Donnerstag, 13. Juni 2019

Experten für eh alles?



Österreich hat eine neue Liebe entdeckt. So scheint es. Expertinnen und Experten sind es. Sie sollen das Land retten vor der Politik und es in ruhige Gewässer führen. Höchstrichterinnen und Höchstrichter und Spitzenbeamte. Geholt aus Spitzenposten in Rechtsprechung und Verwaltung oder zurückgeholt aus dem Ruhestand.

Eine "merkwürdige Sehnsucht nach Experten" nennen das Kommentatoren in Zeitungen und Zeitschriften. Eine auch, die rasend schnell um sich greift, wie es scheint. Kaum war die Expertenregierung angelobt, forderte die Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei des Landes gleich auch, dass Österreich einen "Experten" als künftigen EU-Kommissar nominiert. Und in einer Resolution verlangen ORF-Redakteure, dass in Hinkunft der Stiftungsrat zu "zumindest" einem Drittel mit "internationalen Experten" besetzt werden solle und nicht mehr mit Leuten, die von den Parteien entsandt werden. Da fehlte nur noch die Forderung, gleich das ganze Land unter internationale Kuratel stellen zu lassen.

Manchen wird der Experten-Hype bereits zu viel. "Wann kommt jetzt endlich die Forderung, dass ganz Österreich durch unabhängige Experten zu ersetzen sei?", fragt ein Twitter-Poster und befindet, durchaus nachvollziehbar: "Das wird schön langsam lächerlich." Aber man ist jetzt einmal mit dem zufrieden, worüber man sich bisher eigentlich immer geärgert hat und wofür man selten anerkennende Worte fand. Man freut sich darüber, dass man von Beamten und Richtern regiert wird und darüber, dass - übrigens zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt -ausschließlich Akademiker in der Regierung sitzen. 

In den vergangenen Tagen wurden nicht wenige Erklärungen geboten, warum denn das mit einem Mal so sein mag. Die Unzufriedenheit mit der Politik stand -klarerweise -meist ganz oben. Es hat aber wohl auch damit zu tun, dass die Aufgabe von Politikern und jene von Experten missverstanden wird. Oft weiß man nicht zu unterscheiden zwischen den Aufgaben, die diesen und jenen zukommen, und darin liegt wohl eine der Wurzeln des Experten-Hypes. Eine Erklärung, die herausstach, bot just einer, der durchaus auch gut in das neuerdings so geschätzte Anforderungsprofil passt. Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, brachte die neu entflammte Liebe mit der hierzulande traditionell ziemlich ausgeprägten Zustimmung zu autoritären Systemen in Zusammenhang, die noch dazu seit zehn Jahren kontinuierlich ansteigt. "Die immensen Änderungen binnen einer Generation überfordern alle, die Verunsicherung steigt, die Gestaltungsspielräume von Politik sinken", wird er im "profil" zitiert. "Bei Experten fühlt man sich noch halbwegs sicher."

Dabei tut man so, als ob Experte gleich Experte und damit automatisch gut wäre. Dass dem gar nicht so sein muss und dass auch zwischen Experten des gleichen Fachs Welten liegen können, wird tunlichst ausgeblendet, genauso, wie hoch ihre Expertise in der Fachwelt wirklich eingeschätzt wird und wie sie zu werten ist.

Die Politik, respektive die Teile davon, die Forderungen nach einem Experten-Kommissar oder ausländischen Experten etwa in ORF-Gremien stellen, müssen sich angesichts der Reaktionen fragen lassen, ob man sich damit selbst nicht völlig aufgibt und ob man nicht jeden Glauben an die eigenen Fähigkeiten verloren hat. Und, ob alles nicht auch irgendwie wie bei den Kindern ist, die nach Mama und Papa schreien, wenn sie selbst etwas verbockt haben und sich nicht mehr hinaussehen.

Das freilich kann es nicht sein. Und das darf es auch nicht sein, käme das doch der Selbstaufgabe des eigenen Standes und in der Folge der Demokratie und des Staates gleich. Ganz abgesehen davon, dass es sich rasch als Illusion erweisen würde, Experten für unabhängig zu halten. Das würde sich schnell zeigen, wenn sie Entscheidungen zu treffen hätten und nicht, wie die aktuelle Expertenregierung, ihre Tätigkeit nicht nur als Verwaltung begreifen würden.

Wie dünn das Eis ist, auf dem sich auch eine Expertenregierung wie diese bewegt, zeigte in der Vorwoche bereits der Unmut darüber, dass man die Pläne für die Militärschule in Wiener Neustadt einstampfte und keine Bereitschaft zeigte, bei der Abschiebepraxis für in Ausbildung stehenden Migranten etwas zu ändern. Man darf gespannt sein, was noch alles kommt, wenn der Wahlkampf einmal richtig angeheizt ist.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Juni 2019

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