Donnerstag, 8. Juli 2021

Aufgeblasene Zeiten

Die öffentliche Diskussion nervt viele Menschen in diesem Land nur mehr. Diese ewigen politischen Spielereien, diese Dreistigkeiten, diese zumeist aufgeblasene Aufgeregtheit und Empörung. Dieser lächerliche Wettbewerb an Bosheiten. Diese kleinlichen Hacheleien, diese offen zur Schau gestellte Verachtung, diese überall hervordringende Häme, dieses hemmungslose Anpatzen und dieser Intrigenstadel, in dem es um alles zu gehen scheint, nur nicht um die Anliegen der Leute, ihre Bedürfnisse und ihre Wünsche. Um sichere Arbeitsplätze, um weniger Bürokratie, um die Wirtschaft, um Sicherheit natürlich und um die Umwelt.

Wieso glaubt der Finanzminister, dass für gute Politik gehalten wird, wenn er den Verfassungsgerichtshof auflaufen lässt. Wieso der Abgeordnete Hanger, wenn er wieder und wieder die WkSta anschüttet? Oder warum glauben die Oppositionsparteien, dass man ihre Arbeit für gut halten sollte, wenn sie den Kanzler zum x-ten Mal in den Untersuchungsausschuss laden? Das verwundert, das macht müde und das ärgert. Das vor allem. Sie mögen ja im Grunde alle recht haben, aber die Menschen erwarten nicht Zirkus, sondern Lösungen. Und um die freilich geht es kaum.

Es scheint, als sei der Anstand verloren gegangen in der Politik in diesem Land -und der Charakter. Auf allen Seiten. Längst haben die Institutionen Schaden genommen, das Parlament, der Verfassungsschutz, die Justiz -allesamt Grundpfeiler, auf dem unser Staat steht und unsere Demokratie.

Auch wenn man den Türkisen vorhält, den Staat vorsätzlich kapern zu wollen, können sich die anderen parlamentarischen Parteien nicht einfach abputzen. Die Wirkung ihres Tuns, ihre Art, Dinge anzugehen respektive liegen zu lassen, und ihr Verständnis von Politik, das sich auf den - pikanterweise vom ansonsten so geschmähten FP-Chef Kickl ausgegebenen -Schlachtruf "Kurz muss weg" verengt hat, ist in der Auswirkung nicht geringzuschätzen. Auch dadurch werden die Einrichtungen des Staates und seine Institutionen beschädigt und geschwächt.

Längst geht es nicht mehr darum, wer wann wo wie damit angefangen hat, das Ansehen der Institutionen und des Staates zu ruinieren, sondern darum, wie man wieder zurückfindet. Dass es nicht mehr dazu kommt, dass der Bundespräsident gegen den Finanzminister ein Verfassungsgerichtshofs-Erkenntnis exekutieren muss oder ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die ganze Republik zum Spielball macht.

"Wir brauchen einen echten neuen Stil -im Sinn von mehr Anstand, von mehr Integrität und von mehr Moral, auch im politischen Handeln und im Sinn der Vorbildwirkung", sagte kürzlich Martin Kreutner, international angesehener Antikorruptionsexperte und Mitinitiator des Anti-Korruptions-Volkbegehrens in einem Interview mit dem ORF-Report.

Es ist genau das, was der Sehnsucht der meisten Menschen in diesem Land entspricht. Man will sich wieder auf etwas verlassen können. Man will vertrauen können. Man will Sicherheit und Verlässlichkeit im Handeln und man will die Gewissheit, dass nicht ein paar wenige Gewissens-und Schamlose den Staat aushebeln können, wenn sie es nur darauf ankommen lassen.

Es ist wohl auch Sehnsucht nach Normalität, nach Eckpunkten, an denen man sich orientieren kann und auf die man sich verlassen kann. Nach einer Welt, in der nicht taktische Ränkespiele, Taschenspielertricks, Scheinheiligkeit und Durchtriebenheit das Maß der Dinge sind und das Geschehen bestimmen.

Es nimmt vor diesem Hintergrund ja nicht wunder, dass sich die Menschen immer mehr von der Politik abwenden, wie erst vor wenigen Tagen wieder Wolfgang Bachmayer und sein OGM-Meinungsforschungsinstitut erhoben haben.

Lohn für all das, was uns in den vergangenen Monaten als Politik aufgetischt wurde, gab es bisher jedenfalls keinen. Insgesamt blieb die politische Landschaft stabil. Allein der Finanzminister stürzte in allen Indizes ab, aber an den Machtverhältnissen änderte sich insgesamt wenig. Und dennoch muss man sich Sorgen machen, was die Zeit und die politischen Machtkämpfe, die wir seit Monaten erleben, bei den Menschen hinterlassen werden, wie sich das zeigen wird und worüber wir in ein paar Jahren jammern werden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. Juli 2021

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