Mittwoch, 25. Oktober 2023

Rückkehr einer alten Tugend und eine Aufgabe

Die Österreicherin, respektive der Österreicher, ist konservativ. Das weiß man. Schon gar, wenn es ums Geld geht. Das mögen sie und er am besten in echt -als Münzen und als Scheine. Im Portemonnaie, in der Handtasche, im Sakko, im Nachtkästchen. Zum Angreifen und jederzeit verfügbar. Das gibt Sicherheit. Und Freiheit auch. Es ist ihnen nicht zu verdenken. Denn ohne Geld läuft nichts auf dieser Welt. Geld regiert die Welt, heißt es nicht ohne Grund. Das macht es oft schwierig genug. Und da will man eben die Dinge, soweit es irgendwie geht, selbst in der Hand haben und nicht irgendwo auf einer Karte oder auf einem Konto als anonyme Zahlen. Und natürlich hat man große Sorgen, dass man überwacht wird und da und dort wohl auch, dass es nicht mehr ganz so leicht ist, etwas am Finanzamt vorbeizubringen. Da hängt bei vielen das Herz dran. Während in Ländern wie Schweden inzwischen praktisch ausschließlich bargeldlos bezahlt wird, ist man hierzulande stolz darauf, dass rund 70 Prozent aller Transaktionen mit Bargeld getätigt werden. Nur in Malta und in Slowenien ist der Anteil im Euroraum höher. Da nimmt nicht wunder, dass die Politik jedweder Couleur immer wieder versucht, daraus Kapital zu schlagen, zuletzt die Kanzlerpartei in diesem Land im vergangenen Sommer.

"Mit Geld spielt man nicht", lernt man hierzulande schon als Kind. Und dabei bleibt es. Zeitlebens. Geld ist immer ein ernstes Thema, zu dem zuweilen ein geradezu neurotisches Verhältnis gepflegt wird. Über die eigenen finanziellen Verhältnisse mag niemand reden. Nur -zu wenig ist es immer. Bei allen. Da nimmt nicht wunder, dass sich in einer Krise alles mehr denn je nur ums Geld dreht, zumal es überall knapp wird. Da ist Geld schnell Thema. Die Lebenshaltungskosten, die Energiekosten, gar nicht zu reden vom Hausbauen, das zum puren Luxus geworden ist. Viele müssen in diesen Zeiten den Euro tatsächlich zweimal umdrehen, ehe sie ihn ausgeben. Man redet gar vom Armutsgespenst, das viele Familien bedrohe. Da sieht die Politik ihre Stunde geschlagen. Da geht es um Verlustausgleich, um Unterstützung, um Hilfe. Da hofft man mit Reichensteuer, Vermögensteuer oder Erbschaftssteuer bei den Wählern zu punkten, wenn man mehr zum Verteilen hat.

Und da rücken mit einem Mal aber auch wieder alte Grundsätze und Tugenden, die man längst in der Mottenkiste der Geschichte verräumt meinte, in den Mittelpunkt. "Geld macht glücklich, wenn man rechtzeitig drauf schaut das man's hat, wenn man's braucht", die legendäre Regel aus der Werbung der Raiffeisen-Bausparkasse aus den 1980ern ist so eine. In Krisenzeiten wie diesen, die vergangenen Jahre zeigten es, geht es mit einem Mal auch wieder ums Sparen. Man schaut wieder genauer hin. Für den Notfall etwas zurücklegen, Vorsorge kommt wieder in Mode. Man sieht wieder, dass es sich auszahlen kann, einen Notgroschen auf der Seite zu haben.

Dass es wieder Zinsen gibt fürs Sparen, hilft dabei. "Mit den Zinsen kommt das Sparen wieder zurück", schreiben die Zeitungen. Absichern für Notfälle ist der mit Abstand wichtigste Grund dafür. Erst dann kommen Sparen für den Urlaub, das Haus oder die Wohnung. Wertpapiere statt Immobilien ist neuerdings wieder die Devise und Bausparer statt Neuverschuldung.

Rund 300 Euro legt jede Österreicherin und jeder Österreicher pro Monat zurück. Im Durchschnitt. Vierzig Prozent der österreichischen Haushalte sparen nichts, sagte erst kürzlich Wifo-Chef Gabriel Felbermayr. Weil sie nichts sparen können, aber auch weil sie nicht wollen. Sie lassen, wie der Wifo-Chef sagt, "das Geld entweder zu null Zinsen herumliegen lassen oder sagen, Sparen macht eh keinen Sinn, da fahr' ich halt lieber ordentlich auf Urlaub, solange es geht". Das freilich habe sehr viel mit einer fehlenden wirtschaftlichen Finanzbildung zu tun, sagt er. Und die zählt ja bekanntlich nicht zu den Stärken von Frau und Herrn Österreicher.

Der Umgang mit Geld aber will gelernt sein. Damit freilich tut man sich meist nicht leicht hierzulande. Da verlässt man sich lieber gleich auf andere, vorzüglich auf die Politik, die sich viel zu gerne und viel zu oft als "Kindermädchen für alle Geldsorgen" aufspielt, bei dem man die Verantwortung abgibt, wie das ein Zeitungskommentator vor nicht allzu langer Zeit nannte und forderte, dass wir "finanziell erwachsen werden müssen".

Das aber will man viel zu oft nicht hören. Dabei gehört auch das zur Zukunftsvorsorge. Eigentlich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 25. Oktober 2023

Donnerstag, 19. Oktober 2023

Überfordert vom täglichen Tetris

Zuerst wurden alle zu Corona-Experten. Dann wimmelte das Land vor Ukraine-und Russlandfachleuten sowie vor Kriegs-, Belagerungs-, Panzer-und Drohnenstrategen sowieso. Und jetzt scheinen wir ein Land voller Nahost-Experten zu sein. Jeder hat schnell seine Meinung, jeder scheint alles zu wissen, kaum einer hält mit seinen Ansichten hinter dem Berg. Je nach Position zeigt man sich überzeugt davon, was Israel alles falsch gemacht hat und was die Palästinenser, was die eine Seite zu tun hätte und was die andere und was von denen zu halten ist, die die eine Position vertreten und von denen, die die andere vertreten. Alles in Schwarz-Weiß und ohne Zwischentöne.

Wer sich schon bei Corona gegängelt fühlte, wusste dann, dass "die Amerikaner" schuld am Überfall auf die Ukraine waren, und weiß jetzt, dass sich Israel nicht wundern darf, dass es überfallen worden ist. Für die Hamas hat man heimliche Bewunderung, "weil sie es den Israelis zeigten". Und man freut sich über den Rückenwind für eine Verschärfung der Migrationspolitik der EU.

Bei solchen Ereignissen wie dem Hamas-Überfall auf Israel schlägt, wie zuvor bei der Pandemie oder beim Überfall Russlands auf die Ukraine, die Stunde der Simplifizierer. Im Handumdrehen legt man sich da Erklärungen zurecht, in die alles eingefügt wird. Zwischentöne gibt es da nicht. Ein langes Nachdenken auch nicht. Und schon gar keine Zurückhaltung. Fakten spielen keine Rolle. Und Menschen und ihre Schicksale schon gar nicht.

Die Wirklichkeit tut sich in einem solchen Umfeld schwer. Genau hinzuschauen ist nicht gefragt. Und schon gar nicht Informationen, die das eigene Bild relativieren könnten. Zweifel sind keine Kategorie in dieser Gedankenwelt. Da heißt es allemal schneller, wie unsere deutschen Nachbarn in solchen Fällen gerne sagen -"Immer feste druff".

Die Gesellschaft leidet unter dieser Entwicklung, die in den vergangenen Jahren zu einer zunehmenden Radikalisierung führte. Respekt vor anderen Einstellungen ging verloren. Respekt auch vor Information. Vertrauen ist keine Kategorie mehr, immer öfter regiert nur mehr Misstrauen in einer Welt, in der man oft und aufs immer Neue enttäuscht und desillusioniert wurde. Dieser Tage stand in einer Zeitung der Satz "Es wird unentwegt über Versachlichung, Entpolitisierung und Objektivierung geredet und das Gegenteil getan". Man kann zahllose Themen hinzufügen, aber das trifft es sehr gut, was die Leute abstößt und vertreibt.

Legion sind inzwischen die Abhandlungen darüber. Sie blieben ohne jede Konsequenz. Ganz im Gegenteil. Gleich einem Krebsgeschwür breiten sich diese Verhaltensmuster und Lebenseinstellungen immer weiter aus und durchdringen alle Gesellschaftsbereiche durch und durch -und die Politik erst recht.

Wundern darf man sich freilich nicht. Es ist schwierig wie kaum je zuvor, sich in einer Welt zurechtzufinden, die in rasendem Tempo immer komplizierter und undurchschaubarer wird. In der man kaum mehr nachkommt, auf all die Wenden und Volten zu reagieren, geschweige denn sie nachzuvollziehen. In der eine bislang nicht gekannte Fülle an Informationen und Anforderungen auf einen hereinprasseln. Und in der es schwierig wie noch nie ist, alles einzuordnen. Wem kann man trauen? Was kann man glauben? Wer oder was steht wo dahinter?

Der Hamas-Überfall zeigte es erst wieder. Dass Katar, wo just am gleichen Wochenende, als die Hamas Israel überfiel, die Formel 1 ihren Weltmeister kürte und im Vorjahr die Fußball-WM stattfand, zu den Schlüssel-Playern in der Finanzierung des Terrors gegen Israel gehört, muss man erst auf die Reihe kriegen. So wie all die undurchschaubaren Zusammenhänge der arabischen Welt, der Großmächte und Europa.

Die tägliche Flut von all dem, was man wissen und berücksichtigen müsste und sollte, gleicht einem permanenten Tetris -jenem Computerspiel, bei dem man herabfallende Bausteine in Windeseile drehen und einordnen muss, damit sie sich nicht verspießen. Da nimmt es nicht wunder, dass sich viele Menschen zurückziehen und ausklinken. Dass sie dort Orientierung und Zuflucht suchen, wo sie auf einfache Weise geboten wird. Mit einfachen Erklärungen. Mit einfachen Bildern. Mit einfachen Lösungen.

Man kann es ihnen kaum verargen in dieser Multikrisen-Zeit. Tragbar ist es freilich dennoch nicht. Weil zu viel auf dem Spiel steht -die Demokratie und die Freiheit vor allem.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. Oktober 2023

Donnerstag, 12. Oktober 2023

Blinde Zeiten

Die Nachrichten sind schlimm, die Bilder fürchterlich. Was in Israel seit Tagen passiert, ist schrecklich. Der reine Terror. Die militant-islamistische Hamas überfällt wehrlose Zivilisten. Sie entführen Männer und Frauen und demütigen sie, sie richten auf offener Straße hin, präsentieren die toten Körper triumphierend auf allen Social-Media-Kanälen. In Deutschland zogen Palästinenser feiernd durch die Straßen. Auch in Österreich wurde der Terror-Angriff auf Israel bejubelt. Feiernde Sympathisanten waren sogar vor dem Bundeskanzleramt zu sehen. Auf dem Deserteursdenkmal in Wien standen Menschen in palästinensischen Fahnen gehüllt. In den Tagen darauf gab es gar Demonstrationen.

Es war dazu viel zu hören in diesen Tagen, viel zu lesen und viel zu sehen. Von vielen Seiten. Von mehr Berufenen und von weniger Berufenen. Von einer Seite allerdings war nichts zu hören. Zumindest lange nicht. Die islamischen Organisationen in Österreich und in Deutschland gingen auf Tauchstation. Lange, lange kein Wort von den Organisationen, die so gerne auf Verständnis pochen, zum Terrorangriff der Hamas auf Israel. Keine Stellungnahme, keine Verurteilung und schon gar kein Wort der Empathie und des Bedauerns. Erst Sonntagnachmittag dann eine dürre Aussendung der IGGÖ, der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, in der sie eher allgemein für ein "Ende der Gewalt im Nahen Osten" appelliert.

Während bei uns noch die Politik zu diesem Schweigen schwieg, hatte sich in Deutschland längst der türkischstämmige grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zu Wort gemeldet und die muslimischen Verbände heftig kritisiert. "Angesichts von Terror, Mord und Entführungen muss die Naivität im Umgang mit den islamischen Verbänden endlich enden!", forderte er.

Ein Verhalten wie das der islamischen Verbände und Einrichtungen in Österreich ist nicht neu. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sahen sich mit Vorhaltungen, auf einem Auge blind zu sein, vor allem die Linke und die Parteien, die ihr Gedankengut vertreten, konfrontiert. Zuletzt erlebten wir das eindrücklich und bedrückend beim Überfall Russlands auf die Ukraine. Da war nichts zu sehen von Aufmärschen vor den russischen Botschaften, nichts zu hören von Resolutionen und nichts von Solidaritätsaktionen und Protesten, wie man sie immer im Handumdrehen aufstellte, wenn es darum ging, die USA zu verurteilen. Bei der Ukraine war nur Schweigen und oft kaum verhülltes Verständnis für Putin und Kritik an der Nato. Da war keine Friedensbewegung, keine Linke. Da war nicht viel. Da sei nur an den unseligen Exodus vieler SP-Abgeordneter bei Selenskys Rede vor dem österreichischen Nationalrat erinnert. 

Beim Hamas-Überfall ist es links der Mitte jetzt nicht anders. Viel Schweigen, sehr viel. Zur Gewalt und auch zum offenen Antisemitismus.

Es gibt freilich dennoch Hoffnung, dass sich auch auf der linken Seite der Gesellschaft das Blatt wendet. "Es ist eigentlich ganz einfach - Fremde, die heute in Wiens Straßen jubeln, weil Terroristen Menschen ermorden, sollten das Land verlassen müssen", heißt es jetzt auf Twitter dort von einem, von dem bisher andere Töne zu hören waren. Das sei nicht Meinungsfreiheit, sondern Unterstützung des Terrors. Ein anderer, von dem man bisher ganz andere Töne hörte, empörte sich: "Ich werde zornig, weil unsere verweichlichten Gesellschaften aus falsch verstandener Toleranz und Humanität viel zu oft den Falschen geholfen haben." Und auch das war zu lesen: "Dieser Tag muss einmal mehr eine Warnung sein an alle Linken, die immer wieder mit Hamas-Sympathisanten in Wien oder anderen westlichen Städten demonstrieren und diese Terrororganisationen verharmlosen."

Genauso ist es. Angesichts von untragbaren Realitäten wie jetzt dem Hamas-Terror oder auch dem Überfall auf die Ukraine ist es nie eine Option, aus weltanschaulichen oder welchen anderen Gründen auch immer, die Augen zu verschließen. Das schadet. Immer. Im konkreten Fall wohl den friedlichen Palästinensern nicht nur in Israel, sondern in aller Welt, die um ihr gewohntes und oft ohnehin sehr schwieriges Leben gebracht werden und die in ihrem Streben um Anerkennung wohl um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückgeworfen werden. So, wie es den Ukrainern schadet, wenn man sich Putins Narrativ vom Ukraine-Überfall hingibt, bloß weil man die USA und die Nato für gefährlich hält.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. Oktober 2023

Donnerstag, 5. Oktober 2023

Sie machen es einem nicht einfach

Die Agrarpolitik macht schwierige Zeiten durch. Beim Green Deal geht nichts weiter, bei der Ukraine-Krise auf dem Getreidemarkt ist es schwierig Lösungen zu finden. Beim Glyphosat muss man dagegen stimmen, obwohl man dafür ist. Nicht einmal über den Einkommenszuwachs im Vorjahr mag man sich freuen, weil man sich über so etwas nicht freuen darf. Vor allem aber: Die Bauern sind unglücklich. Die Preise rutschen allerorten wieder nach unten, die Betriebsmittelpreise bleiben meistens hoch. Irgendwie war alles nichts und ist es jetzt auch wieder. Trübsal. Und niemand mag einen und alle haben immer irgendwas zu kritisieren.

Da trifft es sich gut, wenn der EU fünf Millionen Euro für Österreich übriggeblieben sind. Aus der GAP-Agrarreserve. Da freut sich der Minister. Wir haben was zu verteilen. Das soll auch die Bauern freuen. Passt gut jetzt, wo wieder alles so schief ist, und die Unzufriedenheit wächst. Fünf Millionen sind ja nicht nichts. Das geben wir den Getreidebauern, den Almbauern und den Putenmästern. Dann wird man uns, wenn schon nicht gleich mögen, so doch vielleicht nicht mehr ganz so böse sein, wie man da manchmal tut. „5 Mio.-Euro Hilfspaket für Acker-, Puten- und Almbetriebe“ klingt doch gut.  Vier Millionen für den Ackerbau, 1,23 Millionen für die Putenhalter und 0,3 Millionen für die Almwirtschaft.

„Aufgrund der wirtschaftlichen Situation werden die Mittel so aufgeteilt“ heißt es. Je Hektar wird den Ackerbauern, wegen „der zuletzt schwierigen EU-Marktbedingungen von stark fallenden Preisen bei weiterhin hohen Inputkosten“, ein Zuschuss von „ca. drei“ Euro je Hektar „gewährt“ (Originalzitat). Für Almbetriebe, wo durch den „Klimawandel und die damit einhergehenden Extremwettereignisse die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Betrieben in ohnehin benachteiligten Gebieten“ geschwächt wird, gibt es genau einen – ganz ohne ca. – Euro pro Hektar. Und für die Putenhalter, die unter einer wirtschaftlich schwierigen Situation, Absatzschwierigkeiten und zuweilen hohen Investitionskosten, leiden, gibt es 4,3 Euro je Quadratmeter Stallfläche.

Drei Euro pro Hektar für die Ackerbaubetriebe, einen Euro je Hektar für die Almbauern und 4,5 Euro pro Quadratmeter Stallfläche – viel ist das, höflich ausgedrückt, nicht. Ist man da undankbar, wenn man nicht in Jubel ausbricht? Wenn man sich vielleicht sogar gepflanzt fühlt? Was soll das sein? Ein Trostpflaster? Muss man dennoch artig danke sagen und großzügig über das hinwegsehen, was da alles nicht so läuft wie es laufen sollte und vielleicht gar könnte? Eine Beruhigungspille? Ist man ungerecht, wenn man denkt, das ist jetzt wohl das allerletzte Aufgebot der Agrarpolitik? Hätte man vielleicht nichts doch irgendetwas Sinnvolles machen können mit dem Geld? Ein Projekt fördern? So etwas wie einen Zukunftsfonds speisen? Einen Schwerpunkt setzen? Irgend so etwas in diese Richtung. Nein, stattdessen greift man zur Gießkanne und setzt sich der Gefahr der Lächerlichkeit aus.

Sie mögen es nicht gerne hören – aber sie machen es einem nicht einfach, wenn es darum geht, noch ernst genommen zu werden.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 5. Oktober 2023


Der K(r)ampf wird nicht weniger

Die Aufregung ist groß im Land. Von den in der Vorwoche im 24-Stunden-Takt an die Öffentlichkeit gelangenden Aufregern aus dem Umfeld der Parteien blieb eines -und das war nicht, dass Alt-FPÖ-Politiker die Taliban hofierten und auch nicht, dass dem "Pannenmodus"(Die Presse) mit dem Sora-Gate und den ungustiösen Schrebergarten-Umwidmungsgeschichten in Wien neue Varianten hinzugefügt wurden. Was blieb, waren Karl Nehammers Aussagen in einem im Juli aufgenommenen Video aus einer Vinothek.

Das muss man erst einmal zusammenbringen. Die politische Konkurrenz rotierte, in den Sozialen Medien brach ein Entrüstungssturm aus, Tik-Tok ging vor Häme über "McNehammer" über und auch mancher Kommentator selbst aus seriösen Medien geriet außer Fassung. "Karl Nehammer hat sich zu einer Zumutung entwickelt" war da zu lesen.

Wie immer man bewertet, was der Bundeskanzler gesagt hat, Mimik und Ton seines Statements zeigten vor allem eines -er ist hochnervös und fürchterlich genervt. Die schlechten Umfragewerte, die dauernden Anwürfe, und die ständigen Versuche, Österreich als Armenhaus darzustellen und seine Politik schlecht zu machen, zehren viel mehr an seinem Nervenkostüm, als man in der ÖVP zugeben mag.

Das freilich wird nicht besser, wenn man mit gleicher billiger Münze und bar jeder Fakten kontert. Schon gar nicht, wenn man Bundeskanzler ist. Aber das fügt sich in die erratisch wirkenden Versuche, die Wähler mit immer neuen Kampagnen auf seine Seite zu holen, bei denen man längst den Überblick verloren hat -vom "Zukunftsplan Österreich 2030" aus dem Frühjahr über die Bargeld-und die Normalitätsstrategie im Sommer bis zur jüngsten "Glaubt an dieses Österreich"-Kampagne.

Ein Jahr vor dem offiziell nächsten Wahltermin gelingt es Nehammer immer noch nicht wirklich Fuß zu fassen bei den Meinungsmachern im Land und auch nicht bei den Leuten, die ihn wählen sollen. Im jüngsten Vertrauensranking rangiert seine Regierung ganz unten und in den Umfragen bewegt man sich seit Monaten seitwärts, vermag Babler nicht deutlich hinter sich zu lassen und muss zuschauen, wie Kickl sich Werten wie von einem anderen Stern erfreuen kann.

Dabei ist in dem Video von Nehammer nichts zu hören, was neu wäre und nicht bekannt. Er redete so, wie in vielen ÖVP-Kreisen geredet wird und sagte, was dort breite Meinung ist, wenn man unter sich ist. In der Soziologie gibt es dafür den Begriff der "rohen Bürgerlichkeit". Und es ist schon festzuhalten: In anderen Parteien ist es wohl nicht anders. Man möge sich nur vorstellen, was in der SPÖ in internen Veranstaltungen über Bauern oder Unternehmer gesagt wird.

Das freilich entschuldigt Nehammer nicht. Er ist Bundeskanzler. Und da hat er eben eine andere Verantwortung. Auch in internen Veranstaltungen. Und man versteht, wenn ihm ein "seltsames Humor-und Kommunikationsverständnis" bescheinigt wird und man sich über das Weltbild wundert, das er zur Schau stellt, wenn er meint, abseits von Kameras und Mikrofonen zu reden. Jetzt muss sich Nehammer fragen lassen, ob er wirklich Kanzler sein kann. Oder ob er nicht doch der Sekretär geblieben ist, der er davor immer war.

Nehammer wurde mit der Öffentlichkeit, trotz seiner gerne zur Schau gestellten Hemdsärmeligkeit, nie warm. Sogar das Ex-Trinken einer Halben Bier beim Ausseer Kirtag, das Volksverbundenheit signalisieren sollte, geriet zum Desaster. Bei den einen, die meinten, dass man das als Kanzler nicht tun dürfe. Und bei den anderen war er unten durch, als ruchbar wurde, dass er da mit einer stark gewässerten Halben Eindruck machen wollte.

Nehammer tut sich schwer. Immer noch. In Österreich, aber auch auf internationaler Ebene. Was dort Signal werden sollte, geriet meist eher zur Peinlichkeit. Sein Besuch bei Putin im Vorjahr etwa und auch der bei Selenskyj. Da blieb nichts Zählbares hängen. Auch nicht in der EU. Nehammer war und blieb immer ein Leichtgewicht. Dabei ist Nehammers Bilanz nicht so schlecht. Vor allem vor dem Hintergrund und angesichts der Aufgaben, in die seine Amtszeit fällt. Das alles scheint ihm freilich nichts zu nützen.

Der K(r)ampf wird wohl weitergehen. Und ob es für ihn ein Trost ist, dass es seinem Parteikollegen in Deutschland durchaus ähnlich geht, ist wohl zu bezweifeln. Denn was dort von CDU-Chef Friedrich Merz geschrieben wird, könnte man auch über ihn schreiben -"Mit schlafwandlerischer Sicherheit stellt er sich selbst ins Aus."

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. Oktober 2023

Montag, 2. Oktober 2023

Ferngesteuert in die hybride Agrarzukunft

Neue Technologien machen auch vor Traktoren und Landtechnik nicht halt – autonomes Fahren inklusive.

Hans Gmeiner 

Linz. Die Beobachter am Rand des Weges hinaus aus dem Park des Schlosses Grafenegg halten Respektabstand. Wie von Geisterhand gelenkt rollt der riesige Case-IH-Traktor vorbei hinaus auf das Feld vor dem Schloss, um dort mit einem Bodenbearbeitungsgerät, das er nachzieht, seine Bahnen zu ziehen. Ganz ohne Fahrer hinter dem Lenkrad, gesteuert über einen Computer vom Feldrand aus. „Es ist das erste Mal, dass wir in Europa einen autonomen Traktor in Betrieb auf dem Feld zeigen“, sagt Mirco Romagnoli, Europa-Verkaufschef für die Traktormarken Case IH und Steyr im CNH-Konzern, dem zweitgrößten Landtechnikkonzern weltweit.

„Die Agrarindustrie steht vor dem größten Wandel seit dem Beginn der landwirtschaftlichen Mechanisierung“, sagt Romagnoli. Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Automatisierungstechnologien und alternative Antriebssysteme lassen auch in der Landetechnik und damit in der Landwirtschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten keinen Stein auf dem anderen.

Das Traktorenwerk im niederösterreichischen St. Valentin spielt dabei als Europazentrale für die beiden Traktorenmarken eine bedeutende Rolle für CNH. „Für die Gruppe hat das Werk strategische Bedeutung“, sagt Romagnoli. Bereits vor vier Jahren wurde die Studie eines Steyr-Hybridtraktors vorgestellt, der in St. Valentin entwickelt wurde. Inzwischen ist man einige Schritte weiter und plant damit, wenn alles gut läuft, 2025 auf den Markt zu kommen.

Bewusst setzt man auf die Hybridtechnologie. Romagnoli: „Rein batteriebetriebene Traktoren können die Anforderungen nach langen Reichweiten nicht erfüllen.“ Mit den derzeitigen Batterietechnologien sei das noch nicht möglich. Darum kombiniere man die Vorteile eines Dieselmotors mit jenen der Elektrifizierung.

Wie schnell sich die neuen Technologien wirklich durchsetzen werden, steht freilich noch in den Sternen. Beobachter sind eher skeptisch. „Das wird noch sehr lang dauern, bis man das auf den Feldern sieht“, sagt ein Branchenexperte. „Für autonom fahrende Traktoren gibt es in Europa noch gar keine Regelungen für die Zulassung. Und hybrid- oder strombetriebene Traktoren muss man sich erst einmal leisten können.“

Bis dahin muss ein Landtechnikkonzern wie CNH weiter von der herkömmlichen Technik leben. Das gelingt ohnehin ganz gut. Der konsolidierte Umsatz von CNH Industrial betrug 2022 umgerechnet 22,1 Mrd. Euro. Gut drei Viertel davon entfielen auf den Agrarsektor. Weltweit verfügt der Konzern über 43 Produktionsstätten und 40 Forschungs- und Entwicklungszentren und beschäftigt mehr als 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

In St. Valentin, wo seit 1947 insgesamt rund 600.000 Traktoren – meist unter der Marke Steyr – gebaut wurden, erzeugt man derzeit mit rund 760 Mitarbeitern jährlich rund 10.000 Traktoren. Mit dem Geschäftsverlauf ist Romagnoli zufrieden. „Der Markt in Europa ist stabil“, sagt er.

Der Absatz in Österreich könnte freilich besser sein. Nach dem Verkaufsboom der vergangenen Jahre als Folge der Sonderförderungen schwächelt der Absatz heuer. Nach den ersten acht Monaten liegt die Zahl der Neuzulassungen mit 3008 Traktoren um knapp neun Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Bei Steyr, mit einem Marktanteil von mehr als 20 Prozent die unangefochtene Nummer 1 auf dem heimischen Markt, gab es ein Minus von weniger als fünf Prozent (auf 628 Traktoren). Bei Case IH (Marktanteil 3,7
 Prozent) ging die Zahl der Neuzulassungen in Österreich um acht Prozent (auf 112 Traktoren) zurück.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 2. Oktober 2023
 
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