Donnerstag, 1. Juli 2021

SP-Parteitag ist überall

Die SPÖ hat ein veritables Problem. Oder Rendi-Wagner. Oder beide. Der Scherbenhaufen, vor dem die Sozialdemokraten seit dem Parteitag am vergangenen Samstag stehen, ist jedenfalls von beachtlicher Größe. Pamela Rendi-Wagner, die seit Jahren mit zuweilen bewundernswerter, oft freilich bemitleidenswerter, jedenfalls aber immer zäher Verbissenheit die Partei zu lenken versucht, bekam auf dem Parteitag nur 75 Prozent der Stimmen. Nicht 88, nicht 98, nein, nur 75 Prozent. Obwohl niemand vorher aufstand und sagte, dass er, respektive sie, ihr nicht die Stimme geben wolle. Obwohl es keine Diskussionen über sie und ihre Art der Parteiführung, über ihre Konzepte und ihre Pläne gab. Obwohl es schon gar keinen Gegenkandidaten gab. Und obwohl, was zu hören ist, weder am Applaus für ihre Rede und auch an sonst nichts zu erkennen gewesen wäre, dass nur drei von vier Parteitagsdelegierten Rendi-Wagner weiter als Parteichefin wollen, jeder vierte im Saal aber lieber wen anderen da vorne gesehen hätte.

Aber es war nicht nur das. Von ganz ähnlicher Qualität ist auch, dass der Parteitag 2021 der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, die so stolz auf ihre Geschichte ist, gegen Ende hin nicht mehr beschlussfähig war, weil viele der Leute, deren Aufgabe bei Parteitagen es eigentlich ist, die Parteimitglieder zu vertreten, einfach davongegangen sind. Verschwunden im Samstagnachmittag, auf dem Heimweg, um das Fußballspiel gegen Italien nicht zu versäumen.

Seither ist die Partei mit den Aufräumarbeiten beschäftigt, sind die Zeitungen voll mit Analysen und hält die Überraschung an -und die Verwunderung. Dabei ist eigentlich nur Letzteres überraschend. Denn was da am SP-Parteitag der Parteivorsitzenden passiert ist, ist in Österreich gar nicht selten. Auch wenn man Besonderheiten, die in diesem Fall eine Rolle gespielt haben mögen, beiseitelässt.

Denn was zu beobachten war, ist auch schon in anderen Parteien passiert, in Organisationen, in Vereinen auch und sogar in Genossenschaften. Und nicht nur dort. Es gehört zu unserem täglichen Leben. Böse Zungen sagen, das gehört nachgerade zum österreichischen Wesen. Am besten nicht die wirkliche Meinung zu sagen. Sich am besten verstecken, wenn es nur irgendwie geht. Sich immer alle Möglichkeiten offenhalten. Unverbindlich bleiben. Aber immer für eine Bosheit bereit sein, und wenn es sein muss, keine kleine. Immer öfter tun sich heute die Leute schwer, für etwas einzustehen. Immer öfter lässt man sich allemal lieber ein Hintertürchen offen.

Das gilt auch für das, was noch viel öfter zu sehen ist. Es wird oft ja zu etwas gesagt und zu etwas zugestimmt, um der Erwartung zu genügen, auch wenn man anderes denkt und voller Vorbehalte ist. Ob für das etwa für Rendi-Wagner besser gewesen wäre, muss offen bleiben. Zweifel sind aber wohl angebracht.

Freundlich sein, unverbindlich, lächeln am besten, gilt in diesem Land als wichtigste Tugend schon in der Kindererziehung. Und später dann sowieso. Im Beruf, in der Gesellschaft, wird es dann oft zu einer regelrechten Überlebensstrategie. Dahinter aber hält man sich sein eigenes Leben frei. Da bleibt Platz für die eigene Gedankenwelt, für den Ärger, die Wut auch - und für solch kleine "Racheakte", wie die von den 25 Prozent Parteitagsdelegierten.

In Österreich geht man direkten Auseinandersetzungen, solange es nur irgendwie geht, aus dem Weg. Diskussionen, komplizierte gar, mag man nicht. Da geht man allemal lieber den Weg des geringsten Widerstands. Und vor allem meidet man jede Verpflichtung, wenn es nur irgendwie geht. Immer öfter.

In den vergangenen Jahren hat sich viel verändert. Man denke nur an die Nöte der Meinungsforscher, die Wahl für Wahl in größere Not geraten, weil ihnen die Wählerinnen und Wähler in den Umfrage anderes sagen, als sie dann in den Wahlzellen tun, wenn sie ganz allein und unbeobachtet sind. Oder man denke an das schier überbordende Umweltbewusstsein, das alle Umfragen immer wieder zu Tage bringen, das so gar nicht zur täglichen Verkehrslawine und zu den vermüllten Straßenrändern und Wiesen passt. Oder man denke an die ebenso zahllosen Bekundungen, kein Essen wegzuwerfen und bewusst einzukaufen. Alles nichts. Nichts als Freundlichkeiten, die erwartet wurden. Aber nichts, was mit der Wirklichkeit zu tun hat, die man hinter dieser Fassade lebt, in der man sich frei fühlt und unbeobachtet.

Österreich hat es sich eingerichtet in diesem augenzwinkernden Schlawinertum, auf diesem doppelten Boden. Nicht nur die 25 Prozent Parteitagsdelegierten der SPÖ, die Pamela Rendi-Wagner nicht wählten, und die, die einfach vom Parteitag davongingen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Juli 2021

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