Donnerstag, 27. Mai 2021

Long-Covid in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

Allerorten gefällt es, in diesen Tagen das Ende der Pandemie auszurufen. Auch in der hohen Politik. Und das gemahnt an "Sandkastenspiele", wie es nicht wenige genervt und völlig zu Recht nennen. Zu einem kindlich-kindischen Streit darüber, wer was zuerst gesagt hat, und zu einem Wettlauf, wer nun schneller aufmachen will. Zuerst war es der Kanzler, der vorpreschte, seit Montag ist es der Gesundheitsminister, der seinem Chef noch wenige Tage zuvor in die Parade fuhr, dem es nun aber nicht schnell genug gehen kann. Und weil das alles wenig mit Vernunft oder Fakten, sondern sehr viel mehr mit politischen Winkelzügen und Parteifarbe zu tun hat, ist es nur zu logisch, dass sich nun die Opposition gegen eine rasche Öffnung ausspricht.

Abgesehen davon -man ist wohl tatsächlich sehr weit vorangekommen in der Bekämpfung der Pandemie und man hört gerne, wenn der Epidemiologe im Fernsehen meint, dass eher nicht mit einer weiteren großen Infektionswelle im Herbst zu rechnen sei und er sich gar darauf festlegt, dass es keine Lockdowns mehr brauchen werde, um das Infektionsgeschehen im Griff zu halten.

Ein Ende scheint also in der Tat in Sicht. Auch wenn dahingestellt sei, ob es wirklich schon da ist, sollte es nun an die Aufräumarbeiten gehen. Denn die Pandemie hinterlässt viele und große Baustellen und ihr Ende rückt auch Themen und Aufgaben wieder in den Mittelpunkt, die in den vergangenen eineinhalb Jahren aus dem Fokus geraten sind, von Klimakrise und Migration bis hin zur Rolle Europas in der internationalen Politik, die seit den jüngsten Ereignissen um die erzwungene Landung einer Ryanair-Maschine in Weißrussland wieder ins grelle Scheinwerferlicht gerückt wurde.

Da sind aber auch und aus hiesiger Sicht vor allem die zahllosen Themen, die in Österreich selbst einer Lösung harren. Neben all den Hilfestellungen bei den gesundheitlichen und psychischen Folgen, mit denen viele Menschen zu kämpfen haben, steht an vorderster Stelle, was Kommentatoren schon mal als "Demokratie im Stand-by-Modus" geißelten, in der die "Freiheitsrechte suspendiert" sind.

"Der nicht unwesentlichste Teil der notwendigen Aufräumarbeiten nach der Pandemie wird darin bestehen, all die Restriktionen, die die Politik uns Bürgern auferlegte, wieder zu beseitigen", fordert man nicht zu Unrecht. Allzu viel Freude scheinen manche an den Schalthebeln des Staates in den vergangenen Monaten an der eigenen Macht und den Möglichkeiten gefunden zu haben. Nicht nur, wenn es um die Freiheiten geht, sondern auch -es sei nur erinnert an die Datensucht im Entwurf zum Grünen Pass -, wenn es um die Überwachung der Bürger geht. Solchen Ansinnen sind mit aller Schärfe Riegel vorzuschieben und die Beschränkungen für uns Bürgerinnen und Bürger sind ehebaldigst aufzuheben, zumal dann, wenn sie ihre Zwecke in der Pandemie erfüllt haben.

Zu den großen Baustellen gehört auch die Rückgewinnung des Vertrauens in die Institutionen und in die Politik, das arg unter die Räder kam. Einen "beispiellosen Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen" konstatierte nicht alleine das Linzer market-Institut, das in einer Umfrage ermittelte, dass die Vertrauenswerte in die Bundesregierung innerhalb eines Jahres Pandemie um 29 Prozent absackten und selbst der Bundespräsident und die Landesregierungen 17 Prozent verloren. Dieses Vertrauen muss, auch im Sinne des Staatswohles und des Funktionierens des Staatswesens, so schnell wie möglich zurückgewonnen werden.

Und natürlich ist da das große Thema Wirtschaft. Es ist bewundernswert, wie die Wirtschaft alles in allem durch die Pandemie kam und wie nun auch Gastronomie und Fremdenverkehr nach bis dahin unvorstellbaren Umsatzeinbrüchen wieder zurückkommen. Dennoch dürfen die jüngsten Erfolge auf dem Arbeitsmarkt, die ausgezeichneten Konjunkturprognosen und schon gar nicht das, was die Politik als "Comeback-Budget" präsentierte, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Herausforderungen enorm sind. Experten kritisieren, dass die großen Fragen unbeantwortet sind. Und NEOS-Ökonom Lukas Sustala spricht aus, was wohl viele in diesem Land denken. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir über größere Sparpakete diskutieren werden."

Long-Covid ist nicht nur ein neues Krankheitsbild bei Menschen, sondern wohl auch in der Budgetpolitik. Und wohl nicht nur dort -sondern in der Politik insgesamt, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Mai 2021

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