Donnerstag, 24. Februar 2022

Alles Kneissl, oder was?

Eben waren noch alle Corona-Experten, jetzt sind wir, so scheint es, wenn man sich umhört, ein Land voller Ukraine-Experten. Man kennt sich, von sich überzeugt, aus, wie man sich bei Corona auskennt. Man weiß, was falsch gelaufen ist und warum kommt, was kommen muss. Ein Land voller "Experten für eh alles" - um eine Anleihe beim Satiriker Gunkl zu nehmen, der sich ironisch gerne selbst als solcher beschrieb, aber dabei treffend all die karikierend, die sich ohne viel Wissen und Zurückhaltung zu schier jedem Thema schnell eine Meinung basteln und mit der auch nicht hinter dem Berg halten.

Bemerkenswert beim Thema Ukraine ist vor allem der in weiten Bevölkerungskreisen und nicht nur unter Corona-Schwurblern und FP-Parteigängern nicht überhörbare stramme Anti-Amerikanismus mit einer tiefsitzenden Abneigung gegen die USA, unter der zuweilen gar antisemitische Ressentiments durchschimmern, wenn abschätzig über "den Ami" gesprochen wird. Schon vor Jahren bescheinigte eine Gallup-Umfrage, dass in keinem EU-Land die Politik der USA auf so viel Ablehnung stößt wie bei uns. 

Auf der anderen Seite hingegen ist oft ein von viel Sympathie getragenes Verständnis für Russland und seinen Präsidenten Putin durchzuspüren, wenn die Rede auf die Ukraine kommt. Oft scheint es aus einer Bewunderung dafür genährt zu sein, dass Putin sich nichts vorschreiben und sich nicht gängeln lässt, schon gar nicht von Washington oder von Brüssel, und dass man ihn als einen sieht, der das macht, was man sich von den eigenen Politikern öfters wünschen würde.

Bemerkenswert ist freilich auch, dass die Ukraine und die Menschen, die dort leben, ihre Ängste und Sorgen gar, dabei praktisch kaum vorkommen. Und schon gar nicht, dass die Ukraine ein souveränes Land ist -wie Österreich auch.

Und - es fällt auf, dass die Linke im Land schweigt und all die, die sich gerne als Pazifisten bezeichnen. Dröhnend nachgerade. Da ist nichts von Solidaritätsadressen und Forderungen, nichts von Demos und von der Empörung, die sich sonst immer so schnell an den USA entzündet.

Man kann freilich vieles an den USA kritisieren, Biden für schwach, anmaßend und überfordert und von Trump nichts halten und auch von Obama. Man kann die Bushs und Clinton für viele Fehlentwicklungen verantwortlich machen, an denen die Welt heute noch leidet. Und man kann natürlich auch mit der Dominanz der US-Amerikaner in der digitalen Welt hadern, mit Facebook und mit Bill Gates. Aber das erklärt alles nicht, warum man für Putin und seine Politik so viel Verständnis aufbringt in diesen Tagen und warum seine Narrative in so vielen Diskussionen die Argumentation bestimmen.

Wirtschaftlich ist Österreich in einer größeren Abhängigkeit von Russland, der einst am meisten gefürchteten Besatzungsmacht, als viele andere europäische Staaten. Die Verflechtungen, Beziehungen und Freundschaften vieler Politiker aus VP, SP und FP zu Russland und den Spitzen im Kreml sind vielfältig. Und gar nicht zu reden von ehemaligen Kanzlern und anderen Politikern, die für russische Konzerne tätig sind, und von heimischen Top- Managern, die auch in Moskau Größen sind. Sanktionen gegen Russland trägt man nur zähneknirschend und widerwillig mit.

Am perfektesten drückt wohl der Knicks der ehemaligen Außenministerin Karin Kneissl vor dem russischen Präsidenten das Verhältnis Österreichs zu Russland und seinen Herrschern aus. Da fügt sich drein, dass sich heimische Diplomaten in den Zeitungen in diesen Tagen und Wochen gerne zitieren lassen, wenn sie von einer "Hetze der USA" reden, davon, dass die Nato nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre Einflusssphäre im Osten erweitert habe, "ohne auf die russischen Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen" und fragen, "was haben die Amerikaner gemacht -im Irak, in Afghanistan?".

Und dennoch verwundert, wie arglos man ausblendet, wie Putin Politik macht. Sein Umgang mit Oppositionellen und mit der Presse wird kritiklos hingenommen, genauso seine Cyber-Attacken gegen den Westen und seine Versuche, die EU zu destabilisieren. Und schon gar kein Wort über die militärische Drohkulisse, die er rund um die Ukraine aufgebaut und mittlerweile auch eingesetzt hat, und nichts über seine kaum mehr verhüllten Ansprüche, auch andere ehemalige Sowjetrepubliken wieder in seinen Einflussbereich zu bringen.

Und kein Wort natürlich auch über die Ukraine und die Menschen, die dort leben.

Als gelernter Österreich weiß man freilich - Rückgrat ist diesem Land noch nie eine wichtige Kategorie gewesen. Wissen auch nur selten. Man sieht sich in diesen Tagen bestätigt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Februar 2022

Samstag, 19. Februar 2022

Europas Bauern zittern vor dem Green Deal

Der Green Deal wird nicht nur die Landwirtschaft stark verändern. Auch die Verbraucher müssen sich wohl auf höhere Preise einstellen.

Hans Gmeiner  

Salzburg. Farm to Fork, vom Bauernhof bis zum Tisch, heißt die Strategie, mit der die EU bis 2030 die Umweltziele des Green Deals von der Landwirtschaft entlang der gesamten Lebensmittelkette bis zum Konsumenten umsetzen will. Obwohl es noch nicht mehr als grobe Ziele gibt, sorgt das bei den Bauern schon jetzt für viel Unbehagen.

Wie sie bei einer Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50 Prozent, des Einsatzes von Düngemitteln um 20 Prozent und der Stilllegung von 10 Prozent der Flächen wirtschaftlich zurechtkommen sollen, können sich die wenigsten vorstellen. Sie befürchten, dass sie zu den Opfern der EU-Umweltpläne werden könnten, während sich Farmer in anderen Teilen der Welt wegen der neuen Absatzchancen in Europa schon jetzt die Hände reiben können.

Studien geben ihnen zum Teil recht. Ausgerechnet das US-Landwirtschaftsministerium errechnete, dass die landwirtschaftlichen Einkommen der europäischen Bauern deutlich zurückgehen, während anderswo Produktion, Agrarpreise und Agrareinkommen steigen. Die Produktion der EU-Landwirtschaft soll der Studie zufolge nicht nur wegen des Verzichts auf Chemie und Dünger, sondern auch wegen des Ausbaus der Biolandwirtschaft, die geringere Erträge liefert, und wegen der geplanten Flächenstilllegungen um bis zu zwölf Prozent sinken und die Wettbewerbsfähigkeit drastisch zurückgehen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie der Universität Wageningen in den Niederlanden. Dort geht man davon aus, dass die landwirtschaftliche Produktion im Durchschnitt zwischen 10 und 20 Prozent sinken werde. Einen „signifikanten“ Produktionsrückgang erwarten auch deutsche Forscher der Universität Kiel und von EuroCare in Bonn. Die Rindfleischproduktion soll demnach um 20 Prozent, die Erzeugung von Milch um 6,3 Prozent und die Getreide-und Ölsaatenproduktion um rund 20 Prozent zurückgehen. Die Zahl der Mastrinder werde um 45 Prozent sinken, jene der Milchkühe um 13 Prozent. Selbst das Joint Research Center der EU-Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Produktion von Getreide und Ölsaaten um 15 Prozent sinken werde.

Einig sind sich die Wissenschafter auch darin, dass Europa seine Position auf den internationalen Lebensmittelmärkten schwächen und deutlich stärker als bisher von Importen abhängig würde. Es wird erwartet, dass sich die Handelsströme neu ordnen. Von einem Nettoexporteur würde die EU vor allem bei Getreide und Rindfleisch zu einem Nettoimporteur werden. Bei Schweinefleisch und Milch würden die Nettoexporte deutlich zurückgehen und bei Ölsaaten sowie Obst und Gemüse die Nettoimporte deutlich ansteigen.

Es gibt aber noch eine zweite Seite, die über die Landwirtschaft hinausgeht. Wissenschafter des Karlsruher Instituts für Technologie nennen den Green Deal einen „schlechten Deal für den Planeten“. Nicht nur sie warnen davor, dass mit dem zu erwartenden Anstieg der Importe die Umweltbelastungen und -schäden, die man in Europa vermeiden will, in andere Kontinente verlagert werden. Die Universität Kiel hat errechnet, dass die Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie zusätzliche Treibhausgasemissionen von mehr als 50 Mill. Tonnen CO2-Äquivalent in der Landwirtschaft in Nicht-EU-Ländern bedeutet. Unterm Strich sei die Strategie nicht klimawirksam, schließt man daraus.

Die Universität von Wageningen hat zudem eine beträchtliche Änderung der Landnutzung errechnet. Außerhalb der EU würden demnach direkt und indirekt insgesamt fast acht Millionen Hektar zusätzlich benötigt, um die Flächenstilllegungen und Produktionsrückgänge in der EU zu kompensieren.

Auch das Preisgefüge wird sich verschieben. Einig sind sich die Studien darin, dass die Umsetzung des Green Deals eine deutliche Verteuerung der Agrarprodukte und in der Folge auch der Lebensmittel für die Konsumenten bringen wird. So gehen die Kieler Wissenschafter davon aus, dass Rindfleisch um 60 Prozent, Schweinefleisch um 50 Prozent und Rohmilch um 30 Prozent teurer werden könnten. Bei Obst, Gemüse, Ölsaaten und Getreide erwartet man Preiserhöhungen zwischen 10 und 20 Prozent. Die Endverbraucher kann das teuer zu stehen kommen. Auf insgesamt bis zu 70 Milliarden Euro wird der Verlust an Wohlfahrt für die Konsumenten geschätzt. Das sind durchschnittlich 157 Euro pro Kopf in der EU.

Darüber, wie sich die Farm-to-Fork-Vorgaben auf die Brieftaschen der Bauern auswirken werden, gehen die Meinungen der Wissenschafter hingegen auseinander. Während das US-Landwirtschaftsministerium den europäischen Bauern ein Einkommensminus von 16 Prozent vorhersagt, hält man an der Uni Wageningen in manchen bäuerlichen Produktionssparten wie in der Schweine- und Geflügelmast Einkommenszuwächse für möglich. Die Milch- und Rindfleischerzeuger müssen demnach aber mit Einbußen rechnen. Die Uni Kiel und das EuroCare Bonn sind da deutlich optimistischer. Wegen der höheren Produktpreise rechnet man dort damit, dass die Einkommen der Landwirte in der EU um 35 Milliarden Euro steigen werden. Anders als in Wageningen prognostiziert man Bauern in Ländern mit hohem Anteil an tierischer Produktion deutliche Zuwächse. Im EU-Durchschnitt soll das Einkommensplus 156 Euro je Hektar ausmachen, für Österreichs Bauern sagt man ein Plus von 189 Euro je Hektar voraus.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 19. Februar 2022

Donnerstag, 17. Februar 2022

Olympisches Grauen

Österreich liegt seit bald zwei Wochen im Goldrausch. Die Zeitungen tun sich zuweilen schwer, all die Medaillen auf den Titelseiten entsprechend zu würdigen, die "unsere", wie es jetzt natürlich wieder allerorten heißt, Wintersportler gewinnen. Dem Präsidenten des Österreichischen Olympischen Komitees "lacht das Herz", ist zu lesen. Und mittlerweile wird sogar erwogen, dass sich das Land nach etlichen Blamagen und finanziellen Bruchlandungen sogar wieder um die Ausrichtung Olympischer Winterspiele bewirbt.

Kurzum - dank Matthias Mayer, Manuel Fettner, Miriam Puchner, Anna Gasser, Alessandro Hämmerle, Benjamin Karl und all den anderen sind wir wieder wer. Die Nation kann es brauchen in einer Zeit, in der es im Land drunter und drüber geht. Im Umgang mit der Corona-Krise und in der Politik erst recht. Und die Erfolge der Wintersportler sind auch ein probates Sedativum angesichts der internationalen Krisen und der Kriegsgefahr, die praktisch bis vor die Haustür reicht, denkt man nur daran, dass die Ukraine gleich hinter der Slowakei beginnt.

Dabei sind diese Winterspiele, die da tagtäglich über den Bildschirm flimmern, nüchtern und ganz ohne Medaillenrausch betrachtet, eine reichlich trostlose Geschichte. Wie von einem anderen Stern kommen sie über den Bildschirm, wie aus der Retorte. Wer immer dort sporteln oder arbeiten muss, mit dem will man nicht eine Minute tauschen. Diese skurill anmutenden Bilder von Wettkampfschauplätzen in Industriegebieten, die sterilen Schneebänder der Skipisten in kahlen Berglandschaften, die zumeist herz- wie lieblose Architektur, der man ankennt, in welchem Tempo sie in die Landschaft betoniert wurde.

Dass ausgerechnet in China Olympische Spiele in Corona-Zeiten über die Bühne gehen, tut sein Übriges und potenziert die Trostlosigkeit. All die Gesichter in Masken, und Sportler, die nicht einmal bei Interviews den Mundschutz abnehmen dürfen. Und gar nicht zu reden vom Olympiapersonal, das in seinen weißen Schutzanzügen und blauen Kittteln, den Masken und Schutzhauben überall zu sehen ist, wie es die Athleten und die wenigen Zuschauer kontrolliert und abscannt und mit riesigen Sprühflaschen offenbar rund um die Uhr Desinfektionsmittel versprüht. Beklemmung macht sich da selbst über den Fernsehschirm breit. Wenn Hans Knaus via Facebook wortreich über die permanente Überwachung berichtet und klagt, "Wir essen Kinbao Chicken und die gehen vorbei und sprühen, mir graust schon davor und die Nase brennt auch schon wie wild", kann man erahnen, was man dort mitmacht.

In den zwei Wochen war bisher kaum etwas von Freude zu sehen, von Lockerheit, von Weltoffenheit gar und von spontaner Herzlichkeit. Viel eher war überall der Drill zu spüren, den man oft mit China verbindet, der herzlose Umgang mit Menschen, den man der chinesischen Regierung oft nachsagt.

Die Spiele in China scheinen eine neue Eskalation im internationalen Sport zu sein, den längst viele als Irrweg sehen. Sportler sind Spielfiguren und Sportveranstaltungen die Spielbretter, auf denen die Interessen der Politik und Wirtschaft ausgespielt werden. Die Staaten nutzen den Sport als Bühne, die Wirtschaft die Spiele, um den Gewinn zu optimieren. Den Kontakt zur Wirklichkeit, zu den Menschen, hat man längst verloren.

Man nimmt das bewusst in Kauf. Großveranstaltungen wie Olympische Spiele, aber auch Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft oder die Formel 1 nehmen auf nichts mehr Rücksicht denn auf eigene Interessen und die der Wirtschaft. Jetzt sind es die Winterspiele in Peking, die der ganzen Welt das zeigen. In wenigen Monaten wird es die Fußballweltmeisterschaft in Katar sein. Platz hat daneben nichts mehr. Keine Diskussionen, keine Kritik. Und schon gar kein Blick über den Zaun und die Mauern, innerhalb derer sich solche Ereignisse mittlerweile wie in einer Kapsel, die aus Zeit und Raum gefallen scheint, abspielen.

"Alles ist Kalkül, alles ist berechnend, Kritik wird im Keim erstickt", schrieb sich dieser Tage ein Sportredakteur seinen Ärger von der Seele. "Es geht um Gewinnmaximierung um jeden Preis und Befriedigung aller Interessen -der eigenen und jener der Sponsoren und Ausrichter."

Um die Sportlerinnen und Sportler geht es jedenfalls kaum mehr. Und schon gar nicht um die Zuschauer. Und das lässt noch viel Übleres befürchten, als das, mit dem sie derzeit zurechtkommen müssen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Februar 2022

Donnerstag, 10. Februar 2022

Mit dem Land spielt man nicht

Die Bilanz der Politik der vergangenen Jahre, Monate und Wochen kann nur trist ausfallen. Erst recht nach dem, was mit den Sideletters bekannt wurde. Da bleibt nur mehr zu sagen, Politik funktioniert offenbar wirklich genauso, wie es sich der sprichwörtliche kleine Maxi vorstellt und wie es an den Stammtischen dieses Landes so gerne kolportiert wird. Ein paar schnapsen sich alles im stillen Kämmerlein aus, ganz egal, was sie draußen jemals gesagt haben. Da ist nichts von all den Sonntagsreden und all den Versprechungen, da gehören doppelte Böden zur Grundausstattung und Unehrlichkeit zum Programm. Man mag noch Verständnis aufbringen dafür, dass nicht alles in die Öffentlichkeit muss und soll in der Politik, um manche Dinge weiterzubringen. Aber diese Detailversessenheit, diese Dreistigkeit und diese Falschheit, wie selbst auch die Grünen einfach gelogen haben, schwarz auf weiß festgehalten zu finden, überraschte dann doch selbst hartgesottene Beobachter des heimische Politikbetriebs.

Über Strache und Gudenus wunderte man sich seinerzeit noch und zeigte sich empört. Nach der Veröffentlichung der Chatprotokolle aus dem Handy von Thomas Schmid verstand man ja noch manche Beteuerung, jetzt ist es damit wohl selbst bei den wohlwollendsten Politik-Verstehern und -Verteidigern vorbei. Postenbesetzungen und Pfründeverteilungen auf allen Ebenen, haarklein festgeschrieben in einem Papier, das unterschrieben wurde von Politikern, die, wie Kurz, angetreten sind, eine neue Politik zu machen, und die, wie Kogler, der auf die Nachfrage, ob es einen Sideletter zur Bestellung des ORF-Generals gebe, ohne mit der Wimper zu zucken "Nein" sagte.

Der Bundespräsident hatte nicht recht, als er damals nach Auffliegen der Ibiza-Geschichte sagte, "So sind wir nicht". Selbst die größten Politik-Versteher und die engagiertesten Verteidiger des Systems tun sich heute schwer, noch irgendetwas zu glauben.

Das Land ist längst blockiert und nimmt Schaden. Seit Jahren mittlerweile. Wichtige Projekte bleiben liegen, für Weichenstellungen hat man nicht Zeit. Wichtige Themen werden ohne viel Fortschritt durch die Jahre geschoben, weil die Kapazitäten anderweitig gebunden sind. "Statt um Gesundheit, Wohnen, Inflation, Gleichbehandlung vor dem Gesetz, Persönlichkeitsschutz geht es um Parteien, Intrigen, Geheimes", schrieb dieser Tage Anneliese Rohrer. So ist es. Und alle spielen das Spiel bereitwillig mit. Von früh bis spät, von Montag bis Sonntag, von Jänner bis Dezember lässt sich ein ganzes Land davon zum Narren machen.

All diese Unverträglichkeiten sind das eine. Wie sie an die Öffentlichkeit gebracht werden, ist das andere. Über das zu reden ist genauso dringlich. Es ist keine Frage, dass all die Ungeheuerlichkeiten, Ungereimtheiten und Dreistigkeiten aufgeklärt und im Fall des Falles auch sanktioniert werden müssen. Es muss aber auch endlich aufgeklärt werden, wer da aller seit Jahren mit der Politik und damit mit dem Land spielt. Wer im Wochentakt Gift tröpfeln lässt. Da ein Protokoll aus Chats, dort eines aus Vernehmungen, da ein Auslieferungsantrag, dort ein Jahre zurückliegendes Zitat.

Es muss Schluss sein damit, dass sie mit dem Land spielen. Ohne jede Legitimation, schon gar ohne jede, die demokratisch wäre, sondern viel mehr getrieben von Hass und davon, offene Rechnungen zu begleichen. Es ist offensichtlich, dass es nicht wirklich darum geht, Missstände aufzudecken, wenn Dokumente oder Chats in die Öffentlichkeit gespielt werden, sondern darum, Wirbel zu machen und zu destabilisieren.

Zeitliche Zusammenhänge mit Entdeckungen in den schmutzigen Ecken des heimischen Politikbetriebes sind ja nur selten zu erkennen. Viel eher scheinen die Vermutungen zu stimmen, dass überall Giftschränke stehen, gefüllt mit Material, das bei Bedarf an die Öffentlichkeit gebracht wird.

Es ist schick geworden in den politischen Couloirs, mit dem Ton des Wissenden zu flüstern, "da kommt noch einiges". Bis jetzt ist wirklich immer noch etwas gekommen. Das sollte ein Ende haben. Es gehört alles auf den Tisch gelegt, was da in den Giftschränken aus den vergangenen Jahren herumliegt und was jetzt schon bekannt ist. Das Spiel muss ein Ende haben. Das Land kann es nicht mehr ertragen und nimmt immer größeren Schaden, je länger dieses Spiel von allen so bereitwillig mitgespielt wird.

Nur dann kann das Land wieder frei werden und auch die Politik.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 10. Februar 2022

Samstag, 5. Februar 2022

Der Ärger der Biobauern ist groß

Hans Gmeiner 

Salzburg. Die Kritik der Biobauern an der Umsetzung der EU-Agrarreform in Österreich reißt nicht ab. Der Ärger ist immer noch groß. „Die Regierung bleibt klar hinter ihrem Anspruch, die Biolandwirtschaft zu stärken, zurück“, sagte Gertraud Grabmann, Obfrau von Bio Austria, kürzlich bei der Eröffnung der „Bauerntage“, bei der viele Themen der Biolandwirtschaft zur Diskussion standen. Für Grabmann ist es bedenklich, dass die Biobauern „just zu der Zeit, in der Bio auf EU-Ebene mit dem eigenen Aktionsplan in den Mittelpunkt gerückt wurde“, in Österreich alle Kräfte hätten mobilisieren müssen, „um eine massive Schwächung“ zu verhindern. Erst kurz vor der Abgabe in Brüssel wurden die Mittel für die Biolandwirtschaft aufgestockt und der Wunsch nach einer eigenen Biomaßnahme im Umweltprogramm erfüllt.

Auch in der Bauernschaft rumort es. Aus Niederösterreich etwa kommt Kritik, dass vor allem der Ackerbau wesentlich schlechtergestellt werde als bisher und die zusätzlichen Mittel nicht direkt den Bauern zukommen sollten.

Die Biobauern hadern auch mit Brüssel. Grabmann kritisierte die neuen Vorgaben bei der Weidehaltung, die vielen Viehhaltern in Österreich Probleme machen: „Da baut die EU Hürden auf, die es schwieriger machen, dass sie ihre selbst gesetzten Ziele zur Ausweitung des Biolandbaus erreichen.“ Sie wünscht sich weniger starre Vorgaben und mehr Entscheidungsbefugnisse und Eigenverantwortung für die Bauern.

Sosehr man sich über die Politik ärgert, so zufrieden ist man mit der Entwicklung der Märkte. Grabmann: „Die Umsätze sind im Vorjahr durch die Decke gegangen.“ Die nächsten Jahre könnten dennoch nicht einfach sein, warnte der ehemalige Agrana-Vorstand und Lektor an der BOKU, Fritz Gattermayer. Die EU-Pläne zur Ausweitung des Biolandbaus bedeuteten auch mehr Wettbewerb. „Ich glaube nicht, dass jeder Biobetrieb, der jetzt produziert, in fünf oder zehn Jahren noch die wirtschaftlichen Möglichkeiten findet, die er bräuchte.“ Entscheidend für Bauern werde sein, in welcher Region sie leben und ob es dort Verarbeiter und Händler gibt, an die sie so verkaufen können, dass auch ihre Kosten gedeckt sind.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft , 5. Februar 2022

Donnerstag, 3. Februar 2022

Ruhe vor dem Sturm?

Man kann der Landwirtschaftsministerin zugutehalten, dass sie zumindest gesagt hat, dass nicht alle Bauern von der EU-Agrarreform und wie sie in Österreich umgesetzt werden soll, profitieren werden. Das freilich kann den Argwohn auch erst richtig entfachen. Wenn die Ministerin das schon selbst sagt, was ist dann erst wirklich zu erwarten?

Was in Sachen EU-Agrarreform lief vor allem in Österreich selbst wurde über lange Zeit in der Öffentlichkeit auf Sparflamme kommuniziert. Dass die Umwelt in der neuen Agrarpolitik ein größeres Gewicht bekommen wird, ja. Auch, dass wohl keine Verbesserungen zu erwarten sind. Was das aber für den einzelnen Bauern bedeuten kann, wurde nie wirklich thematisiert.

Und so ist die Überraschung jetzt groß. Die Biobauern schlugen als erste Alarm. Dann rückten die Großbauern im Osten Österreichs aus. Zuerst warfen sie der Regierung vor den Ackerbau zu Grabe zu tragen. Dann machten sie auf die Gefährdung von Arbeitsplätzen aufmerksam und schließlich begann man auch an der Förderobergrenze, die Österreich eingezogen hat, zu rütteln.

Am anderen Ende indes tut sich einstweilen gar nichts. Da hat man, so scheints noch gar nicht registriert, dass das, was vor allem die Grünen als Stärkung der Klein- und Kleinstbetriebe und ihren Erfolg bejubeln, nichts als ein Bauernfänger-Schmäh ist. Ein ziemlich übler noch dazu. Denn auch wenn es für Betriebe bis 40 Hektar Zuschläge bei der Flächenprämie geben wird, werden sie deutlich weniger pro Hektar bekommen als bisher, weil die Flächenprämien insgesamt um fast 30 Prozent gekürzt werden.

In die Kategorie Bauernfänger-Schmäh gehört freilich auch der Verweis darauf, dass mit 1,6 Mrd. Euro jährlich sogar mehr als bisher für die Bauern zu Verfügung stehen würden. Klingt passabel, aber real zu Preisen des Jahres 2000 entspricht das nicht viel mehr als 1,1 Mrd. Euro, um fast ein Drittel weniger, als das mit dem die Bauern mehr als 20 Jahre später das Auslangen finden müssen.

Wenn in den nächsten Wochen ruchbar wird, was noch alles auf die Bauern zukommt, darf man gespannt sein, wie groß der Wirbel wohl noch werden wird. Es mag zwar gut klingen, dass man, wie die Ministerin sagte, das Minus durch die Teilnahme an ÖPUL-Programmen ausgleichen kann. Ob das Angebot für die Bauern attraktiv ist und ihnen eine Perspektive bietet, ist umstritten, sind doch die Prämien im ÖPUL so kalkuliert, dass sie gerade die Kosten decken. Schon jetzt fragt man sich, ob sich etwa viele Bauern im Berggebiet z.B. für die bodennahe Gülleausbringung eine Investition in Größenordnung einer Eigentumswohnung antun.

Die Grundtendenz der EU-Agrarpolitik ist nicht zu verkennen – es geht um eine Extensivierung der Landwirtschaft. Das ist die logische Konsequenz der stärkeren Umweltorientierung. Vor allem für die Betriebe, die ihre Höfe im Vollerwerb bewirtschaften, ist das eine enorme Herausforderung.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Bei der Forderung nach Anrechnung Lohnkosten bei der Föderobergrenze signalisierte die Ministerin jüngst Änderungsbereitschaft. Auch die EU-Kommission kann noch Änderungen verlangen. Und überhaupt – die Reform muss auch noch durchs heimische Parlament.

Gmeiner meint - Blicks ins Land, 3. Februar 2022

Ein Land ohne Bremsen

Der Staat wirft das Geld mit beiden Händen hinaus, aber kaum jemand scheint das noch zu berühren. Eine Milliarde für eine Impflotterie dort, 1,6 Milliarden als Ausgleich für die gestiegenen Energiekosten da und dann auch noch einen Impfbonus von der Sozialversicherung für die Selbstständigen und Bauern. Und kaum wo ein Aufschrei. Kaum wo jemand, der nach der Stopptaste ruft.

Leute wie Franz Schellhorn, Chef der Agenda Austria, scheinen wenige geworden zu sein in diesem Land. Die es wie er für ein "verheerendes Signal" halten, "Menschen dafür Geld zu bezahlen, eine ohnehin vom Sozialstaat kostenlos angebotene Impfung gegen schwere Krankheit in Anspruch zu nehmen". Und die die Regierung kritisieren für ihren "Geldverteilungsrausch", wie Schellhorn es nennt. "Wird dieser Wahnsinn je ein Ende nehmen?" fragt er und hat schon seine Befürchtungen. "Whats next? Steuergeld für die Gratis-Maserimpfung? Einen Hunderter für die kostenlose Polio-Impfung?"

Befürchten könnte man es tatsächlich. Es scheinen alle Bremsen gelöst, alle Sicherungen herausgeschraubt zu sein. Auf rund 70 Milliarden werden allein die Kosten der Pandemie bisher geschätzt. Und jetzt fängt man auch noch an, ohne viel Hemmungen so etwas wie die Kosten der Teuerung auszugleichen.

Es ist, als hätte man die Büchse der Pandora aufgemacht. Der Staat scheint seiner Macht nicht mehr zu vertrauen und hat keine Scheu, den Bürgerinnen und Bürgern Geld anzubieten für die Einhaltung von Gesetzen, weil man sich nicht getraut, die Gesetze, die man selbst beschlossen hat, durchzusetzen. Bisher haben dazu, und das gehört auch zum Wesen von Gesetzen und ihrer Umsetzung, Sanktionen gereicht. Das lässt tief blicken und Arges befürchten. Das lässt fragen, was man von den Gesetzen hält, die man selbst gemacht hat, und von den eigenen politischen Fähigkeiten.

Man greift mit vollen Händen in die Budgettöpfe und verteilt wahllos unter Titeln wie "Energiekostenausgleich" oder "Impfbonus" Gelder, die den wenigen, die es brauchen, nicht wirklich helfen, die aber vielen, die darauf nicht angewiesen wären, wahrscheinlich nicht einmal auffallen werden, wenn sie sie bekommen.

Da ist nichts mehr von zielorientierten Maßnahmen, nichts mehr von selbstbewusster Politik. Man mag gar nicht dran denken, wie das noch werden wird, wenn man umsetzen will, was man etwa in der Umweltpolitik plant. Diese Pläne bewirken ja genau solche Verteuerungen wie man sie jetzt gerade hektisch und ängstlich mit Milliarden abzufedern versucht -wiewohl, die Steuerreform ist ja ohnehin bereits durchdrungen davon.

Mit Politik, wie sie das Land brauchen würde, hat all das ziemlich wenig zu tun. Etwa damit, dass die Lohnnebenkosten niedriger sein sollten, also "mehr Netto vom Brutto" bleiben sollte, mithin die Menschen weniger schnell in finanzielle Nöte kommen und man sich Aktionen wie Energiekostenausglich und Impfbonus ersparen könnte.

Gar nicht zu reden von dem, was etwa die Kindergartenpädagoginnen wollen. Da war nichts zu sehen von einem "Geldverteilungsrausch", als eine bessere Bezahlung gefordert wurde. Und auch sonst gab es wenig Verständnis für die Gruppe, die von Politikerinnen und Politikern in Sonntagsreden so gerne gelobt wird für ihre Leistung und für ihr Engagement.

Da geht es ihnen freilich nicht anders wie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Pflegeberufen. Wenig ist bisher von den Versprechungen und Solidaritätsbekundungen aus der Politik in ihren Brieftaschen respektive auf ihren Konten angekommen.

"Das ist beschämend", stand dieser Tage in einer Zeitung zu lesen. Ja, das ist es wohl. Und es gilt nicht nur für diese beiden genannten Berufsgruppen. Aber auch daran hat man sich gewöhnt. An die Nicht-Politik. Und so wie es aussieht, wird sich daran so schnell nichts ändern. Die Politik hat ja auch gar keine Zeit dafür, ist sie doch vor allem mit sich selbst beschäftigt. Wie schon in den vergangenen Jahren. Wenn es nicht die Pandemie war, waren es Kurz und die Türkisen, dann Chats und diverse Minister und hochrangige Beamte. Nun, nach Bekanntwerden all der "Sideletters" und Nebenabsprachen, die das Land und seine Regierungen zusammenkitten, sind es auch die Grünen und damit die aktuelle Koalition.

Was vor allem eines garantiert - auf Politik, die das Land braucht, wird man wohl weiter warten müssen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. Februrar 2022
 
UA-12584698-1