Donnerstag, 2. August 2018

Wer soll an dieses Europa glauben?



Es war nicht geplant, aber entlarvend war es dennoch. Just am gleichen Tag, an dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker freudig beklatscht wurde, dass er um des Handelsfriedens willen den europäischen Markt für Soja aus den USA, und damit vor allem für das in Europa so verteufelte GVO-Soja, noch weiter öffnete, beklatschte man auch freudig, dass der Europäische Gerichtshof dem Einsatz der "Genschere" in der Pflanzenzucht einen Riegel vorschob.

Man darf annehmen, dass es nicht wenige gewesen sind, die in beiden Fällen applaudiert haben. Aber so ist man offenbar in Europa. Die nicht genehmen Sachen schiebt man weit von sich weg, verbietet sie am besten und verschanzt sich hinter Bergen von Bürokratie und Vorschriften, während man keine Skrupel hat, genau das für sich zu nutzen, wenn es nur in den Kram passt. Da verschließt man einfach die Augen und redet nicht drüber.

Das ist im aktuellen Fall bei Soja so. So ist das auch bei arbeitsrechtlichen Vorschriften, bei Umweltauflagen, bei Löhnen und bei sozialen Standards, die der Wirtschaft und der Landwirtschaft im internationalen Wettbewerb oft einfach wie Mühlsteine umgehängt werden. Man mag nicht recht davon reden und schon gar nicht darüber diskutieren.

Das hat Folgen. Dass Europa damit sozial-oder umweltpolitische aber auch wissenschaftliche Themen und Probleme einfach ausblendet und auslagert und sich der Verantwortung entzieht, ist das eine. Das andere ist, dass man sich mit dieser Methode zunehmend wirtschaftlich selbst schadet, weil man sich gerade in vielen Bereichen, die die Zukunft bestimmen, sehr zurückhaltend verhält und mit regelrechten Denkverboten wie etwa bei der Gentechnik oft gar völlig aus dem Spiel nimmt.

Nicht nur, dass man damit die Position des alten Kontinents auf den internationalen Märkten schwächt, längst ist die Gefahr nicht mehr zu übersehen, dass Europa damit sich und seine Zukunft verkauft. Denn die Musik spielt in vielen Bereichen längst auf anderen Kontinenten und in anderen Wirtschaftszonen. Europa ist längst Passagier geworden, immer öfter kraft-und machtlos und mit immer weniger Einfluss darauf, wie sich die Dinge entwickeln. Nicht nur politisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich, technologisch und wissenschaftlich.

Selbstgerecht, selbstherrlich und oft sehr blauäugig läuft man dabei mitunter in immer neue Abhängigkeiten. Der Soja-Deal der EU mit den USA und das Verbot der "Genschere" sind ein typisches Beispiel für die Doppelbödigkeit, die in Europa gesellschaftliche und politische Kultur geworden ist. Während bei dem einen die in Europa gepflegten Bedenken gegen Gentechnik keinerlei Rolle spielen, reicht beim anderen offenbar alleine, dass der Begriff "Genschere" verwendet wird, um dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben. Da spielt in der öffentlichen Diskussion keine Rolle, dass es alle Welt verwenden wird, dass dabei keine Fremdgene transferiert werden, dass diese Technologie weltweit als Zukunftstechnologie gilt, dass es den zumeist mittelständischen europäischen Saatguterzeugern geholfen hätte, sich gegen die Saatgutmultis zu behaupten und dass man damit just jene Saatgutriesen stärkt, die in Europa so gerne verteufelt werden, weil sie die Saatgutproduktion monopolisieren.

An der "Genschere"-Entscheidung wurde, soferne überhaupt etwas kritisiert wurde, allenfalls bemängelt, dass sie eher von Emotionen geleitet war, denn von Fakten. Das ist bezeichnend für den Weg, den Europa geht. Es bestimmen Halbwissen, Ängste und Misstrauen, gepuscht von populistischen Politikern, von NGOs, von Unternehmungen auch und von Konzernen, die es verstehen, sich den heute zeitgemäßen und damit richtigen Anstrich zu geben. Längst ist dieses Klima in alle Institutionen eingesickert. Dazu gehören nicht mehr alleine die Parlamente, dazu gehören längst auch der Verwaltungsapparat und, wie die Genschere-Entscheidung zeigt, auch höchste Gerichte.

Die Wissenschaft, gleichwohl welcher Richtung, hingegen scheint abgemeldet zu sein. Sie hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, ihr fehlen auch die Strukturen und der gesellschaftliche und politische Rückhalt, die ihr in der Öffentlichkeit Gewicht verleihen könnten.

Ein Problem hat aber auch die europäische Gesellschaft. Ein Problem, das sie freilich nicht wahrhaben will -dass sie mit ihrem Verhalten und der Politik, die sie damit favorisiert, am Ast sägt, auf dem sie sitzt.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. August 2018

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