Donnerstag, 25. Januar 2024

Das ewige Monster

Der deutsche Edelbarde Reinhard Mey landete mit seinem Song über den "Antrag auf Erteilung eines Antragformulars", den er für die "Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars, dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt", brauchte, schon 1978 einen Hit. Seither ist es wohl nicht besser, sondern eher noch viel schlimmer geworden. Die Bürokratie hat uns fester im Griff denn je. Verbesserungen, die zugegebenermaßen immer wieder gelingen, und um die man sich auch bemüht, werden, so schnell kann man gar schauen, von immer neuen Regularien mühelos übertroffen. Trotz aller Bemühungen und Bekenntnisse der Politik und den ewigen Versprechen, sich den Bürokratieabbau an die Fahnen zu heften, nimmt die Regulierungswut kein Ende und sorgt allerorten für wachsende Verzweiflung. Trotz aller Versprechungen ist es noch nie besser geworden.

Und das in allen Bereichen. Im oberösterreichischen Kirchdorf warf erst vor wenigen Wochen die dortige Faschingsgilde das Handtuch, als sie von den Behörden mit der Forderung nach Terrorprävention, Maßnahmen gegen Unwetter, Notstrombeleuchtung und zahllosen Attesten konfrontiert wurde. Brauchtum hin, Brauchtum her -das Wiehern des Amtsschimmels übertönt allemal alles. Dass damit viel kaputt gemacht und jedes private Engagement eingedampft wird, wird, so der Verdacht, allzu oft billigend in Kauf genommen.

Nicht anders geht es vor allem den klein-und mittelständischen Unternehmen, für die all die bürokratischen Auflagen, mit denen sie Tag für Tag zu kämpfen haben, eine weitaus größere Anforderung sind als für große Unternehmen und Konzerne. Dabei haben schon die oft genügend Grund zur Klage: Arbeitsrecht, Arbeitnehmerschutz, die Steuergesetzgebung, Genehmigungsverfahren, Informations-und Veröffentlichungspflichten werden immer ganz zuvorderst genannt, wenn es um die größten Probleme mit der Bürokratie und der Regulierungswut geht.

Dabei sind die nächsten großen Brocken, die kommen sollen, noch gar nicht in Kraft. Was von Brüssel aus als EU-Lieferkettengesetz losgeschickt und von den Mitgliedstaaten bald umgesetzt werden muss, zählt genauso dazu wie die Entwaldungsverordnung, die Brüssel plant. Diese Verordnung, hinter der die verständliche Idee steht, künftig Importe aus Entwaldungsgebieten zu verbieten, soll dem Vernehmen nach zu einem wahren Bürokratiemonster werden. "Das hilft wieder nur den großen Konzernen und dreht den kleineren Unternehmen die Luft ab", heißt es schon jetzt. Auch in der Landwirtschaft ist die Bürokratie in all ihren Verästelungen bis hin zu detaillierten Aufzeichnungen und oft sehr engmaschigen Kontrollen ein großes Thema. Auch wenn sich die Behörde bemüht und Hilfen zur Verfügung stellt, auf dass sich der Bauer respektive die Bäuerin leichter tut, die Anforderungen zu erfüllen, bleibt vor allem eines - Unbehagen und sehr viel Verärgerung.

Die Politik wird des Themas und der Herausforderungen nicht Herr. Dabei ist gut untersucht, welcher Schaden damit angerichtet wird und wie schlecht es besonders in Österreich damit bestellt ist. Eine Studie des Market-Instituts belegte schon vor Jahren, dass Jungunternehmen im Schnitt einen Arbeitstag pro Woche nur für Bürokratieaufwand verlieren. Und die Bertelsmann-Stiftung errechnete, dass rund zwölf Prozent der Wertschöpfung eines Unternehmens von der Bürokratie verschlungen werden. In kaum einem anderen Land ist die "Regulierungsdichte", um nicht schon wieder das Unwort "Bürokratie" anzuführen, so groß wie in Österreich. In einschlägigen Rankings schaffen wir es allenfalls ins Mittelfeld.

Ob sich das bald ändern wird, steht zu bezweifeln. Leider. Denn die Vorschläge, die in diesen Tagen ventiliert werden, sind nicht wirklich ernst zu nehmen. Der ehemalige Präsident der Wirtschaftskammer Österreich plant in Sachen Lieferkettengesetz laut Medienberichten eine Art zivilen Ungehorsam und schlägt vor, die damit verbundene Bürokratie bewusst zu verweigern. Und die Präsidentin einer Landwirtschaftskammer fordert eine "eigene Behörde gegen Bürokratie". Allen Ernstes.

Das zeigt vor allem zweierlei -dass die Verzweiflung groß ist. Und dass die Aussichten, das Monster Bürokratie zu bändigen, gering sind.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. Jänner 2024

Montag, 22. Januar 2024

„Man muss nach vorne schauen“

Dem Krieg zum Trotz: Die Ukraine bietet Unternehmern immer noch Möglichkeiten. Ein Österreicher zeigt es mit seiner Landwirtschaft.

Hans Gmeiner

Salzburg. „Es geht darum, durchzukommen“, sagt Thomas Brunner. Der Agrarunternehmer aus St. Florian in Oberösterreich, der seit 20 Jahren in der Ukraine lebt und dort eine Schweinezucht und -mast betreibt, denkt auch zwei Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine nicht daran, sich von dort zurückzuziehen. „Die Untergangsstimmung, wie sie sich im Westen breitmacht, haben wir noch nicht.“ Auch wenn es vielleicht schwer zu verstehen sei, man gewöhne sich daran. „Wenn einmal eine Rakete vorbeifliegt oder Sirenen gehen, dann ist das halt so“, fügt er lapidar hinzu. „Das ist jetzt das Leben.“

Brunners Betrieb liegt 250 Kilometer südöstlich von Kiew, nicht im Kriegsgebiet. Bisher haben er und seine Mitarbeiter – 15 wurden zum Heer eingezogen – Glück gehabt. „Es gab noch keinen Todesfall, allerdings einen Verletzten.“ Freilich seien viele Ukrainer müde und es gebe Probleme, aber ihr Wille sei noch nicht gebrochen. Auch seiner nicht, ganz im Gegenteil. „Was ich gelernt habe: Auch in so einem Krieg geht es darum, nach vorn zu schauen und neue Projekte anzugehen.“

Für Brunner, der auch Hilfslieferungen organisiert und sich in der klassischen Musikszene der Ukraine engagiert, ist das so etwas wie der Leitsatz seines unternehmerischen Lebens in einem Land, in dem sich das viele nicht vorstellen können. „Die Unternehmer in der Ukraine sind alle am Machen“, sagt er. Er auch. Seinen Betrieb hat er im vergangenen Jahr weiterentwickelt und vergrößert. „Wir haben zu den bestehenden 800 Mastplätze dazugebaut“, sagt Brunner. 3000 Schweine kann er jetzt mästen. „Wir wollen so das Futter, das wir erzeugen, besser verwerten.“ Denn während die Preise für Mais und Getreide unter Druck gerieten und die Transportkosten dafür kaum zu bestreiten seien, entwickelten sich die Schweinepreise gut. „Ich bin jetzt 13 Jahre im Geschäft, wir haben noch nie so gute Preise gehabt wie im Vorjahr.“ Über ein Hilfsprogramm der USA finanzierte er zudem einen 5000-Tonnen-Getreidesilo mit Trocknungsanlage, die auch von Kleinbauern aus der Umgebung genutzt werden können. „In Anlage ist damit auch ein Infrastrukturprojekt für die Region“, sagt Brunner. „Für mich als Unternehmer ist das eine super Sache und ein zusätzliches Standbein.“

Es ist nicht das einzige. Neu ist auch eine Futterverarbeitungsanlage zum Erzeugen antibiotikafreien Futters. „Mein Auftrag ist es, 20 Landwirte zu gewinnen, die einsteigen und ohne Einsatz von Antibiotika Schweinefleisch erzeugen.“ Neuerdings gibt es von Brunner in der Ukraine auch feinen Prosciutto. „Wir haben vor fünf Jahren damit begonnen, seit zwei Monaten verkaufen wir in Kiewer Feinkostgeschäften und an Gourmetketten, und das läuft“, sagt er stolz. Mit im Boot hat Brunner in der Ukraine bei seinen Projekten immer auch den Österreichischen Schweinezuchtverband. „Wir haben gerade wieder Zuchtsauen und Eber aus Österreich geliefert bekommen.“

Die Angst in der EU, insbesondere der Bauern, kann er nicht ganz nachvollziehen. „Man ist sich nicht bewusst, wie stark die Ukraine schon vor dem Krieg in der EU integriert war. Auch wenn die Bauern das anders sehen, Exporte aus der Ukraine sind für Europas Landwirtschaft nicht existenzbedrohend.“

Brunner, der seit fast zwei Jahren monatlich zwischen der Ukraine und Oberösterreich pendelt, denkt nicht daran, sich aus der Ukraine zurückzuziehen. „Ich habe sehr viele positive Erfahrungen gemacht, grundsätzlich sind wir gut aufgestellt.“ Er hält es lieber so, wie er es in der Ukraine auch rund um sich erlebt. „Man schaut nicht zurück, sondern man schaut, wie geht’s voran.“ Er beobachtet, dass sich die ukrainische Gesellschaft immer enger zusammenschließt. Das reicht von Vereinsgründungen über die Neuentdeckung ukrainischer Musik und Literatur bis hin zu einer neuen Unternehmenskultur. „Zahlen wurden in den vergangenen zwei Jahren relativ, der Gewinn steht nicht mehr ganz oben, unternehmerische Aggressivität wurde herausgenommen, man redet sich leichter, tauscht sich mit anderen Unternehmen aus und versucht auch, mehr Lösungen zu finden.“

Auch wenn es derzeit nicht so aussehen mag, glaubt Brunner fest daran, dass die Ukraine für Überraschungen gut ist. „Die Menschen kämpfen für ihre Freiheit, die Russen allenfalls für Putin. Wir wissen, dass es nicht so schnell zu einem Frieden kommen wird, und uns ist klar, dass es ohne westliche Hilfe nicht geht.“ Der Ukraine nicht zu helfen käme Europa und auch die USA aber langfristig viel teurer. Dass die EU zu Beitrittsgesprächen bereit ist, wertet er als wichtiges Signal. Denn seine größte Sorge ist, dass sich Europa wieder so verhält wie vor zehn Jahren, als Putin die Krim und Gebiete in der Ostukraine einfach einnahm und alle zuschauten. Anzeichen dafür gebe es, sagt Brunner. „Die westlichen Politiker versuchen zu verdrängen, dass man diesen Krieg einfach gewinnen muss.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 22. Jänner 2024

Samstag, 20. Januar 2024

Schwappt die Wut der Bauern auch nach Österreich?

Nach Frankreich und Holland protestieren in Deutschland seit Tagen die Bauern. Auch die heimischen Landwirte hoffen, dass man nun genauer hinschaut, wie es ihnen wirklich geht.

Hans Gmeiner

Draußen vor dem Fenster formiert sich eine Traktorkolonne. „Am Vormittag wird die Zufahrt zur Grünen Woche blockiert“ , wird in der Früh im Radio in Berlin gemeldet. Drinnen beobachtet die heimische Agrarspitze, die zur weltgrößten Agrarmesse angereist ist, den Aufmarsch mit gemischten Gefühlen. Nach Frankreich und Holland nun seit Wochen auch Deutschland. Dass der Funke auch nach Österreich überspringt, glaubt man dennoch nicht. Das zeigte auch die Demo, zu der am Freitag die FPÖ nach Wien rief. Die Beteiligung war überschaubar, selbst Gruppen, die Österreichs Agrarpolitik kritisch sehen, wollten nicht mitmachen.

„Wir haben Verständnis für die deutschen Bauern“, sagen Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger und Bauernbundpräsident Georg Strasser. „Aber bei uns in Österreich ist es doch anders.“ In Österreich seien die Bauern in der Regierung vertreten, es gebe keine Kürzung der Mittel, sondern im Gegenteil. Erst vor Weihnachten habe man zusätzlich zu den Unterstützungen bei den Energiekosten ein 360 Mill. Euro schweres „Impulsprogramm“ auf den Weg gebracht. „Bei uns wird miteinander geredet“, betont man. Auch wenn das oft schwierig sei.

Das nimmt nicht wunder. Auch in Österreich fühlen sich die Bauern mit ihren Sorgen oft nicht ernst genommen. „Die Bauern jammern nur“, heißt 
es immer wieder. Dass die Lage der Bauern auch hierzulande alles andere als rosig sei, wird nicht wirklich anerkannt.

„Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber sie wissen alles besser“ ist auf einer Tafel zu lesen, die ein deutscher Bauer auf seinem Traktor montiert hat. Der Satz trifft ziemlich gut, was den Bauern auch in Österreich Sorgen macht. Vor allem fehlende Wertschätzung und Verständnis für ihre Arbeit sind das, was den Bauern nahegeht. Und, dass sie zum Spielball von NGOs und Politik gemacht werden, ohne dass lange nach einer ehrlichen Auseinandersetzung mit ihrer Sicht und ihren Problemen gesucht wird.

Die Liste ist damit noch lange nicht erschöpft. Die Preise machen nach dem Hoch zu Beginn der Ukraine-Krise längst wieder Sorgen, auch weil die Kosten, die damals ebenfalls stiegen, hoch bleiben. Dass die Bauern mit dem Green Deal und seinen Zielen große Probleme haben, wird – obwohl sie sich grundsätzlich dazu bekennen – nicht gehört, schon gar nicht, wenn man Praxistauglichkeit einmahnt. Die immer neuen Vorschriften in immer kürzeren Abständen verbittern sie. Und auch dass dabei jede Planbarkeit der Landwirtschaft unter die Räder kommt. Über die höheren Kosten und die geringeren Einnahmen, die oft mit solchen Plänen verbunden sind, wird gleich gar nicht geredet. Und man versteht nicht, dass man nicht vor Importen geschützt wird, für die all die Vorschriften, mit denen man so zu kämpfen hat, nicht gelten. Das Thema Spaltenböden in der Schweinehaltung ist gerade in diesen Tagen ein beredtes Beispiel dafür. Das Thema Wolf gehört auch dazu, und natürlich der Pflanzenschutz.

Die Bauern haben oft das Gefühl, gegen Wände zu reden. Und das verbittert sie zuweilen. Auch dass es mit der so oft beschworenen Solidarität der Konsumenten und des Handels nicht weit her ist. Regionalität spielt beim Einkauf heute eine deutlich geringere Rolle als noch vor zwei, drei Jahren. Aktionen hingegen eine deutlich größere.

„Es ist, als ob man die Gesellschaft vor den Bauern schützen müsse“, sagt Moosbrugger. „Dabei tun gerade die am meisten dafür.“ Die heimische Agrarpolitik will nun Brüssel stärker in die Pflicht nehmen. „Es braucht dringend eine Kurskorrektur“, sagt Totschnig. „Viele Bauern haben das Gefühl, dass die Vorhaben der EU-Kommission realitätsfern und die Ziele ideologischer formuliert werden.“


Der agrarische Außenhandel – über Jahre eine Erfolgsgeschichten...

Der agrarische Außenhandel – über Jahre eine Erfolgsgeschichten der heimischen Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie – musste im Vorjahr einen leichten Dämpfer hinnehmen. Auch wenn der Exportumsatz in den ersten neun Monaten um 6,1 Prozent auf 12,6 Mrd. Euro wuchs, gab es mengenmäßig doch einen beachtlichen Rückgang von 6 Prozent. Bei den Importen war die Entwicklung ähnlich. Dort erhöhte sich der Umsatz um 7,2 Prozent auf 12,7 Mrd. Euro, die importierte Menge sank aber um 4,8 Prozent. Allen Problemen der vergangenen Jahre zum Trotz lief es in Deutschland, dem mit Abstand wichtigsten Exportmarkt, ganz ausgezeichnet. die Ausfuhren Die legten sowohl umsatzmäßig (auf 4,81 Mrd. Euro) als auch mengenmäßig (um 1,1 Prozent) zu. Österreich erzielt fast neunzig Prozent des Exportumsatzes in Europa. Hinter Deutschland ist Italien der zweitwichtigste Markt, gefolgt von Ungarn, der Schweiz und den Niederlanden. Weil Red Bull in den USA nun ein eigenes Werk betreibt, ging Österreichs Nahrungsmittelexport dorthin um 30 Prozent zurück.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 20. Jänner 2024

Donnerstag, 18. Januar 2024

Die missbrauchte Demokratie

Vor Weihnachten sorgte der Verdacht, dass mit Volksbegehren Geschäfte gemacht werden, für Aufsehen. An die 130.000 Euro Reingewinn soll eine Gruppe erzielt haben, die sich seit 2018 mit der Eintragung von Volksbegehren beschäftigt. Ob es so war, ist noch nicht wirklich klar. Aber möglich scheint es zu sein. Selbst die grüne Verfassungssprecherin im Parlament beklagte sich, dass sie immer wieder beobachten musste, dass eine Gruppe von Personen wiederholt Volksbegehren einbringt, aber wenig Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Themen hatte. Was kaum verwundert. Ging es früher um Themen wie den Rundfunk, Frauenrechte oder den Sozialstaat, so ging es zuletzt um Themen wie die Legalisierung von Cannabis, die Einführung einer täglichen Turnstunde bis hin zur Abschaffung der ORF-Haushaltsabgabe. 
Mehr direkte Demokratie war das wichtigste Argument, als 2018 das Volksbegehren reformiert wird. Statt auf Gemeindeamt und Magistrat zu pilgern und zu unterschreiben, kann man seither online zu Hause abstimmen. Zwischen Frühstückssemmerl und Mistkübel leeren. Demokratie to go quasi. Volksbegehren wurden damit inflationär und nachgerade wertlos. Was mehr Demokratie bringen sollte, wurde zum Bärendienst. 
Und das fügt sich in eine Entwicklung, die vielen zunehmend Sorgen bereitet. Demokratie, Mitbestimmung, Bürgerbeteiligung auch, wurden zu Geschäftsmodellen in Politik, in öffentlichen Verfahren und auch in der Wirtschaft, da sie genau das schwächten, was sie eigentlich stärken sollten. Unaufhaltsam werden dabei die Säulen unseres Gemeinschaftswesen unterspült. Demokratie wird zuweilen ins Lächerliche gezogen. "Demokratische Waffen werden stumpf gemacht", wie es ein Zeitungskommentator formulierte. 
Denn das Volksbegehrenswesen ist nicht die einzige dieser "Waffen", die da "stumpf" gemacht werden. In diesen Tagen wird uns wieder deutlich vor Augen geführt, wie die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu billigen Polit-Spektakeln gemacht wurden, bei denen es längst nicht mehr um die Aufklärung finsterer Vorgänge geht, sondern vor allem darum, den politischen Gegner vorzuführen und ihm ans Zeug zu flicken. Machst du einen Untersuchungsausschuss, mach ich auch einen. Wie im Sandkasten wirkt zuweilen, was da geboten wird. Mit dem ursprünglichen Zweck hat es meist nur mehr wenig zu tun. Und einem Instrument der Demokratie wird es kaum mehr gerecht. 
Die Aufzählung des Missbrauchs von Instrumenten, die in ihrem Ursprung eigentlich der Stärkung der Demokratie, der Mitbestimmung und der Transparenz dienen sollten, ist damit noch lange nicht zu Ende. Der Bogen reicht von den "dringlichen Anfragen" an Ministerinnen und Minister im Parlament, die keinerlei Bedeutung mehr haben, und geht bis hin zur sogenannten Bürgerbeteiligung bei großen Bauprojekten. 
Da geht es nicht wirklich um eine Beteiligung oder gar Mitsprache der Bürger wie zuweilen suggeriert wird, sondern vor allem darum, mögliche Widerstände oder Aggressionen geschickt abzuleiten und ins Leere zu führen. Am besten, ohne Wünsche von Beteiligten berücksichtigen zu müssen. Professionelle Mediatoren geben Interesse vor, nehmen die Argumente auf, schreiben sie auf Pinwände -nur um sie dann im Mistkübel verschwinden zu lassen. Ganz so wie in der Politik, wo es auch oft, zumal in Vorwahlzeiten, um nicht viel mehr geht, als Interesse vorzugeben. Was dann aus den Versprechungen wirklich gemacht wird, steht, wir wissen es, auf einem ganz anderen Blatt. Wenn es denn überhaupt noch auf irgendeinem Blatt steht. 
Da verwundert, dass man sich wundert, wenn viele Leute in diesem Land enttäuscht und frustriert sind. Der Umgang mit demokratischen Instrumenten, wie er in den vergangenen Jahren eingerissen ist, tut dem Land nicht gut und der Stimmung. Und gut tut auch nicht, wie man die Bürger, denen man Beteiligung verspricht, immer wieder ins in Leere laufen lässt. Man hat wohl allzu viel versprochen und den Mund allzu voll genommen. Aber es erklärt einiges von dem, was nun vielen als Stimmung Sorgen macht. 
Es ist an der Zeit zurückzurudern und Themen wie die direkte Demokratie, aber auch Bürgerbeteiligung neu aufzustellen. Sie dürfen nicht endgültig zu etwas verkommen, was gemeinhin als politisches Kasperltheater gilt und auch nicht zu Instrumenten, mit denen man die Bürgerinnen und Bürger des Landes nichts als gängelt. 
Der Umgang mit demokratischen Instrumenten, wie er in den vergangenen Jahren eingerissen ist, tut dem Land nicht gut.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18.Jänner 2024

Donnerstag, 11. Januar 2024

Schwein gehabt: Wie viel Platz darf’s sein?

Die Nachfrage nach Schweinefleisch aus Tierwohl-Haltung hat sich in zwei Jahren versechsfacht – von mehr als bescheidenem Niveau aus. Ein rascheres Verbot der Vollspaltböden lehnen die Schweinebauern ab.

Hans Gmeiner
Regina Reitsamer

Salzburg. „Wenn ich es mir wünschen könnte, hätten wir in fünf Jahren nur noch Schweinefleisch aus Tierwohl-Haltung“, sagt Hans Schlederer. Ein Wunschprogramm aber, betont der Chef der Österreichischen Schweinebörse, über die die rund 20.000 heimischen Schweinebauern einen Großteil ihrer Tiere vermarkten, sei der europäische Schweinemarkt nicht.

80 bis 90 Prozent aller Mastschweine in der EU würden auf Vollspaltböden gehalten. In Österreich seien es nur geringfügig weniger. Und gesetzlich sei nur in Finnland und Schweden mehr Tierwohl vorgeschrieben. Dort liege der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch unter 50 Prozent. „Unsere Konkurrenten sind große Schweinehalter in Holland, Deutschland oder Spanien. Vollspaltböden sind dort nirgends verboten.“ Sollte in Österreich – nachdem der Verfassungsgerichtshof die langen Übergangsfristen für das Verbot von Vollspaltböden gekippt hat – ein deutlich rascheres Aus für die von Tierschützern kritisierte Haltungsform kommen, würden viele Schweinebauern aus der Schweinehaltung aussteigen. „Wir stehen im EU-weiten Wettbewerb“, sagt Schlederer. Zwar sei immer mehr Konsumenten das Thema Tierwohl wichtig, für viele zähle aber nur der Preis. Verbote im Inland würden damit zu mehr Fleischimport führen und kaum dem Tierwohl nutzen.

Dabei liegt das zuletzt im Trend. Die Erzeugung von Schweinefleisch im Zuge von Tierwohl-Programmen ist das einzige Marktsegment, in dem die heimische Schweinefleischproduktion wächst. „Von einem rapiden Wachstum zu reden ist übertrieben, aber der Zuwachs ist stetig“, sagt Schlederer. Kamen im Jahr 2021 knapp 7000 Schweine auf den Markt, die nach dem höchsten AMA-Tierwohlstandard – mit Strohhaltung, 100 Prozent mehr Platz und Auslauf ins Freie – gehalten wurden, so waren es 2022 bereits 20.000. Im Vorjahr dürfte sich der Absatz auf 42.000 Tiere verdoppelt haben. Bei anderen Tierwohl-Programmen und Bio ist die Entwicklung ähnlich. Schlederer schätzt, dass inzwischen rund sechs Prozent der heimischen Mastschweine in Tierwohl- und Bioställen großgezogen werden. Der Plafond sei damit noch nicht erreicht. Der Tierwohl-Masterplan, auf den sich die Branche vor zwei Jahren verständigt hat, sieht vor, dass die Zahl der Schweine aus Tierwohl bis 2030 auf eine Million Tiere verfünffacht wird.

Gesucht werden nun  Bauern, die in die Tierwohlproduktion einsteigen. „Tierwohl-Betriebe gesucht!“, heißt es im Mitglieder-Magazin des Verbandes der Schweinebauern. „Durch die verstärkte Nachfrage von großen Playern im Lebensmittelhandel wie Billa, Billa+ und Lidl ist davon auszugehen, dass sich der Aufwärtstrend auch 2024 fortsetzt“ ist zu lesen. „Es ist wichtig, dass wir den potenziellen Konsumenten ein Angebot machen, auf das sie sich verlassen können“, sagt Schlederer.

Einfach wird es nicht sein, Bauern zu finden. „Das hat nicht nur mit hohen Investitionen zu tun, die Tierwohlställe erfordern und die schnell einmal bei einer Million Euro und mehr liegen, sondern auch mit immer größeren Schwierigkeiten bei den behördlichen Genehmigungen“, sagt Schlederer. „Bei Tierwohlstallungen, die nach außen offen sind, sind die Geruchs- und Lärmemissionen oft größer als bei herkömmlichen Ställen und die Widerstände von Anrainern entsprechend höher.“ Zudem steht trotz Zuwachsraten auch der Markt für Tierwohl- und Biofleisch unter Druck. Wer investieren will, braucht eine ordentliche Portion Optimismus, sagen Marktbeobachter.

Gefordert sieht Schlederer auch die AMA, die für die Tierwohlsiegel und den Tierwohl-Masterplan verantwortlich ist. „Es muss bei Tierwohl eine einheitliche und offizielle Kennzeichnung geben“, sagt er. „Und die muss die AMA Marketing machen.“ Dass sich die Handelsketten zwar an die AMA-Vorgaben halten, sich aber sonst nicht weiter groß um die offizielle Kennzeichnung kümmern und lieber unter eigenen Bezeichnungen wie „Fair zum Tier“, „Fairantwortung“ oder „FairHof“ ihre eigenen Definitionen von Tierwohl entwickeln, stößt Schlederer sauer auf. „Jeder nennt das AMA-Tierwohlprogramm anders, wie soll sich da der Konsument drauf verlassen können?“, fragt er. „Die AMA Marketing muss mehr tun, als nur verschiedene Haltungsformen zu kennzeichnen und kontrollieren.“

Gefordert ist auch die Politik. Muss sie doch mit den Schweinehaltern rasch eine neue gesetzliche Regelung finden. In neuen Ställen sind Vollspaltböden schon jetzt nicht mehr zugelassen. Die alte Regelung, wonach für bestehende Betriebe Übergangsfristen bis 2040 gelten, wird mit Juni 2025 aufgehoben. Während der für den Tierschutz zuständige Minister Johannes Rauch (Grüne) rasch bessere Bedingungen in der Schweinehaltung will, sieht Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) das österreichische Schnitzel gefährdet. Dass es übrigens der burgenländische SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil war, der den Fall vor den VfGH brachte, sorgt unter den Bauern für weiteren Ärger. 95 Prozent der Schweine werden in Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark gehalten. Im Burgenland sind es laut Schlederer nur ein bis zwei größere Betriebe.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 11. Jänner 2024

Österreich braucht einen Rahmen für die Zukunft


Allerorten Ausblicke auf das "Superwahljahr", das angebrochen ist. Wer wird mit wem und wird es wirklich so schlimm? Es ist zu befürchten, dass es im Wahlkampf und bei den Wahlen mehr um die Vergangenheit, um die Verfehlungen, um die Fehltritte und um die Abrechnung damit gehen wird. Das wird wohl im Mittelpunkt stehen. Gerichtsverfahren, Untersuchungsausschüsse, Ermittlungen, Klagen, Urteile, gegenseitige Kriminalisierungsvorwürfe. Politikerinnen und Politiker und ihre Fehler, Verfehlungen und Eitelkeiten. Und das alles vor dem Hintergrund einer endlosen Neid-und Verteilungsdebatte. Man wird sich in Kleinigkeiten und Streitereien verrennen, die in der Summe wenig bringen bis gar nichts, aber die Stimmung im Land in den Keller ziehen. Gefangen genommen und bestimmt von der Vergangenheit.

Dabei sollte es um die Zukunft gehen. Mehr denn je und kreativ wie nie. Um die Zukunft aber kümmert sich niemand.

Dabei bräuchte das Land nichts dringender als das. Es funktioniert noch. Mehr aber nicht. Es ächzt bedenklich im Gebälk. Im Performance-Ranking ist Österreich abgerutscht auf den 33. Rang unter 38 OECD-Ländern. "Besorgniserregend", wie viele befinden. "Müssen wir wirklich von den Griechen lernen?", fragen gar besorgte Kommentatoren. Und den Standort Österreich sieht man in Gefahr.

Österreich braucht Zukunft. Es braucht Ziele. Und es braucht auch Visionen, wo es hingehen soll, und was werden kann. Das Land, seine Politik und auch die Menschen müssen sich wieder öffnen. Es braucht einen neuen Spirit, so etwas wie eine Aufbruchsstimmung. Frische Luft, Mut zu Neuem und zu Veränderung. Und es braucht den Rahmen dazu. Einen Rahmen, in dem sich eine Zukunft entwickeln kann, die den Menschen auch wirklich Zukunft geben kann.

Österreich muss wieder sehr viel mehr davon reden. Davon, was man machen kann. Man muss wieder reden von den Zielen, die man erreichen möchte. Von den Zielen in der Wirtschaft, in der Bildung, im Sozialbereich und im Gesundheitswesen. Davon, was zu tun ist, davon, wie Ziele zu erreichen sind, und davon, wer wo welche Unterstützung braucht dafür. Es muss mehr darum gehen, wie man jemand unterstützen kann, um seine Ziele zu erreichen, und nicht nur um die Absicherung einer Vollkasko-Gesellschaft. Nicht um das Verhindern und Erschweren muss es gehen, sondern um das Ermöglichen.

Das Land kann sich die Kultur und den politischen Stil, der in den vergangenen Jahren überhandgenommen hat, nicht mehr leisten. Es scheint, als gehe es nur mehr ums Verteilen und Absichern, aber nicht mehr um das Schaffen. Dieses Anspruchsdenken. Dieses ewige Jammern und Schimpfen.

Und schon gar nicht kann sich das Land diese Politik für die Galerie leisten, bei der es viel zu oft um Show und Luftblasen geht, und die die meisten von denen vergisst, für die da zu sein man vorgibt -nämlich die Menschen.

Die Rede sei in diesem Zusammenhang, ausnahmsweise muss man in diesem Land dazusagen, einmal nicht vom sprichwörtlichen "kleinen Mann", sondern von den Leuten in der Mitte. Von den Unauffälligen und von denen, die sich nicht bei jeder Gelegenheit aufplustern. Von denen, die nicht immer jammern und fordern. Sondern von denen, die einfach tun, was zu tun ist, die ihre Ideen und Pläne umsetzen, die etwas auf sich nehmen dafür, die Verantwortung übernehmen. Die Rede sei von denen, die Firmen führen, und von denen, die Arbeitsplätze schaffen. Kurzum von denen, die das Land in Bewegung halten, und von der Wirtschaft und den Menschen, die sie tragen und die ihr Scherflein dazu beitragen, dass die Pension jeden Monat kommt, die Kinderbeihilfe und die Arbeitslose -auch dorthin, wo man nur schimpft über sie. Viel zu lange schon sind sie die, an denen sich die Gesellschaft und die Politik abputzt.

Es muss darum gehen, wieder etwas zu schaffen, das dem Land und seiner Bevölkerung auch in Zukunft Basis sein kann. Das etwas hervorbringt, damit es auch in Zukunft etwas zu verteilen gibt, und von dem das Land in Zukunft leben kann. Gut leben kann.

Österreich muss wieder nach vorne schauen. Positiv, zuversichtlich und mit hochgekrempelten Ärmeln. Das bedeutet nicht, das Negative aus den Augen zu verlieren, zu verbessern, wo zu verbessern ist, und die Vergangenheit nicht aufzuarbeiten. Das muss auch sein. Aber es darf nicht den Blick auf die Zukunft, und was für sie zu tun ist, verstellen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 11. Jänner 2024

Montag, 8. Januar 2024

Bauern in der Klimaklemme

Weil entsprechende Technologien fehlen, tut sich die Landwirtschaft mit den Klimazielen besonders schwer. Franz Sinabell vom Wifo hat einen Vorschlag für einen Ausweg.

Hans Gmeiner

Wien. Die Landwirtschaft hat mit den Klimazielen zu kämpfen wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 2005 um 48 Prozent gesenkt werden. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass Österreichs Landwirtschaft wahrscheinlich aber nur Einsparungen in der Größenordnung von acht bis neun Prozent schaffen wird“, sagt Franz Sinabell vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). „Die Landwirtschaft ist besser als viele andere Bereiche, aber seit Jahren gibt es kaum mehr Fortschritte bei der Reduzierung der Treibhausgase.“ Nach einem starken Rückgang in den Jahren 1990 bis 2002 um rund 14 Prozent, der vor allem auf die damalige Reduktion der Rinderbestände zurückzuführen ist, pendeln die Treibhausgasemissionen seither rund um sieben Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. Das entspricht einen Anteil von rund zehn Prozent an den gesamten Emissionen.

Wie die Landwirtschaft das Ziel doch noch erreichen kann, ist nicht geklärt. „Man kann schon viel machen“, sagt Sinabell. „Aber das ist dann relativ teuer.“ Die Möglichkeiten reichen von Fütterungsoptimierung bei Wiederkäuern, verbessertem Düngermanagement, Abdeckung von Güllebehältern bis zur bodennahen Ausbringung von Gülle und einer Drosselung der Produktion. „Aber in der Landwirtschaft hat man derzeit schlicht keine Technologie, Nahrungsmittel zu erzeugen, ohne dass Treibhausgase entstehen“, sagt Sinabell. Darum sei es in kaum einem anderen Bereich so schwierig, die Treibhausgasemissionen zu senken.

„Mit neuen Technologien geht in vielen Bereichen sehr viel, wenn man nur an E-Autos oder Passivhäuser denkt, bei der Erzeugung von landwirtschaftlichen Gütern ist so etwas derzeit nicht möglich, weil es keine Alternativen gibt.“ In der Produktion sei man zum Großteil weiter auf fossile Energie angewiesen, weil es noch keine E-Traktoren gebe, oder in der Viehwirtschaft würden Treibhausgase, die bei der Verdauung entstehen, nicht zu verhindern sein, nennt Sinabell zwei Beispiele. Dazu kommt, dass die Bauern die Kosten selbst tragen müssen und auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind. Anders als etwa die Industrie haben sie keine Möglichkeit, Investitionen in den Klimaschutz über den Verkauf von CO2-Zertifikaten zu finanzieren. „Der Bauer hat nur die Kosten, aber keine Vorteile“, sagt Sinabell.

Eine CO2-neutrale Landwirtschaft habe man bisher nicht einmal unter Laborbedingungen darstellen können, auch Bio sei nicht die Antwort, meint Sinabell. „Wenn man die produktspezifischen Emissionen auf den Liter Milch, das Kilogramm Getreide oder das Kilo Fleisch herunterbricht, sind die biologischen Produktionsformen nicht effizienter, weil die Erträge in der Biolandwirtschaft geringer sind und man auch dort auf fossile Energie angewiesen ist.“ Auch von einer Drosselung der Produktion hält der Wirtschaftsforscher wenig. „Es muss jedem klar sein, wirklich nachhaltig wäre Landwirtschaft nur, wenn sie nichts produziert.“ Das aber würde bedeuten, dass es nichts zu essen gäbe.

Wenn man davon ausgehe, dass die Konsumenten ihr Verhalten nicht ändern, habe es wenig Sinn, die Produktion in Österreich zu drosseln. Der Grund: „Die Bauern hier produzieren alles in allem relativ klimafreundlich“, sagt Sinabell. „Die Wiederkäuer etwa erzeugen weniger Methan als anderswo, weil sie zum Großteil mit Heu, Gras und Grassilage gefüttert werden und weil bei uns Zweinutzungsrinder eingesetzt werden.“ Das alles seien Dinge, die Österreich bei der Berechnung der produktspezifischen Treibhausgase eher gut aussteigen ließen. „Wenn wir also in Österreich die Agrarproduktion reduzieren, erreichen wir für das globale Klima wenig, weil die Produkte, die dann fehlen, von wo kommen, wo nicht so effizient produziert wird.“

Vor diesem Hintergrund schlägt Sinabell vor, sich von den bisherigen Gedankenmustern zu lösen und einen völlig neuen Weg einzuschlagen. „Als Ökonom meine ich, dass eher dort Maßnahmen gesetzt werden sollen, wo man sie für sein Geld am günstigsten bekommt und bereits jetzt entsprechende und effiziente Technologien zur Einsparung von Treibhausgasen vorhanden sind.“ Weil das Erreichen der Klimaziele in der Landwirtschaft sehr teuer und sehr schwierig sei, sei es sinnvoller, in anderen Sektoren nach zusätzlichen Möglichkeiten und Spielräumen zu suchen, um die Klimaziele zu erreichen. „Das heißt freilich nicht, dass die Landwirtschaft vom Auftrag, einen Beitrag zu Klimaschutz zu leisten, entbunden wird und die Bauern in Sachen Klima die Hände in den Schoß legen können“, warnt der Wirtschaftsforscher.

Diese Diskussion über das Thema muss erst begonnen werden. Wie sie ausgehen wird, steht in den Sternen. „Aber man sollte dennoch genau hinschauen, um zu verstehen, warum es die Landwirtschaft besonders schwer hat, die Klimaziele zu erreichen“, sagt Sinabell.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 8. Jänner 2024

Donnerstag, 4. Januar 2024

Regional ist logisch und gescheit – aber nicht mehr und nicht weniger

Kürzlich erst sorgte der Kommentar eines zugegebenermaßen sehr spitz formulierenden Kolumnisten in der Tageszeitung „Die Presse“ für Aufregung. Da war zu lesen, dass lokal produzierte Produkte „fetischisiert“ würden, „religiös verklärt“ auch und „viel irrationaler Aberglaube“ diese Thematik verneble. Wie ein bestimmtes Nahrungsmittel produziert werde, sei oft entscheidender als Wo. Biofrucht aus der tropischen Ferne könne in diesem Kontext besser sein für das Klima als die konventionell, aber lokal hergestellte. Für Fleisch gelte das Nämliche, selbst für Fleisch aus Südamerika, wenn man bedenke, dass hierzulande die Ställe im Winter in der Regel beheizt werden müssen.

Das ist starker Tobak fürwahr. Aber da ist sehr viel dran. Dabei war vom Übersee-Soja, mit dem ein Großteil des „regionalen“ Fleisches erzeugt wird, in der Kolumne noch gar nicht die Rede. Und auch nicht von den heimischen Äpfeln, die kreuz und quer durchs Land von einem Zentrallager ins andere, transportiert und mit großem Energieaufwand das ganze Jahr über frisch gehalten werden.

Die Landwirtschaft, die gerne hinter Begriffen wie „Regionalität“ Zuflucht sucht, sollte das zum Anlass nehmen, vielleicht darüber nachdenken. Das beginnt bei der beliebten, wie falschen Verknüpfung, dass Regionalität gleichzusetzen sei mit Qualität Tier- und Umweltfreundlichkeit und endet bei der grundsätzlichen Frage, der man sich bisher immer verweigert – was ist eigentlich gemeint mit Regionalität? Wo beginnt sie und wo hört sie auf? Regionalität ist auch nicht "das neue Bio" wie man mitunter gerne behauptet, um, dieses Kalkül sei unterstellt, vielleicht auf der Biowelle mitzuschwimmen.

In der öffentlichen Argumentation hat die österreichische Landwirtschafft einige solcher Begriffe, auf die sich seit Jahren stützt. Sie klingen fraglos gut, halten aber einer näheren Betrachtung, ernsthafter Kritik gar, kaum stand. Das kommt man schnell ins Stottern und oft ist das Ende der Fahnenstange nicht weit. Zuletzt merkte man das, als die deutschen Handelsketten bei Milch die Tierhaltung ins Spiel brachten und man zur Kenntnis nehmen musste, dass sich die norddeutschen Riesen-Milchviehbetriebe leichter taten damit, weil Weidehaltung bei Kühen Normalität ist, während bei uns noch für einen guten Teil der Tiere Anbindehaltung Standard ist.

Dabei würde es beim Thema Regionalität helfen, einfach die Kirche im Dorf zu lassen. Regional ist keine Qualität und auch, so oben, oft nicht automatisch klimafreundlich. Aber regional ist einfach logisch und gescheit – es sichert Arbeitsplätze auf den Bauernhöfen, in den Metzgereien und Bäckereien, in den Molkereien, im Landhandel und in den Werkstätten. Nicht mehr und nicht weniger. Allein das sollte Grund genug sein, regionale Produkte zu kaufen. Und dafür sollte geworben werden.

Ganz abgesehen davon, dass zu hinterfragen ist, was ist, wenn überall im Ausland, wo wir unsere Produkte verkaufen wollen, die „regionale Produktion“ forciert wird und sie sich so durchsetzt wie in Österreich. Dann wird es für Österreichs Landwirtschaft, die in zentralen Bereichen auf den Export angewiesen ist, wohl schnell eng.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 4. Jänner 2024


 
UA-12584698-1