Donnerstag, 20. August 2020

Desaster zum Nachdenken



Wie konnte das passieren? Seit Wochen rätselt ein ganzes Land, wie es zum Commerzialbank-Desaster im Burgenland kommen konnte. Unbemerkt und plötzlich. Trotz Aufsichtsgremien in der Bank, trotz Bankenaufsicht, trotz FMA und Nationalbank, trotz immer detaillierterer Regularien und trotz eines immer dichteren Risikoüberwachungsnetzes. Und obwohl die Bank dem Vernehmen nach schon mehr als 20 Jahre de facto pleite war.

Das Staunen ist groß, dass so etwas geschehen konnte, wo es doch in Österreich keine andere Branche gibt, die derart streng überwacht wird und die von derart vielen Kontrollinstanzen jährlich auf Herz und Nieren geprüft und durchleuchtet wird. Nirgendwo ist das Netz an Aufsichtsinstanzen engmaschiger. Dazu ein aufwändiges Regularienwerk, das seinesgleichen sucht und interne Berichte sonder Zahl, die in regelmäßigen Abständen den Gremien vorzulegen sind - von Regelberichten über die Geschäftsentwicklung bis hin zu Risikoberichten, die sogar Extremfälle wie ein in tausend Jahren nur einmal vorkommendes Risiko abzuschätzen versuchen.

Und dann passiert so etwas wie die Commerzialbank. Da nimmt nicht Wunder, dass in diesen Tagen viel von einem "Multiorganversagen der politischen und wirtschaftlichen Kontrolle" zu hören ist, von einem "behördlichen Versagen" bei der Bankenaufsicht und dem Aufsichtsgremium in der Bank. Man zeigt Verwunderung, dass niemand angesichts der guten Zinsen, die die Banken zahlte, Verdacht geschöpft hat. Es wird kritisiert, dass im Aufsichtsrat keine Bankexperten gesessen sind, sondern Unternehmer, Landwirte, Gewerbetreibende. Dass sie nichts gemerkt haben von den Tricksereien des Bankchefs. Man schüttelt den Kopf darüber, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrates als Erklärung und Entschuldigung anführte, dass auch den offiziellen Kontroll-und Prüfstellen über all die Jahre nicht aufgefallen ist, dass die Bank längst ein Konkursfall ist. Dabei erscheint gerade letztere als eine nicht unplausible Erklärung für den Lauf der Entwicklung. Angesichts der vielen Kontrollinstanzen, die sich um die Banken kümmern, sei die Gefahr groß, dass sich eine auf die andere verlässt, sagt im Zusammenhang mit der Commerzialbank der ehemaliger Rechnungshofpräsident Franz Fiedler.

Gerade bei den Raiffeisenbanken beobachtet man die Vorgänge rund um die Commerzialbank mit großem Interesse. Vor allem die vielen Funktionärinnen und Funktionäre, die in den hunderten selbstständigen Raiffeisenbanken im ganzen Land ihre Aufgaben als Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrates ehrenamtlich erfüllen. Die sich auf die Informationen, die ihnen in den Sitzungen präsentiert werden, verlassen und verlassen müssen, und darauf, dass die Kontrolle funktioniert.

Die allesamt und trotz aller Ausbildungen, die inzwischen vorgeschrieben sind, keine Bankexperten sind, sondern Menschen, die mitten im Leben stehen. Die Unternehmen führen, die in den unterschiedlichsten Berufen gefordert sind. Als Mechaniker, als Landwirte, als Ärzte, als Lehrer. Die ihre Funktionen übernommen haben, um die Interessen der tausenden Mitinhaberinnen und Mitinhaber zu vertreten, die um ein paar Euro Genossenschaftsanteile gezeichnet haben. Die sich als Bindeglied zwischen Banken und Gesellschaft verstehen, deren Hausverstand gefragt ist, aber nicht deren Bankexpertise. Und für die plötzlich die ganze Tragweite der Verantwortung sichtbar wird, die mit der Funktion verbunden ist.

Sie wundern sich noch mehr als alle anderen, dass so etwas wie die Commerzialbank passieren konnte, wo sie sich doch so oft staunen, wofür das Regelwerk heutzutage ihre Zustimmung verlangt. Für die Bilanz sowieso, aber auch für solche Sachen wie den Compliance-und Geldwäschebericht, für den Risikobericht und sogar für die Geschäftsordnungsverteilung. Oft mehrmals im Jahr sogar. Dazu all die Kontrollen. Interne Revision, externe Revision, immer die FMA im Nacken und viele andere mehr. Die Funktionärinnen und Funktionäre müssen sich darauf verlassen können.

"Gegen kriminelle Energie ist kein Kraut gewachsen", ist auch so ein Satz, der in diesen Tagen oft zu hören ist. Er stimmt wohl. Aber angesichts der Commerzialbank ist zu fragen, ob der immer wilder wuchernde Dschungel an Vorschriften und Kontrollinstanzen das richtige "Kraut" ist, solche Ereignisse zu verhindern. Zweifel scheinen gerechtfertigt. Und auch die Forderung neue Wege zu suchen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. August 2020

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1