Donnerstag, 29. Juni 2023

Rechtschreipkaterstrofe - wem stört das?

„Bei den regionalen Produzenten Gustieren und Kaufen“ lädt eine Ortsbauernschaft dieser Tage zu einem „Bauernmarkt“. „Gustieren“ großgeschrieben. Und „kaufen“ auch. Heute fallen Rechtschreibfehler wie diese kaum mehr auf. Und ernst nehmen tut man sie ohnehin nicht mehr. „Passt doch eh“ und „man versteht doch was gemeint ist“. Haarspalterei sieht man inzwischen in solchen Fällen und Kleinlichkeit. Heute seien andere Fähigkeiten wichtiger.

Es gibt viele Beispiele wie diese. Nicht nur auf Plakaten. Speisekarten sind meist voll von Rechtschreibfehlern. Dann ist da die Geschichte mit den zumeist abenteuerlichen Apostrophen-Setzungen oder die Sache mit dem Dativ und dem Akkusativ, deren Unterscheidung in diesem Land längst keine Rolle mehr spielt, seit ein ehemaliger Fußballstar und nunmehriger TV-Analyst die Verwechslung zum Kult gemacht hat. Aber, um es in seinen Worten auszudrücken, wem stört das?

Rechtschreibung und Sprache verschlampen immer schneller, ein normal nach allen Regeln aufgebauter Satz gilt kaum mehr etwas. Schon vor Jahren schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ von der “Rechtschreipkaterstrofe“. „Gemma Billa“ heißt es heute meist, wenn gemeint ist „gehen wir zu Billa“ und „gurd“ in der schnell verschickten WhatsApp, wenn man etwas „gut“ findet. Ganz so, als würden all die Regeln der zugebenermaßen schwierigen deutschen Sprache nichts mehr wert sein. Dabei kann, wie mitunter verzweifelte Deutschlehrer anmerken, Leben retten, wenn man im Satz „Wir essen jetzt Opa“ nur einen Beistrich an der richtigen Stelle setzen würde.

„Die Verwilderung der deutschen Sprache ist das Zeichen einer gewissen Verwilderung des Denkens“ befand seinerzeit schon der legendäre deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer. Man ist geneigt ihm recht zu geben. Dabei hätten Rechtschreibung und Sprache nicht nur mit Verständigung und Denken zu tun, sondern auch sehr viel mit Verbindlichkeit und mit Klarheit auch.

Die Sprache verflacht immer mehr. Und damit geht die Möglichkeit verloren zu nuancieren mahnen Experten. Nicht ohne Grund gelten Sprache und auch Rechtschreibung als die wichtigsten Kulturtechniken. Sprache ist Ausdruck der Kommunikation zwischen Menschen und in der Gesellschaft. Und dafür braucht es Vereinbarungen wie etwa die Rechtschreibregeln und die Regeln der Grammatik, dass man sich versteht. Wer sagt, wir verstehen ohne Rechtschreibung und Grammatik riskiert, dass er den Zugang zu verschiedenen Bedeutungsebenen der Sprache verliert. „Adieu, Sprache. Es war schön mit dir“ war vor Jahren der Titel eines Essays von Klaus Puchleitner im „profil“ in dem er beklagt, dass die Sprache „immer unzulänglicher, fehlerhafter und unverwendbarer“ wird. Die Werbung trägt dazu bei, die Anglizismen, die Schlampigkeit und die Schludrigkeit.

Aber das passt zu einer Entwicklung, die in den vergangenen Wochen wieder einmal für Aufsehen sorgte. Jedes fünfte Kind in Österreich gilt als schwacher Leser, schon zuvor wurde festgestellt, dass hierzulande 40 Prozent der Pflichtschulabgänger Probleme mit sinnerfassendem Lesen haben. Wenn sie es denn überhaupt können. Die PIACC-Studie, eine Art PISA für Erwachsene, brachte schon vor Jahren zutage, dass hierzulande rund 17 Prozent der 16- bis 65-jährigen praktisch gar nicht lesen können.

Die Aufregung hält sich freilich in Grenzen, die Fortschritte auch. Schon vor 25 Jahren hieß es im „profil“ „aus Gymnasien und Universitäten, der der Industriellenvereinigung bis zur Handelskammer hagelte es Kritik an Schulabgängern, deren Leistung im Rechtschreiben und Kopfrechnen ‚katastrophal‘ sei.“

Allem Anschein nach ist seither kaum etwas besser geworden. Während die einen aber unverdrossen wie immer das Schul- respektive das Unterrichtssystem in die Pflicht nehmen wollen, um das zu ändern, versuchen andere den Entwicklungen Positives abzugewinnen. Sie sprechen von einer neuen Sprache und sehen sie nicht als Verfall, sondern als Evolution. Noch nie hätten Junge so viel geschrieben wie heute, in Chats und sozialen Medien entstehe eine neue Form der Sprache, eine Mischform aus mündlich und schriftlich, in der selbst Emojis ihren Platz hätten.

Und vielleicht ist es dann auch „gurd“ „gustieren“ und „kaufen“ großzuschreiben, wann immer es beliebt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. Juni 2023

Montag, 26. Juni 2023

Brot und Gebäck mit Gütesiegel

Für das Marketing der Agrarmarkt Austria werden künftig auch Ackerbauern zur Kasse gebeten. Für ihr Getreide kommt ein eigenes Gütesiegel.

Hans Gmeiner

Linz. „Brot und Mehlspeisen gelten als österreichisches Kulturgut, aber derzeit weiß man allenfalls, wo das Getreide dafür vermahlen wurde, in der Regel aber nicht, woher es stammt“, sagt Christina Mutenthaler-Sipek, Chefin der AMA-Marketing. Damit soll es bald vorbei sein.

Ab dem kommenden Jahr wird es nicht nur wie bisher für Produkte wie Milch, Käse, Fleisch Wurst, Eier, Gemüse und Blumen ein AMA-Gütesiegel geben, sondern auch für Getreide und Getreideprodukte wie Brot, Semmeln und Mehlspeisen. Läuft alles nach Plan, soll es nach der Ernte im Sommer 2024 die ersten Semmeln, Brote und Backwaren mit Gütesiegel geben. Neben der Landwirtschaft sind dem Vernehmen nach bis auf wenige Ausnahmen bei den Mühlen, den Verarbeitern in Industrie, Gewerbe und auch im Handel alle wesentlichen Player mit im Boot. Später sollen Gütesiegel für andere Ackerfrüchte wie etwa Kürbis dazukommen.

Mit dem Getreide-Gütesiegel und der Einbeziehung der Ackerbauern werden die Finanzen der AMA-Marketing auf eine völlig neue Basis gestellt. In Zukunft werden alle Bauern einen Marketingbeitrag abzuliefern haben und nicht nur jene, die im Rahmen von Gütesiegelprogrammen unter besonderen Auflagen produzieren. Unabhängig davon, ob sie an einem Gütesiegelprogramm teilnehmen oder nicht, haben in Zukunft sowohl Acker- als auch die Grünlandbauern pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche fünf Euro und für Almflächen einen Euro pro Hektar als Marketingbeitrag zu entrichten. Das gilt auch für Schweine- und Rinderbauern, die nicht an Gütesiegelprogrammen teilnehmen. Dort war das bisher nicht der Fall. Der Marketingbeitrag wird am Jahresende beim Auszahlen der jährlichen Ausgleichszahlungen und Förderungen abgezogen. Erstmals wird das bei der Auszahlung für 2023 zum Ende dieses Jahres der Fall sein.

Für die bisher in das Gütesiegel einbezogenen Produktionszweige, aber auch für die Bauern selbst soll das Beitragsaufkommen neutral sein. Für die Milch-, Fleisch- und Eierproduzenten werden die direkten Marketingbeiträge, die sie bisher entrichten mussten, gesenkt.

Für die AMA-Marketing bringen die Einbindung der Ackerbauern und die Umstellung des Systems auf Flächenbeiträge eine beträchtliche Ausweitung der Mittel. Man geht davon aus, dass sich die Einnahmen aus den Marketingbeiträgen von derzeit gut 19 auf 25 Mill. Euro erhöhen werden. Damit soll die Werbung breiter aufgestellt werden. „Erstmals können wir für die gesamte Landwirtschaft und damit auch für Brot Werbung machen“, sagt Mutenthaler-Sipek. „Bisher war das wegen der Herkunftsbindung der Mittel nur für tierische Produkte möglich.“

Mit rund zehn Millionen Euro werden auch in Zukunft die größten Beiträge aus dem Bereich Milch kommen. Dann folgen der Bereich Schwein mit 3,7 Mill. Euro und der Bereich Rind/Kalb mit zwei Mill. Euro. Aus dem neuen Bereich Marktfrüchte/Getreide erwartet man Einnahmen von rund drei Mill. Euro.

Bei den Ackerbauern hält sich die Begeisterung über das neue Gütesiegel und die Vorschreibung der Marketingbeiträge in engen Grenzen. Fast 90 Prozent von ihnen erfüllen zwar bereits jetzt durch die Teilnahme am Umweltprogramm die Kriterien für das Gütesiegel, anders als bei Fleisch und Milch haben sie jedoch kaum Aussichten auf bessere Preise für ihre Produkte. „Bei Getreide rechnet man nicht mit einem Mehrerlös“, sagt auch Mutenthaler-Sipek. „Da geht es zunächst einmal vor allem um die Herkunfts- und Qualitätssicherung und um das Thema Austauschbarkeit.“

Was nicht ist, kann ja noch werden, manche halten Preisaufschläge von 20 bis 30 Euro je Tonne für möglich. In Zukunft soll Gütesiegel-Getreide jedenfalls an der Wiener Getreidebörse notieren. Derzeit erzeugen 41.000 Landwirte Produkte im Rahmen eines AMA-Gütesiegelprogramms, rund ein Drittel aller Landwirte. Mit der Ausweitung auf Getreide sollen 20.000 dazukommen. Im Lebensmittelhandel, der Verarbeitung, der Milchwirtschaft, bei den Bäckereien und in der Gastronomie zählt die AMA-Marketing insgesamt rund 5000 Lizenznehmer in den Qualitätsprogrammen.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 26. Juni 2023

Donnerstag, 22. Juni 2023

Die härteste politische Disziplin

Man muss nicht Andreas Babler heißen, um sich als Bürgermeister, der SPÖ-Chef wird, mit Vorwürfen, in der Schulzeit ein Kreuz angezündet oder die Müllgebühr nicht gezahlt zu haben, herumschlagen zu müssen. Auch andere Bürgermeister kennen das. Gleich, ob sie der SPÖ angehören, der ÖVP, der FPÖ, den Grünen oder irgendwelchen Bürgerlisten. Bürgermeister und Kommunalpolitiker zu sein, ist in Österreich oft ein hartes Brot, die Frustration oft entsprechend hoch. Erst vor wenigen Wochen sorgte in Oberösterreich für Aufregung, als wieder ein Bürgermeister sein Amt niederlegte. "Der Frust in den Gemeindeämtern scheint zu wachsen", hieß es in den Medien, und gleich fragte man auch: "Laufen uns aus Frust bald die Ortschefs davon?"

Die Lage in manchen Gemeinden ist zuweilen prekär. "Man ist Prellbock für alles, und auch in der Freizeit hört man Klagen über dieses und jenes", wird eine Ortschefin zitiert. Das gilt freilich nicht nur für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Damit haben alle zu kämpfen, die sich auf lokaler Ebene engagieren. In keiner anderen politischen Disziplin ist der Kontakt zu den Bürgern und damit zu den Wähler so direkt und so ungefiltert. Keine politische Disziplin ist so anspruchsvoll, wenn es um den direkten Kontakt geht, und keine ist so schwierig. Viel zu oft wird unterschätzt, wie anspruchsvoll und fordernd Kommunalpolitik ist und was von den Vertreterinnen und Vertretern oft verlangt und was ihnen zugemutet wird. Persönliche Anfeindungen sind immer häufiger, die sozialen Medien senken auch draußen in den Städten und Dörfern die Hemmschwellen.

"Sie fühlen sich oft hilflos", sagt die Klagenfurter Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle, die zur Lage der Bürgermeister im Auftrag des Gemeindebundes forschte. Die "steigende rechtliche Verantwortung" wurde dabei als größte Sorge der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister genannt, die "immer strengeren Gesetze" und das hohe Risiko, weil Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zuweilen auch persönlich zur Haftung herangezogen werden können.

Da verwundert nicht, dass die Schwierigkeiten wachsen, Leute zu finden, die das Amt und die Bürde auf sich nehmen wollen. "Man muss schon fast ein Wunderwuzzi sein", um sich mit Materien wie dem Baurecht, dem Schulwesen, der Kinderbetreuung oder der sozialen Verwaltung auseinandersetzen zu wollen. "Es ist sehr komplex geworden", befindet Stainer-Hämmerle.

Dabei geht es nicht nur um die Themen selbst, sondern auch darum, dass die Bürokratie immer höhere Ansprüche stellt. Neun von zehn Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern leiden Stainer-Hämmerle zufolge darunter, und 65 Prozent spüren die steigenden Ansprüche im Amt. "Die Leute sind mündiger geworden und kennen ihre Rechte besser."

Dass viele Gemeinden mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben, macht die Situation nicht einfacher. Dabei geht es nicht um Gemeinden wie das Osttiroler Matrei, die große Pleiten hinlegen, sondern viel öfter um kleine Gemeinden, die praktisch null finanziellen Spielraum haben. Für sie ist oft schon ein Fahrradständer eine riesige Herausforderung, die nicht ohne Besuch beim zuständigen Landesrat zu stemmen ist. "Oft wird der Bürgermeister zum Bittsteller degradiert und von dominanten Landespolitikern auch so behandelt", kritisieren selbst Zeitungskommentatoren.

Vor allem Gemeinden, die kaum Betriebe haben, sind zuweilen nachgerade hilflos. Dabei sind es oft sie, die am sorgsamsten mit Bodennutzung, Zersiedelung und Umwelt umgehen. Der Lohn dafür ist freilich karg. Bei der Verteilung der rund 93 Milliarden Euro, die im Zuge des derzeit in Verhandlung stehenden Finanzausgleichs verteilt werden, stehen sie meist ganz hinten.

"Die Zentralstellen in Wien haben keine Ahnung, wie das Leben am Land abläuft", tönt es zuweilen aus den Gemeindestuben. Und: "Wir haben Sorge, dass der Bund den Föderalismus nicht mehr ernst nimmt."

Dass im Verhältnis zwischen Zentralstellen in Land, Bund und Gemeinden vieles oft nicht rund läuft, ist augenscheinlich. Auch wenn man sich oft über Ideen, Pläne und Konzepte von Ortskaisern respektive Ortskaiserinnen wundern oder gar ärgern mag -die Möglichkeiten von Bürgermeistern und Gemeinden zu beschneiden und kurz zu halten, wie oft gefordert wird, heißt nicht automatisch, dass übergeordnete Stellen alles besser machen. Das Gegenteil wurde in der Vergangenheit schon viel zu oft bewiesen. Die Aussicht auf Änderung freilich ist eher gering.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. Juni 2023

Donnerstag, 15. Juni 2023

Was haben alle bloß mit Babler?

"Das ist wahrscheinlich das wichtigste politische Video unserer Zeit", twitterte Robert Misik, freier Journalist und als solcher einer der führenden Babler-Fanboys im Land, enthusiasmiert. Es sind Ausschnitte aus Bablers Rede beim Sonderparteitag in Linz. Dass Fragen nach der Finanzierung unmoralisch seien, "wenn wir was machen wollen für Kinder, für Mindestpensionisten, für jede schlaflose Nacht weniger für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Gleichstellung der Frauen", ist da zu hören, nicht aber wenn es um Covid-Förderungen gehe. Oder "Träumer, das ist einfach nur ein anderes Wort für Sozialdemokratie, liebe Genossinnen und Genossen". Denn man habe schon immer "aus Träumen Wirklichkeit gemacht". Den Gemeindebau, den Acht-Stundentag und vieles andere auch. "So funktioniert Sozialdemokratie, jetzt beginnt ein Aufbruch in eine neue Zeit."

Seit Andreas Babler doch noch auf den Sessel des SPÖ-Obmanns gehievt wurde, hyperventiliert die heimische Politik-Szene und ist das Land in heller Aufregung. Gleich wie man zu ihm steht, tut man so, als seien der Traiskirchner Bürgermeister und die SPÖ gerade bei den Nationalratswahlen mit absoluter Mehrheit gewählt worden und hätten nun die alleinige Macht in der Hand, und niemand mehr sonst in diesem Land hätte etwas zu sagen.

Dabei hat der gute Andreas Babler bisher noch gar nichts getan. Außer eine Menge Interviews mit -je nach Standort -vielversprechenden oder Sorge und gar Angst machenden Ankündigungen und Sagern. Er hat keinerlei Macht, keinerlei Legitimierung und sitzt nicht einmal im Nationalrat. Und die Nationalratswahlen stehen überhaupt erst im kommenden Jahr an. Das Einzige, was er hat, sind jede Menge Baustellen.

Je nach Sympathie oder Abneigung ergeht man sich in Wonne-oder in Gänsehaut-Schauern wegen seiner Pläne mit Vermögens-und Erbschaftssteuern, mit der 32-Stunden-Woche und vielem anderem mehr. Geflissentlich übersieht man dabei, dass es kaum ein Wort gibt von einer Umwelt-oder von einer Wirtschaftspolitik, und nichts zu Europa, außer alte Videoaufnahmen mit mehr als schrägen Äußerungen. Und man hat nicht am Radar, dass er die angekündigte Cannabis-Legalisierung und seine Ansichten zu den Themen Asyl und Migration auch erst einmal in der Partei und bei denen, die ihn wählen sollen, durchbringen muss.

Auch wenn Babler unbestritten echte soziale und gesellschaftliche Defizite im Visier haben mag, ist doch nicht zu übersehen, dass er mit seinen Ideen vor allem die Vollkasko-Sorglos-Forderungs-Gesellschaft bedienen möchte. Während die einen ein Land voller Frieden, Freude und Eierkuchen vor sich entstehen sehen, fürchten sich die anderen freilich vor Verstaatlichung, Enteignung und Gleichmachung.

Bis zu den nächsten Wahlen wird noch viel Wasser die Donau hinunterrinnen, was auf gut österreichisch, wir wissen es, nichts anderes heißt, als dass noch viel passieren kann. Vor allem in der SPÖ. Innerhalb der Partei gibt es genug zu tun. Die ersten Tage Bablers im Chefsessel in der Löwelstraße zeigten es. Alte Seilschaften, neue Feindschaften, interne Streitereien -Solidaritätsbekundungen erweisen sich rasch als kaum etwas wert. Meinungsverschiedenheiten gibt es zuhauf, sogar prominente Partei-Austritte. Der Empfang für Babler war nicht nur freundlich, zumal von manchen roten Spitzenfunktionären und der von ehemaligen Parteigranden.

Ganz abgesehen davon, wie es in der SPÖ die ganz oben miteinander halten und wie es dort zugeht -was die Leute unten, die einfachen Parteimitglieder, die einfachen SP-Wähler, draußen in den Städten und auf dem Land und vor allem die, die die SPÖ wieder wählen sollen, wirklich denken, weiß man nicht.

Der Weg auf den Ballhausplatz jedenfalls ist für Babler und seine SPÖ noch weit. Viel weiter als viele dort in ihrer derzeitigen Euphorie wahrhaben mögen. Zumal ihnen niemand wirklich in die Hände arbeitet -die einen nicht, weil sie, wie die Grünen, alleine zu klein sind. Und die anderen nicht, wie die Neos, weil sie inhaltlich wenig kompatibel sind. Und dann sind noch die, mit denen Babler von vornherein nicht zusammenarbeiten kann und will -die ÖVP und vor allem die FPÖ.

Ganz abgesehen davon, dass alle Parteien alles daransetzen werden, Babler und seine SPÖ nicht so groß werden zu lassen, wie man dort in diesen Tagen meint, zu werden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Juni 2023

Mittwoch, 7. Juni 2023

Mehr Überheblichkeit geht nicht

Der junge Biobauer aus dem Oberösterreichischen gefiel sich offenbar sehr, als ihn ein Redakteur der größten Tageszeitung im Land interviewte. „Ich möchte den nachfolgenden Generationen einen gesunden, lebendigen Boden weitergeben, kein ausgebeutetes Wrack“ diktierte er ihm in den Notizblock. Ganz so, als ob die konventionell erzeugenden Bauern anderes im Sinn hätten. Als ob nicht auch sie in Fruchtfolgen arbeiten und auf ihre Böden schauen und auf das Bodenleben und dass auch für die die Natur der Maßstab ihres Wirtschaftens ist.

Er wolle dem Boden nicht länger die Nährstoffe entziehen, legte der junge Biobauer in den Interview nach. Und obendrauf sagte er dann noch mit dem Brustton der Überzeugung, die Spatenprobe zeige den Unterschied zu konventionelle bewirtschafteten Böden: „Wenn man sich die Bodenstruktur anschaut, sind das zwei Welten“. Auf den anderen Feldern sei teilwiese „toter Boden“.

Mehr Überheblichkeit geht nicht.

Er ist nicht der erste Biobauer, der glaubt, sich auf billige Weise über die konventionell wirtschaftenden Kollegen erheben und auf ihrem Rücken profilieren zu müssen, der jede Wertschätzung für die Arbeit seiner Standeskollegen vermissen lässt und seine Geringschätzung zur Haltung macht. Und er wird wohl nicht der letzte Biobauer sein, der sich für den besseren Bauern hält und der nicht sieht, wie sich auch die konventionelle Landwirtschaft durchaus erfolgreich bemüht und abmüht im Rahmen all der Vorschriften und Auflagen, die heute für eine nachhaltige Landwirtschaft verlangt werden, sondern nur abschätzige Bemerklungen für sie übrighat, die jeder Grundlage entbehren.

Was wie immer ist die Frage, die in solchen Fällen bleibt – warum brauchen Bauern das? Warum müssen sie andere schlecht machen, um besser da zu stehen? Warum denkt man sich nichts dabei andere anzupatzen? Und warum lässt man jeden Respekt und jede Wertschätzung vermissen? Warum, und das vor allem, lässt man sich ohne Not, bloß um der Schlagzeile Willen instrumentalisieren?

Ja, die konventionell erzeugenden Bauern sind auch oft nicht anders. Legion sind die Hänseleien über Biobauern. Und häufig der Verweis auf die eigene Wichtigkeit für die Versorgung bei der ebenfalls Geringschätzung mitschwingt für die, die nach anderen Methoden ihre Felder und Ställe bewirtschaften.

Die Gräben sind mitunter immer noch groß. Warum sie es sind, ist auch nach Jahrzehnten des Nebeneinanders von konventioneller und biologischer Landwirtschaft in Österreich eigentlich nicht nachvollziehbar. Die Bauern, die österreichische Landwirtschaft insgesamt, können sich das in Wahrheit nicht leisten. Und sie haben es auch nicht nötig.

Beide Produktionsweisen haben durchaus genug für sich, um darauf stolz zu sein und sich dazu zu bekennen. Da ist nirgendwo ein Grund, die andere Seite schlecht zu machen und herabzuwürdigen. Beide Seiten können lernen voneinander.

Darum - Schluss mit diesem Lagerdenken und all diesen Gehässigkeiten, die damit oft einhergehen. Keiner ist besser als der andere. Eher sind alle gut. Da wie dort.

Gmeiner-meint, Blick ins Land, Juni 2023 


Künstliche Intelligenz ist sehr viel mehr als ChatGPT

Wer auf sich hält, hat in den vergangenen Monaten mit ChatGPT herumgespielt. Hat etwas gefragt, probiert, wie das wirklich ist, wenn man etwas schreiben lässt, eine mathematische Aufgabe gestellt. Das war es aber bisher im Wesentlichen. Am aufgeregtesten waren noch die Lehrer, die sich Sorgen machten, dass ihnen die Schülerinnen und Schüler mit Texten, die von ChatGPT, dem Programm, das Künstliche Intelligenz (KI) mit einem Mal bis in die Wohnzimmer brachte, erstellt wurden, falsche Tatsachen vortäuschten. Und kürzlich ging die Meldung durch die Medien, dass Geosphere Austria mit KI optimale Standorte für Windräder berechnen will. Viel mehr war aber bisher noch nicht in Österreich zu hören. Einige Projekte, ein paar mehr oder weniger aufgeregte Artikel in den Zeitungen. Viel weiter ist man bei uns bisher nicht hinausgekommen. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft. Und schon gar nicht in der breiten Öffentlichkeit.

Das ist ein Fehler. Die Gefahr ist groß, dass wir, nicht nur die Politik, sondern die Gesellschaft insgesamt und jeder Einzelne, völlig unterschätzen, was da vor der Tür steht und vielen als die wichtigste Erfindung seit der Dampfmaschine gilt.

International ist die Diskussion längst ganz woanders. Dabei wird immer deutlicher, was mit KI wirklich möglich ist und womit wir lernen müssen umzugehen. Mit einem Mal sind Berufe bedroht, um die man bisher nicht Sorge haben musste. Der Bogen reicht von Buchhaltern, über Journalisten und Anwälten bis hin zu Programmierern. Es geht um Millionen Arbeitsplätze rund um die Welt. Die wahre Bandbreite abzuschätzen ist schier unmöglich. KI mischt nicht nur auf dem Arbeitsmarkt die Karten völlig neu. In der Gesellschaft, in der Wirtschaft, aber auch in der Politik. Für Aufsehen sorgte die Nachricht, dass sich bei einem Test des US-Militärs eine KI-gesteuerte Killerdrohne mit einem Mal gegen ihren Operateur wendete und ihn zerstören wollte, weil sie ein Signal falsch verstand.

"Heute wissen wir nicht mehr, was die Maschinen wissen. Wir wissen nicht wirklich, warum sie in flüssiger Sprache mit uns sprechen können. Mit anderen Worten: Wir haben Zugang zu einem neuen Mysterium. Das hat enorme politische Konsequenzen", sagte jüngst Henry Kissinger, der sich trotz seines hohen Alters mit KI beschäftigt, in einem Interview aus Anlass seines 100. Geburtstages mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit".

Rund um den Globus macht sich ein "sexy Gruseln" angesichts der neuen Technologie breit, vor dem selbst ihre Erfinder und Protagonisten nicht gefeit sind. Erst dieser Tage warnten sie davor, dass KI für den Menschen das "Risiko der Auslöschung" birgt, ähnlich wie Pandemien oder Nuklearkriege, und fordern, "es sollte global priorisiert werden, dieses Risiko zu verringern".

Genau das ist wohl die zentrale Aufgabe. KI kann nicht verboten werden und sie darf auch gar nicht verboten werden, angesichts der Möglichkeiten und Chancen, die sie bietet. Denn dann hätten wir heute noch keine Autos, kein Fernsehen und vieles andere mehr. Vielmehr muss es darum gehen, einen Rahmen dafür zu schaffen, damit umzugehen. Je schneller, desto besser. Wie groß der Druck bereits ist, zeigen nicht nur das zitierte Papier der KI-Protagonisten, sondern auch ein offener Brief, in dem Prominente wie Elon Musk und KI-Spezialisten einen sechsmonatigen Entwicklungsstopp forderten.

Schroffe Ablehnung und Angst helfen nicht weiter. Was es braucht, ist eine rationale und kritische Auseinandersetzung. Wir müssen lernen, mit der Herausforderung umzugehen, und wir müssen lernen, mit KI umzugehen. Gerade Europa und erst recht Österreich. "Während einige Länder, insbesondere China und die USA, enorme Fortschritte in der Entwicklung und Anwendung von KI verzeichnen, scheint Österreich sich nur langsam in dieser Hinsicht zu bewegen", lautet die Antwort von ChatGPT auf die Frage, ob Österreich bei KI ins Hintertreffen gerät -als Selbstauskunft sozusagen. Was für Österreich gilt, gilt für Europa insgesamt. "Es ist wichtig zu erkennen, dass der Wettbewerb im Bereich KI global ist", schreibt das KI-Programm. Nachsatz: Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, müssten die Anstrengungen verstärkt werden, Entwicklung und Anwendung von KI voranzutreiben. "Die KI-Revolution hat bereits begonnen. Und es ist an der Zeit, dass Europa und Österreich auf diesen Zug aufspringen."

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Juni 2023
 
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