Donnerstag, 22. Dezember 2022

Kleiner Geist gegenüber großen Themen

Die Bilanz für des Jahr 2022 fällt sehr ernüchternd aus. Krise, überall nur Krise, mehr Krise denn je. So viel, wie man sich vor wenigen Jahren gar nicht vorstellen konnte. Schon gar nicht die Generation, die in den vergangenen fünfzig, sechzig Jahren großgeworden ist.

Die Welt ist nicht mehr das, was sie vor einem Jahr war. Und schon damals stand es nicht gut um sie. So viele Erwartungen gab es, und es wurde so viel Enttäuschung. In der Ukraine tobt ein fürchterlicher Krieg und führt uns vor Augen, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen, gar nicht davon zu reden, wie gut wir es hatten, aber wie relativ dieses Gut war. Unsere Abhängigkeit von Energieimporten wurde uns drastisch vor Augen geführt, und wie schnell es gehen kann, dass wir um Strom und Wärme fürchten müssen. Gar nicht zu reden davon, dass heute alles sehr viel teurer ist als noch vor einem Jahr. Heizen, Strom, Essen, Treibstoff, Wohnen.

Die Politik tut sich schwer damit umzugehen. Vor wenigen Jahren noch war alles ein Kinderspiel, zumal in Europa und in Österreich, gegenüber dem, was ihr heute abverlangt wird. Es ist erstaunlich, was international auf den Weg gebracht wurde, wie man der Ukraine zur Seite steht und wie man einig ist im Kampf gegen die Bedrohung, die von Moskau ausgeht. Es ist auch beachtlich, was die österreichische Politik auf den Weg gebracht hat. Man denke nur an all die Hilfspakete, die man aus den leeren Taschen zauberte. Es ist freilich auch beachtlich, was sie alles nicht auf den Weg bringt, und sie dennoch nicht aus alten Geleisen herausfindet.

Großen Themen begegnet man gerade hierzulande auch in dieser Lage allemal lieber mit kleinem Geist. Und da ist die Rede nicht nur von den Regierungsparteien. Es ist mitunter erbärmlich, was da tagtäglich über die Agenturen verbreitet wird. Engstirnig, feindselig und arrogant. Weil sie in Grabenkämpfen, die seit Jahrzehnten das Land behindern, verhaftet ist und nicht bereit ist, über den Tellerrand zu schauen. Gemeinsame große Linien, ein gemeinsames Grundverständnis oder gar Lösungen, die von allen mitgetragen werden, gibt es kaum.

In der Gesellschaft hinterlässt das orientierungslose Gezänk längst Spuren. Die Gräben werden immer tiefer, die Fronten härter. Die Zusammenhalt schwindet und die Gefahr wächst, dass die Gesellschaft in Gruppen zu zerfällt, die nur mehr ihre Interessen verfolgen und diese mit immer drastischeren Mitteln durchsetzen wollen. Die Demonstrationen und Aufmärsche der Covid-Gegner in unserem Land und was dabei zu erleben war, und auch der geplante Aufstand der Reichsbürger in Deutschland, der offenbar im letzten Moment verhindert werden konnte, und seine Verästelungen nach Österreich, sind Ausdruck dafür. Die gesellschaftliche Lage ist, auch wenn das nicht immer offen zu Tage tritt, labil, wie kaum je zuvor.

Die Politik, aber auch gesellschaftliche Kreise, die die Wahrheit gepachtet zu haben glauben, stehen diesen Entwicklungen hilflos gegenüber und erreichen diese Menschen nicht mehr. Da gibt es keine Strategie und keine Gesprächsbasis und auch kein Angebot, sondern oft viel zu viel abschätzige Arroganz.

Dabei geht es inzwischen um rund ein Drittel der Bevölkerung, das sich aus dem, was über Jahrzehnte als Grundverständnis von Politik und gesellschaftlichem Zusammenleben in Österreich entstanden ist, verabschiedet hat, weil man meint, zu kurz zu kommen und sich zu wenig beachtet und wertgeschätzt fühlt.

Über die Jahre schaffte man es nicht, diese Strömung in den Griff zu bekommen oder sie gar wirklich von der eigenen Wertewelt zu überzeugen. Mehr als diese Menschen als Wählerstimmen immer wieder zu gewinnen und zu nutzen, brachte man bisher nicht zusammen. Eher selten gelang das den Sozialdemokraten, oft der Volkspartei, meist, und gerade jetzt wieder, trotz all des Chaos, das man in den vergangenen Jahren durchmachte, den Freiheitlichen.

In der Substanz freilich ist es nie gelungen, Änderungen herbeizuführen. Im Gegenteil -diese Gruppe, die nicht nur mit der Politik, sondern auch mit dem Staat unzufrieden ist, scheint immer größer zu werden.

In all den Krisen, mit denen wir zu kämpfen haben, ist das vielleicht die größte und die gefährlichste. Denn sie hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht. Die Mitte einer Gesellschaft, die gerade jetzt darauf angewiesen wäre, zusammenzustehen wie kaum je zuvor.

Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 22. Dezember 2022

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