Donnerstag, 6. August 2020

Ein Präsident und kein Ende?



Geht es nach dem, was die Welt von ihm hält, ist US-Präsident Donald Trump wohl bald Geschichte. Tausende Corona-Tote täglich, mehr als 150.000 insgesamt bisher, und immer noch ist das Virus außer Kontrolle. Der größte Wirtschaftseinbruch, den die USA je erlebten. Unruhen im eigenen Land, ein sich immer gefährlicher zuspitzender Konflikt mit China und zunehmend isoliert in der Welt. Viel schlimmer kann die Bilanz eines Staatschefs nicht ausfallen.

"Donald Trumps Präsidentschaft ist gekennzeichnet von einem historischen Versagen", ist außerhalb der Vereinigten Staaten landauf, landab zu lesen. Nichts als auf den Putz hauen könne er, spalten und provozieren. "Verheerend" sei sein Krisenmanagement, ein "Flip-Flopper" sei er, der ständig die Richtung wechsle. Kurzum, ein "Irrwisch im Weißen Haus".

Keine 100 Tage sind es mehr bis zu den Wahlen in den USA, und der regierende Präsident liegt in den Umfragen gut zehn Prozent hinter seinem Herausforderer John Biden. Das mag ein Indiz für sein baldiges Ende als Präsident sein, mehr aber nicht. Trump gibt den Kampf ums Amt noch lange nicht verloren. Trump ist nicht weg. Noch lange nicht. Und es scheint ihm jedes Mittel recht, um an der Macht zu bleiben.

Neuerdings trägt er Unruhe ins eigene Land, um seine Haut zu retten. Er scheut offenbar nicht davor zurück, die eigenen Truppen gegen die Proteste in den Städten zu mobilisieren, er legt sich mit China an und hofft auf Anerkennung dafür. Er bringt sogar eine Verschiebung der Wahlen ins Spiel und stellt vorsorglich mögliche Briefwahlen in ein schiefes Licht. Sie könnten die Präsidentschaftswahlen zu den "fehlerhaftesten und betrügerischsten in der US-Geschichte" machen, twitterte er und ließ unverfroren durchblicken, dass er ein solches Ergebnis nicht anerkennen würde und er das Weiße Haus nicht räumen würde.

Trump steht vor einem kolossalen Scherbenhaufen, wenn es nach dem Urteil der Welt geht. Und es ist wohl nach allen Maßstäben, nach denen gemeinhin ein Politiker und seine Politik beurteilt wird, auch so. Allein, nach dem geht es nicht, sondern es geht nach dem, was die US-Amerikaner von ihm halten und wie sie beurteilen, was bei uns für so erratisch gehalten wird. Das Bild, das wir von den USA haben, spiegelt meist nicht mehr als die Wünsche und oft auch politischen Einstellungen der Korrespondenten und Kommentatoren wider. Und da kommt oft zu kurz, was wirklich läuft zwischen New York und San Francisco. Das macht es so schwer, die Lage einzuschätzen. Nicht erst jetzt.

Denn das aktuelle Irrlichtern des Mannes im Weißen Haus ist nur ein Aspekt von dem, was die Welt von Anfang an weniger über Trump, sondern viel mehr über die USA und die US-Amerikaner rätseln ließ. Wie konnte ein solcher Mann überhaupt an die Macht kommen? Einer von dieser Präpotenz und mit diesem abgehobenen Gehabe. Wieso kann ein einziger Mann in einem demokratischen Staat so viel anrichten? Ein Mann, der nicht durch einen Staatsstreich an die Macht kam, sondern auf dem demokratischen Weg, auf den man in den USA so stolz ist. Wieso fanden sich in all den Jahren in der US-Verfassung und im politischen System der Vereinigten Staaten keine Mittel und Möglichkeiten diesen Mann in die Schranken zu weisen? Wieso verpufften alle Vorstöße ihn zu bremsen? Was ist vom politischem System und von den Demokraten, der neben Trumps Republikaner einzigen relevanten politischen Kraft in den USA, zu halten, wenn sich ein Mann über Jahre wie ein Elefant im Porzellanladen gerieren kann? Wenn er die über Jahrzehnte aufgebaut und fein austarierte Weltordnung mit wenigen Handstrichen wie ein Kartenhaus zum Zusammenbrechen bringen kann.

All diese Fragen sind freilich auch an den Rest der Welt zu stellen, der sich in den vergangenen vier Jahren viel zu oft von Trump am Nasenring durch die weltpolitische Arena führen ließ, allen voran Europa. Die EU hat nie ein Mittel gefunden, mit Trump und seinen Volten umzugehen, und verlor in diesen Jahren dramatisch an Bedeutung auf dem internationalen Parkett. Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich.

Nicht wenige in den USA, aber auch im Rest der Welt, gehen davon aus, dass Trump noch nicht geschlagen ist. Nicht einmal von sich selbst und schon gar nicht von Joe Biden. Man muss sich wünschen, dass sie nicht recht haben. Für den Rest der Welt, für Europa, aber auch für die US-Amerikaner, jedenfalls für die, die ihn nicht wählen werden.


Meine Meinung, Raiffeisenzeitung, 6. August 2020

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