Donnerstag, 27. Juli 2023

Ab-Hof-Verkauf boomt auch nach der Krise

17.000 heimische Bauern erzielen mittlerweile den Großteil ihres Einkommens mit Direktvermarktung.

Hans Gmeiner

Salzburg. „Es war ein regelrechter Hype im ersten Jahr der Pandemie 2020“, erinnert sich Karl Grabmayr. „Auf unserem Hof und über Bauernläden haben wir plötzlich um 50 Prozent mehr verkauft“, sagt der oberösterreichische Landwirt, der seit Juni Obmann der bäuerlichen Direktvermarkter in Österreich ist. Die Zeiten dieser exorbitanten Zuwachsraten sind zwar vorbei, „aber um zehn bis zwölf Prozent ist unser Ab-Hof-Geschäft in den Jahren seither schon gewachsen“, sagt Grabmayr. Und das nicht nur bei ihm.

Die bäuerliche Direktvermarktung ist in Österreich keine verschwindende Kategorie mehr, sondern zu einer relevanten Größe in der Landwirtschaft geworden – und ein professionelles Geschäft. Ab-Hof-Verkaufsstellen sind modern ausgestattet, oft in Selbstbedienung mit elektronischem Zugangs- und Bezahlsystem und mit Verkauf durch Personal nur an bestimmten Tagen. Bei immer mehr Bauern kann man online bestellen und viele nutzen Vermarktungsplattformen oder bieten Produkte über Gemeinschaftsläden an.

Rund 30.000 der insgesamt 110.000 bäuerlichen Betriebe vermarkten einen Teil ihrer Produkte ab Hof, 17.000 davon erwirtschaften inzwischen sogar den Großteil ihres Einkommens aus der Direktvermarktung. Und es könnten bald noch mehr sein. „Schon vor der Pandemie war von bäuerlicher Seite ein deutlicher Anstieg der Nachfrage nach Beratung und Unterstützung spürbar.“

Daran hat sich nichts geändert. Viele Bauern suchen neue Einkommensmöglichkeiten und wollen die Gunst der Stunde nutzen. Auch wenn der große Boom vorüber sei, „ist viel hängen geblieben“, sagt Martina Ortner von der Landwirtschaftskammer Österreich, die den Verband als Geschäftsführerin betreut. „Es wurden neue Kunden gewonnen und die Bestehenden bestärkt, weil man gesehen hat, dass der Einkauf direkt bei den Bauern auch während der Pandemie funktionierte“, sagt sie. „Man hat sich plötzlich auf die Region und die Bauern, die da vor der eigenen Haustür ihre Produkte erzeugen, besonnen.“ Neben dem Angebot und der Qualität der Produkte ist es vor allem die Zuverlässigkeit, die zu den großen Stärken der Direktvermarkter zählt. „Sie erzeugen ihre Produkte selbst, sind mit ihrem Angebot breit aufgestellt“, sagt Ortner.

Auch wenn in den vergangenen Jahren neue Vertriebsformen für viel Aufsehen sorgten, sind die klassischen Vertriebswege auch heute noch die mit Abstand wichtigsten. „Der klassische bäuerliche Direktvermarkter steht auf dem Markt, verkauft seine Produkte ab Hof oder beliefert einen Bauernladen“, sagt Grabmayr. Landwirtschaftsfremde Anbieter, die mit Selbstbedienungsboxen in der Pandemie den Bauern helfen, aber auch Geld machen wollten, tun sich hingegen schwer. Viele sind inzwischen wieder verschwunden. „Das kann nicht wirklich funktionieren“, sagt Ortner. „Den besten Effekt haben die Bauern, wenn sie selbst verkaufen und nicht wieder über Dritte, das verschluckt einen Teil des Ertrags.“

Im Durchschnitt bringt ein bäuerlicher Direktvermarkter seine Produkte über drei bis fünf Vertriebsschienen an die Konsumenten, weiß Ortner. „90 Prozent haben einen Ab-Hof-Verkauf, etwa ein Viertel fährt auf Märkte, rund 20 Prozent beliefern Gastrokunden oder den Lebensmittelhandel und zehn Prozent bieten ihre Ware auch online an.“ Mit einem Anteil von 75 Prozent wird im Ab-Hof-Verkauf auch der meiste Umsatz gemacht.

Die Bedeutung der bäuerlichen Direktvermarktung auf dem Lebensmittelmarkt bleibt allen Zuwächsen zum Trotz überschaubar. „Über alle Produkte beträgt der Marktanteil 3,5 bis vier Prozent“ sagt Ortner. „Bei Eiern ist er größer, bei anderen kleiner, wir haben leider keine aktuellen Zahlen.“

Das hat auch damit zu tun, dass die Organisation der Direktvermarkter schwierige Jahre hinter sich hat, weil man mit der Marke „Gutes vom Bauernhof“ im Zuge der Neuordnung des Agrarmarketings lange keinen rechten Platz fand. Nun ist es gelungen, sich neu aufzustellen. Der neu gegründete Bundesverband, der von den Landesverbänden und der Landwirtschaftskammer getragen wird, wird die Marke weiterentwickeln. Die AMA ist mit dem Genussregion-Siegel an Bord. 1600 Mitglieder gehören dem Verband derzeit an.

Zu tun gibt es genug. Es soll dabei neben der Entwicklung der Marke und der Unterstützung der Mitglieder um die „Sichtbarmachung“, wie Ortner das nennt, gehen. „Es ist wichtig, dass man die Gutes-vom-Bauernhof-Betriebe als bäuerliche Betriebe erkennt“, sagt sie.

Sie und Grabmayr hoffen nicht nur dabei auf politische Unterstützung. Sorgen macht vor allem, dass die bäuerlichen Direktvermarkter mit Kontrollen und Registrierungspflichten überfordert werden könnten. „Wir spüren das im Hintergrund“, sagen sie. „Dabei wollen die Leute nicht das Große bis in jedes Detail Überwachte in der agrarischen Produktion, sondern das Differenzierte und Unterschiedliche.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 27. Juli 2023

Donnerstag, 20. Juli 2023

Triumphgehabe ist fehl am Platz

Die Bauern und ihre Vertreter mussten in der vorigen Wochen eine große Portion Häme hinnehmen, weil sie ziemlich geschlossen gegen die EU-Renaturierungsverordnung stimmten. Für sie ist es der falsche Weg und das falsche Konzept. Nicht weil sie gegen die Erhaltung der Natur sind, sondern vor allem, weil sie den Vorschlag ganz einfach für schlecht halten. "Wir sind für die Wiederherstellung ökologischer Lebensräume und machen das vielfach bereits, aber wir müssen dieses Gesetz richtig machen", fasste der österreichische Abgeordnete Alexander Bernhuber, selbst Landwirt, zusammen, was die Bauern so ärgert. Für ihn und seine Kollegen ist die Renaturierungsgsverordnung eher ein "Bauern-Enteignungsgesetz", das zum einen nur dazu führt, dass Europa mehr Lebensmittel importieren muss, und zum anderen ein "Erneuerbaren-Ausbau-Verhinderungsgesetz", das voller Widersprüche ist.

Nun, man weiß, wie die Abstimmung ausgegangen ist -äußerst knapp, aber doch für den Vorschlag des Renaturierungsgesetzes und damit gegen das, was die Landwirtschaft für gutgeheißen hätte. Während sich die Mehrheit selbstzufrieden zurücklehnen kann, weil man ja "für die Umwelt etwas getan" hat, müssen Bauern wohl alleine mit dem zurechtkommen, was da beschlossen wurde -selbst wenn es noch einige Korrekturen geben dürfte.

Die Entscheidung ist das eine und sie ist, das sagen auch die Bauern, als demokratische Entscheidung fraglos zu akzeptieren. Was nachdenklich stimmt, sind freilich die geradezu frenetischen Jubelszenen all der vorwiegend grünen und sozialdemokratischen Abgeordneten, nachdem das Abstimmungsergebnis bekannt gegeben wurde. Da war sehr viel weniger von der Freude über eine Weichenstellung für die Erhaltung der Natur, als die Freude darüber zu spüren, dass man dem Gegner eins ausgewischt hat und ihn niedergerungen hat. Da schien es nicht nur um die Umwelt und die Ökologie, sondern wohl vor allem um die Politik und um die Ideologie gegangen zu sein.

Diese Szenen machten, wie es kaum je zuvor zu sehen war, einen Riss, der quer durch Europa geht, sichtbar -den Riss zwischen Stadt und Land, den Riss aber auch zwischen jenen, die vorwiegend produzieren und davon leben und leben müssen, und jenen, die vorwiegend konsumieren und Noten verteilen, sonst aber oft nur recht wenig zu dem beitragen, was sie von anderen fordern.

Die Landwirtschaft leidet ganz besonders unter dieser Haltung. Aber auch der Wirtschaft und Industrie geht es kaum anders. Viel mehr als Abschätzigkeit ernten sie nicht, wenn sie auf Widersprüche und Sorgen aufmerksam machen. An sie werden zuweilen ganz andere Maßstäbe angelegt, als an den großen Rest der Bevölkerung, wenn es darum geht, möglichst viel zur Rettung der Klimaziele und der Natur beizutragen. Da lässt man sicherheitshalber meist vorsorglich gar keine Zweifel aufkommen, will Argumente gar nicht hören und zuhören will man schon gleich nicht.

Die wirklich Betroffenen, die die Folgen von Weichenstellungen wie dem Renaturierungsgesetz, aber auch die von vielen andere Gesetzen zu tragen haben, kommen in den Diskussionen oft ganz einfach nicht vor. Nicht die Menschen und nicht Unternehmen. Nicht Bauern, die, wie bei allem was der Green Deal der EU noch bringen wird, mit ihrer Zukunft hadern, weil sie sich nicht vorstellen können, mit der Hälfte der Pflanzenschutzmittel auszukommen und mit deutlich weniger Dünger, die sich Sorgen machen um ihre Felder, die dann möglicherweise in Renaturierungsgebieten liegen, und um ihre Zukunft. Aber auch nicht Gewerbebetriebe, Unternehmer und Industriebetriebe, denen immer neue Hürden hingestellt werden, mit denen sie zurechtkommen sollen und müssen -ohne dass ihre Einwendungen und Vorschläge groß gehört oder gar berücksichtigt werden.

Was die hitzige Abstimmung im EU-Parlament hinterlässt, ist ein schales Gefühl. Es ist mehr Verantwortungsbewusstsein und weniger Ideologie einzufordern, wenn es um fraglos notwendige Weichenstellungen geht in der Gesellschaft. Das gilt für alle Beteiligten. Es muss sehr viel mehr um die Sachen selbst gehen und sehr viel weniger um politische oder gar ideologische Triumphe. Es braucht mehr Respekt und mehr Verantwortung. Und eine größere Zusammenschau der Dinge, als die Perspektive, dem Gegenüber eins aufs Fell zu brennen.

Und es braucht kein Triumphgehabe -schon gar nicht im EU-Parlament.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Juli 2023

Freitag, 14. Juli 2023

Bauern auf unsicherem Boden

Der Klimawandel hat viele Facetten und ist voller Zielkonflikte. Der Boden ist dabei im Zentrum – und macht vor allem den Bauern zu schaffen.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Vor wenigen Wochen sorgte das Scheitern der Verabschiedung der Bodenschutzstrategie für Österreich für heftige Diskussionen. In den vergangenen Tagen war es das Renaturierungsgesetz, das im Europäischen Parlament mit knapper Mehrheit beschlossen wurde. Und immer wieder gibt es fette Schlagzeilen, wenn aktuelle Zahlen von Bodenverbrauch und Bodenversiegelung in Österreich veröffentlicht werden. Gemeinsam ist all diesen Themen, dass man seit Langem weiß, was besser zu machen ist, dass bisher aber kaum Fortschritte erzielt wurden. Und gemeinsam ist all diesen Themen auch, dass sie nicht einfach zu lösen sind, sondern vielschichtig und voller Zielkonflikte.

„Boden hat zum einen ,Produktionsfunktion‘ zur Ernährungssicherung“, sagt Boden-Experte Martin Gerzabek von der Universität für Bodenkultur. „Aber eben nicht nur“, setzt er fort und nennt dazu die „Lebensfunktion“ als Faktor für die Biodiversität, die „Schutzfunktion“ zur Erhaltung des Klimas und des Wasserhaushalts und die „Abbaufunktion“ etwa für den Abbau von Schadstoffen.

Die Einschätzungen der Experten werden zunehmend dramatisch. Obwohl seit 20 Jahren davon geredet wird und das Ziel, den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu senken, sogar im Programm der aktuellen Regierung steht, werden immer noch jeden Tag mehr als elf Hektar verbaut. Das sind 41 Quadratkilometer pro Jahr, was Gemeinden in der Größenordnung von Straßwalchen entspricht. Die Juristin Leonore Theurer machte bei einer Veranstaltung der Initiative „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ dafür auch die Zersplitterung der Zuständigkeiten und mangelnde Koordination der zuständigen Stellen verantwortlich.

Die Zielkonflikte machen besonders der Landwirtschaft zu schaffen. Sie ist wirtschaftlich wie kein anderer Bereich von der Nutzung des Bodens abhängig, leidet aber gleichzeitig wie kein Wirtschaftszweig sonst unter dem hohen Bodenverbrauch und den Auswirkungen der Klimakrise. Pro Jahr gehen jeweils rund 4500 Hektar Acker- und Grünland für immer verloren. Nur gut die Hälfte davon wird Wald, der große Rest verschwindet unter Beton und Asphalt. 180.000 Hektar waren es in den vergangenen 20 Jahren, sagt die Österreichische Hagelversicherung, deren Chef Kurt Weinberger sich seit Jahren des Themas annimmt.

Damit nicht genug. Schon vor Jahren zeigte eine Studie der Ages (Agentur für Ernährungssicherheit) auf, dass in Österreich bis 2050 die Bodenfruchtbarkeit und damit die Erträge um fast 20 Prozent abnehmen werden. Vor allem in Ostösterreich, einem der wichtigsten Anbaugebiete des Landes, wird dieser Einschätzung nach die Bodenfruchtbarkeit um 48 Prozent, also um knapp die Hälfte, zurückgehen.

International wird diese Entwicklung die Märkte dramatisch verändern. Russland wird bis 2065 seine landwirtschaftlich nutzbare Bodenfläche wegen der durch den Klimawandel auftauenden Permafrostböden um 50 Prozent ausweiten können und China um 30 Prozent. Mit einem Zuwachs von zehn Prozent werden die USA demnach immerhin noch im Plus liegen, während Europa (minus 15 Prozent), aber auch Südamerika, Afrika und Indien mit Rückgängen zu rechnen haben. „Man möge sich überlegen, wer dann das Sagen haben wird, sage ich jetzt einmal ganz vorsichtig“, meint Bodenexperte Gerzabek.

Dennoch tun sich die Bauern schwer, ihre Sorgen vor allem um die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln verständlich zu machen. Dass sie im EU-Parlament den Entwurf des Renaturierungsgesetzes ablehnten und auf die Vielschichtigkeit der Materie hinwiesen, stieß auf wenig Verständnis. Aber auch Gerzabek will der Landwirtschaft keinen Freibrief ausstellen. „Ein Land wie Österreich muss darauf vorbereitet sein, auch in Krisenfällen die Menschen zumindest mit Grundnahrungsmitteln versorgen zu können“, sagt er. „Aber angesichts des Klimawandels muss uns klar sein, dass wir in den nächsten Jahrzehnten die Landwirtschaft neu denken müssen.“

Nachsatz: „Wir können es uns nicht leisten, den Verlust der Ertragsfähigkeit im Osten und Südosten Österreichs einfach hinzunehmen.“


In der Landwirtschaft ernten sie Unverständnis und Kopfschütteln,...


In der Landwirtschaft ernten sie Unverständnis und Kopfschütteln, außerhalb der Bauernhöfe aber wächst das Verständnis für radikale Vorschläge, wie sie Martin Schlatzer, Wissenschafter in Diensten des Fibl (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) propagiert. Er rechnet vor, dass gegenüber derzeit üblicher Mischernährung bei rein veganer Ernährung der Flächenbedarf um rund zwei Drittel von 1832 auf 629 Quadratmeter pro Kopf zurückgehen würde.Kostenwahrheit in der Produktion und eine Einrechnung der Folgekosten in die Preise schlägt er vor. „Die Preise für Pflanzenprodukte müsste man um zwei Drittel senken, tierische Produkte entsprechend verteuern.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 14. Juli 2014

Europas Bauern werden an Boden verlieren

Klimawandel und Bodenverbrauch lassen die Erträge sinken. Russland und China gewinnen.

Wien. Klimawandel und Bodenverbrauch werden nicht nur in Österreich die Landwirtschaft verändern und gerade im trockenen Osten des Landes die Bodenfruchtbarkeit senken. Auch international würden sich die Agrarmärkte wandeln, sagt Martin Gerzabek, Bodenexperte an der Wiener Universität für Bodenkultur.

Für Österreich rechnete die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) schon vor Jahren vor, dass landesweit die Erträge bis 2050 um fast 20 Prozent sinken werden. In Ostösterreich, einem der wichtigsten Anbaugebiete, soll die Bodenfruchtbarkeit sogar um 48 Prozent, also fast die Hälfte, zurückgehen. Europaweit wird ein Minus von 15 Prozent erwartet. Ganz anders sei die Situation in Russland oder China. Wegen der durch den Klimawandel auftauenden Permafrostböden könnte Russland seine nutzbare Bodenfläche bis zum Jahr 2065 um 50 Prozent ausweiten, China um 30 Prozent. „Man möge sich überlegen, wer dann das Sagen haben wird“, lautet Gerzabeks rhetorische Frage. Ein Land wie Österreich müsse darauf vorbereitet sein, auch in Krisenfällen die Menschen zumindest mit Grundnahrungsmitteln versorgen zu können, mahnt der Bodenexperte. Nicht nur die Politik sei hier gefordert. Denn obwohl seit 20 Jahren davon geredet wird, den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu senken, werden weiter jeden Tag mehr als elf Hektar verbaut.

Auch der Landwirtschaft stellt Gerzabek keinen Freibrief aus. „Angesichts des Klimawandels muss uns klar sein, dass wir in den nächsten Jahrzehnten die Landwirtschaft neu denken müssen.“ Nachsatz: „Wir können es uns nicht leisten, den Verlust der Ertragsfähigkeit im Osten und Südosten Österreichs einfach hinzunehmen.“ 

Salzburger Nachrichten - Seite 1, 14. Juli 2023


Dienstag, 11. Juli 2023

Ukraine-Tief auf dem Getreidemarkt

Die „grüne Brücke“, die der Ukraine helfen sollte, sorgt für Unmut bei den Bauern. Die Getreidepreise sind unter Druck wie schon lange nicht mehr.

Hans Gmeiner

Salzburg. Die Stimmung war feierlich, als Anfang Mai vorigen Jahres die erste Getreidelieferung aus der Ukraine per Bahn in Wien ankam. Die damalige Landwirtschaftsministerin, der ÖBB-Generaldirektor und der ukrainische Botschafter posierten für ein Foto. Über sogenannte „grüne Brücken“, also den Landweg, sollten Mais, Getreide und Soja auf den Weltmarkt gebracht werden, um die internationale Versorgung zu sichern.

Doch schon die erste Lieferung landete in einem heimischen Mischfutterwerk. Daran hat sich seither nichts geändert. Die Märkte für Getreide, Mais und Soja sind in Österreich und im übrigen Westeuropa gesättigt, die Preise seit Monaten auf Talfahrt und die Bauern entsprechend sauer. Die Gerüchteküche heizt die Stimmung an. Vereinbarte Mengen aus heimischer Produktion würden nicht abgeholt, hört man, Grenzwerte für giftige Rückstände erhöht und wahllos Gentechnikware importiert.

Große Verarbeiter wie Agrana und Jungbunzlauer sowie Händler und Mischfutterwerke werden verdächtigt, die „grüne Brücke“ für Mais-, Getreide- und Sojaimporte zu nutzen, um auf Österreichs Landwirtschaft Druck zu machen. Fotos werden herumgereicht, viele wollen etwas gesehen und gehört haben. Beweisen kann niemand etwas. Agrana jedenfalls versichert: „Wir beziehen nur geringe Mengen an Wachsmais aus der Ukraine, den wir für spezielle Produktionen brauchen, sonst aber nichts.“

Die Datenlage ist dürftig und unübersichtlich. Aus den Importzahlen der Statistik Austria geht nur hervor, dass die direkten Importe aus der Ukraine einzig bei Mais markant angestiegen sind. Wurden im Zeitraum März 2021 bis Februar 2022, also vor dem Überfall Russlands, lediglich 968 Tonnen importiert, so schnellte die Menge im darauffolgenden Jahr auf mehr als 156.000 Tonnen. Im Vergleich dazu spielen Weizen mit einer Importmenge von 4300 Tonnen und auch Gerste mit 740 Tonnen keine Rolle.

„Was mit dieser Ware passiert ist, wissen wir nicht“, sagt Christian Gessl, Marktexperte der Agrarmarkt Austria. Und man weiß auch nicht, wie viel Getreide, Mais und Soja über Drittstaaten aus der EU nach Österreich gekommen ist. „Da gibt es eine Freigrenze zwischen 150.000 und 200.000 Euro pro Lieferung, die nicht gemeldet werden muss“, sagt Gessl.

Aber nicht nur für ihn und andere Marktbeobachter ist klar, dass bisher große Mengen an Weizen und vor allem Mais auf dem Landweg nach Europa gekommen sind. „Diese Importe aus der Ukraine haben den EU-Markt natürlich durcheinandergewirbelt, auch weil zur gleichen Zeit der Konsum schwächelte und weniger Getreide gebraucht wurde.“ Spätestens seit die unmittelbaren Nachbarstaaten keine ukrainische Ware mehr übernehmen, sondern nur die Durchschleusung erlauben, ist der Druck auch in Westeuropa besonders groß.

Die Biobauern kämpfen mit denselben Problemen. Vor allem über die Niederlande, Frankreich, Deutschland und Spanien kommen beträchtliche Mengen aus der Ukraine in die EU und drücken auf die Märkte. Obwohl ukrainische Bioware auch über Österreich in andere EU-Staaten gehandelt wird, ist im heimischen Biofutter davon nichts zu finden. „Wir haben bei Bauern, Mischfutterwerken und Händlern Proben genommen und nichts gefunden“, sagt Hermann Mittermayr von Bio Austria.

Die Preise bei Getreide, Mais und Soja sind seit Monaten sowohl im konventionellen Bereich als auch bei Bio im Sinkflug. Die Kurse an den Warenterminbörsen liegen etwa bei konventionell erzeugtem Weizen nur mehr knapp über der Hälfte der Rekordwerte des Vorjahres. Bei anderen Produkten ist die Entwicklung ähnlich. 

Der Markt ist auf das Niveau vor dem Krieg zurückgekehrt. Zudem sind die Ernteaussichten nicht nur in Österreich gut. „Der gesamte Getreidemarkt steht, es bewegt sich nichts“, sagt Helmut Feitzlmayr von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich. Zudem stehe eine sehr gute Ernte an. Das gilt auch für Biogetreide. „Alle wissen, dass es eine gute Ernte gibt, das hat Folgen für die Preise“, sagt Mittermayr und macht sich keine Illusionen.

„Die Verarbeiter lehnen sich zurück, keiner kauft, alle warten, was passiert“, sagt Feitzlmayr. Das schmerzt die Bauern heuer besonders. Denn sie erwischt diese Entwicklung auf dem falschen Fuß. Die Kosten für die Produktion der Feldfrüchte, die sie nun billig verkaufen müssen, war so teuer wie kaum je zuvor. Bei Diesel, Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln war von Kostensenkungen kaum etwas zu spüren. „Eine fatale Situation“, sagt Feitzlmayr. Franz Sinabell vom Institut für Wirtschaftsforschung sagte schon vor einem Monat, dass in der Getreidewirtschaft heuer mit geringeren Einkommen zu rechnen sein wird. Wenn Russland aber das Getreideabkommen mit der Ukraine platzen lässt, kann alles sehr schnell anders sein. Für eine gewisse Zeit zumindest.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. Juli 2023

Donnerstag, 6. Juli 2023

Der Populismus frisst die politische Mitte

Allerspätestens seit der Salzburg-Wahl sind in diesem Land die Stimmen nicht mehr zu überhören, die sich um die politische Mitte Sorgen machen. "Wer kümmert sich eigentlich darum?", fragt man allerorten. "Auf die Position der Mitte will sich kaum jemand bewegen", schrieb schon vor Wochen die neue profil-Chefredakteurin in einem Leitartikel. "Ihr Ruf wurde ruiniert." Dem Befund ist beizupflichten. 

Der Populismus, dem längst alle Parteien verfallen sind, hat die Mitte auseinandergetrieben. Niemand scheint dort mehr Möglichkeiten zu sehen. Sachlichkeit, Zielorientierung und eine gesamtheitliche Sicht gelten nicht mehr viel in diesem Land, sondern gelten als fad, unattraktiv, uninteressant und wertlos für das Erreichen politischer Ziele. Stattdessen scheint es nur mehr um Polarisierung zu gehen, die jede Wertschätzung vermissen lässt und jede Achtung und auch das Ziel, gemeinsam das Beste zu erreichen.


Die politische Mitte hat man dabei aus den Augen verloren, weil man immer mehr nach den Rändern schielte, in denen man viele der Bürgerinnen und Bürger vermutet, die aus der Mitte flüchteten, weil sie sich dort nicht mehr vertreten und vom vielversprechenden und doch nichtssagenden Populismus angezogen fühlten. Wer dennoch in der Mitte bleibt und nicht dem populistischen Getöse folgen will, bleibt übrig. Niemand mag sich um ihn respektive sie kümmern.

Ohne Zuspitzung scheinen die Parteien heute keine Chancen mehr für sich zu sehen. Und ohne Verachtung für den anderen auch nicht. Das gilt für alle Parteien. Auch für die, die eigentlich bisher als die Mitte gegolten haben. Keiner lässt auch nur ein gutes Haar am anderen. Das Klima ist vergiftet. Im Land geht wenig weiter, und schon gar nicht das, was weitergehen sollte. Der Populismus hat gründliche Arbeit geleistet. Allzu gründliche. Die Verhärtung und zunehmende Kompromisslosigkeit ist längst ein Problem der Gesellschaft geworden und hat viel zu oft in Hass gemündet.

Die politische Mitte bewegt sich in Richtung Rechtspopulismus, heißt es in einem der vielen Zeitungskommentare. Auch wenn diese Einschätzung populär ist, ist sie nur die halbe Wahrheit. Die politische Mitte bewegt sich auch in Richtung Linkspopulismus. Und als ob das nicht genug wäre, macht sich auch eine Art Ökopopulismus breit, der den anderen Formen in seiner Plattheit und Zuspitzung um nichts nachsteht.

Jeder Populismus kennt nur die Farben Schwarz oder Weiß und nichts dazwischen. Verständnis hat da keinen Platz. Wer nicht dafür ist, ist dagegen. Wer nicht für einen ist, ist Gegner - verantwortungslos und bei Bedarf auch schnell einmal, wenn nicht gleich ein Gauner, so doch ein Schlitzohr.

Das hat Folgen. Denn dieser Populismus hinterlässt in all seinen Schattierungen auf der Gegenseite Menschen, die sich in Richtungen und Positionen gedrängt fühlen, die sie nicht nachvollziehen können und die sie überfordern. Und je mehr sie gedrängt und punziert werden, desto größer wird der Widerstand, desto tiefer werden die Gräben. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus, hieß das früher.

Längst sind wir in einer Abwärtsspirale gefangen. Wer etwas nicht versteht oder wer zu etwas nicht sofort und ohne Wenn und Aber Hurra schreit, wird bedrängt und gebrandmarkt. Muss man wirklich die Straßenkleber gut finden oder sich am besten gleich selbst auf die Straße kleben, um Umweltschutz für wichtig zu halten? Oder muss man wirklich gleich alles gendern und mit Binnen-I reden, um die Gleichstellung von Mann und Frau zu leben? Oder einen LGBTQ-Aufkleber am Auto haben, um für eine offene Gesellschaft zu sein? Oder muss man gleich für Vermögens-und Erbschaftssteuern sein, wenn man dafür ist, dass es allen in der Gesellschaft gut geht? Oder wegen Babler alle SP-Wähler für Marxisten oder gar schlechte Menschen halten? Oder alle VP-Wähler wegen Kurz und Konsorten und ihren Nachfolgern für so gestrig, wie das gerne behauptet wird?

Nein, muss man nicht. Nicht in diesen Fällen und auch nicht in den zahllosen anderen, mit denen man immer wieder konfrontiert wird. Aber wie kann die Politik und mit ihr die Gesellschaft da wieder herausfinden? Zurück zu einer Normalität, nach der sich allem zum Trotz doch wieder so viele sehnen?

"Leben und leben lassen" könnte ein guter Ansatz dafür sein. Man muss dort nur wieder hinfinden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. Juli 2023
 
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