Samstag, 16. April 2022

Wir essen eine Million Schweine weniger

Der Fleischverbrauch sinkt seit dem Jahr 2000. Fleischersatzprodukte machen es den Schweinebauern zusätzlich schwer.

Hans Gmeiner

Salzburg. Der menschliche Verzehr von Fleisch, so der statistische Begriff, sinkt in Österreich seit der Jahrtausendwende beständig. Statt wie damals 68,4 Kilogramm pro Kopf und Jahr essen wir heute nur mehr 60,6 Kilogramm. Laut einer Umfrage des Unternehmensberaters Kearney konsumieren die Österreicherinnen und Österreicher nur mehr ein Mal pro Woche oder sogar noch seltener Fleisch. Acht Prozent leben mittlerweile bereits als Vegetarier und fünf Prozent als Veganer. Während die Verbrauchszahlen pro Kopf bei Rind- und Kalbfleisch und bei Geflügelfleisch einigermaßen stabil geblieben sind, gab es in den vergangenen Jahren vor allem beim Verbrauch von Schweinefleisch markante Rückgänge. Für die Landwirtschaft wird das zum Thema.

Dass der Pro-Kopf-Verzehr von Schweinefleisch seit dem Jahr 2000 um fast 20 Prozent und seit dem Jahr 2010 um rund 10 Prozent auf mittlerweile nur mehr knapp 35 Kilogramm gesunken ist, bedeutet nichts anderes, als dass heute in Österreich um rund 500.000 Schweine weniger gebraucht werden als noch vor zwölf Jahren. Die Eigenerzeugung schrumpfte in diesem Zeitraum von 5,2 Mill. auf 4,7 Mill. Schweine. Nimmt man das Jahr 2000 als Maßstab, ist der heimische Markt gar um eine gute Million Mastschweine kleiner geworden. Geht man davon aus, dass ein durchschnittlicher heimischer Mäster jährlich 1000 Mastschweine liefert, ist durch die Änderung des Ernährungsverhaltens in Österreich für rund 500 landwirtschaftliche Betriebe allein in den vergangenen zehn Jahren die Produktionsgrundlage abhandengekommen.

Johann Schlederer, Chef der Schweinebörse, die einen Großteil der heimischen Mastschweine vermarktet, will die Entwicklung nicht überbewerten. Die tatsächliche Produktion ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben, weil es gelang, im Ausland neue Absatzmärkte zu finden. „Die geänderten Ernährungsgewohnheiten und Fleischersatzprodukte sind nicht die Bedrohung für Österreichs Schweinebauern“, sagt er. „Was die Bauern schmerzt, ist die Politik und das Bestreben von Kreisen wie den NGOs, die zielgerichtete Nutztierhaltung am liebsten verbieten möchten.“

Auch wenn Schlederer davon überzeugt ist, dass es „der Mensch nicht schafft, Fleisch so günstig und so gesund wie die Natur zu erzeugen“, werden auch die Fleischersatzprodukte zunehmend zur Konkurrenz. Laut Kearney greift bereits jeder Vierte in Österreich, der Schweiz und in Deutschland zu Fleischersatzprodukten. „Moralischer und nachhaltiger Konsum", wie viele das nennen, "scheint nicht mehr nur für eine kleine Nischengruppe relevant zu sein“, heißt es auch in einer Studie des internationalen Wirtschaftsprüfers KPMG.

Zahlen des Marktforschers Nielsen zeigen, dass das Geschäft mit Fleischersatz dabei ist, abzuheben. Während zuvor der Absatz eher dahinplätscherte, schnellten die Verkäufe von Würsten, Schnitzel, Gulasch und Burger-Patties zwischen Ende 2019 und Ende 2020 mengenmäßig um 47 Prozent und umsatzmäßig gar um 58 Prozent in die Höhe. Auch wenn jüngere Zahlen nicht vorliegen, gehen Marktkenner wie Karl Fischer von Fischer Agrifood davon aus, dass die Absatzzahlen inzwischen weiter deutlich nach oben gegangen sind.

Der Anteil am Gesamtmarkt ist freilich noch verschwindend gering. „Das wird sich aber rasch ändern“, glaubt Fischer, der als Berater und Obmann des Vereins Soja aus Österreich eng in die Entwicklung von Fleischersatzprodukten auf Sojabasis eingebunden ist.

Als Knackpunkt sieht nicht nur er die Preise für Fleischersatzprodukte. Da freilich sind dem endgültigen Durchbruch noch Grenzen gesetzt. Auch wenn die KPMG die Kommerzialisierung von Laborfleisch in Europa bereits sieht, ist der Fleischersatz aus der Petrischale preislich gegenüber herkömmlichem Fleisch noch nicht wirklich konkurrenzfähig. Bei Ersatzprodukten auf pflanzlicher Basis ist das anders. Die Hersteller haben inzwischen Produkte in der Pipeline, die preislich mit herkömmlichen Produkten mithalten können. Im Kommen sind zudem Produkte, die Ersatzfleisch auf Pflanzenbasis mit echtem Fleisch kombinieren.

Fischer sieht auf dem Markt große Chancen für die heimische Landwirtschaft und auch für Unternehmen. „Wir müssen jedenfalls als österreichische Anbieter von Pflanzeneiweiß regionaler, kleiner und besser sein als die Konzerne“, sagt er. Dass das nicht leicht ist, musste der oberösterreichische „Sag nicht Leberkäse“-Produzent Neuburger wie berichtet erfahren. Anfang März musste er seine Linie „Hermann fleischlos“, die auf Basis von Pilzen Fleischersatzprodukte erzeugte, einstellen. „Vorübergehend“, zumindest wie die Firma mitteilte.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 16. April 2022

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