Donnerstag, 7. Mai 2020

Das Kreuz mit den Umfragen




Es hat so kommen müssen. Und es ist auch verständlich. Während die Kurve der Covid-Erkrankten in Österreich immer flacher wird, steigt die Kurve der Anzahl an Corona-Experten exponentiell. Schier jeder hat Ratschläge und schier jeder weiß, was anders gemacht gehörte. Das macht ohnehin Schwieriges noch schwieriger. Vor allem auch, weil die "Experten-Kurve" auch unter Politikerinnen und Politikern exponentiell ansteigt und viele von ihnen meinen, daraus Kapital schlagen zu müssen.

Das treibt bemerkenswerte Blüten. Denn inzwischen mehren sich allerorten die Anzeichen, dass man sich immer weniger an der Wissenschaft, Fakten und Notwendigkeiten, sondern wieder sehr viel mehr an Umfragen orientiert. Längst Geschichte ist der Schulterschluss aus der Anfangsphase, vergessen, was man damals sagte und forderte. "Die Opposition hat sich um 180 Grad gedreht", stand dieser Tage in den "Salzburger Nachrichten" zu lesen. Und "Mitte März warnte sie vor Tod und italienischen Zuständen, jetzt vor einer Politik der Angst". Da wird etwa der FPÖ-Klubobmann Kickl zitiert, der heute der Regierung bei jeder Gelegenheit Angst-und Panikmache vorwirft. Anfang März noch meinte er, Corona stehe für "Ungewissheit, Unsicherheit, Gefahr, Leid, Schmerz und Tod" und selbst er forderte einen umgehenden "Lockdown" Österreichs. Damals hielt auch Pamela Rendi-Wagner noch die Maßnahmen der Regierung für "alternativlos" und selbst die Neos trugen die Corona- Politik mit.

Gerade acht Wochen ist das her. Und nichts mehr ist davon zu spüren. Zurückgekehrt ist man längst wieder zum politischen Stil und taktischen Spielereien, die so viele in Österreich seit Jahren als nichts denn widerlich empfinden. Bei dem es sehr viel mehr ums Anpatzen und um den eigenen Vorteil geht, als um die Lösung von Problemen. Selbst wenn es kaum je so viele gegeben hat wie in diesen Tagen.

Umso wichtiger ist es, die politische Verantwortung einzumahnen. Denn die offene Diskussion und der ehrliche Diskurs kommen in diesem Klima zu kurz. Diskussionen und Diskurs, die zum Ziel haben, gemeinsam Probleme zu lösen. Diese zu führen sind aber weder die Opposition noch die Regierung fähig und wohl auch nicht bereit. Dabei bräuchte das Land genau das. Ganz dringend.

Auf beiden Seiten scheint man inzwischen wieder sehr viel eher auf Umfragen zu schielen und sich in Vorgehen und Forderungen daran zu orientieren. Die eine Seite, die Regierung, weiß um eine Zustimmung in der Wählerschaft, die es in dieser Form bisher in der Geschichte des Landes kaum je gegeben hat. Auf der anderen Seite, bei der Opposition, läuten aus eben diesem Grund die Alarmglocken, weil man Angst vor dem Untergang hat.

Ein Miteinander hat in dieser Situation auf beiden Seiten keine Priorität mehr. Darum hält es die eine Seite erst gar nicht für notwendig, die Opposition ins Boot zu holen und stößt sie mit schnellen Gesetzes-und Verordnungslösungen immer wieder vor den Kopf. Und darum versteigt sich die andere Seite immer öfter zu Forderungen, die wenig Konzept erkennen lassen, außer dass es darum geht, die Regierungslinie auszuhöhlen und damit die Geschlossenheit in der Bevölkerung, die große Stärke der ersten Corona-Wochen, zu schwächen.

Der Diskussions-und Handlungsbedarf indes wächst schier ungebremst weiter. Da geht es zunächst einmal um die Sorgen der Wirtschaft und der vielen Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich trotz der großzügigen Hilfsangebote der Regierung ("Koste es was es wolle") existenzielle Sorgen um ihre Zukunft machen. Da geht es um volkswirtschaftliche Themen. Und da geht es um Grundrechte und andere staats-und demokratiepolitische Themen, die vielen in diesem Land Sorgen machen.

Und das nicht zu Unrecht. Es kann einem in der Tat nicht nur bang werden, wenn versprochene Unterstützungsgelder nicht kommen. Es kann einem auch bang werden, wenn Österreicher, die sich nach den Grenz-Modalitäten mit Deutschland erkundigen, von einem österreichischen Polizisten (begleitet von bewaffneten Soldaten) an der Grenze beiläufig zu hören bekommen, dass der "Frieden vorbei" sei und es "keinen Liberalismus mehr" gebe.

Da wird nachvollziehbar, dass man sich Sorgen machen kann, wenn Regierung und Opposition nicht miteinander reden können und dass viele fürchten, dass man nicht mehr zurückfindet in das, was vor Corona normal war. Sondern ganz woanders landet.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. Mai 2020

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