Donnerstag, 2. Juli 2020

Halbes Wissen, leichtes Spiel



Die maßlose Selbstüberschätzung gepaart mit Inkompetenz ist ein Phänomen, an dem unsere Zeit leidet. Seit Jahren, immer öfter und überall. Im Privatleben, in der Politik, in der Gesellschaft. In der Wissenschaft heißt dieses Phänomen, warum sich Halbwissende für besonders klug halten, Dunning-Kruger-Effekt, benannt nach zwei amerikanischen Psychologen. "Der Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet die kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen", heißt es auf Wikipedia.

Längst ist dieses Verhalten zu einem gefährlichen Problem geworden. Und man muss bei Gott nicht gleich den US-Präsidenten als abschreckendes Beispiel anführen, wenn man sich Sorgen macht, wohin das führen kann. Halbwissen ist zu einer Seuche unserer Zeit geworden, die im Verein mit den unkontrollierten und unkontrollierbaren Sozialen Medien als Brandbeschleuniger längst zu einer großen Gefahr für die Gesellschaft geworden ist.

Wunder nimmt diese Entwicklung nicht, angesichts des tagtäglichen Bombardements an Informationen, oder was dafür gehalten, in allen Lebensbereichen in den Sozialen Medien, auch im Fernsehen, in den Zeitungen und im privaten Umfeld. Meist vorgetragen mit Nachdruck und schier messianischer Überzeugung und immer öfter, ohne irgendeine Gegenrede zu dulden, geschweige denn zu akzeptieren.

Dabei gab es nie so viel Wissen, das so leicht zugänglich ist wie heute. Es wurde aber freilich auch wohl noch nie so verantwortungslos und auch wider besseres Wissen damit umgegangen. Und es war noch nie so schwierig, Orientierung zu finden. Früher hatte man Respekt vor Wissen und Bildung, heute ist oft nichts mehr davon zu erkennen. Längst aber sind Vertrauen in Wissen und Bildung zerstört. Mit Halbwissen, schnell zusammengelesenen Sätzen oder mit dem Zitieren von Wortfetzen, die man einmal gehört hat, ist es heute viel zu oft üblich geworden, alles in Zweifel zu ziehen und zu denunzieren. Was nicht passt, wird passend zusammenargumentiert. Meist ohne alle Zwischentöne und ohne jede Abwägung. Und immer öfter mit dem Brustton der Überzeugung und der Verachtung für jeden, der anderes meint.

Halbwissen hat es immer gegeben. Aber die Dreistigkeit, mit der heute damit umgegangen wird und wie es eingesetzt wird, gab es wohl noch nie. Jeder und jede, so nicht selten der Eindruck, nimmt sich das Recht heraus, Recht zu haben, und lässt keine Meinung daneben gelten. Oft wird sogar die Demokratie missbraucht dafür -"man wird ja noch sagen dürfen, was man denkt".

Details interessieren nicht, Wissen zählt nicht, was nicht passt, wird argumentativ passend gemacht. Ob es etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, spielt keine Rolle. Längst ist diese Gemengelage aus Halbwissen, Selbstüberschätzung und Inkompetenz, in der Bildung und Wissen unterzugehen scheinen, zu einer Gefahr für die Gesellschaft geworden. Tür und Tor sind für Fake News, Verschwörungstheorien und politische Hasardeure sperrangelweit offen, wenn kaum mehr über das Wissen verfügt wird, zu prüfen, was jemandem vorgesetzt und eingeredet wird von Wirtschaft, Politik und all den anderen Gruppen, die ihre Interessen im Umgang mit der Öffentlichkeit verfolgen.

Die Dinge geraten da schnell in eine Schieflage, die zum Schaden aller werden kann. Man denke nur an all die Voodoo-Konzepte für die Wirtschaft, an den nicht auszurottenden Antisemitismus oder Rassismus, an all die Impfverweigerer oder die Menschen, die generell alles besser zu wissen glauben und alle anderen für Idioten und Narren halten.

Statt in diesem Informationswahnsinn die Stopptaste zu drücken, findet sich immer jemand, der auch den abwegigsten Argumenten recht gibt. Für jede noch so krude These und Ängste finden sich "Experten" und Plattformen, die sie unterstützen und weitertragen.

Es verwundert freilich nicht, dass die Entwicklung so kam. In einer Zeit, in der Tempo alles ist und die von einer Sensation, von einem Skandal zum anderen hechelt, ohne je irgendetwas mit Respekt und Gewissenhaftigkeit zu hinterfragen und in der man es nicht mehr für notwendig erachtet, sich Grundlagen zu erarbeiten, ist es schwierig wie nie zuvor, Orientierung zu finden.

Aber statt Stopp zu sagen, ist man allerorten und auf allen Seiten viel eher dazu bereit, auch weiterhin zu allen greifbaren Brandbeschleunigern zu greifen. Nicht nur auf Seiten der Bösen, sondern auch auf Seiten derer, die sich für die Guten halten.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. Juli 2020

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