Donnerstag, 14. November 2019

Deutschland müdes Vaterland


"Deutschland exportiert mehr Müll als Maschinen", vermeldete kürzlich der "Exportseismograf Deutschland" der Hochschule Würzburg. Die Abfall-Ausfuhren Deutschlands betrugen demnach knapp 15 Millionen Tonnen, das Gewicht exportierter Maschinen, auf die das Land so stolz ist und dem es seinen Ruf verdankt, hingegen nur 11,3 Millionen Tonnen. Was da veröffentlicht wurde, war wohl nicht als ironischer Beitrag zur Diskussion um Deutschland und seine Probleme gedacht, die jüngst allerorten aus Anlass des Mauerfalls vor 30 Jahren hochschwappte. Und dennoch könnte es so verstanden werden. 

Um die Sorgen, die man sich vor nicht allzu langer Zeit noch vor einem kraftstrotzenden und alles erdrückenden Deutschland machte, ist es inzwischen ruhig geworden. Die politischen Gewichte haben sich verschoben und die wirtschaftlichen auch. Die Musik spielt in den USA, in Russland und in China. In Berlin ruft man derzeit nicht an und was man braucht, kauft man auch anderswo.

Die Wiedervereinigung und viel später die Migrationskrise haben das Land in seinen Grundfesten erschüttert und durcheinandergebracht. Deutschland ist müde geworden. Deutschland einig Vaterland hieß es bei der Wiedervereinigung. Jetzt passt Deutschland müdes Vaterland wohl besser.

Die vergangenen drei Jahrzehnte haben dem Land Kraft gekostet. Trotz allen guten Willens, der sich breit machte, als die Grenzen fielen, trotz aller Hoffnungen, trotz allen Einsatzes, trotz aller Pläne. Und trotz allen Geldes. Da ist nur mehr wenig von der Kraft, mit der man den Gang Europas mitbestimmte, wenig vom Glanz der Industrie und kaum mehr etwas von Impulsen, die von Deutschland ausgingen für den europäischen Kontinent, ja für die ganze Welt.

Die Lokomotive, die Europa durch zahllose Krisen zog, zieht nicht mehr so, wie sie es über Jahrzehnte zuverlässig getan hatte. Angela Merkel zählt nicht mehr zu den Mächtigen der Welt, die die Dinge richten konnte. Das tun heute andere, während sie politisch mit der von ihr geführten großen Koalition unaufhaltsam unterzugehen scheint.

Das Land leidet am politischen Stillstand und an der schwindenden Bedeutung. Es fehlt an Leitfiguren und am Zusammenhalt. Stattdessen ergeht man sich in Partikularinteressen und in Grabenkämpfen. Mitunter scheint man den Blick für das große Ganze verloren zu haben und macht sich Verbitterung breit.

Deutschland ist heute gefangen in einer nationalen Nabelschau und darin, mit dem, was man sich vor 30 Jahren freudig aufgebürdet hat, fertig zu werden. Und man schafft es nicht. Der Osten, aus dem der damalige Kanzler Kohl versprach blühende Landschaften zu machen, ist immer noch eine Bürde, mit der das Land kaum zurechtkommt. Politisch und wirtschaftlich bleiben der Westen und der Osten Deutschlands tief gespalten und driften zuweilen noch weiter auseinander, als dass sie zusammenkommen.

Immer noch zwar zählt Deutschland zu den führenden Industrienationen weltweit. Aber ganz vorne ist man nicht mehr. Deutschland hinkt heute in vielen Bereichen der Entwicklung hinterher, ohne überzeugende Strategien zu haben. Die Situation der deutschen Autoindustrie steht für viele Bereiche. Nicht nur dass der Dieselskandal und Umweltvorschriften den wichtigsten Industriezweig des Lands durchbeutelten, drohen auch noch US-Strafzölle und muss man sich mit Verkaufseinbußen in China herumschlagen.

Nicht nur in der Autoindustrie, auch in vielen anderen Bereichen, hat man die Position als Technologieführer eingebüßt. Von der "Deutschland AG", die "im Eck" sei, ist neuerdings immer öfter zu lesen und davon, dass "Europas ökonomische Lokomotive stottert". Von einem Investitionsstau in der Verkehrs-, Mobilfunk-und Schulinfrastruktur ist die Rede und davon, dass das Land inzwischen von der Substanz lebe.

Dem Selbstbewusstsein der Deutschen hat das bislang freilich keinen Abbruch getan. Selbstzufrieden glaubt man unverdrossen anderen die Welt erklären und Bedingungen diktieren zu können. Wir Österreicher können ein Lied davon singen, denkt man nur an die Streitereien mit Salzburg und Tirol wegen des Transitverkehrs oder der Grenzkontrollen, die jedes Sinnes entbehren.

Sie können, so scheints, nicht anders. Wir aber auch nicht. Unsere "Lieblingsnachbarn" bleiben sie trotzdem. So wie Österreich ihr Lieblings-Urlaubsland.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. November 2019

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