Donnerstag, 17. Juni 2021

Optimismus setzt sich durch

Geht es nach dem, was hierzulande seit Monaten die öffentliche Diskussion beherrscht, ist Österreich ein tief zerstrittenes Land mit frustrierten und unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern, die die Nase bis oben hin voll haben, ausgelaugt von der Pandemie und ihren Mühen und satt und verbittert darüber, was ihnen die Politiker Tag für Tag zumuten -das Land pfeift und ohne jede Zuversicht und Perspektive quasi aus dem letzten Loch.

Da ist nichts davon zu merken, dass sich längst ein Optimismus breit gemacht hat im Land, den man nie erwartet hätte nach all dem, was in den vergangenen eineinhalb Jahren geschah. Die Zuversicht wächst in Riesenschritten.

"Trotz Krise stieg das Wohlbefinden", war dieser Tage in den Medien zu lesen. Die renommierte Boston Consulting Group reihte im Wohlergehensindex unter 141 untersuchten Ländern Österreich auf den fünften Platz. Sogar drei Ränge besser als noch im Jahr zuvor. "Nur die Schweizer, Norweger, Finnen und Isländer fühlen sich demnach noch wohler als die Österreicher.

Nun mag man den Wohlergehensindex als eines der üblichen und zuweilen inflationär gewordenen Rankings abtun und seine Bedeutung anzweifeln, das Ergebnis trifft sich in hohem Masse mit Einschätzungen, die aus der Wirtschaft zu hören sind. "Es geht uns wirtschaftlich erstaunlich gut, darauf kann man aufbauen", ist zu hören. Von einem "robusten Wachstum" ist die Rede. Und hinter vorgehaltener Hand wird der Politik gute Arbeit attestiert. Selbst vor einer Insolvenzwelle brauche man sich nicht zu fürchten.

Die Einschätzung heimischer Wirtschaftskapitäne deckt sich mit den internationalen Erwartungen. "Kommt jetzt ein neues Wirtschaftswunder?", fragt die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" und umreißt schon im Vorspann zur vorwöchigen Titelgeschichte die Gründe dafür. "Die Firmen sind aus dem Lockdown erwacht, die Leute geben lustvoll Geld aus."

Diese allerorten blühende Zuversicht wird auch von den sehr optimistischen Wirtschaftsprognosen genährt. Nach einem Rückgang von 6,7 Prozent im Vorjahr rechnet nun etwa die Nationalbank für heuer mit einem Wachstum von 3,9 Prozent, das sich im kommenden Jahr dann auf 4,2 Prozent beschleunigen soll. 2023 werde der Aufholprozess abgeschlossen sein, hieß es etwa kürzlich aus der Nationalbank. Auch der Tenor in Wirtschaftsforscherkreisen gibt Grund zu Zuversicht. "Es zeichnet sich jetzt ab, das sich die Konjunktur recht schnell erholen wird, vielleicht schneller, als wir eigentlich gedacht haben", ist zu hören und zu lesen. Und: "Das Vorkrisenniveau -zumindest was das BIP angelangt -könnte in den nächsten Monaten erreicht werden", sagt etwa Margit Schratzenstaller vom Wifo.

Es ist nicht allein das, was überrascht. Untersuchungen zeigen auch gesellschaftliche Nebeneffekte der Pandemie, die durchaus als sehr positiv zu bewerten sind. So sei das nachbarschaftliche Zusammenarbeiten und die gegenseitige Hilfe deutlich angestiegen, hat das Austrias Corona Panel der Uni Wien ermittelt, das seit Pandemiebeginn regelmäßig für das Wohlbefinden entscheidende Faktoren abfragt.

Freilich dürfen bei aller wachsender Zuversicht die Probleme, die die Pandemie mit sich brachte, nicht vom Tisch gewischt werden. Als typisch dafür sei angeführt, was AMS-Chef Johannes Kopf kürzlich sage. Der Arbeitsmarkt entwickle sich zwar besser als die Prognosen, hinter den Detailzahlen versteckten sich aber nach wie vor viele Probleme. Und nicht übersehen werden darf, dass Branchen wie der Fremdenverkehr, die Gastronomie, die Luftfahrt noch längere Zeit mit den Folgen der Krise zu kämpfen haben werden. Der Sommertourismus wird den Winterausfall nicht ausgleichen können und die internationalen Gäste fehlen noch. Ganz abgesehen davon, dass man noch nicht wirklich weiß, ob wirklich alles so schnell aufgeht, wie man sich das derzeit erwartet.

Und trotzdem und auch trotz aufkeimender Inflationssorgen ist es hoch an der Zeit die Dinge wieder nüchterner zu sehen und weniger aufgeregt. Wir werden davonkommen. Überraschend gut sogar, wie es ausschaut.

Viele Österreicher zeigen sich davon freilich noch wenig beeindruckt. Die Verschwörungstheoretiker haben nach wie vor großen Zulauf, heißt es. Noch sehe man keinen Lerneffekt, sagen Beobachter der Szene.

Aber was nicht ist, kann ja bekanntermaßen noch werden.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Juni 2021

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