Dienstag, 16. Juli 2019

Der Bauernhof als Ort der Pflege



Unter dem Schlagwort „Green Care“ bieten Bauernhöfe Pflege und Betreuung für Jung und Alt an. Und bald auch für Demenzkranke.

Hans Gmeiner 


Wien. Nicht nur die jüngste politische Diskussion um die Finanzierung der Pflege zeigt, wie sehr das Problem unter den Nägeln brennt. Von einer dauerhaften Lösung ist man weit entfernt, auch wenn das Parlament zuletzt noch beschlossen hat, dass das Pflegegeld erstmals ab 2020 in allen Stufen jährlich valorisiert, also um die Inflationsrate angepasst wird. Im Finanzministerium beziffert man die Zusatzkosten dafür mit rund 55 Mill. Euro pro Jahr, die Gesamtkosten (ohne Verwaltungsaufwand) für die rund 460.000 Pflegegeldbezieher liegen bei rund 2,6 Mrd. Euro.

Das System der Betreuung alter und kranker Menschen bricht nur deshalb nicht zusammen, weil Hunderttausende Menschen Angehörige kostenlos pflegen. Es fehlt aber nicht nur am Geld, sondern oft auch an den passenden Einrichtungen. Hier tun sich Bauernhöfe immer öfter als eine zusätzliche Option auf.

Sie bieten unter dem Begriff „Green Care“ ein stetig wachsendes Angebot von Betreuungsdienstleistungen an. Die Landwirte füllen damit nicht nur eine Lücke, sondern tun für sich auch neue Einnahmequellen auf. „Die Richtung stimmt“, sagt Nicole Prop, Geschäftsführerin des Vereins „Green Care – Wo Menschen aufblühen“. „Wir sehen, dass das Interesse der Sozialversicherungsträger, der Länder und der Gemeinden wächst.“ Früher habe es geheißen: „Kommen Sie wieder, wenn Sie etwas haben.“ „Jetzt kennt man uns, man weiß, was wir können, jetzt werden wir angerufen und sind mittlerweile auch im Leistungskatalog etwa der Sozialversicherung der Bauern drinnen.“ Das schaffe man nur, wenn auch die Qualität stimme.

45 landwirtschaftliche Betriebe in ganz Österreich sind inzwischen nach den Vorgaben des Vereins, der vor acht Jahren gegründet wurde, zertifiziert. „Sechs Betriebe haben wir in der Pipeline“, sagt Prop. Dazu kommen mehr als hundert, die derzeit prüfen, ob einer der Green-Care-Bereiche für ihren Bauernhof ein zusätzliches Standbein werden könnte. Dass Sozial- und Gesundheitsangebote als mögliche Zukunftsperspektive bei den Bauern hochgeschätzt sind, bestätigt eine Umfrage. „70 Prozent der Bäuerinnen und Bauern halten Green Care für eine gute Idee und stehen der sozialen Ausrichtung der Landwirtschaft durch entsprechende Angebote positiv gegenüber“, sagt Prop.

Derzeit können sich die landwirtschaftlichen Betriebe bei Green Care – Wo Menschen aufblühen in elf Sparten zertifizieren lassen. Der Bogen reicht von Angeboten für behinderte Menschen über die Altenbetreuung und Gesundheitsförderung bis hin zur flexiblen Kinderbetreuung. „Wir haben sogar einen Hof, der direkt mit einer Klinik zusammenarbeitet“, sagt Prop.

Nach den Auszeithöfen, die auf großes Interesse stießen, wagt man nun die nächsten Schritte. Man feilt nicht nur am Ausbau von tiergestützten Konzepten, sondern will mit Demenzhöfen in einen neuen Bereich einsteigen. „Wir wollen dabei auf Bauernhöfen stundenweise ein niederschwelliges Angebot für Menschen mit leichter Demenzerkrankung bieten, um pflegende Angehörige zu entlasten“, sagt Prop. Das Interesse an diesem neuen Angebotszweig ist groß. Nicht nur der Pilotlehrgang zu diesem Thema war in Kürze ausgebucht. „Auch zu den Vernetzungstreffen mit Sozialträgern, Bauern und Menschen, die auf dem Land leben, kommen sehr viele Leute“, sagt Prop. Sie ist überzeugt, dass Bauern in den ländlichen Gebieten einen wichtigen Beitrag zur Pflege und Betreuung leisten können. „Ein Bürgermeister auf dem Land hat ja heute nicht allein die Sorge, dass es ein Wirtshaus gibt und dass der Bankomat im Ort funktioniert“, sagt Prop, „es muss ja auch die Kinder-, die Sozial- und die Altenbetreuung funktionieren.“

Für Robert Fitzthum, den Obmann des Vereins Green Care, sind die Bauernhöfe für solche Aufgaben prädestiniert. „Wir müssen die Idee noch stärker in die Gemeinden und zu den Bürgermeistern bringen“, sagt er. „Interesse und der Bedarf sind da.“ Man wolle die entsprechende Information und Unterstützung bieten. Mit dem Gemeindebund und dem Gemeindeverband gibt es bereits eine Kooperation. Es gibt Ansprechpartner in allen Bundesländern, nicht nur bei den Landwirtschaftskammern, auch bei den Landesregierungen. „In Kärnten gibt es sogar bereits eine eigene Green-Care-Zuständige“, sagt Fitzthum. Den Plafond sieht man beim Verein Green Care – Wo Menschen aufblühen noch lange nicht erreicht. „Für bäuerliche Unternehmer, für Sozialträger und Institutionen bieten wir neue Möglichkeiten der Angebotsdifferenzierung“, sagen Prop und Fitzthum. Basis dafür sei die Qualität. „Wir sind das Premiumprodukt im grünen Umfeld“, sagen die beiden selbstbewusst. „In drei bis vier Jahren wollen wir hundert Betriebe haben.“


Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 16. Juli 2019

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1