mag der Stresssituation einer Pressekonferenz geschuldet sein, was einiges erklären mag. Aber es drückt so eindrücklich aus wie kaum etwas anderes, wie man derzeit in diesem Land Politik erlebt. Kaum klare Linien, wortreiche Erklärungen und Ankündigungen, und permanent mehr oder weniger hilflose Bitten um Verständnis für etwas, was für viele kaum zu verstehen ist.

Österreichs Politik macht den Eindruck, sich in eine Sackgasse manövriert zu haben, aus der man gar nicht hinausfinden mag. Selbst Erfolge, wie jüngst die Abschaffung der "Kalten Progression", für die es von allen Seiten ungewohntes Lob gab, können daran kaum etwas ändern. So schnell konnte in der Vorwoche die Druckerschwärze in den Zeitungsausgaben, in denen davon berichtet wurde, gar nicht trocknen, wogte schon im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss das Getümmel um die Förderungen der Tiroler Bauernjugend und die Politik setzte arglos ihre Arbeit in der Art und Weise fort, die die Sorge wachsen lässt, dass die Zeit nicht mehr fern ist, wo sie endgültig entgleist.

Diese Sorge nährte wie vieles anderes erst kurz zuvor die Diskussion um Strompreisdeckel und Strompreisbremse. Und da soll gar nicht die Rede sein vom Ausritt der damals Noch-Generalsekretärin der ÖVP. Vielmehr sei die Rede davon, dass auch Zweitwohnungsbesitzer von den Segnungen verbilligten Stroms profitieren sollen und dass in Niederösterreich niemand etwas dabei findet, dass wegen einer Doppelförderung von Bund und Land "die Hälfte der Haushalte Strom zur Gänze subventioniert" erhält, wie der Standard vermeldete. Dass es dabei zuweilen gar zu Überförderungen kommt, nimmt man in Österreichs größtem Bundesland gerne in Kauf. Der Klubobmann der VP im Landtag hat keine Scheu, das ganz offen so zu benennen. Und die dortige Landeshauptfrau, die im kommenden Jahr eine Wahl zu schlagen haben wird, sagt zu dem Thema, als Erklärung gleichsam, "das Leben war eh noch nie so teuer wie jetzt". Ende der Diskussion.

Einhalt mag all diesem Treiben freilich niemand zu bieten. So wie die Regierungsparteien, namentlich die Volkspartei, es nicht schafft, sich nicht von der ständigen Kritik und den permanenten Anwürfen freizuspielen, schafft es die Opposition trotz bester Umfragewerte nicht, das Land, respektive seine Bürgerinnen und Bürger, hinter sich zu bringen. Um ein Bild aus dem Sport zu verwenden -trotz permanent aufgelegter Elfmeter schafft man es nicht, auch nur einen einzigen zu verwandeln.

Vor allem in der SP wurde noch jede Chance, die sich geboten hat, durch interne Querelen und willkürlich vom Zaun gebrochene Führungsdiskussionen abgeschossen. Nie gelang es, auch bei nur einem Thema die Führerschaft zu erlangen. Und schon gar nicht schaffte man es, bei der Wählerschaft jenes Vertrauen zu erzeugen, das für eine politische Wende nötig wäre. Letzteres gilt auch für die anderen Oppositionsparteien.

Umgekehrt schaffen es die ÖVP und auch die Grünen nicht, sich freizuspielen, selbst dann nicht, wenn ein Elfmeter so aufgelegt war, wie das Thema Wien Energie.

Dort zeigte sich vielmehr, dass Satzkaskaden nach dem Muster des eingangs zitierten Bildungsministers in diesem Land fürs politische Überleben ausreichen -der Wiener Bürgermeister hat das eindrücklich bewiesen.

Nicht zuletzt deswegen freilich wachsen die Sorgen schier ungebremst weiter. Verfolgt man die Kandidaten, die den regierenden Bundespräsidenten ablösen möchten, wird dieser Eindruck eher verstärkt. Alles in allem möchte man nicht, dass sie in diesem Land etwas zu sagen hätten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. September 2022

Donnerstag, 15. September 2022

Gefährlicher Knacks in der Leistungsgesellschaft

Statt zu arbeiten wollen die Menschen heute mehr vom Leben haben. Für mehr Freizeit und weniger Stress nehme man auch Einkommenseinbußen in Kauf, Arbeit sei nicht mehr so wichtig, wie sie es einmal war. Kurzum, die Leute wollen mehr vom Leben haben und nehmen dafür auch etwas in Kauf. Was bisher immer Vermutungen waren, wird nun zunehmend von Untersuchungen bestätigt -die bald drei Jahre der Pandemie haben die Menschen und die Werte, die für sie wichtig sind, so heftig verändert wie kaum je zuvor etwas.

Die "Momentaufnahme", die das österreichische Team, das im Rahmen der Europäischen Wertestudie für Österreich "Haltungen und Einstellungen sowohl zu Gott als auch zu irdischen Belangen" ermittelt, wie "profil" es beschreibt, das die Studie veröffentlichte, zeigt erstaunliche Ergebnisse. Sie zeichnen ein Bild, das Sorgen machen kann. Das Bild von einem gefährlichen Knacks in der Leistungsgesellschaft zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt.

"In den zwei Jahren der Pandemie hat sich so viel getan wie in 30 Jahren zuvor nicht", wird eine Mitarbeiterin der Studie zitiert. So ist etwa heute die Arbeit deutlich weniger Menschen wichtig als noch vor vier Jahren, also 2018. Gaben damals noch deutlich mehr als 90 Prozent an, dass ihnen Arbeit wichtig sei, so waren es zum Zeitpunkt der Umfrage im Dezember 2021 nur mehr gut 85 Prozent, und je nach Altersgruppe sogar noch weniger. Als wichtiger Lebensbereich gilt Arbeit so wenigen Menschen wie noch nie.

Vor allem den Besser-und Gut-Verdienern ab einem monatlichen Einkommen von 1.600 Euro ist Arbeit weniger wichtig als früher. Bei höheren Gehaltsklassen rutschten die Werte besonders deutlich ab. Ein Beispiel: War in der Einkommenskategorie über 2.440 Euro Arbeit vor vier Jahren noch für 92 Prozent wichtig, so ist sie das derzeit nur noch für gerade einmal 80 Prozent.

Für die Bezahlung freilich gilt das genaue Gegenteil. "Gute Bezahlung" ist heute mehr Leuten denn je an einem Beruf wichtig. Heute ist das für 74 Prozent selbstverständlich, vor vier Jahren lag dieser Wert noch bei 69 Prozent.

Damit freilich nicht genug der erstaunlichen Veränderungen. Parallel dazu hat sich auch die Einstellung zur Arbeit geändert. Der Anteil der Menschen, die Arbeit als wichtig für die Entfaltung ihrer Fähigkeiten sehen, ist markant zurückgegangen. Im Beruf Eigeninitiative zu entfalten, ist der Umfrage zufolge heute nur mehr 42 Prozent der Menschen wichtig. 2018 war das noch für 55 Prozent von Bedeutung. Da passt dazu, dass heute deutlich weniger bereit sind, der Arbeit auf Kosten der Freizeit Vorrang zu geben, und auch, dass immer mehr angeben, die Arbeit weniger wichtig zu nehmen.

Dass es sich mit der Bedeutung der Freizeit im Leben der Menschen genau umgekehrt verhält, ist vor diesem Hintergrund nur logisch. Traditionell ohnehin sehr hoch, legte sie noch weiter zu. In praktisch allen Altersklassen -bis auf die Senioren -liegt die Bedeutung der Freizeit bei über 95 Prozent. Überraschend ist nur, dass bei den ganz Jungen (bis 24 Jahre) der Trend in die entgegengesetzte Richtung geht. In dieser Altersgruppe ist der Umfrage zufolge Arbeit wichtig wie schon lange nicht.

Angesichts dieser Umfrage scheint es, als sei so etwas wie eine tektonische Verschiebung im Wertegefüge der Österreicherinnen und Österreicher im Gang. Die möglichen Folgen können Sorgen machen. Und sie sollten es auch. "Sind wir dabei, uns selbst abzuschaffen?" könnte einem da durchaus durch den Kopf schießen. Wer soll da noch die Zukunft stemmen und die Herausforderungen, die da kommen, sind doch die Anforderungen groß wie seit Jahrzehnten nicht?

Die Probleme von Unternehmen und ganzen Branchen, Arbeitskräfte zu finden, erscheinen vor diesem Hintergrund in einem neuen Licht. Und dass die Alimentations-Orgie mit all den Milliarden, mit denen das Land derzeit unbesehen von echten Notlagen zugeschüttet wird, Sorgen machen kann, zumal sie diese Entwicklung noch unterstützt, wird verständlich. Sie bedient die "Vollkasko-Mentalität in Österreich", die Wifo-Chef Gabriel Felbermayr "Sorgen" macht, wie er dieser Tage meinte.

Dass just in der größten Krise seit Jahrzehnten der Stellenwert der Arbeit so stark verliert und der von Freizeit so zulegt, ist eine Herausforderung für Politik und Unternehmen. Vorschläge und Antworten gar stehen aus. Vollkasko mit immer neuen Milliarden sind es jedenfalls nicht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. September 2022

Samstag, 10. September 2022

Der Strompreisdeckel ist den Bauern zu klein

Hans Gmeiner

Wien. Den Bauern ist der Strompreisdeckel, wie er derzeit vorgesehen ist, zu klein. Für viele Betriebe ist Strom ein bedeutender Kostenfaktor. „Natürlich ist über den für alle vorgesehenen Strompreisdeckel hinaus eine weitere Unterstützung in Form einer Preisbremse für die Land- und Forstwirtschaft nötig, um wettbewerbsfähig bleiben und weiter produzieren zu können“, sagte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig am Freitag beim Agrarpolitischen Herbstauftakt des ÖVP-Bauernbundes in Wien. Darüber, was geplant wird, zeigte sich der Minister verschlossen. Mehr als ein „Wir sind derzeit in der Ausarbeitung der Details und werden das demnächst bekannt geben“ war ihm nicht zu entlocken.

Bauern ziehen den Kopf aus der Steuerschlinge 

Gesprächiger war Totschnig bei der Ankündigung des Anhebens der steuerlichen Pauschalierungsgrenzen für die Land- und Forstwirtschaft. Diese Grenzen brachten in den vergangenen Monaten vor allem große Milch- und Schweinebauern, aber auch umsatzstarke Betriebe in anderen Produktionssparten unter Druck. Wegen der Preissteigerungen für ihre Produkte drohten sie aus der Pauschalierung zu fallen, ohne dass sich wegen der ebenfalls gestiegenen Betriebsmittelkosten an ihrer Einkommenssituation etwas verbessert hat. Die Anhebung der Grenzen erspart den Bauern weiterhin zusätzlichen administrativen Aufwand und eine detailliertere Buchführung.

Nach Ansicht der Bauern war die Anhebung ohnehin längst überfällig. „Die Grenzen waren seit der Euroeinführung 2002 unverändert“, sagte Bauernbundpräsident Georg Strasser. Nun steigt die Umsatzgrenze, bis zu der bäuerliche Einkommen pauschal versteuert werden können, von 400.000 auf 600.000 Euro. Gleichzeitig wird auch die Grenze für den Einheitswert für die Teilpauschalierung auf 165.000 Euro und jene für die steuerliche Sonderbehandlung von landwirtschaftlichen Nebentätigkeiten auf 45.000 Euro erhöht. „Dieses Paket ist budgetneutral“, sagt Strasser. Profitieren werden davon „1500 bis 2000 Bauern“.

Sorgen macht den Bauernbund-Spitzen das sich ändernde Einkaufsverhalten der Konsumenten. Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, präsentierte eine bemerkenswerte Umfrage von Marketagent. Der zufolge zeigen sich 81 Prozent der Konsumenten bereit, eine Petition zur vermehrten Produktion heimischer Lebensmittel zu unterstützen, gleichzeitig gaben aber 65,3 Prozent an, nun wegen der Krise viel stärker darauf zu achten, billige Lebensmittel zu kaufen.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 10. September 2022

Donnerstag, 8. September 2022

Was sind wir für ein Land!

In all dem politischen Getümmel und der damit einhergehenden Aufgeregtheit dieser Zeit geraten wichtige, berührende und auch schockierende Themen, die eine viel größere Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft verdienen würden, allzu leicht in den Hintergrund. Da gibt es keine fetten Schlagzeilen, keine hysterischen Meldungen. Keine hitzigen Diskussionen. Da haben sich Gewöhnung breitgemacht und ihre Schwester, die Gleichgültigkeit.

"11.781 Personen mussten wegen häuslicher Gewalt zur Beratung", war dieser Tage zu lesen. Als erste Bilanz der vor einem Jahr eingeführten Verpflichtung zu einer sechsstündigen Beratung, zu der Personen müssen, die ihre Partnerin oder ihren Partner bedroht haben. 12.000 Paare, bei denen schon die Polizei im Haus war, um zu schlichten, mehrmals oft sogar. Nicht irgendwo, sondern durchaus in der Nähe. Und da ist noch gar nicht die Rede von den tausenden Frauen, die Jahr für Jahr in den Frauenhäusern Unterschlupf suchen müssen, weil sie die Gewalt zu Hause nicht mehr ertragen.

Die Zahlen steigen. Seit Beginn der Pandemie vor bald drei Jahren gingen die Zahlen immer schneller in die Höhe. Nicht nur jene, die Gewalt unter Partnern betreffen, vor allem hat auch die Gewalt gegen Kinder stark zugenommen. 26 Frauen fielen in Österreich heuer schon einem Mord zum Opfer. 26 -das bedeutet fast jede Woche ein Frauenmord.

Und immer noch gibt es Erklärungen dafür, warum etwas passierte, Verständnis oft auch und sogar Rückhalt. "Wird schon einen Grund gehabt haben" und "Früher hat´s das ja auch gegeben und niemand hat da drum so einen Wirbel gemacht". Und das nicht nur von Männern, sondern erstaunlich oft auch von Frauen. Mit den Schultern zucken, wegschauen, verdrängen.

Was sind wir bloß für ein Land? Da ist nichts von der Insel der Seligen, auf die wir einst so stolz waren. Da ist in Wirklichkeit gar nichts mehr zum Stolzsein.

Es will nicht enden. Obwohl das Thema über Jahre im Fokus von Politik und Initiativen steht, gibt es kaum Fortschritte. Wir kommen nicht voran, sondern scheinen -abseits des großen Scheinwerferlichtes und abseits der öffentlichen Diskussion -wieder zurück in alte, längst überwunden geglaubte Zeiten zu drehen. Sind diese steigenden Gewaltzahlen, die Morde, Zeichen einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft? Sind sie Ausdruck der Überforderung, der Orientierungslosigkeit oder eines Verlustes von Werten?

Es ist wohl von allem etwas. Und vor allem passt es ins gesellschaftliche Umfeld und auch ins politische. Es ist üblich geworden, dass es keine Zwischentöne mehr gibt, keine Fragen und auch kein Verständnis mehr für andere Meinungen und Einstellungen. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Und auf den haut man drauf. Die Politik macht das vor. Tag für Tag. Zuweilen scheint, dass es eine direkte Linie gibt von diesem Stil, der sich in der Politik breitgemacht hat, zu den Zahlen in der Gewaltstatistik. Populistische Parteien wie die FPÖ oder die MFG befeuern und verstärken diese Entwicklung noch, wie auch verantwortungslose Medien und die Möglichkeiten von Social Media. Das mag weit hergeholt erscheinen. Aber dass da etwas dran ist, ist nicht zu leugnen. Und schon gar nicht zu übersehen.

Es sind Vorbilder abhandengekommen, Leitlinien und Orientierungspunkte. Nicht nur in der Politik, auch im privaten Bereich. Jeder und jede glaubt heute, sich nehmen und fordern zu können, weil einem alles zustehe und weil alles Recht sei. Man lernt das Tag für Tag, es wird Tag für Tag vorgelebt.

Wer sich in dieser Welt nicht durchsetzt, fühlt sich schnell als Verlierer und kommt unter Druck. Frust macht sich breit, Verzweiflung auch. Das Denken wird radikaler und oft das Handeln auch.

Lange funktionierende Mechanismen greifen nicht mehr. Institutionen wie die Kirchen haben wegen ihrer eigenen belasteten Geschichte bei vielen Menschen längst jede Autorität und jede Anerkennung verloren.

Dass die Zahlen der Gewaltstatistiken so in die Höhe schnellen, hat freilich auch damit zu tun, dass diese Menschen nicht ernst genommen werden. Schon gar nicht ihre Meinungen. Wie in vielen anderen Bereichen werden ihre Probleme und Ansichten vom hohen Ross herab abgekanzelt, wie in so vielen anderen Bereichen auch. Dabei geht es nicht um Verständnis für Gewalt, sondern dafür, warum es dazu gekommen ist.

Aber dafür scheint es keine Zeit mehr zu geben. Nicht im Großen. Und nicht im Kleinen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. September 2022

Dienstag, 6. September 2022

„Agrarmonster“ sorgt für „Chaostage“

Das Konvolut ist 1320 Seiten stark, allein das Inhaltsverzeichnis nimmt 34 Seiten ein, und es enthält alle Vorschriften mit denen die österreichische Landwirtschaft, respektive die Bauern, ab 2023 leben und die sie auch einhalten müssen. Inklusive 30 Seiten zum Thema Biohaltung von Bienen.

„Agrarmonster“ nennen die „Oberösterreichischen Nachrichten“ den „Bericht zum GAP-Strategieplan“, der die Basis für die Umsetzung der EU-Agrarreform in Österreich ist. Er ist genau das Gegenteil von dem Bürokratieabbau, der den Bauern bei jeder Agrarreform wieder versprochen wird.

Das Programm sei extrem komplex, gehe intensiver auf die Unterschiedlichkeit der Höfe ein, bringe aber den Bauern Flexibilität und steigere die Möglichkeiten, heißt es von Experten fast entschuldigend. Und der Präsident des Bauernbundes sagt in einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“ auf eine entsprechende Frage „Wir leben leider in einer bürokratischen Welt. Über Programme erbringen wir Bauern unsere Leistungen und für diese Leistungen wollen wir auch finanzielle Abgeltung. Und wir wollen, dass dieses Geld möglichst direkt auf die Höfe kommt“. Und das gelinge sehr gut, für Umweltleistungen gebe es nach der Agrarreform ab 2023 insgesamt mehr Geld als vorher. 

Da mag der Präsident Recht haben, dennoch befriedigt die Erklärung nicht wirklich. Irgendwo muss Schluss sein mit all der Zettelwirtschaft, den bizzeligen Vorschriften, all den Kontrollen und den quälenden Anforderungen, deren Sinn und Ziel zuweilen immer weniger erkennbar sind und den Bauern oft die Arbeit verleiden. Schließlich soll es, auch das steht im GAP-Strategieplan, um die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Erhöhung der betrieblichen Produktivität gehen.

Angemerkt sei - nicht immer ist Brüssel an all den Auswüchsen schuld. Viele sind hausgemacht. Und das nicht einmal in Wien, sondern oft in den Ländern, die für die Durchsetzung von Interessen ihrer Bauern, durchaus gerne eine Extra-Portion Bürokratie in Kauf nehmen, mit der dann alle zurechtkommen müssen.

Da nimmt nicht Wunder, dass der Strategieplan immer noch nicht fertig ist. Mit mehr als 250 Anmerkungen schickte Brüssel Anfang April den Entwurf nach Wien zurück. In diesen Tagen arbeitet man an der endgültigen Abklärung mit der EU-Kommission. Vor allem spießt es sich an der von Brüssel geforderten Vorschrift, dass zwischen 1. November und 15. Februar mindestens 80 Prozent der Ackerfläche und 50 Prozent der Dauerkulturflächen eines Betriebes „jedenfalls“ eine Mindest-Bodenbedeckung aufweisen müssen. Vor allem in den Maisanbau-Regionen der Steiermark, aber auch in anderen Gebieten Österreichs und selbst bei Biobauern ist seither Feuer auf dem Dach, weil die Vorschrift viele Konzepte auf den Kopf stellen würde und vor allem den Pflug-Einsatz beschränken würde. An Lösungen wird gearbeitet heißt es eher zurückhaltend. 

Unruhe gibt es wegen der ab Jahresbeginn geltenden neuen Vorschriften nicht nur bei uns, sondern auch anderswo. „Chaostage in der GAP 2023“ nennt das die deutsche Fachzeitschrift „agrarheute“.

Gmeiner meint - Blick ins Land 9/22 - 6. September 2022

Donnerstag, 1. September 2022

Da braut sich was zusammen

 

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und des Ukraine-Krieges werden immer deutlicher. Direkt und in der eigenen Brieftasche. Vor allem die Teuerung macht den Menschen Sorgen. Die Wohlstandsverluste, von denen die Wirtschaftsforscher seit geraumer Zeit reden, werden spürbar und erreichen den Mittelstand. Verunsicherung macht sich breit und Sorgen, Ängste auch, und mitunter sogar Panik. Es geht sich nicht mehr alles aus, woran man sich so sehr gewöhnt hat. Für nicht wenige. Und für immer mehr. Aber nicht für so viele, wie manche glauben machen wollen und schon gar nicht in jener Heftigkeit, die zuweilen wortreich beschrieben wird.


Die Zeitungen sind mit einem Mal voll von Reportagen. Über Sorgen um die warme Wohnung im Winter wird seitenweise geschrieben und über die neuen Strompreisvorschreibungen. Mütter werden zitiert, die klagen, "Kirschen für die Kinder" gingen sich "nicht mehr aus", und es heißt, "neues Spielzeug oder ein spontaner Ausflug mit dem Auto -geht alles nicht mehr". Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, im ganzen Land herrscht ein Wettbewerb, wem es schlechter geht und wer ärmer dran ist. Und alle machen mit. Oft mit Inbrunst und oft aus nicht ganz lauteren Motiven. Vor allem nicht manche Politiker, Parteien, Interessenvertretungen und Medien.

Dabei wird zuweilen auf hohem Niveau gejammert und da wird nach Kräften Neid geschürt. Die, denen es wirklich schon schlecht geht, sind dabei noch die leisesten. Zu hören sind vor allem die, die sich davor fürchten, dass es schlechter gehen könnte. Vorsorglich gleichsam und um ja nicht zu kurz zu kommen. Man kennt das in Österreich.

Auch wenn es vielen in der derzeitigen Situation nicht opportun scheint davon zu reden, das alles passt nicht so recht zu den ausgebuchten Flügen, den vollen Einkaufsmeilen und Lokalen und den Staus auf den Autobahnen.

Bundespräsident Van der Bellen liegt doch wohl nicht ganz so verkehrt, wenn er sagt, "Mit Angst allein oder mit Sorgen ist noch keine Krise beseitigt worden" und empfiehlt "Zähne zusammenbeißen, es wird schon irgendwie gehen".

Der Bundespräsident machte sich damit nicht nur Freunde. Genauso wenig wie die Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm, die sich mit den Pensionisten dieses Landes anlegte. "Kindern bringt man bei, nicht mehr auszugeben, als sie haben -auch als Staat kann ich nicht unendlich Schulden machen -das fällt der Generation auf den Kopf, die jetzt gerade die Schulbank drückt", sagte sie zu den Forderungen mancher Seniorenund Pensionistenverbände, die Pensionen um zehn Prozent anzuheben -mit einer Klarheit, die man von Politikern dieses Landes nicht gewohnt ist, schon gar nicht von solchen, die in Verantwortung stehen.

Äußerungen wie diese mag man kritisch sehen, aber sie tun wohl in einer Zeit, in der sich das populistische Hochlizitieren von Wünschen und Forderungen breitmacht, losgelöst meist von der Realität und getrieben von politischen Interessen, die sich nicht nach tatsächlichen Notwendigkeiten orientieren, sondern oft ausschließlich daran, Applaus zu bekommen und ja nicht zu kurz zu kommen, und weil man meint, seine politische Klientel bedienen zu müssen.

Die Lage ist so ernst, wie es unsere Generation noch nie erlebt hat. Man muss sich um so viele Menschen und Gruppen Sorgen machen, wie noch selten zuvor. Und es werden wohl auch so viele wie kaum je zuvor in der nächsten Zeit Hilfe und Unterstützung brauchen. In diesem allerorten anhebenden Geschrei aber drohen gerade jene Menschen und Gruppen unterzugehen und zu den Draufzahlern zu werden, die Hilfe wirklich brauchen. Dass die Regierung bisher bereits Milliarden gegen die Teuerung und die Folgen der Pandemie unter die Leute brachte, wurde bisher kaum wahrgenommen. Und schon gar nicht gewürdigt. Das ist durchaus als Zeichen dafür zu nehmen, dass es für die, die es wirklich brauchen, zu wenig war, und dass es denen, die genug hätten, gar nicht aufgefallen ist.

Genau dort sollte angesetzt werden. An der Treffsicherheit der Maßnahmen. Denn in der aktuellen Lage könnte sich schnell etwas zusammenbrauen. Nicht nur populistische Politiker wie Kickl, sondern auch viele in den anderen Parteien, aber auch manche Zeitungen, rühren schon an einem gefährlichen Mix aus Teuerungsängsten, Corona-Ärger, Neid und Unverständnis für die Sanktionen gegen Russland - der in der Sache nichts bringt, aber ein hochbrisanter Sprengstoff nicht nur für die Politik, sondern für die ganze Gesellschaft ist.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. September 2022
 
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