Donnerstag, 17. November 2022

Die österreichische Seele

"Machen wir Buben-Urlaub" und "Jetzt musst du mir beim ORF helfen" schrieb der eine. Der andere riet dem damaligen Vizekanzler Strache ganz amikal, eine Intervention für einen ORF-Posten über seinen Parteifreund Steger zu spielen, weil "du brauchst ja eventuell noch Eskalationsstufen, bevor was auf Chefebene ist". Mit allzu freizügigen Chats haben sich in der vergangenen Woche gleich zwei Chefredakteure aus ihren Jobs gesprengt.

"Wie kann man nur so dumm sein, über so etwas zu chatten, wo doch jeder weiß, dass jedes Schriftl ein Giftl ist" ist nicht selten zu hören. "Da mach' ich doch so etwas nicht." Als ob sie das Problem wären. Dabei sind sie allenfalls Zeugnis einer besonderen Dreistigkeit. Das eigentliche Problem ist ein ganz anderes, es ist das Denken, das dahintersteckt. Dass man glaubt sich alles richten zu können und zu müssen. Dass nichts ohne Intervention gehen kann und nichts ohne gute Kontakte. Dass es überall diese Erwartungshaltung gibt, dass jemand etwas für einen in die Wege leitet. Sei es für einen Job als Generaldirektor in der größten Rundfunkanstalt des Landes oder für den Ferialjob in irgendeiner Besenkammer irgendeines Stadt-oder Gemeindeamtes.

Das Problem ist auch, dass man es sich in diesem Land offenbar ziemlich ungestört und immer akzeptiert richten kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ganz im Gegenteil, dass es als geschickt gilt, es so anzulegen, als gescheit und vernünftig. Und dass man allerorten Anerkennung erntet dafür.

Das Problem ist vor allem auch, dass es wirklich funktioniert. Weil alle mitspielen und wohl auch weil alle selbst erwarten, dass es ihnen einmal nützen könnte.

Und das ganz große Problem aber ist wohl, dass sich da offenbar jederzeit ein Staat im Staat etablieren kann, ein Klüngel, der es sich richtet in und auf Kosten öffentlicher Institutionen. Leute, denen Gesetze wenig gelten und demokratische Einrichtungen und entsprechende Wege.

Wer in diesem Land gute Freunde und Beziehungen hat, hat auch Anerkennung. Längst hat man alles institutionalisiert. "Netzwerken" heißt das neudeutsch. Und wer sich gut darauf versteht, wird bewundert. Und man denkt sich nicht einmal mehr etwas dabei und lädt zuweilen ganz offiziell zu sogenannten "Netzwerktreffen".

Früher hat man es Freunderlwirtschaft genannt und die ist wohl so alt wie Österreich. Eine Hand wusch schon immer die andere in diesem Land. Besonders eindrücklich zeigt das in diesen Wochen auch der Präsident des Fußballbundes, der in die Schlagzeilen geriet, weil er nichts dabei fand, für seinen Verlag bei ÖFB-Partnern Inserate zu akquirieren.

Immer spielten alle mit bei solchen Spielchen. Nun, man kann durchaus sagen, das Land ist nicht wirklich schlecht gefahren damit, nicht zuletzt deshalb, weil die überwiegende Mehrheit von diesem Verhalten profitierte. Überall, ganz oben wie ganz unten, erwartet man Hilfe und Unterstützung, als ob alles ein Geschäft wäre. Gibst du mir, geb' ich dir. Krieg' ich das, wähl ich dich. Setzt du dich da für mich ein, tu ich es dort.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass das Land so funktioniert. Viele leben gut damit und davon. Aber wir haben dabei vergessen, dass viele deswegen draufzahlen. Dass das zu Lasten anderer geht, nicht nur von Menschen, sondern auch von Institutionen und der Allgemeinheit, die für private Interessen benutzt und ausgenutzt werden, als gehörten sie einem.

In anderen Ländern ist es angeblich anders. Um wie viel weiß man nicht. Anhalten kann man sich nur an internationalen Vergleichen, wie dem alljährlich von Transparency International veröffentlichten Korruptionsranking. Und das zeigt, dass Österreich seit Jahren permanent nach hinten rutscht.

Wie das Land aus diesem, wie es schon vor Jahrzehnten der damalige Bundespräsident Kirchschläger nannte, "Sumpf" kommt, muss sich erst weisen. Noch mehr Gesetze und Vorschriften, noch mehr Kommissionen und noch mehr Objektivierungs-Raster scheinen nicht unbedingt der allein zielführende Weg zu sein.

Was es bräuchte, wäre wahrscheinlich ein anderer Zugang zur österreichischen Seele. Denn die ist wohl ein Sonderfall, wie die jüngsten Umfragen zeigen, die ausgerechnet die FPÖ wieder an der Spitze sehen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. November 2022

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