Mittwoch, 20. Mai 2020

Was für ein Jahr



Was war das für ein Jahr zwischen Mai 2019 und Mai 2020. Am 17. Mai 2019, am Abend dieses Tages, ein Freitag, waren erstmals diese unsäglichen Videosequenzen aus der Villa auf Ibiza zu sehen. Am 18. Mai zu Mittag trat Strache als Vizekanzler zurück und am Abend dieses Tages kündigte Bundeskanzler Kurz Neuwahlen "zum schnellstmöglichen" Zeitpunkt an. Und dann nahmen die Dinge ihren Lauf. Schneller Ministertausch, dann eine Übergangsregierung mit einer Bundeskanzlerin. Schließlich Wahlen.

Die Grünen kamen zurück ins Parlament und dann auch gleich in die Regierung. Ein Politbeben, das keinen Stein auf dem anderen ließ.

Und dann kam auch noch Corona. Zuerst im fernen China, dann auf einmal in Italien und dann plötzlich auch in Österreich. Grenzen wurden gesperrt, der Shutdown folgte. Die Krise machte sich schnell breit. Zuerst rund ums Klopapier, dann aber durch Kündigungen, durch Kurzarbeit, durch Auftragsausfälle und Betriebssperren. Unternehmen wie die AUA standen mit einem Mal auf der Kippe, Staatsschulden, die explodieren.

Das alles innerhalb von einem Jahr. Ungeheuer und unglaublich all das, nicht fassbar und vor Jahresfrist auch nicht im Entferntesten vorstellbar. Dass Strache nicht einmal mehr FP-Mitglied ist, dass die Grünen mit Kurz in der Regierung sitzen, dass inzwischen sogar ein Regierungsmitglied der Grünen zurückgetreten ist, dass viele von zu Hause aus arbeiten, dass Schulen über Wochen gesperrt sind, dass wir alle in Masken herumlaufen, dass wir nicht mehr ins Ausland können und dass wir massive Einschränkungen der Grundrechte hinnehmen.

Jetzt stecken wir mitten drinnen in einer Krise, die vielen als die größte seit dem letzten Weltkrieg gilt. Vor Jahresfrist noch war das undenkbar und unvorstellbar. Es ist für praktisch alle das erste wirkliche Rendezvous mit der Geschichte und für viele wohl auch dabei, eine existenzielle Krise zu werden, wie man sie sonst nur vom Hörensagen kannte.

Aber -hat dieses Jahr auch etwas bewirkt? Wird wirklich nichts mehr so sein wie vorher, wie viele meinen? Was aber wird und was soll kommen? Wird die Gesellschaft ihre Verhaltensweisen ändern? Hat uns die Krise verändert, werden die Menschen umdenken? Macht sich ein neues Denken in der Wirtschaft breit? Ist diese Krise eine Chance, wie manche sagen? Wir wissen es noch nicht. Zweifel sind angebracht.

Die heimische Politik jedenfalls bestätigt das. Nach einem kurzzeitigen Schulterschluss ist längst alles so wie vorher. So wie vor Corona und auch so wie vor Ibiza. Wer erinnert sich nicht an die Beteuerungen und Betroffenheitsgesten von vor einem Jahr? Dass man umdenken müsse, sorgsamer und verantwortungsvoller werden müsse. Nichts ist geblieben davon. Einzig froh kann man sein, und es als gnädige Fügung des Schicksals nehmen, dass die Blauen nichts mit der Bewältigung der Corona-Krise zu tun haben.

Welche Lehren können wir aus dem politischen Umbruch in unserem Land ziehen? Allenfalls die, dass nichts unmöglich ist. Aber sonst? Da ist die Antwort wohl -keine. Die Politik und auch die Wählerinnen und Wähler vergessen schnell und fallen im Nu in die alten Muster zurück.

Für die Corona-Krise muss man wohl dasselbe annehmen. Vor allem wohl zuvorderst auch in der Politik und in der Wirtschaft. Da ist jedem das Hemd näher als der Rock. Da geht's um Stimmen und um Euro und Cent, als wäre nie etwas gewesen. Und da ist die Gefahr groß, dass man an vielem, was in der Not eingeführt wurde, Gefallen findet und es beibehält, wie Kontrollen an Grenzen, Überwachung, Beschränkung von Rechten. Und wohl auch an weniger Arbeitsplätzen -zumal dann, wenn das ins Konzept passt.

Und ob wir, die Gesellschaft, anders werden, sei auch in Zweifel gezogen. Wir haben geklatscht, ja. Aber was wird dann kommen? Werden wir verständnisvoller umgehen miteinander? Nachsichtiger? Werden wir verzichten und unser Leben umstellen? Mag sein, dass manches bleibt, was vorher undenkbar war. Dass wir uns zum Grüßen nicht so schnell die Hände reichen werden, dass wir lange Zeit Masken tragen werden. Das ja. Aber mehr? Dass Corona der seit langem überfällige Dämpfer für unser aller überhitztes Leben ist, wie manche sich wünschen, der uns zum Nachdenken bringt?

Wohl eher nicht. Es lockt doch alles wie immer, es glänzt und es blinkt. Und es ist wieder in Griffweite. Das muss man doch nutzen.

So wie halt noch vor einem Jahr auch.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Mai 2020

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