Donnerstag, 5. September 2019

Gelegenheit macht auch Diebe



"Man muss das ausnutzen", sagte Ingrid Korosec. Obfrau der VP-Senioren auf die Frage, ob man sich mit der Pensionserhöhung, auf die man sich in der vergangenen Woche einigte, nicht ein großzügiges Wahlzuckerl abgeholt hat. Und "dass es in so einer Situation gerechtfertigt" sei, stehe "außer Frage". Die Politikerin jedenfalls scheint felsenfest davon überzeugt zu sein und hat kein Problem damit, auch zuzugeben, "dass solche Chancen genutzt werden". 

Aber darf man das wirklich? Und muss man das wirklich? Nicht alle sehen das so. "Verantwortungsbewusstsein für das Staatsganze sieht anders aus", heißt es erbost auf Twitter. Jetzt mag man Korosec ihre Offenheit und Ehrlichkeit hoch anrechnen. Ob richtig ist, wie sie denkt und Politik macht, ist freilich zu hinterfragen. Denn es ist nicht sie allein, die so denkt. Dieses Denken hat wohl jeder Politiker und jede Politikerin im Blut. Die Frage, ob man so ein Denken wirklich "außer Frage" stellen darf, stellt man sich da gleich gar nicht.
Dabei führt gerade dieses Denken oft schnurstracks in das, woran die heimische Politik immer öfter leidet. Da werden, weil man "das ausnutzen muss", Zuckerl beschlossen, die wenig mit Vernunft und Abwägung zu tun haben und auch nicht viel mit Verantwortung, sondern die Budgets über Jahrzehnte belasten, die sich für die nachfolgenden Generationen sehr schnell als schwere Hypotheken erweisen. 

Von "verkaufter" Jugend sprechen Experten wie Franz Schellhorn, Chef der Agenda Austria, und davon, dass die jüngste Pensionserhöhung "nicht die Behebung einer monetären Notlage älterer Jahrgänge, sondern die gezielte Wählerbestechung der Pensionisten auf Kosten der Jungen" ist. Denn schon jetzt kommt das System mit den vorhandenen Mitteln bei Weitem nicht mehr aus und muss mehr als zehn Milliarden Euro zuschießen. Dabei ist die Situation im Vergleich zu dem, was in den nächsten Jahrzehnten kommt, vergleichsweise harmlos. Kommen heute auf einen Pensionisten immerhin noch 1,7 Einzahler, werden das im Jahr 2050, also in gerade einmal 30 Jahren, nur mehr 1,15 Einzahler sein. 

Wie die VP-Seniorenchefin redet und denkt, ist wohl in der Politik gängiges Muster. Politiker verstehen ihre Arbeit so und sie definieren sich so. Und, das ist hinzuzufügen, Politiker werden auch darüber von den Wählerinnen und Wählern definiert. Wer sich für seine Zielgruppe nicht mit aller Kraft einsetzt und nicht zuallererst die Durchsetzung ihrer Interessen im Fokus hat und wer nichts heimbringt aus Verhandlungen, kann gleich zusammenpacken. Das gliche einem politischen Selbstmord. Die Wähler ließen das nicht zu, auch wenn sie meist auch ganz anders reden -solange es nicht um ihre ureigenen Anliegen und Wünsche geht. 

Wenn es aber ums eigene Geld geht, ist das freilich allzuoft alles anders. Man weiß wohl, dass es anders richtiger wäre und man weiß um mögliche Folgen. Aber man will nichts auslassen. Schon gar nicht Gelegenheiten, wie sie sich in einem Wahlkampf ergeben. Das war schon immer so. Neu ist, dass Stimmen, die zur Vernunft mahnen und die die Folgen und das Staatswohl im Auge haben, völlig untergegangen zu sein scheinen. Ungebremst scheint die Bereitschaft vor Wahlen, immer teurere Beschlüsse zu fassen, die die öffentlichen Haushalte und damit die Zukunft der Jugend über Jahrzehnte belasten.

Weitreichende Konzepte, strukturelle Änderungen und Weichenstellungen, die den Anforderungen gerecht werden, haben es hingegen immer schwerer. Da geht es viel zu oft nicht mehr um nachhaltige Lösungen für die Zukunft, sondern um den schnellen Applaus. Beim Geldausgeben, wie beim Geldeinnehmen.

Allein am vergangenen Wochenende, rechnete eine Tageszeitung vor, präsentierten die Parteien -von der ÖVP bis zu den Grünen - Wünsche, Forderungen und Wahlversprechen, die zusammen ein Volumen von nicht weniger als 1,8 Milliarden Euro ausmachen. Darüber, wie all das finanziert werden soll, wurde kaum geredet. Man muss annehmen, dass das ohne zusätzliche Steuerbelastung nicht geht.

Da ist nachvollziehbar, dass Kritiker das in einem Hochsteuerland wie Österreich als den geraden "Weg in die Steuerhölle empfinden". Auch, weil es in diesem Land allgemeines Verständnis ist, dass Gelegenheiten "ausgenutzt" - wie das VP-Seniorensprecherin nannte -werden müssen, schon gar vor Wahlen. Dem frustrierten Steuerzahler fällt dann sehr schnell ein, dass es auch heißt "Gelegenheit macht Diebe".


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 5. September 2019

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