Donnerstag, 14. Mai 2020

Politik im Grenzbereich



Schlussendlich gab es doch einen kleinen Fortschritt. "Grenzgängerregelung für Muttertagsbesuche" vermeldete orf. at am vergangenen Samstag. Und auch, dass das Gesundheitsministerium die Mitarbeiter angewiesen habe, "das etwas großzügiger zu sehen", wenn Kinder und Enkelkinder, die in Bayern leben, ihre Mutter und Großmutter in Österreich besuchen wollen.

Die sturen Grenzregelungen wurden in den vergangenen Wochen vor allem für die Bewohner in Grenzregionen zu einem regelrechten Ärgernis. Überall wurde die Kritik lauter, weil nicht nur die Vorschriften und ihre strikte Einhaltung zunehmend als Schikane und Willkür empfunden wurden und weil oft keinerlei Logik erkennbar war. Da wurde berichtet von Wanderern, denen übereifrige deutsche Grenzpolizisten 250 Euro und mehr abgeknöpft haben, weil sie Warntafeln missachtet haben. Da mussten viele Pendler erkennen, dass an den deutschen Grenzen Schlüsselarbeitskräftenachweis, Pendlerbestätigung, Pass und Meldezettel keine Garantie waren, auch nur übers deutsche Eck gelassen zu werden.

Da wunderten sich Beobachter, dass auf dem Wiener Flughafen zwar bei jedem Passagier Fieber gemessen wurde, aber an anderen Flughäfen, wie etwa in Salzburg, alle ohne Fiebermessen und ohne ärztliches Attest durchgewunken wurden. Für besonders hohe Wellen sorgte die Nachricht, dass ausländische Jäger keinerlei ärztliches Attest benötigen und schon gar nicht in Quarantäne müssen, wenn sie nach Österreich kommen.

Beispiele wie diese gibt es in diesen Tagen und Wochen in Hülle und Fülle. Und nicht nur in Österreich. Für ganz Europa ist kein Ruhmesblatt, was sich da seit Beginn der Corona-Krise entwickelte. Überall gingen die Grenzbalken herunter, überall schottete man sich ab. Und jeder stellte seine eigenen Regeln auf. Keine Rede mehr vom offenen Europa und vom freien Personenverkehr. Nur mehr wachsende Verärgerung, die immer öfter in Wut umkippt. Und zahllose Menschen, die auf der Strecke blieben: Pendler, Saisonarbeiter, Pflegerinnen, Familien.

Ausgerechnet in der Stunde, in der sich Europa beweisen hätte können, zeigte es sich als Flickwerk, das zu gemeinsamen Lösungen und zu gemeinsamen Richtlinien nicht fähig ist. Das alles ist schlimm für die betroffenen Menschen und auch für die europäische Idee. Noch schlimmer aber ist, dass sehr oft politische Gründe und Ideen durchblitzen, die mit dem Corona-Schutz nichts zu tun haben. Die Grenzen geschlossen zu halten, passt vielen Politikern durchaus in ihr Konzept. Stärke zeigen, Unnachgiebigkeit und Kontrolle. Die Grenzen sind wieder zum Spielball nationaler Interessen geworden.

Entblößend war, wie der bayerische Ministerpräsident Söder schmunzelnd in die Kameras sagte, dass es in Bayern genauso schön sei wie in Österreich, als die Rede auf die Reisefreiheit im Sommer kam. Gerade die Deutschen gefallen sich besonders in ihrer Grenzpolitik. Und das nicht erst seit Corona. Schon seit der Flüchtlingskrise werden die Reisenden insbesondere auf den Autobahnen mit Kontrollen gequält, jetzt nimmt man Corona als zusätzliches Argument, diese Quälereien weiter fortzusetzen. Und das ohne je irgendwelche überzeugenden Zahlen zu liefern. Die Zahl der illegalen Einwanderer, die in diesen Jahren aufgebracht wurden, stand nie in einem Verhältnis zum Aufwand und zum Ärger, den die Kontrollen verursacht haben. Und bei Corona ist es nicht anders. Es sind keinerlei Zahlen bekannt darüber, wie viel Fälle just an den Grenzen festgestellt wurden. Auf der anderen Seite aber verlangt ausgerechnet dieses Deutschland von seinen westlichen und nördlichen Nachbarn, die Grenzregime zu lockern.

"An den Grenzen passieren unverzeihliche Fehler", hieß es dieser Tage in einem Zeitungskommentar. Und: "Ein elementarer Wert der EU wird dieser Tage mutwillig zu Grabe getragen." Es ist nur zu hoffen, dass Europa wieder zur Besinnung kommt. In einem ersten Schritte muss es um einheitliche Regelungen gehen und darum, den verwirrenden Fleckerlteppich, der für so viel Unsicherheit und Ärger sorgt, zu beseitigen. Mit klaren, effizienten Regelungen, die für alle europäischen Staaten gelten und die Augenmaß und intelligente, zielgerichtete und dennoch effektive Maßnahmen ermöglichen. Und in der Folge natürlich um die Schließung der Grenzen selbst.

So wie man es sich von einer Europäischen Union eigentlich erwartet.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. Mai 2020

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