Donnerstag, 5. März 2020

Zauberwort Wertschätzung



Man kennt die Klagen der Wirte und Hoteliers, die große Schwierigkeiten haben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Man weiß, dass sich Gewerbebetriebe wie Fleischereien, Bauunternehmen, Installateure und viele andere schwer tun, Nachwuchs zu rekrutieren. Fleischhauer, Maurer, Koch, Tischler, Mechaniker gilt auch immer seltener als erstrebenswertes Berufsziel oder gar als Lebensziel. "Viele Betriebe suchen schon jetzt erfolglos qualifizierte Mitarbeiter" heißt es in den Zeitungen. Und "in Gewerbe und Handwerk seien im Vorjahr fast drei Viertel der Stellen länger als sechs Monate unbesetzt geblieben". Laut Wirtschaftskammer fehlen rund 200.000 Fachkräfte im Land. Vergangenheit scheint in Österreich das Wort vom Handwerk, das angeblich goldenen Boden hat.

Das hat mit vielem zu tun. Vor allem -und oft noch viel mehr als mit einer angeblich schlechten Bezahlung - hat es mit der Wertschätzung zu tun, die von vielen sehr viel eher Geringschätzung ist und von Betroffenen auch so empfunden wird. Da ist verständlich, zumal in einem Land, das Titel, vor allem akademische Titel, zuweilen einem Fetisch gleich verehrt und in dem ein akademischer Abschluss vielen immer noch als höchstes Ziel gilt, wenn Eltern meinen, die Kinder sollten besser weiterhin die Schulbank drücken, weil sie es dann besser hätten und sie sie daher lieber durch die Schule drücken.

Die Hände will sich heute niemand mehr schmutzig machen. Und die Eltern wollen erst recht nicht, dass ihre Kinder das tun. Sie sollen es besser haben, ist immer noch das Denken, das sie antreibt. Eine saubere Arbeit ohne Dreck und mit möglichst geringem Aufwand gilt heute als erstrebenswert.

Für die Gesellschaft ist diese Entwicklung längst zu einem Problem geworden ist. "Während Gymnasien und Unis überquellen, versiegen Baustellen und Küchen aus Personalmangel -ein untragbarer Zustand" hieß es kürzlich in einer Zeitung. Nicht zu Unrecht. Was in den vergangenen Jahrzehnten Gültigkeit hatte und das Denken bestimmte, wurde längst von der Wirklichkeit überholt. Gerade für Maturanten und Studenten hängt der Arbeitsmarkt längst nicht mehr voller Geigen. Und oft sind die Aussichten alles andere als rosig. Viele müssen nach Abschluss ihrer Ausbildung mit Enttäuschungen leben. Sie verdienen nicht, was sie erwartet haben und müssen sich in Jobs verdingen, für die sie eigentlich keine Matura und schon gar kein Studium gebraucht hätten. Schon vor zwei Jahren fand das Institut für Höhere Studien heraus, dass in Österreich mittlerweile jeder Fünfte für seinen Job überqualifiziert ist.

Um diese Entwicklung zu stoppen, muss es bei all den Bemühungen, die seit Jahren angestellt werden, vor allem auch darum gehen, die Parameter der Wertschätzung neu zu justieren, um die oft zur Schau getragene Geringschätzung für nicht-akademische Bildungswege zu überwinden. Das Problem liegt wie so oft in den Köpfen. Vor allem die mit akademischen Titeln sind dabei besonders gefordert, sind doch gerade unter ihnen viele, die gerne die Nase rümpfen über den hohen Anteil, den Arbeitskräfte aus dem Ausland mittlerweile in manchen Berufsgruppen haben.

Den Boden dafür aufbereiten müssen die Politik und die Wirtschaft. Gehen müssen ihn alle. Vor allem auch die Eltern und das Umfeld von Jugendlichen, die vor der Entscheidung Beruf oder weiter Schule stehen. Ganz besonders dort gilt es, Vorurteile zu überwinden, Bedenken auszuräumen und vor überzogenen Erwartungen zu warnen.

Eine umfassende und gute Bildung und Ausbildung müssen ohne Frage immer wichtige Ziele sein. Warum aber ein ganzes Land die Akademisierung nachgerade zum Dogma erhebt und so stark an formalen Qualifikationen hängt, wie es Österreich tut, ist kaum nachvollziehbar. Es ist dringend zu hinterfragen, ob eine möglichst hohe Akademikerquote das richtige Ziel ist und ob es wirklich ein Fortschritt ist, wenn man Matura zur Voraussetzung für eine Kindergärtnerinnenausbildung oder für eine Ausbildung in Pflegeberufen macht.

Dass man genau damit die Gräben noch tiefer macht und die Lehrberufe weiter schwächt, will man ganz offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen, auch wenn Kritiker offen davor warnen, dass dieser Akademisierungseifer, dem das Land erliegt, die Abwertung der Lehre nur noch weiter verschärft.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. März 2020

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