Donnerstag, 19. August 2021

Die Preise, die wir nie zahlen wollten

Die Alarmmeldungen häuften sich in den vergangenen Wochen. Die Lieferzeiten bei Autos werden immer länger, steht fast jeden Tag in den Zeitungen, KTM kann 40.000 Fahrräder nicht ausliefern, bei Traktorherstellern stehen tausende Traktoren auf Halde, die nicht ausgeliefert werden können, weil der eine oder andere Teil fehlt. Schalter, Scheinwerfer, Reifen. In der Bauwirtschaft verzögern sich Projekte, weil Rohstoffe nicht geliefert werden. Die Preise explodieren, Baustellen werden eingestellt. Sogar Papier wird zu Mangelware. Und immer wieder ist auch zu hören, dass Ware bewusst zurückgehalten werde, um von weiter steigenden Preisen zu profitieren. Zuweilen ist sogar von bis oben hin gefüllten Lagerhallen die Rede, mit denen man offenbar hofft, zu schnellem Geld zu kommen.

Zuerst waren es die Masken, die zeigten, auf welch dünnem Eis wir unseren Wohlstand leben. Dann war es das Containerschiff, das den Suez-Kanal blockierte, das zeigte, wie fragil es ist, worauf wir uns bedenkenlos verlassen. Die arbeitsteilige Wirtschaft ist ins Stottern geraten. Die Lieferketten, auf denen unser Leben aufbaut, funktionieren in vielen Bereichen nicht mehr. Die Situation sei wahnsinnig herausfordernd und unberechenbar, ist mittlerweile allerorten zu hören. Und die Gesellschaft, die billig davon lebte, dass man in den Niedriglohnländern dieser Welt erzeugen ließ und die rund um die Welt Bauteile zusammenkauft, um ein Produkt zusammenzuschrauben, muss erfahren, wie zerbrechlich das System ist, in dem man lebt.

Dabei waren doch gerade noch Zeiten des Überflusses. Des totalen sogar. Alles war jederzeit und überall verfügbar, in der gewünschten Menge auch und zu Preisen, die ins ganze Gefüge passten. Diese Zeiten sind vorerst einmal vorbei. Und sie betreffen nicht mehr nur Unternehmen irgendwo weit weg oder Vorgänge fernab der eigenen Welt, sondern sie betreffen zunehmend jeden Einzelnen. In der Firma holpert die Produktion, weil immer wieder Teile fehlen, Brot und Lebensmittel werden teurer, der Kauf eines Fahrrades und gar eines Elektrorades wurde längst zu einem äußerst mühsamen Unterfangen und das mit dem Auto wird wohl heuer nichts mehr.

Die Preise steigen und Inflation ist mit einem Mal ein Thema. Die Welt, wie wir sie seit Jahrzehnten kannten, ist mit einem Mal eine andere. Und wir tun uns noch schwer damit zurechtzukommen. Unser Wirtschaftssystem und unsere Art zu leben, stehen mit einem Mal auf dem Prüfstand. Deutlich wie kaum je zuvor zeigt sich, dass man im Streben alles noch billiger zu haben und von allem noch mehr zu haben, vieles verloren hat. Ganze Wirtschaftszweige kollabierten oder stehen an der Kippe. Jede Menge Know-how ging damit verloren. Und gar nicht davon zu reden, in welche Abhängigkeiten man sich damit begab. Das alles wird in diesen Monaten sichtbar wie kaum je zuvor.

Es scheint, als sei der Ast abgebrochen, auf dem wir es uns in den vergangenen Jahren so bequem gemacht haben. Jetzt wird die Rechnung präsentiert. Viele Produkte fehlen plötzlich. Und die Preise sind mittlerweile oft sehr viel höher als die, die man früher nicht zahlen wollte.

Konsequenzen aus dieser Entwicklung, die jener des Umgangs mit den Klima-und Umweltproblemen nicht unähnlich ist, sind bisher kaum zu erkennen. Es ist, als warte man nur, um dann da fortzusetzen, wo man in Schwierigkeiten geriet. Ohne viel Veränderungen und immer den niedrigsten Preis im Auge, ganz gleich wie er zustande gekommen ist, wo das Produkt herkommt und was das Verhalten bedeutet.

Welche Eide schwor man doch im Frühjahr des Vorjahres, als man erkennen musste, dass nicht nur Klopapier Mangelware sein kann und nicht genügend Masken aufzutreiben waren, um sich vor dem Coronavirus zu schützen. Als man plötzlich die Bauern stürmte, weil Supermarktregale nicht mehr prallvoll gefüllt waren. Selbstversorgung war mit einem Mal nicht nur bei Lebensmitteln wieder ein Thema und die Besinnung auf die eigenen Fähigkeiten. Von der Rückholung von Produktionen aus fernen Weltregionen war die Rede und von allerlei anderem.

Mehr als fromm waren als diese Versprechen und Ankündigungen nicht. Wie man sich bei all den internationalen Verflechtungen etwas mehr Selbstständigkeit erarbeiten kann, ist mittlerweile kaum mehr ein Thema. Und vergessen sind die hehren Versprechen, sich nicht mehr nur allein von den Preisen leiten zu lassen -selbst wenn man jetzt die Preise zahlen muss, die man nie zahlen wollte.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. August 2021

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