Donnerstag, 31. August 2023

Ein Land ohne Leitfiguren

"Wir machen Politik gegen unsere Enkelkinder", sagt er. Oder "die Weitsicht und der Blick über den Tellerrand halten sich bei uns in Grenzen" und "die einen verstecken sich in einer Biedermeierlaube, die anderen glauben, wir können aus Europa eine Festung machen und innerhalb dieser Festung eine Festung Österreich", und "die Dritten holen Versatzstücke aus der ideologischen Mottenkiste heraus und wollen mit 100 in die 32-Stunden-Woche-Falle hineinfahren, EU-ablehnend und Putin-verstehend". Man mag zu Hannes Androsch stehen, wie man will, aber man hört in diesem Land nur mehr ganz ganz selten von einem Mann dieses Zuschnitts in dieser Klarheit, der auch eine gewisse Wucht inne ist, was er kürzlich in einem großen Interview mit den "Oberösterreichischen Nachrichten" sagte.

Androsch, einst unter Kreisky Anfang der 1970er-Jahre jüngster Finanzminister der Republik und mittlerweile auch schon 85, ist einer von mittlerweile ganz wenigen in diesem Land, die aufgrund ihrer Lebenserfahrung, ihrer Lebensleistung, ihres Gewichts in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft etwas zu sagen haben und das auch sagen. Die Autoritäten sind und Leitfiguren, ausgestattet mit dem nötigen Charisma, deren Beiträge von Gewicht sind und die über den Tag hinauswirken. Leute, die den nötigen Weitblick haben und auch die nötige Courage, sich die Öffentlichkeit anzutun.

In diesem Land, das sich in den vergangenen Jahrzehnten lieber der Lugnerisierung hingab und auslieferte, gibt es solche Leute kaum mehr. Leute, die nicht, wie es im täglichen Polit-Geschäft üblich geworden ist, Antworten auf nicht gestellte Fragen bieten, sondern die versuchen auf die wichtigen Fragen tatsächlich Antworten zu geben, mit allen Licht-und Schattenseiten, die sie mit sich bringen und mit allem Für und Wider. Die sich nicht vom Zeitgeist treiben lassen und vom Schlagzeilen-Gezeter, sondern auf deren Expertise man zählen kann und die Linie und Richtung nicht aus den Augen verlieren. Leuchttürme, die Orientierung bieten.

Diese Leute fehlen heute in Politik und Gesellschaft, die sich durch die Tage treiben lässt und durch die Tage getrieben wird. In Österreich waren solche Leute immer schon dünn gesät. Stephan Koren ist in Erinnerung, oder später Heinrich Neisser und Erhard Busek. Dann waren da auch Andreas Kohl oder Franz Fischler, die das Zeug dazu gehabt hätten, aber der Vereinnahmung durch das politische Tagesgeschäft zu oft nicht widerstehen konnten. Oder Christoph Leitl, der sich an seinem Verständnis für Putins Politik verbrannte. Christian Konrad ist heute noch so einer, Othmar Karas hätte das Zeug dazu. Bei den Sozialdemokraten könnte man Vranitzky anführen, der sich aber allzu nobel zurückhält. Und bei den Grünen fällt einem nur der Bundespräsident höchstselbst ein.

Solche Leute gibt es praktisch nicht mehr. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft, auch nicht und das vor allem, in der Wissenschaft und nicht sonst wo in der Gesellschaft und auch nicht in den Kirchen. Sie können auch gar nicht mehr zur Wirkung kommen, weil man sie nicht mehr zur Wirkung kommen lässt. Treten solche Leute an die Öffentlichkeit, werden sie hierzulande mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorsorglich einmal zerkratzt und beschädigt, zuhören will man nicht und wohlwollend zuhören schon gar nicht. Da nimmt nicht wunder, dass viele lieber den Mund halten, als sich das anzutun.

Stattdessen hat das Land Scharen von Krawallmachern. Leute, denen nur am Zuspitzen und Neid schüren liegt, nicht an dem, was die Menschen in diesem Land wollen, in dem es eine große Sehnsucht nach Orientierung gibt. In dem stattdessen aber nur kleinlicher Hickhack abseits der großen Notwendigkeiten, vorangetrieben von Kleingeistern, geboten wird, die auf das nächste Wahlergebnis schielen.

Dabei hätte das Land solche Leitfiguren nötiger denn je. Gerade jetzt, wo es so viele Probleme und so wenig Lösungen gibt. Wo es gälte, über den Tellerrand zu schauen und wie es dieser Tage im Leitartikel einer Tageszeitung hieß, "die Fensterläden aufzureißen, nach vorne zu blicken und Neues zu wagen". Und wo es gälte schleunigst aus der negativen Meinungsspirale herauszukommen, die viele Leute immer weiter nach unten zieht und zum Spielball fragwürdiger politischer Kräfte macht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 31. August 2023

Montag, 21. August 2023

Biobauern zeigen Selbstbewusstsein

Die Biolandwirtschaft steckt nicht mehr in den Kinderschuhen. Jeder vierte Hof in Österreich ist ein Biohof. Aber viele Bauern warfen wegen neuer Vorschriften heuer das Handtuch.

Hans Gmeiner

Österreichs Biobauern haben schon bessere Zeiten gesehen, heuer gaben Hunderte auf. Der Markt und die Preise sind unter Druck. Barbara Riegler, die neue Obfrau von Bio Austria, glaubt dennoch an die Zukunft. „Wir bieten für viele Probleme Lösungen.“ Gegenwind in der öffentlichen Debatte lässt sie kalt.

SN: Einer Ihrer Vorgänger sagte: „Das Leitbild für eine neue Agrarkultur kann nur eine bäuerliche, biologische Landwirtschaft sein.“ Man stehe erst am Anfang, sagte er damals vor mehr als zehn Jahren. Wo stehen wir heute? 

Barbara Riegler: In Österreich ist inzwischen jeder vierte Hof ein Biohof. Bei den Flächen beträgt der Anteil sogar 27 Prozent. Wir sind damit immerhin „Biokaiser“, also Erster in Europa – und sogar weltweit. Die Biolandwirtschaft steckt schon lang nicht mehr in den Kinderschuhen. In der Kulturführung, in der Bodenbearbeitung, in der Tierhaltung haben wir höchste Standards. Da sind wir stolz drauf.

Es schaut aber dennoch gerade nicht so gut aus. Die Märkte sind schwierig. In Österreich gab es Absatzrückgänge, die Preise sind gesunken. In Deutschland redet man sogar von einer Krise. 

Es ist tatsächlich eine Unsicherheit da. Aber die Österreicherinnen und Österreicher sind sehr treue Biokäufer. Die Preissensibilität, die wegen der Inflation da ist, spürt man natürlich trotzdem auch im Biobereich. Aber die Situation ist stabil und die Preise für Bioprodukte sind viel weniger angestiegen als die Preise für konventionelle Produkte. Bio ist damit auch eine Teuerungsbremse im Lebensmittelbereich.

Auch die Zahl der Biobauern ging erstmals zurück. In ganz Österreich um insgesamt rund 700, allein in Salzburg um gut 400. Bereitet Ihnen das Sorgen? 

Manche Bauern sind verunsichert. Grund sind die neuen Vorschriften bei der Weidehaltung, aber auch der immer höhere bürokratische Aufwand mit Dokumentationspflichten und Kontrollen. Ganz klar ist auch das neue Agrar-Umweltprogramm für diesen Rückgang der Zahl der Biobauern verantwortlich, weil Anreize fehlen, neu einzusteigen. Da braucht es dringend Nachbesserungen. Der starke Rückgang in Salzburg hat, wie in ganz Westösterreich, wo viel Milch nach Deutschland geliefert wird, damit zu tun, dass deutsche Abnehmer die Mitgliedschaft bei deutschen Verbänden wie Naturland verlangen. Das hätte für Bio-Austria-Bauern doppelten Aufwand bedeutet. Das wollten viele nicht. Derzeit gibt es aber für diese Bauern eine Lösung, nämlich eine Doppelmitgliedschaft die nicht mehr kostet als die Mitgliedschaft etwa bei Naturland.

In der öffentlichen Diskussion gibt es auch erstmals Gegenwind. Bio braucht um bis zu einem Drittel mehr Flächen, um die gleichen Mengen zu produzieren, heißt es. Der Beitrag zur Versorgungssicherheit wird immer öfter infrage gestellt. 

Die Versorgungssicherheit ist ein fadenscheiniges Argument, da gibt es andere Schrauben, an denen gedreht werden sollte, als den Biobauern vorzuhalten, sie würden zu wenig produzieren. Die massive Bodenversiegelung etwa oder die Lebensmittelverschwendung oder auch die Mengen an Futter- oder Getreideflächen, die für Biogasanlagen gebraucht werden. Biobauern haben eben bewusst nicht die Ertragsmaximierung pro Hektar zum Ziel. Ich denke, dass das langfristig zur Versorgungssicherheit beiträgt.

Die Bauernvertreter wehren sich gegen die Renaturierungsverordnungs-Pläne und den Green Deal der EU. Kämen nicht gerade die österreichischen Bauern, die konventionellen und auch die Biobauern, die bei diesen Themen in vielen Bereichen viel weiter sind als ihre europäischen Kollegen, doppelt zum Handkuss? 

Grundsätzlich finde ich es schade und nicht angebracht, dass man in der politischen Debatte versucht, die Bauern so zu verunsichern und gegen Konsumenten und Klimaschutzmaßnahmen auszuspielen. Umwelt und Landwirtschaft muss man unter einen Hut bringen. Wir brauchen davor keine Angst zu haben, da darf man Bauern nicht verunsichern. Dass Hecken gepflanzt und Flüsse renaturiert werden sollen, sehe ich nicht als Problem. Im Gegenteil, vieles wird schon jetzt gemacht, vor allem in der Biolandwirtschaft. Zudem wird es auf nationaler Ebene sicher Ausgestaltungsmöglichkeiten geben.

Aus dem Biolandbau kommen, auch von Urs Niggli, der als Biopapst gilt, immer deutlichere Signale, dass man Gentechnik nicht mehr rundweg ablehnen sollte, vor allem nicht die Genschere CRISPR/Cas. 

Bisher gibt es von den tollen Versprechungen der Gentechnik-Lobbyisten, wie etwa Trockenheitsresistenzen oder Pestizidreduktion, die immer versprochen wurden, kaum etwas. Für uns als Biobauern steht auch das Thema der Koexistenz ganz oben. Wir wissen, wo Gentechnik erlaubt ist, gibt es kaum Biolandwirtschaft, weil eine Abgrenzung kaum möglich ist. Zudem sieht der Entwurf der EU-Kommission zur Neuen Gentechnik im Lebensmittelbereich keine verpflichtende Risikoprüfung, Rückverfolgung und Kennzeichnung vor. Da verlieren wir die Wahlmöglichkeiten beim Saatgut und im Regal. Und sowohl Biobauern als auch konventionelle verlieren das Landwirte-Privileg zur Nachzüchtung.

Wie ist das Verhältnis zu Politik, Kammern und Handel? 

Ich war sowohl bei Landwirtschaftsminister Totschnig als auch bei Gesundheitsminister Rauch, und ich habe bei beiden offene Türen vorgefunden und mit ihnen konstruktive Gespräche geführt. Mit den Kammern sind wir ebenfalls gut vernetzt. Mir ist wichtig, dass Bio nicht nur unter „ferner liefen“ mitgedacht wird, sondern anerkannt wird, dass Bio einen wichtigen Stellenwert in der Landwirtschaft hat. Auch im Handel versuchen wir, eine Gesprächsbasis auf Augenhöhe zu haben.

Vor zehn Jahren schätzte Bio Austria, dass sich die Zahl der Biobauern in Österreich auf knapp 50.000 Bauern und der Anteil der Bioflächen auf 40 Prozent erhöhen werde. Heute ist man davon fast noch so weit entfernt wie damals. 

Man muss Ziele setzen, um Ziele zu erreichen. Das Ziel der aktuellen Regierung ist ein Bioanteil von 30 Prozent bis 2027. Wenn die Anreize des Umweltprogramms und anderer Parameter für die Bauern nicht interessanter werden, wird es schwierig. Überall ist die Rede von Dürre, von Klimaanpassung oder davon, dass wir mit dem Wasser haushalten müssen – gerade dafür bietet der Biolandbau sehr viele Lösungen. Darum glaube ich, dass der Biolandbau wachsen wird und muss, und die vor Jahren genannten Ziele langfristig erreichbar sind.

Mag.a Barbara Riegler (43), Absolventin der FH Wieselburg, ist Lebensmittelexpertin und Biobäuerin in Bad Kreuzen in Oberösterreich. Sie ist seit Mai Obfrau von Bio Austria, mit 13.000 Mitgliedsbetrieben der größte Verband der Biolandwirte in Österreich.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 21. August 2023

Donnerstag, 17. August 2023

Das Sommerloch muss in die Hölle führen

Auch das noch - der Kickl und die Glawischnig haben sich geküsst. In der Schulzeit. Vor zig Jahren. Beim Flaschendrehen. Keine Zeitung hat diese Meldung ausgelassen. Und auch kein TV-Sender. Nicht die Krone, die das Ereignis aus der Vergangenheit gleich mit einer Titelseite würdigte, natürlich nicht die Karikaturisten im Land und selbst der sonst so gestrenge Armin Wolf in seiner ZiB 2 nicht. 

Das Sommerloch muss in die Hölle führen. Selten lag der Verdacht so nahe wie heuer. Zuerst die unselige Diskussion um das, was normal sei. Dabei war diese Diskussion selbst alles andere als normal. Schon gar nicht, wie sie von den Schwarzen lanciert und geführt wurde und wie man sie zu einer Kernfrage des österreichischen Seins hochstilisierte. Dann war da der in weiblicher Form formulierte Entwurf für ein Gesetz zur flexiblen Kapitalgesellschaft, mit dem die grüne Justizministerin etwas wollte, von dem bloß nicht klar wurde was. Und schließlich, wieder von den Schwarzen hochgejazzt, die zwar in der Regierung das Ruder in der Hand, aber offenbar nichts Besseres zu tun haben, als die Diskussion ums Bargeld, das man im Verfassungsrang sehen will, vom Zaun zu brechen. Dieses Thema ist dann aber schlussendlich, Gott sei's gedankt, doch dabei in der schlichten Forderung zu versanden, dass Bargeld jenes Zahlungsmittel sein soll, das immer und überall funktioniert. Bargeld im Verfassungsrang wäre "Missbrauch der Verfassung", sagte der Verfassungsrechtler Mayer, "denn die Verfassung hat die grundlegenden Regelungen über die Staatsorganisation und über die Rechte der Bürger zu treffen und nicht solche Kinkerlitzchen". 

Da waren die Beiträge der beiden Polithelden und ihrer Parteien, die vorgeben, die Republik, koste es was es wolle, unbedingt mit ihren Methoden retten zu können, erheiternd dagegen für Politbeobachter. Der frischgewählte Andreas Babler kommt nicht und nicht in die Gänge und verhedderte sich neuerdings wieder in einem Match mit Hans Peter Doskozil wegen seiner geplanten Comeback-Tour durchs Land, die möglichweise doch nicht zu ebendiesem führen wird. Und der von seiner Schulkollegin seinerzeit geküsste Herbert Kickl wird von seinen Parteikollegen in Oberösterreich und Salzburg vorgeführt, die sich partout nicht der von ihm ausgerufenen Sparsamkeit bei den Gehaltsanpassungen beugen wollen. 

Wie gesagt -das Sommerloch muss das Tor zur Hölle sein. Mag sein, dass nächstes Jahr ein Wahljahr ist, mag sein, dass man schon jetzt Positionen abchecken, wenn schon nicht beziehen will. Aber muss man deswegen das ertragen, was da geboten wird? So ein billiges "Schattenboxen", bei dem man "mit Scheindebatten die Leute pflanzt"(Copyright Beate Meinl-Reisinger, die das Land immerhin mit einem dreiwöchigen Urlaub zumindest für eine kurze Zeit schonte)? 

Der ehemalige Wissenschaftsminister Heinz Faßmann, inzwischen als Präsident der Akademie der Wissenschaften in seiner Position über Sommerlöcher und den Kampf in den politischen Niederungen erhaben, fand als einer von wenigen bisher die richtigen Worte. Er sei "ganz sicher", dass hinter den Sommerlochthemen "strategische Überlegungen" der Parteien stehen. Das sei legitim, sagt er, um dann festzustellen: "Wir hätten wichtigere Themen zu diskutieren." Ihm ist beizupflichten. Der heimischen Politik respektive vielen Politikern scheint der Kompass abhandengekommen zu sein. Und da darf und sollte man sich nicht wundern, dass -der Jugendbericht in der vorigen Woche und zuvor die Ö3-Jugendstudie zeigten es -sich vor allem die Jungen von der Politik kaum mehr vertreten fühlen. 

Dabei wäre es so einfach, denn die Jungen wissen, was sie wollen. Sie sehen dringenden Bedarf beim Klimawandel, fordern Regeln für nachhaltige Veränderungen und wünschen sich Maßnahmen gegen die Teuerung. Nicht zu vermessen eigentlich. Und Teil der großen Themen, um die es gehen sollte. In einem Sommer, in dem eine Pleitewelle über das Land schwappt, die Arbeitslosigkeit wieder steigt, das Wachstum schwächelt und die Inflationsrate nicht und nicht deutlich sinken mag. Gar nicht zu reden von Themen wie Sicherung des Pensionssystems oder Finanzierung des Gesundheitswesens und all den vielen anderen Themen, die seit vielen Jahren auf die lange Bank geschoben werden. 

Aber man lässt es sich gefallen in diesem Land ohne Kompass im Sommerloch. Von der Bargeld-Farce bis zum Kickl-Busserl. Auch weil alle mitspielen. 

Da darf und sollte man sich dann nicht wundern, dass wir geboten bekommen, was uns geboten wird. Nicht nur in diesem Sommer.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. August 2023

Dienstag, 8. August 2023

Unglaubliche Informationslücken und dröhnendes Schweigen

Im Vorjahr öffnete die EU für die Ukraine die Grenzen. Doch statt in den Hungerregionen der Welt scheint ein Gutteil des ukrainischen Weizen, Mais und auch Soja offenbar in europäischen Silos zu landen. Während der Import von Weizen aus der Ukraine in die EU binnen Jahresfrist von 297.000 Tonnen auf 5,7 Mill. Tonnen schnellte, wuchs der EU-Weizenexport um nur 766.000 Tonnen. Bei Mais legten die Importe binnen eines Jahres von 6,4 Mill. auf 14,1 Mill. Tonnen zu, während die Exporte von 6,5 Mill. auf 3,7 Mill. Tonnen zurückgingen. Wo diese Mengen geblieben sind, weiß man nicht recht, schon gar nicht in Österreich. Unsere offizielle Import-Statistik weist nur ein paar tausend Tonnen Weizen und gut 170.000 Tonnen Mais aus der Ukraine aus.

Die Lage ist unübersichtlich. Vor allem seit die Grenzstaaten zur Ukraine wie Polen, Rumänien und Ungarn keine ukrainische Ware mehr annehmen, sei Österreich neben Deutschland zur ersten Anlaufstation für Lieferungen aus der Ukraine in der EU geworden, mutmaßen viele Bauern.

Die Faktenlage ist dünn. „Die Lieferungen aus der Ukraine nach Österreich und auch nach Deutschland halten sich in Grenzen, die indirekten Auswirkungen auf Preise durch Importe in die EU sind aber sicher spürbar“, ist alles, was von offizieller Seite zu hören ist. Was über Drittstaaten aus der EU nach Österreich gekommen ist und kommt, weiß man nicht, zumal bis zu einem Volumen bis zu einem Wert von 200.000 Euro solche Lieferungen nicht gemeldet werden müssen. Und man weiß auch nicht was davon wieder exportiert wurde

Man mag das kaum glauben, zumal auf den Bauernhöfen, die von früh bis spät kontrolliert werden und alles aufzeichnen und melden müssen. Dieser Zustand ist so unglaublich wie untragbar. Er fügt sich aber nahtlos in das lahme Statistikwesen in der Landwirtschaft, das es bis heute nicht einmal schafft, die Bio-Exporte und -Importe aufzulisten.

Da nimmt nicht Wunder, dass in der Bauernschaft die Gerüchteküche brodelt. Man vermutet, dass mit billiger ukrainischer Ware die Preise bei uns gedrückt werden und die Bauern die Opfer der Marktöffnung der EU für ukrainische Ware sind. Großverbraucher in der Industrie, Futtermittelhersteller, Mühlen und Händler stehen unter Generalverdacht. Besonders Misstrauische wollen gar von Mehl aus ukrainischem Weizen in heimischen Kaisersemmeln wissen.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Kritik an fehlenden Informationen lauter wird, auch weil Brüssel für die an die Ukraine grenzenden Mitgliedsstaaten längst ein Ausgleichspaket geschnürt hat. Von der heimischen Agrarpolitik gibt es zu diesem Thema nur dröhnendes Schweigen. 

Es ist zu fordern, dass sich das rasch ändert, zumal es aller Voraussicht nach länger bei offenen EU-Grenzen für die Ukraine bleiben wird und viele Experten der Meinung sind, dass aus heutiger Sicht die Möglichkeiten für die Ukraine noch verstärkt werden müssen.

Denn sonst bekommen die recht, die schon zu Beginn des Jahres meinten, gegen das Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine und die Öffnung der Märkte sei Mercosur für Europas Bauern ein Kindergeburtstag.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 8. August 2023


Samstag, 5. August 2023

Trotz guter Ernte ist nicht alles gut

Das Land darf sich über gesicherte Versorgung mit Getreide freuen. Die Bauern aber hadern mit den Preisen und Importen aus der Ukraine.

Hans Gmeiner 

Wien. Auf dem Papier und in der Statistik ist alles in Ordnung. „Österreich ist mit dem wichtigen Grundnahrungsmittel Getreide sicher und sehr gut versorgt“, zog am Freitag Günter Griesmayr, Vorstandsvorsitzender der AMA, eine durchaus erfreuliche Erntebilanz. „Sämtliche Getreidearten zur Lebensmittelerzeugung wurden vermehrt angebaut und es gab höhere Erträge.“ Auf 3,2 Mill. Tonnen schätzt der AMA-Chef die heurige Getreideernte. Das ist um 4,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Rechnet man Mais hinzu, der erst in den kommenden Wochen geerntet wird, sei mit 5,5 Mill. Tonnen zu rechnen, was sogar einem Plus von sieben Prozent entsprechen würde. Heuer war vor allem die Maisanbaufläche deutlich größer, Rückgänge gab es hingegen bei Kürbis und Soja. Und obwohl die Zahl der Biobauern zurückging, wuchs die Bio-Anbaufläche um acht Prozent auf 202.000 Hektar und damit 21 Prozent der gesamten Ackerfläche.

In der Praxis freilich ist die Welt der Ackerbauern alles andere als in Ordnung. Die Preise sind unter Druck. Für Qualitätsweizen wird heuer um rund 30 Prozent weniger gezahlt als voriges Jahr, für Mahlweizen gar um 40 Prozent weniger. Auch die Biopreise sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Lagerstände sind um 25 Prozent höher als vor einem Jahr. Überall sind die Folgen der Ukraine-Krise zu spüren. Die Achterbahnfahrt der Getreidepreise nimmt kein Ende. „Die Preisbildung ist immer weniger eine Sache von Nachfrage und Angebot, sondern wird deutlich mehr von den Vorgängen im Kriegsgebiet bestimmt“, sagt Griesmayr. „Wie es weitergeht, können wir seriös nicht einschätzen.“

In der heimischen Landwirtschaft verstummen indes die Gerüchte nicht, dass ukrainisches Getreide und Mais in bedeutenden Mengen nach Österreich zur Verarbeitung kommen und zusätzlich Druck auf die Preise machen, weil die EU die Grenzen geöffnet hat. Auch die Kritik an fehlenden Informationen wird lauter. Seit die Grenzstaaten zur Ukraine wie Polen, Rumänien und Ungarn keine ukrainische Ware mehr annehmen, sei Österreich neben Deutschland die erste Station, mutmaßen viele Bauern. „Die Lieferungen aus der Ukraine nach Österreich und auch nach Deutschland halten sich in Grenzen“, sagt Griesmayr, gibt jedoch zu: „Die indirekten Auswirkungen auf Preise durch Importe in die EU sind aber sicher spürbar.“

Die EU-Statistiken bestätigen diese Vermutungen jedenfalls für Europa. Statt in den Hungerregionen der Welt landet ein Gutteil der ukrainischen Ware offenbar wirklich in europäischen Silos. Während der Import von Weizen aus der Ukraine in die EU zwischen 2021/22 und 2022/23 von 297.000 Tonnen auf 5,7 Mill. Tonnen in die Höhe schnellte, wuchs der EU-Weizenexport um nur 766.000 Tonnen. Bei Mais war die Entwicklung noch krasser. Da legten die Importe binnen eines Jahres von 6,4 Mill. auf 14,1 Mill. Tonnen zu, während die Exporte von 6,5 Mill. auf 3,7 Mill. Tonnen zurückgingen.

Christian Gessl, Marktexperte der AMA, sieht zu einer Öffnung der EU für ukrainische Agrarprodukte und zur Verbesserung der Logistikketten keine Alternative. „Die Möglichkeiten für die Ukraine müssen aus heutiger Sicht noch verstärkt werden“, sagt er. „Die Rolle der EU bleibt extrem wichtig.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 5. August 2023

Donnerstag, 3. August 2023

Mehr Märkte, höhere Kosten, höhere Preise

"Wir verhandeln für Sie hart um die bestmöglichen Preise!", "Wir haben auf einen Teil unserer Gewinnspanne verzichtet, damit wir die Preise für Sie so niedrig wie möglich halten können!", "Wir geben Preissenkungen so schnell wie möglich an Sie weiter, sobald wir niedrigere Einkaufspreise von den Herstellern bekommen." Was manche Supermarktketten in diesen Wochen in ihrer Not an die "Lieben Kundinnen und Kunden" schreiben, weil sie als Inflationstreiber am Pranger stehen, fügt sich nahtlos in das gerne amikal daherkommende Argumentarium, mit dem sie ihre Kunden an der Nase herumführen, auf dass am Ende des Tages doch möglichst viel Geld in ihren Kassen lande. Man vermittelt gerne, man sei nur gut. Zu allen und jederzeit.

Als Kunde kennt man das, und als Lieferant fürchtet man das. Man mag es glauben, es hanebüchen finden, die Fäuste in den Hosentaschen ballen oder, wie die Bauern zuweilen, dagegen demonstrieren. Aber man ist, alles in allem, wohl vor allem das, was man machtlos und ausgeliefert nennt. Ab und an passiert freilich auch in einer perfekten Maschinerie wie dieser doch etwas, das überrascht und das vielleicht nicht passieren sollte. Und es tun sich auf einmal Einblicke auf, über die man eigentlich nicht reden wollte, die nicht zum Marketingsprech und zur branchenüblichen Message-Control passen, die aber als Gelegenheit genutzt werden sollten, gerade deswegen darüber zu reden.

Der Österreich-Chef von Rewe bot in der Hitze eines kontroversiellen Fernsehinterviews so einen Einblick, der sonst kaum je geboten wird. "Warum sind Lebensmittel im Schnitt in Österreich so viel teurer als in Deutschland?" lautete die Frage, um die das Gespräch kreiste, als dem Rewe-Chef der Satz entkam: "Wir haben eine viel höhere Dichte an Lebensmittelgeschäften, nämlich auf 100.000 Einwohner haben wir 50, doppelt so viel wie in Deutschland." Dann folgte der Kernsatz, der vieles, was in der Inflationsdiskussion vom Handel behauptet wurde, relativiert: "Wir haben natürlich eine ganz andere Kostensituation. Wir haben höhere Logistikkosten, wir haben auch höhere Lohnnebenkosten und andere Themen wie den Wirtschaftskammerbeitrag und so, den es in Deutschland nicht gibt."

Von den doppelten Lohnkosten redete er da noch gar nicht, und auch nicht von den doppelten Energiekosten, die in den Preisen unterzubringen sind. Man darf annehmen, dass sie einen Gutteil dessen ausmachen, weswegen sich der Lebensmittelhandel nun mit den Inflationsvorwürfen herumschlagen muss. Da erscheint dann freilich das Eigenlob, dass man in letzten Jahren 70 Mio. Euro an höheren Energiekosten geschluckt und nicht in den Preisen weitergeben habe, in einem ganz anderen Licht.

Bleibt die Frage, warum niemand über diese hohe Standortdichte als preistreibender Faktor sprechen mag. Nicht die Konsumentenvertreter, nicht die Politik, nicht die Unternehmen, die so oft über den Druck des Handels klagen, nicht einmal die Bauern und ihre Vertreter. Zu diesem Thema schweigen alle.

Dabei gäbe es so viele Gründe, nicht zu schweigen. Nicht alleine wegen der Folgen für die Inflation. Längst sind die Supermärkte ein Ärgernis geworden. Nicht nur was ihr Auftreten, sondern den Bodenverbrauch oder das Verkehrsaufkommen, das sie erzeugen, betrifft. An nicht wenigen Kreuzungen in diesem Land sind gleich zwei, drei, wenn nicht gar vier Supermärkte angesiedelt. Jeder mit einem riesigen Parkplatz, jeder mit riesigen Werbetafeln, einer eine schlimmere architektonische Sünde als der andere, jeder ausgestattet mit einem Freibrief von einer Raumordnung, die in diesem Land diese Bezeichnung nicht verdient.

Es nimmt nicht wunder, dass es ausgerechnet die Hagelversicherung und ihr Chef Kurt Weinberger waren, die die hohe Dichte der Supermärkte mit den hohen Lebensmittelpreisen in Verbindung brachten. "Je mehr Märkte, je mehr Verkaufsfläche, desto teuer", sagt er. "Und diese Kosten zahlen am Ende auch Konsumentinnen und Konsumenten", ist für ihn völlig klar. Es sei Zeit zum Handeln, um diese Fehler zu korrigieren, sagt der Chef der Hagelversicherung.

Sein Wort in Gottes Ohr. Auch wenn man nicht daran glauben mag, dass sich wirklich etwas ändern wird, bleibt doch die Genugtuung, dass sich einer der Handelsbosse zumindest einmal verplappert hat und Gelegenheit bot, einen Blick hinter die Fassade des oft so hanebüchen daherkommenden Argumentariums der Supermarkt-Ketten zu machen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. August 2023

 
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