Montag, 31. August 2020

Die paradoxe Welt der Bauern



Von wegen kleine, idyllische Landwirtschaft: Bauern brauchen heute deutlich größere Betriebe und wesentlich höhere Erträge, um zum gleichen Einkommen zu kommen wie vor zwanzig Jahren.

Hans Gmeiner 


Salzburg. Im Jahr 2007 wies der „Grüne Bericht“ für Österreichs Bauern ein durchschnittliches Einkommen von 26.209 Euro pro Jahr aus. 2014 waren es 28.588 Euro, 2018 mit 28.035 auch in etwa so viel. Dazwischen lagen die Einkommen aber auch schon einmal bei 19.000 und, wenn es hochging, bei 31.000 Euro. Hinter dem, was manche als stabile Entwicklung bezeichnen, verbirgt sich freilich ein Trend, der in der politischen Diskussion wenig beachtet wird und den die Gesellschaft nicht sieht, die gern von einer bäuerlichen Idylle vergangener Jahre schwärmt und diese immer öfter auch von den Bauern fordert.

Damit Bauern ihre Einkommen stabil halten können, werden ihnen Jahr für Jahr mehr und höhere Leistungen abverlangt. Sie brauchen mehr Land, das sie zusätzlich pachten müssen, und sie brauchen auf den Feldern immer höhere Erträge, um zum gleichen Einkommen zu kommen. Und sie brauchen größere Ställe mit mehr Tieren, die schneller wachsen oder, wie die Kühe, mehr Milch geben müssen, um das jährliche Einkommen zu halten.

Das wirft auch auf den oft beklagten Strukturwandel – Stichwort Bauernsterben – ein anderes Licht. Nur weil Jahr für Jahr viele Bauern ihre Hof- und Stalltüren für immer schließen und die Felder verpachten, ist es möglich, dass die verbleibenden Bauern ihre Einkommen zumindest stabil halten können. 2007, um bei den oben angeführten Beispielen zu bleiben, reichten die Einnahmen aus Ackerbau und Viehhaltung noch aus, um knapp 140.000 aktiven bäuerlichen Unternehmen ein Einkommen von durchschnittlich 26.000 Euro zu ermöglichen. Sieben Jahre später waren es nur mehr 120.000 Bauern, die mit rund 28.000 Euro ein ähnlich hohes Einkommen erzielen konnten. Dieses Niveau konnte 2018 nur gehalten werden, weil weitere 10.000 Bauern aufgegeben haben und die Zahl der bäuerlichen Betriebe auf 110.000 zurückging.

Die Gründe für die Entwicklung sind bekannt. Die Preise, die die Bauern für ihre Produkte bekommen, sind seit Jahren unter Druck, während die Kosten weiter steigen. Die internationale Konkurrenz ist in vielen Produktgruppen gnadenlos, dazu kommt der Fortschritt in Produktionstechnik und Züchtung. Dazu kommen in vielen Bereichen immer strengere und oft kostspielige Auflagen, die sich für viele Bauern als unüberwindbare Hürden erweisen. Sie sind finanziell, organisatorisch und auch personell kaum mehr zu bewältigen. Nicht zuletzt deshalb heißt es für viele Bauern „wachsen oder weichen“. Vor allem Tierhalter hören massenweise auf.

Das führt zu der paradoxen Situation, dass gerade die kleineren Betriebe, die gesellschaftlich, aber auch politisch gewünscht sind und auch vom Handel gern in die Auslage gestellt werden, die ersten sind, die die Segel streichen, weil sie keine Perspektiven sehen. Investitionen in moderne Ställe, Gülleanlagen oder Geräte, wie sie Tier- und Umweltschutzregeln erfordern und die schnell in Hunderttausende Euro gehen können, sind für sie nicht drin. Wer nicht untergehen will, muss die Produktion steigern und Höchstleistungen erzielen. Das erklärt, warum die bäuerlichen Betriebe auch in Österreich immer größer werden. Die durchschnittliche Gesamtfläche der Betriebe inklusive Felder, Wiesen, Almen und Wald wuchs von 31,5 Hektar im Jahr 1995 auf mittlerweile mehr als 45 Hektar. Die rein landwirtschaftliche Nutzfläche erhöhte sich in diesem Zeitraum von 15,3 auf 19,8 Hektar. Kam ein Ackerbauer Mitte der 1990er-Jahre in guten Lagen bei Weizen noch mit Erträgen von rund 7,5 Tonnen und bei Zuckerrüben von 75 Tonnen je Hektar einigermaßen über die Runden, braucht er heute nicht nur mehr Fläche, sondern rund zehn Tonnen bei Weizen und 100 Tonnen bei Zuckerrüben.

Bei den Tierhaltern ist es nicht anders. Ein Schweinebauer kam vor 20 Jahren im Durchschnitt noch mit rund 42 Schweinen im Stall aus. Heute braucht er 125 Schweine, um nicht draufzuzahlen. Ein Rinderhalter kam im Jahr 2000 noch mit 22 Tieren auf seine Rechnung, heute aber geht unter 33 nichts mehr.

Krass ist die Entwicklung auch bei Milchbauern. Fanden sie vor zwei Jahrzehnten noch mit der Produktion von jährlich 34.000 Kilogramm Milch ihr Auslangen, mussten sie zehn Jahre später dafür schon 73.000 Kilogramm Milch erzeugen. Und heute muss ein österreichischer Milchbauer im Durchschnitt 120.000 Kilogramm von seinen Kühen melken, um über die Runden zu kommen – zu Preisen, die sich seit Jahren nicht ändern. Schon gar nicht zum Besseren.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 31.August 2020

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