Donnerstag, 18. April 2024

Digitale Selbsttäuschung

Er wurde gerade 78. Er ist ein Fußballfan zeit seines Lebens. Lange als aktiver Spieler, seit Jahrzehnten als Zuschauer. Er ist an Wochenenden immer auf Fußballplätze gegangen und ins Linzer Stadion. Auf Fußballplätze geht er immer noch. "Im neuen Linzer Stadion auf der Gugl war ich aber noch nie", sagt er. Da kenne er sich mit dem Kartenkauf nicht mehr aus. "Das ist mir zu kompliziert geworden mit dem Bestellen im Internet."

Der verhinderte Fußballfan ist wohl einer von vielen, vor allem einer von vielen Senioren, die sich zunehmend ausgeschlossen fühlen von der digitalen Welt und vom Fortschritt, den sie mit sich bringt. Auf die Bedürfnisse von Menschen wie ihn wird zunehmend weniger Rücksicht genommen. Auch wenn sie keine Senioren sind.

In den vergangenen Tagen sorgte für Aufregung, dass der hochgejubelte und durchaus lobenswerte Reparaturbonus etwa für Elektrogeräte nur nutzen kann, wer einen Zugang zum Internet hat und damit auch umgehen kann. Ansonsten bleibt die Aussicht auf den Bonus ein frommer Wunsch. Einlösen kann man ihn nur online. Beim Heizkostenzuschuss ist es nicht anders und auch nicht beim Handwerkerbonus, der Anfang dieser Woche vorgestellt wurde.

In der Bankenwelt kennt man das Thema und die Kritik schon lange. Dort hält man trotz höherer Kosten auch die analogen, also herkömmlichen Möglichkeiten Geld abzuheben, zu überweisen und zu verwalten offen und versucht mit einem flexiblen Beratungsangebot die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen.

Digitalisierung, Internet, Computer, Smartphones und alles, was dazugehört, sind nicht mehr wegzudenken aus unserer Welt. Sie machen das Leben leichter, einfacher und ersparen viel Ärger und viele Kosten. Sie verlangen freilich von den Anbietern von Geräten und Diensten einen verantwortungsvollen Umgang. Und genau daran hapert es oft. Wer keinen Experten bei der Hand hat, um Computer, Mobilgeräte, Server, ISDN und all das andere einzurichten, hat schlechte Karten in der digitalen Welt. Gekümmert hat man sich nie ernsthaft darum. Jeder redet davon, aber kaum jemand bietet Greifbares. Zu lange schon schaut auch die Politik zu und überlässt den Anbietern das Feld.

Obwohl sich in den vergangenen Jahren viel geändert hat, ist der Nachholbedarf immer noch groß. Nicht Technik-affine Anwender haben nach wie vor ihre Probleme und werden alleine gelassen damit. Sie, wenn sie dennoch interessiert oder gar angewiesen sind darauf, sind zu einem Leben in den Warteschleifen der Hotlines der Anbieter, aber auch der Verwaltung verdammt.

Dort sitzt man nach wie vor auf dem hohen Ross, vornehmlich sich selbst zu loben und in ein gutes Licht zu stellen. Nachgerade typisches Beispiel dafür ist die ID Austria. Haben Sie schon einmal danach im App-Shop Ihres Handys gesucht? Sie werden nichts finden. ID Austria kennt man dort nicht. Was man kennt, ist das "Digitale Amt". Dass das die ID-Austria ist, muss man erst einmal wissen.

Das mag nur ein kleines und auch sehr schnell aufklärbares Beispiel dafür sein, wie wenig Rücksicht man oft auf die Nutzer nimmt. Bezeichnend ist es dennoch. Die Gedankenlosigkeit der einen ist für viele andere oft nichts als eine Hürde, vor der sie verweigern oder an der sie scheitern.

Inzwischen gibt es sogar ein Staatssekretariat für Digitalisierung, der Aufholbedarf ist aber immer noch enorm. Alle reden zwar von den Senioren und machen sich Sorgen, dass sie von der Digitalisierung zuweilen diskriminiert werden. Noch größere Sorgen sollte machen, dass fast vierzig Jahre nachdem die ersten Personal Computer für den Hausgebrauch auf den Markt kamen, und mehr als dreißig Jahren nach den ersten Mobiltelefonen, nach dem Beginn des Siegeszuges von Internet und E-Mail, immer noch vierzig Prozent der Österreicherinnen und Österreicher über keine Grundkenntnisse bei der Nutzung digitaler Technologien verfügen. Es mag erschrecken, dass bei den Senioren dieser Anteil laut Statistik Austria bei 65 Prozent liegt, noch mehr erschreckt aber, dass in den Altersklassen 25 bis 54 Jahre der Anteil rund um die 30 Prozent beträgt, und selbst bei den 16-bis 24-Jährigen noch immer bei rund 20 Prozent liegt.

Daraus ist zweierlei zu folgern - es braucht nicht nur bei den Senioren eine Offensive, um noch sehr viel mehr Menschen fit für die digitale Welt zu machen, sondern in allen Altersschichten. Und es geht insbesondere in der Verwaltung, aber auch in sensiblen Branchen wie der Bankenwelt darum, analoge Zugänge offen zu halten.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. April 2024

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