Donnerstag, 28. März 2024

Ein Wahlergebnis zum Nachdenken

Nun also doch nicht. Kay-Michael Dankl wird nicht Bürgermeister von Salzburg. Dabei war die Aufregung nicht unbeträchtlich, weil viele auch außerhalb der Stadt Salzburg für den jungen Kommunisten mit der sonoren Stimme und dem unaufgeregten Auftreten durchaus Sympathie signalisierten. Altkanzler Schüssel sah sich veranlasst, eindringlich davor zu warnen, dass die "Marke KPÖ toxisch" sei und erinnerte daran, dass "halb Österreich" vor nicht allzu langer Zeit noch vom Eisernen Vorhang umschlossen war. Auch Oberösterreichs Alt-Landeshauptmann Pühringer rückte aus und forderte "Schluss mit lieb und nett" und warnte vor einer Verharmlosung ganz nach dem Motto "Auch ein Pseudo-Kommunist bleibt ein Kommunist".

Die Befürchtungen erwiesen sich als übertrieben. Die Festung wankte in Salzburg, aber sie fiel nicht. Dankls Ergebnis ist aber jedenfalls ein Achtungserfolg. Ein Achtungserfolg wohl, der die Republik nicht aus den Angeln heben wird und einer, den die Demokratie aushalten muss. So wie sie auch am anderen Rand des politischen Spektrums Erfolge aushalten muss.

Dennoch bleibt einiges zu hinterfragen nach diesen Wahlen in Salzburg, respektive in der Stadt Salzburg, und sollte nicht einfach wieder unter den Teppich gekehrt werden. Kay-Michael Dankl hat mit seiner KPÖ plus weniger dem Kommunismus den Weg bereitet in Österreich, vielmehr hat er die Fehler der etablierten Parteien aufgezeigt und damit Stimmen gemacht.

Er verstand es vor allem, die Verärgerung vieler Salzburger Bürger über die Wohnungssituation in der Stadt Salzburg für sich zu nutzen und damit ideologische Berührungsängste locker zu überwinden. Die etablierten Parteien standen hilflos daneben und mussten zusehen, wie der Ideal-Schwiegersohn mit seiner unkomplizierten Art und ganz ohne das in der Politik üblich gewordene Geifern und ohne jede Aggression in der Wählerschaft abräumte.

Das wiederum zeigt, dass man in der Politik auch sehr wohl anders, nennen wir es zivilisiert, auftreten und zum Erfolg kommen kann. Da hofft man nachgerade, dass es Schule macht. Das zeigt aber auch, dass den Wählerinnen und Wählern im Land ideologische Grenzen völlig egal zu sein scheinen, wenn die Frustration nur hoch genug ist. Das ist freilich nicht neu. Von der rechten Seite kennt man das schon lange. Hemmungen sind dort längst fremd.

Das sollte Sorgen machen. Wo sind dann wirklich die Grenzen, fragt man sich mit wachsender Besorgnis. Von Kickl und Co weiß man, was sie denken und wo sie hinwollen und was man von denen zu befürchten respektive zu erwarten hat. Wenn aber auch Elke Kahr, die KPÖ-Bürgermeisterin von Graz und Vorbild für Salzburgs Dankl, für China kaum kritische Worte findet und auch nicht für Russland, sondern das "Gewinnstreben der Rüstungsindustrie" als Grund dafür angeführt wird, dass es in der Ukraine zu keinem Frieden kommt, eröffnet das eine neue Dimension.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist freilich, dass schier jede Äußerung Kickls für ein wildes Rauschen im Blätterwald sorgt, dass aber Kahr und auch Dankl und ihr Kommunismus in der heimischen Öffentlichkeit und Publizistik so etwas wie Welpenschutz genießen. Anders als der Gegenseite nimmt man ihnen alles ab, was sie zum Kommunismus sagen, hinterfragt es kaum, und skandalisieren will man es schon gar nicht.

Die traditionellen Parteien auch außerhalb Salzburgs jedenfalls sollten das Salzburger Ergebnis als Auftrag sehen, sich nun endlich wirklich am Riemen zu reißen und Dankl und seinen Erfolg nicht kleinreden. Denn es sind sie, die verantwortlich dafür sind, dass wir es heute mit extremen Positionen und Parteien zu tun haben. Mit der FPÖ bei uns oder der AfD in Deutschland und all ihren Auswüchsen auf der einen Seite und nun auch mit den Kommunisten auf der anderen.

Es geht darum, das aufzuräumen, was man in den vergangenen Jahren angerichtet hat, will man nicht endgültig untergehen und den linken und den rechten Rändern das Land überlassen. Sie können sich dabei in der Tat an Dankl ein Vorbild nehmen und vielleicht sogar auch an Kahr. Der Zugang, den sie zu den Wählern haben, haben andere längst verloren.

Da sollte sich auch die SPÖ nicht täuschen, die den Sieg in Salzburg brauchte wie einen Bissen Brot. "Wäre Dankl als 'Plus', also ohne den Kommunisten-Quatsch, angetreten, wäre es wohl knapper geworden", war auf Twitter zu lesen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. März 2024

Donnerstag, 21. März 2024

Österreich - ein einziger, riesiger Bankomat

In Österreich ist der Sozialstaat ausgebaut wie in kaum einem anderen Land. Mehr als 130 Milliarden brauchen wir Jahr für Jahr dafür, fast ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung. Unumstritten ist das nicht. Den einen ist es, man denke nur an den neuen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei, offenbar immer noch zu wenig. Den anderen, man denke an die Vertreter der Wirtschaft, und vielen anderen, vornehmlich aus dem Milieu derer, die sich zu den Leistungsträgern zählen, ist das viel zu viel. Der Unterschied scheint groß. Bloß, er ist es nicht. Wenn es darum geht, den Sozialstaat zu nutzen, ist nämlich kaum ein Unterschied zu merken. Darauf versteht man sich da wie dort gleichermaßen. Und man tut es da wie dort ohne Argwohn und mit der Überzeugung, einen Anspruch darauf zu haben.

In den vergangenen Tagen gerieten just zwei solcher Bereiche in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, die zeigen, dass man auch dort gerne nutzt, was der Sozialstaat und alles, was dazugehört, hergibt, wo man ebendiesen vornehmlich als viel zu großzügig kritisiert, wo man unnötige Geldverschwendung vermutet, wo man Kürzungsbedarf sieht, und wo man mehr Eigenverantwortung verlangt. Vor allem dann, wenn es um Hilfe für soziale Randgruppen, Geringverdiener oder Ähnliches geht.

Da sorgte zunächst einmal die Kritik der Arbeiterkammer für Aufsehen, dass viele Unternehmen nicht nur je nach Saison, sondern auch je nach Auftragslage Mitarbeiter vorübergehend in die Arbeitslose schicken und deren Versorgung auf diese Weise für eine gewisse Zeit an die Allgemeinheit auslagern, weil man sich Lohn-und Gehaltszahlungen ersparen will. In der Baubranche und im Tourismus ist das seit jeher gängige Praxis, ohne dass sich irgendjemand dabei etwas denkt. Zwischen den Saisonen schickt man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum AMS, und wenn man sie dann wieder braucht, stellt man sie wieder ein. Das gilt weitum als verständlich und nachvollziehbar. In diesem Spiel können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufeinander verlassen. In Diskussion geriet das Thema, weil in den vergangenen Monaten immer mehr Unternehmen auch außerhalb der beiden genannten Branchen die Attraktivität dieses Modells entdeckt haben.

Im Kern aber ist es da wie dort nichts anderes, als dass sich ganze Branchen der Segnungen des Sozialstaates bedienen, ohne sich weitere Gedanken darüber zu machen. Man ist daran gewohnt, man braucht es und man verlässt sich drauf. Die Generalabsolution, die man sich gerne selbst spendet, lautet, man mache nichts Unrechtes, weil es ja angeboten werde.

Daran, dass das alles andere als normal ist und dass es wohl auch andere Lösungen geben könnte, verschwendet man längst keinen Gedanken mehr. Schon gar nicht daran, dass das in der Qualität kaum etwas anderes ist, als das, was man anderen oft so gerne vorwirft, wenn man meint, sie profitieren über die Maßen vom Sozialstaat oder nutzen ihn gar aus.

In die nämliche Richtung geht das zweite Thema, das Schlagzeilen machte. "Bildungskarenz sollte keine verlängerte Babypause sein", titelten die Zeitungen. Auch da wird ein Angebot, das dem Sozialstaat zuzurechnen ist, zweckentfremdet und zum eigenen Vorteil genutzt. Aus der eigentlich für Fortbildung zur Verfügung gestellten Zeit wird Zeit für Kinderbetreuung gemacht. Auch da denkt sich niemand etwas dabei, schon gar nicht etwas Schlechtes. Auch da heißt es, man mache ja nichts Unrechtes, weil es ja angeboten werde.

Rund eine halbe Milliarde Euro kostet das Jahr für Jahr -da wie dort. Eine ganze Milliarde insgesamt. Und da staunt man darüber, dass der Sozialstaat so viel Geld verschlingt und dass nur 20 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher im Durchschnitt mehr ins System einzahlen, als sie herausbekommen.

Verwundern tut das freilich nicht. Die politischen Parteien verstehen sich zunehmend als Sozialberater und Vermittler von Förderungen und nicht als Anbieter politischer Lösungen. Alle. Neuerdings sind auch die Neos dazuzuzählen. Ihre Chefin ventilierte allen Ernstes in der Öffentlichkeit ein mit 25.000 Euro dotiertes "Chancenkonto", das jede und jeder mit 18 Jahren für Ausbildung, Unternehmensgründung oder Wohnen bekommen soll.

Diese liberale Großzügigkeit mag dem bevorstehenden Wahlkampf geschuldet sein -es ist aber auch eine weitere Bestätigung dafür, dass hierzulande inzwischen alle Österreich als einen einzigen großen Bankomaten sehen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. März 2024

Montag, 18. März 2024

EU-Entwaldungsverordnung regt Bauern auf

Rinder- und Sojabauern sowie Forstwirtschaft warnen vor Bürokratie und fordern Ausnahmen.

Hans Gmeiner 

Salzburg. Eigentlich sollte die Entwaldungsverordnung der EU, die 2023 beschlossen wurde und bis Ende dieses Jahres auch in Österreich umgesetzt werden soll, klimaschädliche Waldrodungen in Brasilien und Indonesien bremsen. Es soll sichergestellt werden, dass Soja, Rindfleisch und andere Produkte nicht mehr nach Europa importiert werden dürfen, wenn für deren Erzeugung Wälder gerodet wurden.

Was gut gemeint ist, droht sich für die Land- und Forstwirtschaft in Europa und damit auch Österreich zu einem Bürokratiemonster auszuwachsen, das viel kostet, aber nichts bringt. Die Verordnung verlangt von allen Beteiligten der Wertschöpfungskette nachvollziehbare Angaben über die Produktion inklusive Geodaten, die beweisen, dass für die Ware kein Baum gefällt wurde. Oder es ist im Detail anzugeben, wo das Holz herkommt. Das gilt für Bauern und Waldbesitzer genauso wie für Metzger und Sägewerker, für Pellets-und Mehlerzeuger und reicht zum Einzelhandel.

Die Aufregung ist groß. „In einem Land wie Österreich, wo die Waldfläche und der Holzvorrat kontinuierlich wachsen, kann man das weder erklären noch ist es in der Praxis durchführbar“, sagt Werner Habermann, Geschäftsführer der Arge Rind, Dachorganisation der heimischen Rindererzeuger. „Jeder Bauer müsste bei jedem Einzeltier beim Verkauf nachweisen, dass für die Fütterung kein Baum geschlägert wurde und es vor dem Verkauf in eine EU-Datenbank eingeben.“ Damit nicht genug. „Auf einer Alm, die man in den vergangenen Jahren durch Entfernung von Bäumen vor der Verwaldung schützte, dürfte dann kein Vieh mehr weiden, es könnte nicht verkauft werden.“

Karl Fischer, Obmann des Vereins Soja aus Österreich, sieht eine Gängelung der Sojabauern, die „eindeutig zu weit“ gehe. Europa verteuere die eigene Produktion ohne zusätzlichen Nutzen, zumal Soja aus Brasilien, das auf Flächen erzeugt wird, die vor 2020 gerodet und abgebrannt wurden, von der Verordnung ausgenommen ist und weiter uneingeschränkt nach Europa geliefert werden könne.

Auch in der Wald- und Holzwirtschaft läuft man gegen die Verordnung Sturm. Selbst von Kleinwaldbesitzern werden künftig für jeden Baum, den sie schlägern, Geodaten und der gleiche Bürokratieaufwand wie von der Forstindustrie verlangt. „Da kann man wirklich nur den Kopf schütteln, schließlich ist bei uns der Wald ohnehin bereits einer der strengst kontrollierten Bereiche mit mehreren Zertifizierungsebenen vor allem in Sachen Nachhaltigkeit“, sagt Rudolf Ortner, Holzindustrieller in Oberösterreich. Allein in seinem Betrieb müsste er zwei Vollzeitmitarbeiter abstellen, die sich nur um Geodaten und Parzellennummern kümmern, die für den Herkunftsnachweis nötig sind.

Alle Beteiligten hoffen nun, dass es doch noch gelingt, der Entwaldungsverordnung den Schrecken zu nehmen. Für Habermann passt nicht zusammen, dass die EU immer vom Bürokratieabbau redet, gleichzeitig aber so etwas wie die Entwaldungsverordnung umsetzen will. „Unsere Forderung ist klar, es muss gelingen, dass Länder wie Österreich, die einen Waldzuwachs nachweisen können, von der Verordnung ausgenommen werden.“

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 18. März 2024

Donnerstag, 14. März 2024

Der falsche Feind

Der Fortschritt ist nicht gut angesehen in unserer Gesellschaft. Eine regelrechte Fortschrittsfeindlichkeit hat sich breitgemacht und eingenistet in vielen Köpfen. Viele sehnen sich zurück nach den alten Zeiten, die vielen als gut gelten, und man verdrängt dabei, dass sie meistens alles andere als gut waren, und zumeist richtig schlecht. Schon gar wenn es um die täglichen Dinge geht, um die persönlichen Verhältnisse, um die Gesundheit, um die Ernährung auch und die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Da ist noch gar nicht die Rede von den sozialen und den politischen Verhältnissen und von den Lebensumständen insgesamt. Nicht einmal übersichtlicher war es in den Zeiten, die so gerne als die guten alten Zeiten beschworen und verklärt werden. Und gar nicht zu reden davon, dass inzwischen viele daraus ein Geschäftsmodell gemacht haben. In der Wirtschaft und in der Politik vor allem.

Zuweilen scheint es, als hätte die Gesellschaft die Orientierung verloren, wenn es um die Entwicklung geht und um die Notwendigkeiten. Da geht der Blick selten über den Tellerrand hinaus und ist bestimmt vor allem von eigenen Interessen und der eigenen Situation. Das sei jedem Einzelnen unbenommen, das darf aber keine Entschuldigung dafür sein, im Großen die Dinge nicht voranzutreiben. Für die Menschen, aber auch für die Umwelt. Denn was der Fortschritt erreicht, kann immer wieder erstaunen. Und es passt oft überhaupt nicht zu dem, wie darüber gedacht und diskutiert wird.

Der Fortschritt ist oft kaum zu merken, im Ergebnis ist ihm aber oft nachgerade ein Wunder eigen, über das man nicht genug staunen kann - in der Lebenserwartung, in der Medizin, in der Landwirtschaft und in vielen anderen Bereichen.

"1960 ernährte die Landwirtschaft ca. drei Milliarden Menschen, 2020 waren es nicht ganz acht Milliarden Menschen", war dieser Tage auf X (vormals Twitter) zu lesen. "In derselben Zeit wurden weltweit die Produktionsflächen von 4,4 Mrd. auf 4,7 Mrd. Hektar ausgedehnt." Nachsatz: "In Europa nahmen die Flächen deutlich ab, dagegen gab es Zunahmen in Südamerika und Afrika." Jetzt kann man freilich sehr viele Argumente und auch viel Kritik an der Landwirtschaft einbringen -über die ungleiche Verteilung, die Ausbeutung auch bis hin zu Lebensmittelverschwendung und zur Umweltbelastung, und man kann anführen, dass zuletzt der Welthunger wieder zu einem größeren Problem geworden ist. Was bleibt, ist dennoch mehr als erstaunlich. Heute ernährt die Landwirtschaft, die sich so viel Kritik gefallen lassen muss und die für viele, vor allem in Europa, ein rotes Tuch ist, von der im Großen und Ganzen gleich gebliebenen Fläche fast drei Mal so viele Menschen wie vor sechzig Jahren.

Und was auch bleibt, ist die Frage, was mit den Milliarden Menschen geworden wäre, wenn es diesen Fortschritt in der Landwirtschaft, der so vielen als des Teufels gilt, nicht gegeben hätte? Man mag gar nicht nachdenken darüber.

Und man mag auch gar nicht nachdenken darüber, was es bedeutet, dass just in Europa die Flächen in dieser Zeit zurückgingen. Denn das passt zum verqueren Verhältnis zum Fortschritt, das sich bis hin zu einer regelrechten Fortschrittsfeindlichkeit entwickelte, die auf dem alten Kontinent in den vergangenen Jahrzehnten zur Kultur geworden ist. Das passt freilich auch dazu, wie sich Europa von internationalen Entwicklungen abschottet, sich aus der Verantwortung stiehlt und für sich arbeiten lässt.

In der Landwirtschaft, die man in der eigenen Umgebung mit Auflagen und Vorschriften knebelt, wobei man gleichzeitig keine Hemmungen hat, aus anderen Weltregionen zu importieren, wo all die Auflagen nicht gelten, ist das besonders augenscheinlich.

Der Fortschritt in dieser Sparte, die oft so angefeindet wird, ist nur ein Beispiel. In vielen anderen Bereichen ist es freilich nicht anders. Es ist angesehen, den Fortschritt zu knebeln. Die Gefahren, die damit verbunden sind, nimmt man in Kauf. Mit einer sturen Haltung, die sich allem verschließt. Dabei sind intelligente Lösungen mehr denn je gefragt. Es ist hoch an der Zeit, die Wege dafür freizumachen -und auch, den Aufwand dafür auf sich zu nehmen. Offen und in geordneten Bahnen freilich. Um nicht Feind der eigenen Zukunft zu werden. Nicht nur der eigenen, das vor allem.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. März 2024

Donnerstag, 7. März 2024

Aus der Zeit gekickt

Der Wirbel nach dem letzten Derby der Wiener Austria gegen Rapid war beträchtlich. Homophobe Gesänge, Beschimpfungen, Gegröle, Triumphgeheul aus der untersten Schublade. Völlig enthemmt meinten vom Sportdirektor, über Nationalspieler und andere Stars bis hinunter zum Co-Trainer einige Rapidler den Sieg über den Stadtrivalen feiern zu müssen. Völlig losgelöst und ohne Boden. "Österreichs primitivstes Stadiongeheul" nannte es die "Presse". "Der Derbysieg wurde zur Rapid-Blamage", war anderswo zu lesen. Zu einer Blamage, die mit einem Mal weit über das Stadion-Rund hinausging und für Empörung und Entsetzen sorgte.

"Die Inhalte der Videos stehen in keinerlei Einklang mit den Werten, für die der Fußball insgesamt und die österreichische Bundesliga im Speziellen steht", gab sich Rapid in einer Stellungnahme zu den Entgleisungen kleinlaut. Das mag ja stimmen, zumindest wenn man sehr guten Willens ist, das zu glauben. Die Realität aber ist wohl eine andere. Es ist eine Realität, vor der man oft die Augen zumacht, eine Realität, in der noch gelebt und in der über vieles hinweggesehen wird, was überall längst nicht mehr akzeptiert wird, was anderswo längst ist, was man NoGo nennt, und was oft sehr zu Recht gar nicht mehr erlaubt ist. Dazu sorgen Hooligans immer wieder für Schlagzeilen und Skandale und ihre martialischen Rituale für Staunen.

Im Sport ist es eben anders. Immer noch und immer noch akzeptiert. Als "Part of the Game" im wahrsten Sinn des Wortes. Und trotz aller Bemühungen, Abkommen und Vereinbarungen, mit denen man negativen Entwicklungen entgegenwirken möchte. Sport ist ein Reservat, in dem noch vieles von dem gilt und Realität ist, was man längst schon überwunden glaubte. Die Umgangsformen sind rau und grob, der Ton und die Einstellungen der Menschen, die sichtbar werden, zuweilen zum Erbarmen und zum Erschrecken. Als ob die Zeit stehenglieben wäre, werden schier alle Ausrutscher oft nachgerade verklärt und kleingeredet und Werte zelebriert, die man längst und aus guten Gründen auf den Müllhalden der Geschichte wähnte. Eine Welt voll von Machos und Ehrgeizlingen, die keine Grenzen kennen.

Eine Welt ohne Bremsen. "Archaisch" nennt man das gerne. Ganz oben genauso wie ganz unten. Im Stadion in Wien genauso wie am Fußballplatz draußen vor dem Dorf, wo es nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch auf den Zuschauerrängen rau zugeht. Selbst bei Matches von Kindern gibt es da oft kein Halten. "Rote Karte für rabiate Fußballfans", berichteten etwa vor einigen Jahren die OÖ Nachrichten von den Zuständen abseits von Kameras und Mikrofonen. Zwei Spieler-Mütter seien aufeinander losgegangen und hätten ihre Söhne gegeneinander aufgehetzt, hieß es da. Und anderswo hätten Mütter und Väter den Platz gestürmt und Funktionären und Linienrichtern Prügel angedroht.

Der Sport sei ja kein Mädchenpensionat, heißt es dann gerne achselzuckend, und man bringt die Emotionen ins Spiel, die damit verbunden seien. Da schalte halt schon einmal das Hirn aus, heißt es dann. Man bewegt sich im Grenzbereich. Eskalationen sind programmiert. Und einkalkuliert.

Fragen, wie sie sich nach dem Wiener Derby stellen, drängen sich auch anderswo auf. So kam im vergangenen Herbst aus dem Block der Hardcore-Fans des Linzer Clubs LASK bei den Heimspielen in den ersten 19.08 Minuten (1908 ist das Gründungsjahr des LASK) kein Laut. Nur Stille und Schweigen. Der Grund dafür passt irgendwie zu dem, was in Wien jetzt so großes Thema ist - man protestierte damit gegen die rosa-farbenen Trikots der Linzer, die der neue Sponsor mit sich brachte.

Diese Farbe des Sponsors sorgte übrigens nicht zum ersten Mal für Aufregung. Schon als der Mondseer Wasseraufbereiter und LASK-Sponsor BWT, der auf die Farbe rosa kam, um aufzufallen, als Teamsponsor in die Formel 1 kam, war die Aufregung beträchtlich. Ein Männer-Sport und die Farbe rosa -das geht für viele nicht zusammen. Immer noch. Und die Gründe dafür sind wohl die nämlichen, für die sich die Rapid-Gröler rechtfertigen müssen.

Darein fügt sich, was wir derzeit rund um den Chef des Formel 1-Teams von Red Bull erleben. Wie er verteidigt wird. Und wie viele rund um ihn die Augen zu machen. Blind vor Euphorie, Begeisterung und falscher Verehrung. Und erblindet für die Realität und für das, was ihm vorgeworfen wird.

Das freilich gilt nicht nur im Fussball und in der Formel 1, sondern auch in vielen anderen Sportarten -die viel zu oft aus einer Welt sind, die man längst untergegangen glaubte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. März 2024 
 
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