Donnerstag, 6. Juni 2019

Gratulation, Herr Kickl



Die Freude und die Erleichterung über die neue Regierung sind groß. Vor allem auch darüber, was die neue Bundeskanzlerin in ihren ersten Stellungnahmen sagte. Es ist in den vergangenen Jahren ungewohnt geworden. Sie richtete, seit langem nicht mehr gehört, ihre Worte nach der Angelobung am Montag dieser Woche an "alle Menschen, die in diesem Land leben", sie redete unaufgeregt davon, dass ihr und ihrem Kabinett der sorgsame Umgang mit Steuergeldern ein Anliegen ist, von Demut auch und vom festen Glauben an die Stärke der Republik und davon, dass "möglichst rasch die Vorkehrungen für die bevorstehenden Neuwahlen in die Wege zu leiten" seien. Das tut zweifellos gut und es trägt womöglich wirklich dazu bei, das über die Maßen aufgeheizte politische Klima abzukühlen.

Über all die sich breitmachende Genugtuung sollte man aber freilich nicht aus den Augen verlieren, was am Anfang der Entwicklung stand, an deren -vorläufigem -Ende der Bundespräsident nun ein Expertenkabinett installierte. Am Anfang standen Aufnahmen von Gesprächen zweier führender Politiker der Freiheitlichen Partei auf Ibiza, die tief in die Abgründe der Seele der Freiheitlichen blicken ließen, in ihre Gedankenwelt und ihre Begehrlichkeiten.

Darüber wird mittlerweile kaum mehr geredet. Und auch nicht über die Folgen für das Land und die politischen Strukturen, weil sich die Partei nach wie vor passabler Umfrageergebnisse erfreuen darf und sie bei den Europawahlen nicht in sich zusammenstürzte, sondern ein angesichts der Umstände sehr passables Ergebnis erzielte. Und dass ihr ehemaliger Vorsitzender mit mehr als 40.000 Stimmen sogar ins Europäische Parlament einziehen könnte, wird praktisch ausschließlich unter dem Blickwinkel möglicher innerparteilicher Ungereimtheiten diskutiert.

Dabei heißt all das nichts anderes, als dass eine Partei dieses Zuschnitts trotz allem eine bestimmende politische Kraft bleiben kann in diesem Land und dass der Spuk alles andere als zu Ende ist. Das hat auch damit zu tun, dass vieles von dem, was die beiden vorderen Freiheitlichen in ihrem Suff sagten, nichts anderes ist, als was sie ohnehin sagen und denken. Es gehört fest zum freiheitlichen Gedankengut. Es sind Eckpunkte der freiheitlichen Welt, nicht nur bei den Funktionären, sondern wohl auch bei den Wählern. Das erklärt vielleicht auch, dass sich die Verluste der Freiheitlichen in Grenzen hielten und die Partei schon jetzt wieder in der Politik mitmischt, als wäre nichts geschehen. Aber all das ist kein Thema und erschreckt niemand. Schon gar nicht die, für die der Innenminister noch vor wenigen Wochen nichts als politischer Abschaum war, der Gottseibeiuns der Innenpolitik, mit dem auch nur zu reden als politisches No Go und Todsünde galt. Man kann ihm -und auch seinem sich sanftmütig gebenden Parteiobmann -nur gratulieren dazu, dass es gelungen ist, sich und die Partei so rasch aus der Schusslinie zu bringen. "Kurz muss weg" heiligte alle Mittel. Und man erging sich allerorten in Spekulationen darüber, wer denn der Auftraggeber des Videos sein könnte. Die wirklichen Ungeheuerlichkeiten und die langfristigen Folgen aber verschwanden schnell aus den Schlagzeilen und aus den Köpfen.

Nun soll es hier nicht um eine Verteidigung von Kurz gehen -vieles, was ihm vorgehalten wird, hat wohl seine Richtigkeit, ist nachvollziehbar und gehört auch diskutiert und aufgearbeitet. Aber, so wie jetzt die Dinge angelegt sind, kann es auch nicht sein. So billig darf man die Freiheitlichen auch nicht davonkommen lassen.

Die Empörung ist überschaubar geblieben. Darüber, welche Folgen das langfristig hat, mag niemand reden. Da verbeißt man sich lieber in Kurz und nimmt in Kauf, dass man von Kommentatoren als Steigbügelhalter der Freiheitlichen bezeichnet wird. Mitunter grenzt dieser Gesinnungswandel von Leuten wie Drozda und Co. an Charakterlosigkeit, wenn man die wahren Themen nicht mehr sieht. Das nährt die Zweifel, dass in Österreichs Politik etwas anders wird. Genauso übrigens, wie der gegenseitige Hass, an dem zu arbeiten, um ihn zu beseitigen, niemand bereit ist.

Man kann nur hoffen, dass die außer Rand und Band geratene heimische Politiker-Kaste von der Expertenregierung Bierleins vorgeführt wird. Es würde aber nicht verwundern, wenn man sich selbst an dieser Regierung in der üblich gewordenen Art vergreift.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 6. Juni 2019

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